Auf Gas und Öl aus Russland verzichten?

Derzeit kann das Deutschland nicht – Dafür bezieht es zuviel Energie von dort – Notreserven hat Deutschland nur für Öl, aber nicht für Gas und Steinkohle – Reichen die „regenerativen“ Energien für eine vollständige Energieversorgung? – Nein, Deutschland hat dafür an Fläche nicht genug – Nötig ist eine Kehrtwende der „Energiewende“

Von Prof. Dr. Ing. Hans-Günter Appel*)

Der Finanzminister und FDP-Vorsitzende Lindner hat im Bundestag verkündet, Wind- und Solarstrom sei Freiheitsenergie. Damit könne Deutschland unabhängig werden von Energieeinfuhren aus Russland. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten klatschte Beifall. Sie demonstrierten öffentlich, wie rudimentär ihre Kenntnisse über den Energiebedarf und die Energieversorgung in Deutschland sind. Der Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen ist keine „Freiheitsenergie“. Mit diesen Anlagen lässt sich der Energiebedarf in Deutschland nicht decken. Die hohen Kosten schränken die Freiheit der Bürger geradezu ein. Denn mit wachsenden Energiekosten steht weniger Geld für Reisen, aber auch für Aus- und Fortbildungen zur Verfügung. Nur mit sicherer und bezahlbarer Energie können wir unsere Freiheit vergrößern. Mit der „Energiewende“ geht das nicht.

Auf Gas und Öl aus Russland verzichten kann Deutschland derzeit nicht

Der Angriff Russlands auf die Ukraine führt zu Forderungen, den Import von Energie aus Russland in Form von Erdgas, Erdöl und Steinkohle zu stoppen. Russland soll die Einnahmen daraus verlieren, um seine Kriegsfinanzierung zu erschweren. Aber Deutschland kann auf den Energieimport aus Russland zurzeit nicht verzichten. Die Nachteile für Deutschland wären weitaus größer als die für Russland. Wir können und sollten aber die Abhängigkeit von Russland verringern. Dazu müssen heimische Brennstoffe stärker genutzt und Energieimporte breiter gestreut werden.

55 Prozent Erdgas sowie 25 Prozent Erdöl und Steinkohle bezieht Deutschland aus Russland

Zurzeit deckt Deutschland fast den gesamten Bedarf an Erdgas und Erdöl und die Steinkohle mittels Import. Die geringen heimischen Gas- und Ölförderungen fallen kaum ins Gewicht. 55 Prozent des  Erdgases und rund 25 Prozent des Erdöls und der Steinkohle kommen aus Russland. Damit kontrolliert Russland ein Drittel unserer Energieversorgung. Der Stromverbraucherschutz NAEB hat immer wieder darauf hingewiesen, Deutschland mache sich mit hohen Energieeinfuhren aus nur einem Land erpressbar. Der Import müsse aus wesentlich mehr Ländern kommen, um variabel auf Ausfälle von einem Lieferanten reagieren zu können. Dazu gehört auch die Anlandung von Flüssigerdgas. Doch Pläne, die zum Beispiel seit 40 Jahren für Wilhelmshaven vorliegen, wurden nicht weiter verfolgt. Jetzt sollen Flüssiggas-Terminals im Eiltempo gebaut werden. Das dauert mindestens zwei Jahre. Inzwischen könnten bei uns die Heizungen und Lichter ausgehen, falls  Russland die Lieferungen stoppen würde.**)

Notreserven hat Deutschland nur für Öl, aber nicht für Gas und Steinkohle

Denn Deutschland hat seit 50 Jahren eine Notreserve nur für Öl. Unter der Regie des staatlichen Erdöl-Bevorratungsverbandes ist der Öl- und Treibstoffbedarf für 90 Tage vorwiegend in Salzkavernen eingelagert. Davon liegt der größte Teil mit 10 Millionen Tonnen unter Wilhelmshaven. Die Reserve verteuert die Treibstoffkosten um 0,5 Cent/Liter. Die Bundeswehr hat zusätzlich noch eine eigene Notreserve. Für Gas gibt es zahlreiche Kavernen, die aber keine Reserve sind, sondern nur als Puffer zwischen hohem Bedarf im Winter und geringem Bedarf im Sommer dienen. Steinkohlenreserven gibt es nicht. Die Kraftwerke lagern nur den Bedarf für wenige Tage. Schon der Ausfall eines Lastkahns durch Havarie oder Eisgang hat wiederholt zum Abschalten von Kraftwerken geführt. Erst jetzt bemerkt die Bundesregierung, dass wir auch Notreserven für Gas und Steinkohle brauchen.

