Noch immer: Das dubiose TTIP

Es geht um das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU. Ein Vorwurf aus der FDP an die AfD rückt es wieder ins öffentliche Bewusstsein

Nach wie vor verhandeln USA und Europäische Union über das heftig umstrittene Freihandelsabkommen TTIP. Zurzeit hört und liest man davon nicht mehr viel. Daher es ist es gut, wenn es immer wieder einmal in die öffentliche Wahrnehmung gerückt wird. Das ist gerade durch die FAZ geschehen (hier). Danach hat AfD-Sprecher Bernd Lucke gegenüber der FAZ dies klargestellt: Die AfD-Mitglieder des EU-Parlaments seien nicht gegen den Freihandel mit den USA, aber gegen einige Regelungen im geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. Die AfD setze sich entschieden für freien Handel ein, aber es sei inakzeptabel, dass im Rahmen von Investorenschutzbestimmungen amerikanische Unternehmen hierzulande nicht mehr deutschem Recht und deutscher Rechtsprechung unterliegen würden. Lucke wehrte damit einen Vorwurf von FDP-Generalsekretärin Nicola Beer ab, die gesagt hatte, die AfD sei „gegen Freihandel“. Der Vorwurf ist in der Tat absurd. Nicht absurd, sind die Vorwürfe gegen wichtige Inhalte des Abkommens.

Der AfD-Parteitag stimmte in Erfurt gegen das TTIP

Dieses Abkommen läuft unter dem Namen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und hat es in der Tat in sich (siehe meinen Beitrag vom 23. Januar 2014 hier). Noch auf dem AfD-Parteitag im März in Erfurt zur bevorstehenden Wahl des neuen EU-Parlaments hatte Bernd Lucke das Abkommen allerdings gutgeheißen und den Programmentwurf seines Bundesvorstandes dazu verteidigt: „Das Freihandelsabkommen ist ein positives, konstruktives Ziel und liegt sehr im deutschen Interesse.“ (FAZ vom 24. März 2014 hier). Aber bei der Parteibasis in Erfurt kam er damit nicht an. AfD-Mitglied Beatrix von Storch trat entschieden gegen das Abkommen auf, brachte den Parteitag hinter sich und bescherte dem Vorstand mit dessen Entwurfstext eine Niederlage. Gescheitert war dann aber ein zusätzlicher Antrag, „allen künftigen AfD-Abgeordneten“ bei Abstimmungen ein Nein zu dem Vertrag vorzuschreiben.

Die USA der Kapitän, die EU der Ruderer

Die AfD tut allerdings gut daran, das Abkommen mit seinem gegenwärtigen Inhalt abzulehnen. Daran, was dieser Inhalt bedeutet, hat Karin Zimmermann*) am 15. Mai noch einmal erinnert (hier) und ihr früheres Fazit wiederholt: „Wegen des für alle Zeiten beabsichtigten Ausspähens der europäischen ‚Vertragspartner und Freunde’ würde sich – bildlich gesprochen – Europa mit dem ‚Partner’ USA in ein Boot setzen, bei dem dauerhaft klar wäre, dass die USA der Kapitän und Europa der Ruderer ist. Die Souveränität Europas (nicht nur der Nationalstaaten, die ist ohnehin schon nicht mehr gegeben) würde dauerhaft aufgegeben und zwar nicht etwa an die USA, sondern an Großkonzerne, die sich auf eine ‚Gerichtsbarkeit’ verlassen könnten, die Entscheidungen treffen würde, ohne an Gesetze gebunden zu sein, ohne Beteiligung des Beklagten und ohne Einspruchsmöglichkeit für diesen. Alle diese Gründe sollten unseren europäischen Politikern verdeutlichen, was das Freihandelsabkommen in Wirklichkeit ist:
• eine auf Dauer angelegte Knebelung der europäischen Staaten,
• eine nachhaltige Aufgabe demokratischer Prinzipien,
• eine Entmachtung der einzelnen Politiker und der Parlamente – auch der Europas und
• eine Möglichkeit einer Gewinnmaximierung der Großkonzerne.

Ist es da noch eine Frage, wie sich der europäische Politiker entscheiden sollte?“ Ausführlich hatte sich Frau Zimmermann über das verhandelte Abkommen im April hergemacht (hier) und daraus das zitierte Fazit gezogen.

Ein weitgehende Abgabe von Souveränitätsrechten

Das für sie „Wesentlichste“ ist, „dass die Souveränität nicht nur der europäischen Staaten, sondern sogar das Europas insgesamt, ihr Rechtssystem und die demokratischen Prinzipien – unumkehrbar – ausgehebelt werden sollen. Nicht durch gewählte Politiker, sondern durch demokratisch nicht legitimierte, dafür bestimmte Emissäre aus den USA und der EU, zusammen mit Lobbyisten der transatlantisch operierenden Großkonzerne, bevorzugt aus den USA.“ Ohne dieses nachhaltige Vertrauen in den Vertragspartner USA, das für eine so weitgehende Abgabe von Souveränitätsrechten erforderlich sei, erscheine ein solcher Vertrag von vornherein „auf Sand gebaut“.

