Posse Datenschutz

Verwirrung um Klingelschilder – In Wien wurden sie für 220 000 Mieter entfernt – Datenschützer um Schadensbegrenzung bemüht – Vermieter sollen sicherheitshalber die Einwilligung ihrer Mieter einholen, um etwaige Bußgelder zu vermeiden – Was Datenschutzbeauftragte sonst noch sagen – Was die Datenschützer bisher wohl übersehen haben – Was der Volksmund sagt

Der sogenannte Datenschutz gebiert immer seltsamere Blüten – als wenn wir nicht wirkliche andere Sorgen haben müssten. Aufmacher auf der ersten Seite meiner Regionalzeitung*)  jüngst: „Wirbel ums Klingelschild. Verstoßen Namensschilder im Miethaus gegen Datenschutzrichtlinien? Eine Empfehlung des Verbandes Haus und Grund löst Verwirrung aus.“  Im Innern des Blattes dann erfährt der Leser unter der Überschrift „Droht dem Klingelschild das Aus?“ Natürlich steckt wieder die EU dahinter, beschlossen dort von den EU-Mitgliedstaaten, also auch von den deutschen Vertretern in den EU-Institutionen: „Aufgrund der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) droht Vermietern, dass sie keine Klingelschilder mehr anbringen dürfen, ohne dass die Betroffenen zugestimmt haben. Zum Schutz der Mieter, wie es heißt.“ Dazu ein Foto leerer Klingelschilder mit dem Hinweis „So könnte es künftig an Häusern und Wohnungen aussehen.“ Auch die FAZ berichtet: „Klingelschilder werden zum Datenschutzrisiko – Haus & Grund warnt vor ho­hen Bußgeldern.“ Neues aus Absurdistan? Ja, es wird sogar ernsthaft diskutiert. Auch das ist Absurdistan.

In Wien wurden 220 000 Mietern die Klingelschilder genommen

Schon am 15. Oktober hatte die FAZ darüber informiert, dass in Wien die Klingelschilder eine De­bat­te un­ter Da­ten­schutz­recht­lern aus­ge­löst haben.**) In dem Bericht las man: „Die EU-weit gel­ten­de Da­ten­schutz­grund­ver­ord­nung (DS­GVO) soll ei­gent­lich vor Ri­si­ken der di­gi­ta­len Re­vo­lu­ti­on schüt­zen, ge­rät al­ler­dings schon an­ge­sichts ei­nes Klin­gel­schilds ins Schlin­gern: Auf­grund der Rechts­un­si­cher­heit ha­ben in Wien nun 220 000 Mie­ter ih­re Klin­gel­schil­der ver­lo­ren – ein ein­zel­ner Mie­ter hat­te sich be­schwert. Das neue Re­gel­werk droht für Ver­stö­ße be­kannt­lich er­heb­li­che Buß­gel­der an. Die Wie­ner Ma­gis­trats­ab­tei­lung schätz­te nun, dass die Dar­stel­lung von Nach­na­me und Woh­nungs­num­mer wohl rechts­wid­rig sei – die kom­mu­na­le Haus­ver­wal­tung ent­fern­te dar­auf­hin die Na­men. Den Be­woh­nern blei­be es aber un­be­nom­men, ih­ren Na­men selbst wie­der auf die Schil­der zu kle­ben.“

