Die „gute“ Inflation

Tot ist die Inflation nie, allenfalls nur scheintot – Wann Preissteigerungen Inflation sind – Inflation durch übermäßiges Ausweiten der Geldmenge – Nicht alle Preisanstiege sind Inflation – Alle Preise vermitteln Informationen, zumal wenn sie steigen – Eine „gute“ Inflation gibt es nicht, aber es gibt „gute“ Preissteigerungen – Die gute Inflation ist Humbug

Jetzt ist viel von „Rückkehr der Inflation“ die Rede. Wir lesen „Die Inflation lebt.“ Wir lesen „Die Preise steigen so schnell wie lange nicht mehr.“ Wir lesen „Energiepreise treiben Inflation auf Zehnjahreshoch.“ Wir lesen „In Deutschland dürfte die Inflationsrate bald 4 Prozent erreichen.“ Und: „Infla­ti­on ist unver­se­hens zu einem bestim­men­den Thema gewor­den, das so schnell nicht verschwin­den dürfte.“

Wir lesen weiter: „Ist das jetzt die Zeiten­wen­de? 4,2 Prozent Infla­ti­on haben die USA für den April gemel­det. Während das Land nach Corona allmäh­lich wieder öffnet, melden alle mögli­chen Bran­chen Nach­schub­pro­ble­me und Preis­er­hö­hun­gen. Große Teile der Indus­trie können nicht so viel produ­zie­ren wie nötig, weil Halb­lei­ter und Kunst­stof­fe fehlen. Die Trans­port­kos­ten für Güter stei­gen, auch weil es an Schiffs­-Con­tai­nern mangelt. Und drin­gend benö­tig­te Rohstof­fe wie Kupfer, Eisen­erz oder Stahl sind teuer, manche so teuer wie nie. Auch in Deutsch­land klagt die Indus­trie. Dabei stehen zusätz­li­che Themen am Ende der Pande­mie hier­zu­lan­de erst noch bevor: über­füll­te Hotels, die mit hohen Prei­sen ihre Verlus­te der vergan­ge­nen Monate wieder herein­ho­len wollen, eine über­schie­ßen­de Lebens­freu­de der Menschen nach Mona­ten des Darbens, die bereit sind, für ihr Vergnü­gen fast jeden Preis zu bezah­len. Die Infla­ti­on, so viel steht fest, ist nicht tot.“ (Quelle hier). Aber wie stets wird hierbei mit dem Verwenden unsauberer Begriffe einiges durcheinandergeworfen.

Tot ist die Inflation nie, allenfalls nur scheintot

Ja, die Inflation lebt. Das tut sie immer. Das ist wie mit dem Sozialismus: Er ist nie tot, er ist immer nur scheintot. Mit der Inflation ist es nicht anders, mit der tatsächlichen, der echten Inflation. Die wird herbeigeführt durch das übermäßige Aufblähen (inflare) der Geldmenge gegenüber der jeweils vorhandenen Gütermenge. Die Geldmenge lässt sich heute elektronisch sehr schnell vermehren, die Gütermenge dagegen – wegen unterschiedlicher, produktionstechnisch bedingter Trägheit – nicht. Eine zu starke Geldvermehrung erleben wir seit vielen Jahren.

Wann Preissteigerungen Inflation sind

Diese Geldvermehrung („Geldschöpfung“) geschieht durch bloße Vergabe von Krediten. Es sind Kredite, die nicht (wie einst) durch Spargelder ermöglicht sind, gleichsam „gedeckt“ sind. Aber solche allein spargestützte Kreditvergabe ist lange vorbei. Jede Kreditvergabe schafft Kaufkraft und erhöht die Geldmenge. Sobald der Kreditempfänger mit dem Kredit auf Einkaufstour geht, ist das neue Geld in der Welt. Nimmt die Kreditvergabe und Kaufkraft derart große Ausmaße an, dass die daraus resultierende Güternachfrage das Güterangebot für längere Zeit deutlich übertrifft, führt das auf freien Märkten zu Preissteigerungen. Weil deren Ursprung das Aufblähen der Geldmenge ist, heißen diese Preissteigerungen Inflation.

Inflation durch übermäßiges Ausweiten der Geldmenge

An der Spitze der Geldschöpfer über den Geldbedarf der Gütermärkte hinaus stehen die Zentralbanken (ZB). Seit Jahren hat sich bei ihnen das Unheil breitgemacht, Staats- und Bankanleihen zu kaufen, um die betreffenden Staaten und Banken vor einem Finanzkollaps zu bewahren, sie zu retten, wobei es in der EU weiterhin und letztlich um die Euro-Rettung geht, dessen Scheitern um jeden Preis verhindert werden soll. Damit treten sie neben die privaten Geldanleger, die außer Aktien und Fondsanteilen auch Staats- und Bankanleihen in ihr Portefeuille zu nehmen pflegen. Dafür erhalten diese Staaten und Banken von den Zentralbanken frisches Geld, das diese elektronisch herbeizaubern. Folglich schnellt die Geldmenge in die Höhe. Und je länger und umfangreicher das geschieht, umso bedrohlicher wird die Inflationsgefahr. Dabei sollen die Zentralbanken, statt Staaten und Banken zu finanzieren, den Geldwert der Währung sichern, also die Bürger vor Inflation bewahren. Jedenfalls soll es die EZB für die Europäische Union.