Ohne Braunkohle geht notwendiger Grundlast-Strom verloren

Unverständlich ist das Beharren von Regierung und Parteien, die Stromerzeugung mit heimischer Braunkohle in den nächsten 15 Jahren aufzugeben zugunsten der sogenannten regenerativen Energien. Der günstigste Strom wird aus Braunkohle für etwa 3 Cent/Kilowattstunde erzeugt. Er bildet einen wichtigen Anteil der Grundlast im Netz, die die Frequenz vorgibt und sicherstellt. Auch sind die Kraftwerke regelfähig; sie können sich schnell an den Bedarf anpassen. Das ist wichtig, weil es bis heute keine ausreichenden Stromspeicher gibt. Strom von Wind und Sonne ist 3- bis 4mal teurer und nicht grundlastfähig. Dieser Strom kann ein stabiles Netz weder aufbauen noch halten.

Reichen die „regenerativen“ Energien für eine vollständige Energieversorgung?

Erdwärme: Sie könnte wirtschaftlich nur genutzt werden in Thermalbereichen, also in Gebieten mit hohen Temperaturen in geringen Tiefen. Die Wärme kann zum Heizen und evtl. auch zur Stromerzeugung dienen. Versuche haben aber gezeigt, dass bei längerem Wärmeentzug leicht Erdbeben auftreten. In jedem Fall ist Erdwärme deutlich teurer als Braunkohle.

Wasserkraft: Wasserkraftwerke sind ideal. Sie sind regelbar und ohne CO2-Emissionen. Leider fällt in Deutschland nicht genug Regen, und es fehlen für die benötigte Energieerzeugung ausreichende Fallhöhen. Mit einer Fallhöhe von 360 Metern kann man von einem Hektar 8.000 bis 9.000 kWh im Jahr gewinnen. Die Bevölkerungsdichte liegt in Deutschland bei 2,3 Einwohner/Hektar, die einen Energiebedarf von 115.000 kWh haben. Die Regenmenge kann maximal 3 Prozent zur Energieversorgung beitragen. Da nur wenige Gebiete ausreichende Höhenunterschiede haben, ist der reale Anteil mit 0,04 Prozent wesentlich geringer.

Biomasse: Pro Hektar wächst in unseren Breiten jedes Jahr Pflanzenmasse („Biomasse“) mit einem Energiegehalt von 50.000 kWh nach. Das ist weniger als 50 Prozent des Bedarfs. Biomasse muss aber bevorzugt der Ernährung dienen, wenn wir nicht verhungern wollen. Bioenergie kann daher zum Heizen und Erzeugen von Strom und Treibstoffen nur wenige Prozent beitragen. Die staatlich subventionierte Umstellung von Heizkraftwerken auf Holzfeuerung führt zu einem Holzbedarf, der die  Nachwuchsrate übersteigt. Würden alle Heizkraftwerke auf Holzfeuerung umgestellt, wäre der deutsche Wald nach Berechnungen von NAEB in 20 Jahren vernichtet.

Solarenergie: Mit Photovoltaik können pro Hektar und Jahr rund 900.000 kWh erzeugt werden. 22 Prozent der Fläche Deutschlands würden den Jahresbedarf decken. Diese Aussage gilt für die derzeitige Energienutzung ohne große Stromspeicher. Angestrebt wird eine vollständige Umstellung auf „regenerative“ Energien. Wasserstoff aus Solar- und Windanlagen soll als Energieträger gespeichert werden und als Grundstoff  zur Synthese von Heizgas, Treibstoffen und chemischen Produkten dienen. Der Energiebedarf dürfte sich dadurch verdoppeln, denn die Umwandlungen und Synthesen brauchen viel Energie, die weitgehend als Abwärme verloren geht. Eine Vollversorgung mit Solarenergie würde knapp 50 Prozent der Fläche Deutschlands beanspruchen. Eine utopische Vorstellung.

Windenergie: Windgeneratoren kosten je Kilowatt installierter Leistung 1.000 Euro (offshore das 4-fache). Damit werden im Jahr 1.800 kWh erzeugt. Ein großer Windgenerator hat 3.000 kW Leistung und erzeugt 5,4 Millionen kWh/Jahr. Je Hektar hätten wir nach der Umstellung auf „regenerative“ Energien einen Bedarf von 215.000 kWh. Sollte der gesamte Energiebedarf durch Windgeneratoren abgedeckt werden, müssten auf jeden Quadratkilometer 4 große Anlagen errichtet werden. Doch selbst dann wird die notwendige Stromproduktion nicht erreicht, weil die dicht stehenden Generatoren sich gegenseitig den Wind stehlen und die kilometerlangen Wirbelschleppen den Wirkungsgrad der in Lee stehenden Anlagen mindern.