Datenschützer um Schadensbegrenzung bemüht

Die Pos­se, so berichtete die FAZ weiter, be­feu­ere Sor­gen un­ter Da­ten­schüt­zern, die neu­en Re­geln könn­ten nun un­wei­ger­lich als ab­sur­der Bü­ro­kra­tis­mus wahr­ge­nom­men wer­den, sie be­mü­hten sich um Scha­dens­be­gren­zung. Das Blatt zitierte den Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten Ba­den-Würt­tem­bergs, Ste­fan Brink. Der habe auf Twit­ter geschrieben, dies sei, be­vor sich je­mand auf­rege, kein Pro­blem der DS­GVO. Über die Fra­ge, ob auf dem Klin­gel­schild Na­me oder Pseud­onym stün­de, ha­be im­mer schon der Mie­ter selbst ent­schie­den und nicht der Ver­wal­ter oder Ver­mie­ter. Allerdings räume Brink ein, ein Klin­gel­schild kön­ne ei­ne „sys­te­ma­ti­sche An­ord­nung von per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten“ sein. Aber die Stif­tung Da­ten­schutz bezweifelt das laut FAZ, die daraus folgert: „Dann wä­ren die Schild­chen erst ein­mal ver­bo­ten, so­fern nicht In­ter­es­sen­ab­wä­gung oder Ein­wil­li­gung die­se ge­stat­ten. Das war zwar schon vor der DS­GVO so, aber nicht so teu­er wie heu­te.“ Der einstige Bun­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten Pe­ter Schaar meine, die In­ter­es­sen­ab­wä­gung er­lau­be die Na­mens­nen­nung. Ein An­walt wür­de vor­sorg­lich wohl ein Ein­wil­li­gungs­for­mu­lar emp­feh­len.

Vermieter sollen sicherheitshalber die Einwilligung ihrer Mieter einholen

Jetzt in der FAZ vom 19. Oktober***) heißt es, der Ei­gen­tü­mer­ver­band Haus & Grund halte es für „mög­li­cher­wei­se un­zu­läs­sig“, Na­men von Haus­be­woh­nern an Klin­gel­schil­dern und Brief­käs­ten aus­zu­wei­sen, oh­ne vor­her die Ein­wil­li­gung der Mie­ter ein­zu­ho­len. Das Blatt zitiert Haus & Grund-Prä­si­dent Kai War­ne­cke: „Es darf nicht sein, dass Ver­mie­tern ho­he Buß­gel­der dro­hen, nur weil sie die Na­men ih­rer Mie­ter an den Klin­gel­schil­dern an­brin­gen.“ Die Bun­des­re­gie­rung müs­se „um­ge­hend die­ses Da­ten­schutz-Cha­os be­en­den und klar­stel­len, dass Na­men an Klin­gel­schil­dern und Brief­käs­ten wei­ter­hin ge­nannt wer­den dür­fen“. Auch die Bild-Zeitung hat sich des Themas angenommen (hier). Einen Beitrag der Süddeutschen Zeitung finden Sie hier. Laut FAZ schreibt die EU-Da­ten­schutz­grund­ver­ord­nung (DS­GVO) die frü­her in Deutsch­land gel­ten­de Rechts­la­ge nach dem Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz im We­sent­li­chen fort, er­gänzt sie aber um ho­he Buß­gel­der.

Was Datenschutzbeauftragte sonst noch sagen

Weiter berichtet die FAZ: „Die Bun­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­te An­drea Voß­hoff (CDU) sag­te, die Ent­fer­nung von Klin­gel­schil­dern sei ‚un­nö­tig’. Sie ra­te ‚drin­gend al­len Ver­bän­den und In­sti­tu­tio­nen, sich in der­ar­ti­gen Fäl­len mit Brei­ten­wir­kung vor Ver­sand von In­for­ma­ti­ons­schrei­ben bei den zu­stän­di­gen Auf­sichts­be­hör­den nach der Rechts­la­ge zu er­kun­di­gen’. Na­men an Klin­gel­schil­dern sei­en we­der ei­ne au­to­ma­ti­sier­te Ver­ar­bei­tung noch ei­ne Spei­che­rung in Da­tei­sys­te­men. Der ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Da­ten­schutz­be­auf­trag­te Ste­fan Brink sprach von Hys­te­rie: Zwar sei­en Mie­ter­na­men per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten. Der Mie­ter dür­fe ent­schei­den, ob sein Na­me an der Klin­gel steht – ei­ne Na­mens­pflicht ge­be es näm­lich auch nicht, sag­te Brink der F.A.Z. Ei­ne grund­sätz­li­che Ab­mahn­ge­fahr se­he er nicht. Auch ein Spre­cher der EU-Kom­mis­si­on gab Ent­war­nung. Das hilft je­doch we­nig, denn was die Kom­mis­si­on mit­teilt, ist nicht rechts­ver­bind­lich. Der Thü­rin­ger Da­ten­schutz­be­auf­trag­te Lutz Has­se et­wa sag­te dem MDR, die Na­men dürf­ten vom Ver­mie­ter nicht oh­ne Ver­ein­ba­rung mit dem Mie­ter über­mit­telt wer­den.“ Die Rechtslage erläutert der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz hier.

