Der Tag ist heiß, der Zug eine Sauna – Die zweite Lok – Deutschlands Bahn hat eine tolle Kundschaft – Raus aus dem Zug, rein in den Zug. Ein neuer Tag bricht an – Umsteigen und Warten in Harburg – In Hamburg: Kein Zug mehr nach Lübeck, der letzte Bus gerade weg. Was nun?
Sich aufregen? Lieber nicht. Sich ärgern? Das schon. Den Vorfall registrieren und festhalten? Ja, durchaus. Also die Deutsche Bahn. Wieder einmal. Oder schon wieder. Sie soll den Fahrgast von Berlin zurückbringen nach Lübeck. Ankommen soll er dort am 27. Juni um 19 Uhr 40. Das geht ziemlich schief. Am Zielbahnhof Lübeck trifft er erst weit nach Mitternacht ein: um 2 Uhr 20, also am Folgetag. Statt der fahrplanmäßigen 2 Stunden und 34 Minuten ist der Fahrgast 7 Stunden und 14 Minuten unterwegs.
Die übliche Strecke führt von Berlin über Spandau, Wittenberge, Ludwigslust nach Büchen. Dort umsteigen in die Regionalbahn Erix und über Mölln und Ratzeburg nach Lübeck-Flughafen, wo der Fahrgast aussteigt und sein Auto auf ihn wartet. So läuft das seit Jahren ab, wenn auch nicht immer reibungslos (Verspätungen mit unterschiedlichen Ursachen). Diesmal ist es anders, die Rückreise gerät zum Abenteuer.
Der Tag ist heiß, der Zug eine Sauna
Der ICE fährt in Berlin zwar pünktlich ab, bleibt aber in Ludwigslust stecken (Ankunft dort um 18 Uhr 19). Das Zugpersonal teilt mit: Weiterfahrt nicht möglich, Strecke gesperrt. Nun steht der Zug – und steht und steht. Der Tag ist heiß. 27 Grad. Die Klimaanlage kommt dagegen nicht an. Der Waggon ist vollbesetzt. Sein Großraum wirkt schon seit Berlin wie eine unfreiwillige Sauna. Es wird halb sieben, es wird sieben. Das Zugpersonal lässt derweilen wissen, man fahre zurück nach Wittenberge, eine zweite Lok sei herbeigeordert.
Die zweite Lok
Warum eine zweite Lok? Erklären muss sich das der Fahrgast selbst. Der letzte Zugwaggon ist für Rückwärtsfahren untauglich, weil es dort keinen Lokführerstand gibt. Der Zug ist nämlich kein deutscher ICE, sondern ein tschechischer Zug, der aus Prag nach Berlin gekommen ist. Dessen geplante Endstation Kiel.
Dann endlich trifft die zweite Lok ein und wird angekuppelt. Um 19 Uhr 40 zieht sie den Zug nach Wittenberge zurück, wo er um 19 Uhr 58 wieder eintrifft. Hier geht’s über die Umleitungsstrecke nach Stendal. Ankunft dort gegen 20 Uhr 40. Um 20 Uhr 50 wird die neue Lok wieder abgekuppelt und entschwindet. Der Zug bleibt in Stendal stehen – und steht und steht.
Das Zugpersonal spendiert Mineralwasser
Das Immer-wieder-Warten-Müssen, ohne zu wissen warum, ist eine Zumutung, die große Hitze im Zug, weil die Klimaanlage nicht richtig funktioniert, eine Strapaze. Das Zugpersonal spendiert, schon zum zweiten Mal, unentgeltlich Carat-Naturelle-Mineralwasser der Marke Christinen, halbliterweise abgefüllt in pfandfreien Behältnissen. Die spärlichen Durchsagen des Zugpersonals sind wegen scheppernder Lautsprecheranlage akustisch schwer bis gar nicht zu verstehen.