Das Fazit lautet: Deutschland hat für „regenerative“ Energien an Fläche nicht genug

Die Flächen in Deutschland reichen nicht aus, um den Energiebedarf durch Biomasse, Wasserkraft, Wind- und Solarstrom zu decken. Die Energiewende hat ihre Grenzen erreicht. Wir sind auf die Nutzung fossiler und nuklearer Brennstoffe angewiesen. Dazu sollten in erster Linie die heimischen Brennstoffe gewählt werden. Braunkohle ist die wirtschaftlichste Quelle, die uns noch Jahrzehnte zur Verfügung steht. Sie sollte nicht nur weiter genutzt, sondern ausgebaut werden, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Weiter muss geprüft werden, ob die Wiederaufnahme der Steinkohlenförderung sinnvoll ist. Reserven gibt es noch reichlich, allerdings in größeren Tiefen. Die Förderung wird dadurch teuer. Auch über Gas- und Erdöl-Fracking sollte ohne ideologischen Ballast entschieden werden.

Die Kernkraft sollte auch Deutschland nutzen

Ende 2022 dieses Jahres (2022) sollen auch die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz gehen und als Ersatz Gaskraftwerke dienen, die vorwiegend bisher russisches Gas nutzen. Das Endziel ist eine vollständige Versorgung mit den sogenannten regenerativen Energien Erdwärme, Wasserkraft, Biomasse, Wind und Sonne. Die noch laufenden drei Kernkraftwerke erzeugen etwa 6 Prozent unseres Stroms. Das ist zwar wertvolle Grundlast, die aber für eine sichere Stromversorgung nicht relevant ist. Deutschland hat sich weitgehend von der Atomphysik verabschiedet. Das ist eine falsche politische Entscheidung. Der wachsende Energiehunger der Welt kann langfristig nur durch Kernenergie befriedigt werden. Immer mehr Länder haben dies erkannt und bauen oder planen neue Kernkraftwerke. Die Kernphysik sollte in Deutschland wieder stärker unterstützt werden.

Nötig ist eine Kehrtwende der „Energiewende“

Die „regenerative“ Energieerzeugung muss aufgegeben werden. Regierung und Politiker müssen den Mut aufbringen und bekennen: Die Energiewende ist nicht möglich. Damit werden Wendekosten von mindestens 50 Milliarden Euro eingespart. Der Strompreis wird halbiert und die Treibstoff- und Heizungskosten sinken wesentlich. Die wahren Kosten der Energieversorgung werden wieder klar, durch die CO2-Bepreisung sind sie hochgetrieben und verzerrt worden.

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*)  Prof. Dr.-Ing. Hans-Günter Appel ist Mitglied im Stromverbraucherschutz-Verein NAEB e.V. Auch ich gehöre diesem Verein an und habe ihn mitgegründet. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt. Die NAEB-Web-Seite finden Sie hier www.naeb.de  und die NAEB-Pressemitteilungen hier.   Wer sich als Energiewende-Opfer sieht (das sind die meisten), sollte NAEB unterstützen, indem er Mitglied wird. Je mehr Mitglieder, umso durchsetzungsfähiger gegen die Energiewende-Politik kann der Verein auftreten. Ein Beitrittsformular finden Sie hier. NAEB ist ein Zusammenschluss von Energiefachleuten, die über Jahrzehnte an einer sicheren Energieversorgung in Deutschland mitgewirkt haben.

**)  Kommentar von mir: Das ist aber unwahrscheinlich, kurzfristig erst recht. Russland ist auf die Erlöse aus dem Verkauf seiner Energierohstoffe finanziell angewiesen. Es liefert Öl und Gas nach Deutschland nach wie vor in jenem Umfang, wie es in den vor vielen Jahren geschlossenen Verträgen vereinbart ist – auch zu dem damals festgelegten Preisen (hier). Am 10. März hat es  versichert, alle seine Ener­gie­ex­por­te aufrecht­zu­er­hal­ten, auch Liefe­run­gen durch die Ukrai­ne. Präsi­dent Wladi­mir Putin sagte, Russ­land halte sich an alle einge­gan­ge­nen Verpflich­tun­gen zur Ener­gie­ver­sor­gung. Auch das „Trans­port­sys­tem für Gas“ in der Ukrai­ne sei „zu hundert Prozent befüllt“. (FAZ vom 11. März 2022, Seite 1). Allerdings will sich Russland alle Lieferungen nach Europa jetzt nur noch mit Rubel anstelle von Dollar oder Euro bezahlen lassen (hier). Das Ziel ist, den Rubel-Wechselkurs zu stärken. Überdies sind Russland, China und arabische Länder schon länger bemüht, die Dollar-Dominanz auf dem Weltmarkt zu Fall zu bringen.

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