Schildbürgerstreich in Wien

Nachtrag zur Posse Datenschutz – FAZ: Datenschutzrecht als toxischer Cocktail aus Bußgeldpanik, Ratlosigkeit und Verbietlust – Wie das Schieben eines beladenen Einkaufswagens durch ein Kiesbett – Die neuen drakonischen Bußgelder wirken für jeden Paragraphen wie ein Brennglas – Zwei Fehler des Datenschutzrechts – der eine behebbar, der andere nicht – Manche Behördenchefs regieren wie launige Fürsten – Die fehlende Abstimmung der Einzelbehörden treibt in den Wahnsinn

Nachtrag zur „Posse Datenschutz“: Was unnötig ist, wird in Wien trotzdem fortgesetzt. Die städ­ti­sche Bau­ver­wal­tung Wie­ner Woh­nen macht mit dem Entfernen von Namen an den Klingelschildern in Kommunalbauten weiter, berichtet die FAZ in Ihrer Druckausgabe vom 20. Oktober (Seite 18). Die für Da­ten­schutz zu­stän­di­ge Ma­gis­trats­ab­tei­lung sei zur Er­kennt­nis ge­langt, die Ver­bin­dung von Nach­na­me und Tür­num­mer verstoße ge­gen die Datenschutz-Grundverordnung (DS­GVO) der EU. Deren Begründung laute, zwar sei es nicht ex­pli­zit ver­bo­ten, Na­mens­schil­der an­zu­brin­gen, doch müss­ten Mie­ter der Da­ten­ver­ar­bei­tung laut DS­GVO zu­stim­men, die Zu­stim­mung aber feh­le.  Dabei hatte auch ein Sprecher der EU-Kommission zuvor schon Entwarnung gegeben. Offensichtlich ist die Wiener Bauverwaltung so gar nicht auf die naheliegende Idee gekommen, die Zustimmung bei den Mietern einfach einzuholen. Ein Schild-Bürgerstreich im wahrsten Sinn des Wortes.

Datenschutzrecht als toxischer Cocktail aus Bußgeldpanik, Ratlosigkeit und Verbietlust

In der gleichen FAZ-Ausgabe auf Seite 17 präsentierte die Wirtschaftsredaktion einen Leitartikel Ihres Redakteurs und promovierten Juristen Hendrik Wieduwilt unter dem Titel „Datenschützer einigt Euch!“ Mit je­dem Schwank vom Ka­li­ber Klin­gel­schild ver­lören Da­ten­schutz­be­auf­trag­te An­se­hen. Die Staaten der EU hätten sich mit dem Datenschutzrecht einen toxischen Cocktail aus Bußgeld-Panik, Ratlosigkeit und Verbietlust serviert. Für Wieduwilt steht die Idee des Datenschutzes auf dem Spiel. Dieser Artikel ist das Beste, was ich bisher zu der Klingelschild-Posse und zum überdrehten Datenschutz gelesen habe. Daraus deshalb einige Zitate:

Wie das Schieben eines beladenen Einkaufswagens durch ein Kiesbett

„Die neue Verordnung sorgt für viel Arbeit. Sogar im bunt animierten Schulungsprogramm debattieren die fiktiven Mitarbeiter in Seelenruhe Rechtsfragen des Datenschutzes, als hätten sie kein Hauptgeschäft zu erledigen. Arzt- und Friseurbesuche, jede Minute im Internet, Schulfeste, Fachkonferenzen, Lobbyabende und Marketingarbeit – jede Alltäglichkeit wird mühselig, als müsste man einen beladenen Einkaufswagen durch ein Kiesbett schieben. Möge eine Beratungsgesellschaft aufsummieren, was die Formulare, Debatten und Klickereien im Jahr kosten!“

Die neuen drakonischen Bußgelder wirken für jeden Paragraphen wie ein Brennglas

„Die Staaten der EU haben sich mit dem Datenschutzrecht einen toxischen Cocktail aus Bußgeld-Panik, Ratlosigkeit und Verbietlust serviert. Es ist nicht Schuld Einzelner, wenn sie die DSGVO zu streng auslegen. Rechtlich änderte sich in Deutschland eigentlich wenig. Aber die neuen drakonischen Bußgelder wirken wie ein Brennglas für jeden Paragraphen. Auch handwerkliche Fehler im Gesetzestext sind nicht ausschlaggebend, ebenso wenig eine fehlende deutsche Datenschutzbremse, wie sie manche europäische Länder beschlossen haben – damit ließen sich zumindest manche Symptome bekämpfen.“

Zwei Fehler des Datenschutzrechts – der eine behebbar, der andere nicht

„Die Ursachen liegen indessen tiefer. Eine ist behebbar, die andere nicht. Ein unbehebbarer Fehler ist die Konstruktion des Datenschutzrechts: Es verbietet praktisch sämtliches Hantieren mit persönlichen Daten. Wer es dennoch will, muss sich auf Ausnahmen stützen. Ähnlich reguliert man das Waffenrecht. Aus dieser Strenge spricht der Geist des Volkszählungsurteils: Das Bundesverfassungsgericht erblickte in jeder Information des Staates über die Bürger ein Risiko. Dieses Konzept ungefiltert auf die Wirtschaft auszudehnen war ein Fehler. Selbst Konzerne stehen – anders als Staaten – nicht im Verdacht, ihre Kunden interniert, verraten oder diskriminiert zu haben.“

Manche Behördenchefs regieren wie launige Fürsten

„Ein hingegen durchaus behebbarer Fehler ist die Kakophonie der Datenschützer. Allein Deutschland hat 18 Datenschutzbehörden und mindestens so viele Rechtsauffassungen. Das ist unzumutbar. Wie launige Fürsten regieren manche Behördenchefs über praktisch jeden Datenvorgang, unkontrolliert und unabhängig, wie es der Europäische Gerichtshof eingefordert hat. Ihr Wort entscheidet. Der Thüringer Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse hält Klingelschilder für rechtswidrig? Dann ist in Thüringen völlig egal, dass die EU-Kommission, die Bundesdatenschutzbeauftragte und praktisch alle Anwälte die Sache anders sehen.“

Die fehlende Abstimmung der Einzelbehörden treibt in den Wahnsinn

„Diese Machtfülle der Einzelbehörden ist an sich schon fragwürdig. Die fehlende Abstimmung der Behörden untereinander treibt Bürger, Unternehmen und andere Behörden in den Wahnsinn. Das Chaos führt dazu, dass zaghaftere Juristen stets zu Einwilligungen raten und die Bürger, matt vom Nicken, zu allem ja sagen.“

Den ganzen Beitrag – aber unter der anderen Überschrift „Die Idee des Datenschutzes steht auf dem Spiel“ – finden Sie hier.

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