Russlands Außenminister Lawrow in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat: Die USA haben sich willkürlich zum obersten Richter über die Geschicke der Menschheit aufgeschwungen – Sie und ihre Verbündeten verletzen die UN-Charta systematisch und haben sich unverfroren eingemischt in die inneren Angelegenheiten der Ukraine – „Besser zehn Jahre Verhandlungen als einen Tag Krieg“ – Der mangelnde Willen des Westens, die tiefste Krise zu überwinden – Die Notwendigkeit einer polyzentrischen Weltordnung als Garantie
Jetzt im UN-Sicherheitsrat in New York hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow dringend angemahnt, die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht einzuhalten statt immer wieder dagegen zu verstoßen, wie durch den von den USA dominierten Westen geschehe. Leider habe sich der „kollektive Westen“, angeführt von den USA, so begann Lawrow seine Rede, nach dem Ende des Kalten Krieges willkürlich zum obersten Richter über die Geschicke der Menschheit aufgeschwungen und ignoriere, getrieben von einem Exzeptionalismuskomplex*), das Vermächtnis der UN-Gründerväter immer häufiger. „Heute“, fuhr Lawrow fort, „beruft sich der Westen selektiv auf die Normen und Grundsätze der Charta, von Fall zu Fall, ausschließlich nach seinen egoistischen geopolitischen Bedürfnissen. Das führt unweigerlich dazu, dass die globale Stabilität untergraben wird, bestehende Spannungsherde verschärft und neue angeheizt werden.“
Eine systematische Verletzung der UN-Charta durch die USA und ihre Verbündeten
Auch die Risiken eines globalen Konflikts nähmen zu. Gerade um sie einzudämmen und die Ereignisse in eine friedliche Richtung zu lenken, habe Russland darauf bestanden und bestehe darauf, dass alle Bestimmungen der UN-Charta nicht selektiv, sondern in ihrer Gesamtheit und in ihrer Wechselbeziehung beachtet und angewandt würden, einschließlich der Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten, der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten, der Achtung der territorialen Integrität und des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung. „Das Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten stellt eine systematische Verletzung des in der Charta verankerten Gleichgewichts der Anforderungen dar.“
Die UN-Charta: das Schlüsselelement des modernen Völkerrechts
Die bestehende internationale Ordnung sei auf den Trümmern und den Ergebnissen der kolossalen Tragödie des Zweiten Weltkriegs errichtet worden. Ihr Fundament sei die UN-Charta gewesen, das Schlüsselelement des modernen Völkerrechts. Es sei vor allem den Vereinten Nationen, der UNO, zu verdanken, dass ein neuer Weltkrieg mit einer nuklearen Katastrophe habe abgewendet werden können.
Unverfroren eingemischt in die inneren Angelegenheiten der Ukraine
Lawrow weiter: „Seit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Gründung unabhängiger Staaten an ihrer Stelle haben sich die USA und ihre Verbündeten unverhohlen und unverfroren in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt. Wie die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland Ende 2013 öffentlich und sogar stolz zugab, hat Washington fünf Milliarden Dollar ausgegeben, um in Kiew Politiker zu fördern, die dem Westen gegenüber gehorsam sind.“
Thomas Röper und die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit
Die Lawrow-Rede übersetzt hat Thomas Röper und sie auf seinem Internet-Portal Anti-Spiegel im vollen Wortlaut veröffentlicht, weil „deren Inhalt die deutschen Medien natürlich verschweigen werden“. Röper, Jahrgang 1971, hat nach eigenen Angaben als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Er lebt seit über fünfzehn Jahren in Russland, heute dort in Petersburg als seiner Wahlheimat, und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russland-Bild in Deutschland, die Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Westliche Politiker als Drescher infantiler Phrasen
Röper selbst bemerkt zur Rede, sie zeige übrigens auch den Unterschied zwischen russischen und westlichen Politikern, denn Lawrow habe alle seine Ausführungen mit konkreten Bestimmungen des Völkerrechts untermauert und ausführlich daraus zitiert, „während westliche Politiker in der UNO infantile Phrasen dreschen und Parolen wiederholen, was man an den Reden, die die Bundeskanzler (hier), der ukrainische Präsident Selenskyj (hier) oder der amerikanische Präsident Biden (hier) am gleichen Tag vor der UN-Generalversammlung gehalten haben, sehr schön sehen konnte“.