Was die Datenschützer bisher wohl übersehen haben

Offensichtlich noch nicht entdeckt haben unsere überdrehten Datenschützer das Problem mit den Briefträgern. Können diese doch bei allem, was sie in die Briefkästen stecken, sehen und, wenn sie wollten, notieren, wer von wem Post bekommt und ganz, ganz Schlimmes mit diesem Verstoß gegen den Datenschutz anrichten. Man sollte die Postboten sicherheitshalber abschaffen. Und muss es nicht für unsere Politiker als selbsternannte Datenschützer erst recht eine schreckliche Vorstellung sein, dass nicht nur der Postbote, sondern jedermann an den Klingelschildern und Briefkästen ablesen kann, wer da alles in dem Haus wohnt?

Was der Volksmund sagt

Abschließend: Was sagt der Volksmund zu der Posse? Die Lübecker Nachrichten zitieren eine Leserin: „Das ist doch Blödsinn. Irgendwie muss man doch sehen, wer wo wohnt.“ Stimmt.

Meinen Beitrag zur offiziellen Anwendung der EU-Datenschutz-Grundverordnung am 25. Mai 2018 („Jetzt scharf geschaltet“) siehe hier.

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*) Lübecker Nachrichten vom 19. Oktober 2018, Seite 1 und 9.

**)  Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Oktober 2018, Seite 17. Bericht im Magazin Der Spiegel hier

***) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Oktober 2018, Seite 17.

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2 Kommentare zu „Posse Datenschutz“

  1. https://www.saechsdsb.de/presse/582-hinweis-namensbeschriftung-von-klingelleisten-nicht-unzulaessig

    Hinweis – Namensbeschriftung von Klingelleisten nicht unzulässig

    Der Sächsische Datenschutzbeauftragte weist darauf hin, dass die Beschriftung von Klingelleisten mit dem Namen eines Mieters nach der Datenschutz-Grundverordnung nicht unzulässig ist.

    Nach Überzeugung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten ist es vertretbar, Namen auf Klingelleisten

    auf die Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO,
    auf den (Miet-)Vertrag gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DS-GVO oder
    auf berechtigte Interessen des Vermieters gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO
    – im Einzelfall zu stützen,
    – jedenfalls soweit der Vermieter bzw. Hausverwalter die Anbringung der Schilder bestimmt.

    Berücksichtigt werden muss in der Gesamtbetrachtung, dass Dienstleister, Zustelldienste, Rettungsdienste etc. regelmäßig auf die Namensbeschriftungen angewiesen sein werden, so dass die Beschilderung im Geschäftsverkehr regelmäßig im Interesse der Vermieter, Hausverwalter und Mieter sein wird. Briefkästen weisen ohnehin Beschilderungen mit den Namen auf. So werden überwiegend keine zusätzlichen Daten verbreitet, wenn Namensbezeichnungen auf Klingelschildern bestehen bleiben.

    Soweit Vermieter und Hausverwaltungen einzelnen betroffenen Personen, die vortragen, in ihrem Persönlichkeitsrecht durch Klingelleisten verletzt zu sein, entgegenkommen, erhebt der Sächsische Datenschutzbeauftragte hiergegen keine Einwände.

    Soweit die Mieter oder Bewohner den Inhalt der Beschriftung selbst vornehmen und verantworten, stellt sich die Frage überhaupt nicht.

  2. Als nächstes bekommt das Finanzamt eine Abmahnung nach DSGVO, wenn es mir wieder einen Vollstreckungsbescheid in auffallend rotem Brief mit Absender schickt. Ich verlange ein neutrales weißes Briefkuvert ohne Absender mit unkenntlich machen meiner Adresse. Nur so ist meine Privatsphäre ohne Diskriminierung gewährleistet. Was wohl die Nachbarn von mir denken, die zufällig neben dem Postboten stehen und mitbekommen, daß ich einen in der Kerbe habe. Äh, ich meine aufm Kerbholz beim Finanzamt.

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