Nicht alle Preisanstiege sind Inflation

Nun war kürzlich ein Beitrag mit der Überschrift „Die gute Inflation“ zu lesen (FAZ vom 21. Juni 2021, Wirtschaftsteil, Seite 18). Geschrieben hat ihn der Profes­sor für Geschich­te und inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen an der Prince­ton Univer­si­ty Harold James. Aber diesem Autor muss unbekannt sein, dass nicht alle Preissteigerungen als Inflation zu gelten haben, wenn sie nicht inflationsbedingt sind, sondern andere Ursachen haben. Er setzt Teuerung aus Marktgründen gleich mit Inflation aus Gründen maßloser Geldmengenausweitung,  verwendet jedenfalls beide Begriffe synonym, als seien sie ein und dasselbe. Das sind sie aber nicht. Wenn Harold James Inflation nennt, was aber nur Teuerung ist, dann ist das unsauber. Das Verwenden unsauberer Begriffe erschwert Unkundigen das Verständnis.

Alle Preise vermitteln Informationen, zumal wenn sie steigen

Doch was Harold James klarmachen will, ist durchaus zutreffend. Preisbewegungen, schreibt er, vermitteln eine Botschaft. Die Infla­ti­ons­ra­te sei nur ein Index, der auf einem reprä­sen­ta­ti­ven Waren­korb basiere und die Verän­de­rung der Preise dieser Waren insge­samt betrach­tet angebe. „Was aber passiert“, fragt er rhetorisch, „wenn sich die einzel­nen Preise in unter­schied­li­che Rich­tun­gen bewe­gen? Auch das ist eine Botschaft: Preise sagen Markt­teil­neh­mern, wie sie ihre wirt­schaft­li­che Akti­vi­tät anpas­sen soll­ten. Wir soll­ten höhere Preise begrü­ßen, weil sie Infor­ma­tio­nen vermit­teln.“  Leider sei der Sinn für die fundamentale Bedeutung des konkreten Preises zerstört worden. Sobald man aber die Infla­ti­on in ihre Kompo­nen­ten zerteilt betrach­te, lasse sich die Logik von Preis­stei­ge­run­gen verste­hen und dabei auch erken­nen, wofür Infla­ti­on gut sein könne.

Eine „gute“ Inflation gibt es nicht, aber es gibt „gute“ Preissteigerungen

Nein, Inflation kann nicht  gut sein, es gibt keine „gute“ Inflation, aber es gibt „gute“ Preissteigerungen. Oder allgemeiner und genauer: Es gibt „gute“ Preisbewegungen, seien es solche nach oben oder nach unten. Gut sind sie, wenn sie natürliche – nicht künstliche*) – Knappheiten anzeigen und damit den Anbietern und Nachfragern Knappheitstendenzen und Knappheitsgrade signalisieren. In einer Volkswirtschaft sind es Signale für alle Menschen: zum einen für jene, die Waren produzieren und Dienstleistungen bereitstellen, also für die Anbieter dieser Güter, zum anderen für jene, die diese Waren und Dienstleistungen verwenden, also für die Nachfrager dieser Güter. Und darauf pflegen sie alle zu reagieren – jeder auf seine Weise.

Die gute Inflation ist Humbug

Solche Signale steigender wie sinkender Preise sind notwendig, damit sich die Marktteilnehmer dem anpassen, was sich verändert oder verändert hat. Da hat Harold James sehr wohl recht, auch wenn er es verdreht formuliert.**) Inflation dagegen sendet ganz andere Signale. Sie ist ein Zeichen für missratene staatliche Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Es sind schlechte, nie gute Signale. Inflation bedeutet ursachenbedingt stets Preisanstieg, nie Preissenkung. Preisbewegungen als marktbedingte natürliche Signale gehen in beide Richtungen, die Inflation geht nur in eine. Die gute Inflation, mit Verlaub, ist Humbug.

PS. „Zurückgekehrt“ übrigens ist die Inflation keineswegs. Sie war immer da. Zentralbanken wie die EZB steuern eine Inflationsrate von 2 Prozent geradezu an. Eine Null-Rate ist unerwünscht. Die EZB hat Angst vor Deflation und glaubt, die 2 Prozent als Puffer haben zu müssen: lieber etwas zuviel Geld im Umlauf als zu wenig. Wenn zu wenig Geld im Umlauf sei, drohe Deflation, obwohl dann der Geldwert steigt und bei Inflation laufend sinkt. Die Argumentation lautet: Bei Inflation kaufen die Leut‘, weil es später teurer wird; bei Deflation warten die Leut‘, weil es später noch billiger werden kann. Ganz schön verrückt.

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*) Zum Beispiel durch Kartellbildung (Beispiel Preisabsprachen) oder durch staatliche Intervention (Beispiel Mindestpreisvorschriften, Mietpreisbremse, das Verteuern fossiler Energieverwendung durch Preissetzungen für anthropogenes CO2 vorgeblich gegen Klimaerwärmung). Viele Ökonomen sind der Ansicht, mit der Preissetzung für anthropogenes CO2 durch das Versteigern von CO2-Ausstoßrechten durch den Staat sei der Marktwirtschaft genüge getan. Sie wissen nicht oder wollen nicht wahrhaben, dass die Grundlage dieser Preissetzung nicht stimmt, nämlich auf einer These beruht, die nicht bewiesen, aber umfassend widerlegt ist. Die Klimaschutzpolitik und was in Deutschland „Energiewende“ heißt, ist unzulässige massive staatliche Intervention mit überaus schlimmen Folgen für die Wirtschaft und die Menschen. Ihr wird mit dem Versteigern von Ausstoßrechten nur ein marktwirtschaftliches Mäntelchen umgehängt.

**)   „Wir müssen uns jetzt entschei­den, ob wir eine gute Infla­ti­on erlau­ben, bei der die Preise Signa­le senden, auf die wir reagie­ren müssen, oder sie in eine schlech­te Infla­ti­on umkeh­ren, die unser Versa­gen verdeckt, auf die Signa­le des Mark­tes rich­tig zu reagie­ren.“

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