Die Deutsche Bahn hat eine tolle Kundschaft
Der Zug fährt in Stendal noch immer nicht weiter. Die Fahrgäste nehmen’s ergeben hin, diszipliniert, gelassen oder abgestumpft, auch schweigend, keine Flüche, jedenfalls keine vernehmbaren. Die Deutsche Bahn hat eine tolle Kundschaft, pflegeleicht und duldungsfähig. Abermals eine akustisch schwer verständliche Durchsage des Zugpersonals. Dann, o Wunder, der Zug setzt sich in Bewegung. Es ist jetzt 21 Uhr 22. Standzeit in Stendal fast eineinhalb Stunden.
Von Stendal geht es weiter in Richtung Uelzen und Lüneburg. Ankunft in Lüneburg um 22 Uhr 35. Die Fahrgäste, längst resigniert und schafsgeduldig, richten sich schon auf eine weitere Standzeit ein. Aber nein, die Überraschung ist perfekt: Nur zwei Minuten später setzt der Zug seine Fahrt fort.
Raus aus dem Zug, rein in den Zug. Ein neuer Tag bricht an
Dann doch wieder ein Stillstand auf der Strecke an einer Haltestation in oder bei Maschen. Es ist jetzt 22 Uhr 55. Nach einer Stunde Warten um 23 Uhr 55 Durchsage, die den Zuginsassen irgendwie bekannt vorkommt: Strecke gesperrt, der Zug könne nicht weiterfahren. Fünf Minuten später die Durchsage: Alle aussteigen, auf dem Gegengleis gehe es mit dem Metronom weiter, aber nur bis Harburg, dort dann mit der S-Bahn nach Hamburg. Es ist jetzt Mitternacht und ein neuer Tag angebrochen. Wir stehen nun draußen und warten auf den Metronom. Aber dann ist die Strecke wohl doch nicht gesperrt. Oder nicht mehr? Wie auch immer, um 0 Uhr 10 Uhr informiert das Zugpersonal: Alle in den bisherigen Zug wieder einsteigen, der nun doch selbst bis Harburg fahre.
Umsteigen und Warten in Harburg
Ankunft in Harburg um 0 Uhr 20. Durchsage: Alle aussteigen und umsteigen auf Gleis 5 in einen Regionalzug. Alle hasten hin zu diesem ziemlich entfernten anderen Bahnsteig. Der Regionalzug ist aber noch gar nicht da, fährt ein erst um 0 Uhr 42. Abfahrt in Harburg nach Hamburg um 0 Uhr 45.
In Hamburg: Kein Zug mehr nach Lübeck, der letzte Bus gerade weg. Was nun?
Ankunft im Hamburger Hauptbahnhof um 1 Uhr 01. Um diese Zeit fährt nach Lübeck kein Zug mehr, nur der berüchtigte Schienenersatzverkehr, vulgo Bus, aber der letzte um 1 Uhr 05 ist nicht mehr zu erreichen. Der erschöpfte Fahrgast schnappt sich ein Taxi, vereinbart den Preis und lässt sich nach Lübeck fahren. An der Bahnstation Lübeck-Flughafen, wo sein Auto steht, kommt das Taxi um 2 Uhr 20 an. Ein abermaliges Abenteuer mit der Deutschen Bahn ist beendet. Warum die Umleitung wirklich notwendig gewesen ist, weiß der Fahrgast noch immer nicht. Sein Trost: Er hat sämtlichen Lesestoff, den er bei Zugfahrten stets dabeihat, endlich mal vollends geschafft.
Und warum stellen Sie Ihr Auto am Flughafen Lübeck ab und fahren nicht einfach weiter nach Berlin? Ich habe auch schon mehrmals unter dem miserablen Zustand der Bahn gelitten, ich fahr nicht mehr mit der Bahn.
@Oberdörffer: Ich fahre nicht mehr mit dem Auto nach Berlin. Und im Zug kann ich (auch bei Verspätungen) lesen, am Autolenkrad nicht. Grundsatz: lange Strecken per Zug (was immer dort passiert), kurze per Auto.