Als Scholz mit seiner Rede dran war, sprach er vor nahezu leerem UN-Saal
Apropos: Als Scholz sprach, geschah das vor nahezu leerem Saal, es war später Abend, die Mitglieder der Vollversammlung hatten sich längst verduftet (siehe hier). Und ebenfalls in New York am 20. September bei einer „internationalen“ Pressekonferenz von Jennifer Morgan, Staatssekretärin bei Baerbock für – so Peter Boehringer von der AfD – CO2-Gedöns) saßen gerade einmal sieben Journalisten, allesamt laut Boehringer „Hofberichterstatter aus Deutschland“: „Niemand interessieren woke und oftmals irre Botschaften der Ampel. Es sind alles Potemkin’sche Showdörfer, die die Regierung mit gekauften Publikumskomparsen vorzeigt. Bei den UN gelang nicht einmal mehr das.“ Auch bei der Rede von Selenskyj war die UN-Vollversammlung ein Leerversammlung. Doch das ukrainische Fernsehen, so ist im Plausch-Austausch einer Telegram-Gruppe**) zu lesen, habe für Selenskyj den leeren Saal offenbar mit Aufnahmen „gefüllt“, als dieser noch vollbesetzt gewesen sei, „bemerkte jedoch nicht, dass Selenskyj bei Sekunde 15 selbst im Publikum sitzt. Es sah dann so aus, als würde er seiner eigenen Rede zuhören.“
„Besser zehn Jahre Verhandlungen als einen Tag Krieg“
Lawrow hat in seiner Rede detailliert über den russischen Standpunkt zur Ukraine-Krise, zum Völkerrecht und zum Verhalten des von den USA geführten Westens gesprochen. Dabei zitierte er Gromyko: „Andrej Gromyko, der legendäre Außenminister der UdSSR, sagte zu Recht: ‚Besser zehn Jahre Verhandlungen als einen Tag Krieg.‘ Diesem Grundsatz folgend haben wir viele Jahre lang verhandelt, den Abschluss von Vereinbarungen im Bereich der europäischen Sicherheit angestrebt, die NATO-Russland-Grundakte gebilligt, 1999 und 2010 auf höchster Ebene die OSZE-Erklärungen zur Unteilbarkeit der Sicherheit angenommen und seit 2015 auf der bedingungslosen Umsetzung des Minsker Abkommens bestanden, das das Ergebnis der Verhandlungen war. Alles geschah in voller Übereinstimmung mit der UN-Charta, die verlangt, ‚die Bedingungen für Gerechtigkeit und die Einhaltung der Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts zu gewährleisten‘. Unsere westlichen Kollegen haben gegen diesen Grundsatz verstoßen, als sie all diese Dokumente unterzeichneten, obwohl sie im Voraus wussten, dass sie sie nicht einhalten würden.“
Russland hält an Verhandlungen fest
Verhandlungen gebe Russland auch jetzt nicht auf. Der russische Präsident Putin habe sich bei vielen Gelegenheiten dazu geäußert, auch kürzlich. Er, Lawrow, möchte den verehrten US-Außenminister daran erinnern, dass Präsident Selenskyj ein Dekret unterzeichnet habe, das Verhandlungen mit Putins Regierung verbiete. Wenn die USA an Verhandlungen so sehr interessiert wären, wäre es seines Erachtens nicht schwierig, „das Kommando“ zu geben, Selenskyjs Dekret aufzuheben. Aber: „Heute hören wir in der Rhetorik unserer Gegner nur Parolen: „Invasion, Aggression, Annexion“. Kein Wort über die Ursachen des Problems, darüber, dass sie seit vielen Jahren ein offen nazistisches Regime fördern, das den Ausgang des Zweiten Weltkriegs und die Geschichte seines eigenen Volkes offen umschreibt.“
Der mangelnde Willen des Westens, die tiefste Krise zu überwinden
Der Westen weiche einem sachlichen Gespräch aus, das auf Fakten beruhe und alle Anforderungen der UN-Charta respektiere. Offenbar habe er für einen ehrlichen Dialog keine Argumente. Die Fakten sprächen von der tiefsten Krise in den internationalen Beziehungen und dem mangelnden Wunsch und Willen des Westens, diese Krise zu überwinden. Lawrow hofft, „dass es einen Ausweg aus dieser Situation gibt und dass dieser auch gefunden wird“. Zunächst einmal müsse sich jeder der Verantwortung für das Schicksal unserer Organisation (der UN) und der Welt bewusst werden – „und zwar in einem historischen Kontext und nicht im Hinblick auf konjunkturelle Wahl- und Augenblicksentwicklungen bei den nächsten nationalen Wahlen in diesem oder jenem Mitgliedstaat“.
Die Notwendigkeit einer polyzentrischen Weltordnung als Garantie
Lawrow am Schluss seiner Rede: „Lassen Sie mich noch einmal daran erinnern: Vor fast 80 Jahren haben sich die Staats- und Regierungschefs der Welt mit der Unterzeichnung der UN-Charta darauf geeinigt, die souveräne Gleichheit aller Staaten zu respektieren – großer und kleiner, reicher und armer, Monarchien und Republiken. Mit anderen Worten: Schon damals erkannte die Menschheit die Notwendigkeit einer gleichberechtigten, polyzentrischen Weltordnung als Garantie für die Nachhaltigkeit und Sicherheit ihrer Entwicklung. Deshalb geht es heute nicht darum, sich einer „regelbasierten Weltordnung“ zu unterwerfen, sondern darum, die bei der Unterzeichnung und Ratifizierung der Charta eingegangenen Verpflichtungen in ihrer Gesamtheit und in ihrer Wechselbeziehung zu erfüllen.“
Den vollen Wortlaut von Lawrows Rede finden Sie hier, die Web-Seite Anti-Spiegel von Thomas Röper hier.
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*) „Der Amerikanische Exzeptionalismus (American Exceptionalism) ist eine nationalistische Ideologie, die auf dem Postulat basiert, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Nationen einnehmen. Näheres dazu siehe hier.
**) Dithmarscher Nachbarn stehen auf im Informationsnetzwerk Telegram am 21. September 2023.