Grundsätzliche Vorteile des Abkommens

Sie räumt aber auch ein: Ein einfaches und verbraucherfreundliches Kennzeichnungssystem zum Beurteilen von Lebensmitteln zu schaffen, sei für den Wirtschaftsraum USA-Europa „ein echter Vorteil“ – denkbar auch als Vorreiter für alle übrigen Staaten der Welt. Grundsätzlich ebenso für richtig hält sie es, technische Standards und Genehmigungsverfahren zu vereinheitlichen, weil damit Kostenersparnisse verbunden seien.

Verwässerungen von Nahrungsmittel-Qualitätsnormen befürchtet

Aber wenn unterschiedliche Standards z.B. auf dem Gesundheits- und Lebensmittelsektor vereinheitlicht werden, warnt sie davor, dass zwischen Europa und den USA „grundsätzliche und tiefgreifende Auffassungsunterschiede“ bestehen. Zu befürchten sei, dass der Verbraucherschutz und die in Europa eingeführten Qualitätsnormen im Nahrungsmittelrecht – auch zu den übrigen Staaten der Welt – verwässert würden. Auch könne der Wegfall von Handelsbeschränkungen dazu führen, dass Großunternehmen Produkte auf den Markt bringen könnten, die den bisherigen Qualitäts- oder Sicherheitsstandards nicht genügt hätten. Durch staatliche Lenkungsmaßnahmen lasse sich das nicht verhindern. „Schadenersatzklagen enormen Ausmaßes wären wahrscheinlich. Sie würden entschieden „durch nichtöffentliche und nicht an Gesetze gebundene Schiedsgerichte“ und zwar „ohne Einspruchsmöglichkeit.“

Die Gefahr durch die vorgesehenen Schiedsgerichte

Würden Privatbetriebe diese Schiedsgerichte anrufen, könnten Europa bzw. die Nationalstaaten zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt werden, wenn die Schiedsgerichte der Auffassung seien, die Gewinne dieser Betriebe würden beeinträchtigt. „Diese Beeinträchtigung ist subjektiv. Objektivierbare Sachverhalte brauchen nicht vorgetragen zu werden.“ Die in einer Demokratie übliche Rechtssicherheit werde auch deswegen unterhöhlt, weil es gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte keine Einspruchsmöglichkeit gebe. Großkonzerne könnten mit Hilfe dieser Gerichte ihre ausschließlich am Gewinn orientierten Interessen gegenüber staatlichen Vorbehalten durchsetzen.

Die Einstufung als Geheimdokument

Den Verhandlungen zwischen EU und USA liegt ein Entwurf zugrunde, der als geheim (restreint/restricted) eingestuft und hier zu finden ist. Die Leitlinien kann man hier lesen. In diesen Leitlinien steht: „Die Delegationen erhalten anbei die Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, wie sie der Rat (Auswärtige Angelegenheiten/Handel) am 14. Juni 2013 angenommen hat. NB: Dieses Dokument enthält als RESTREINT UE/EU RESTRICTED eingestufte Informationen, deren unbefugte Weitergabe für die Interessen der Europäischen Union oder eines oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten nachteilig sein könnte. Alle Adressaten werden daher ersucht, dieses Dokument mit der besonderen Sorgfalt zu behandeln, die gemäß den Sicherheitsvorschriften des Rates für als RESTREINT UE/EU RESTRICTED eingestufte Dokumente erforderlich ist.“ Dazu Karin Zimmermann: „Warum, so ist zu fragen, müssen die Verhandlungen auch weiterhin hinter streng verschlossenen Türen stattfinden, wenn die Inhalte so positiv sind, wie sie dargestellt werden?“

Warum nicht alles veröffentlicht wird

Dem wird entgegengehalten:**) „Immer wieder ist von Geheimverhandlungen die Rede, womit der Eindruck erweckt wird, dass hinter verschlossenen Türen über die Interessen der Bürger hinweg entschieden wird. Tatsächlich sind die Verhandlungsdokumente geheim. Das ist bisher bei allen Handelsgesprächen so gewesen. … Die Bundesregierung dringt zwar inzwischen auf mehr Offenheit – und wirft den Amerikanern vor, das zu blockieren. Wenn es darum geht, was sie offenlegen will, verweist sie aber nur auf das ohnehin durchgestochene Mandat. Vorab informiert über die europäischen Verhandlungsdokumente werden Vertreter der Staaten und des Handelsausschusses im EU-Parlament. Neu ist, dass bei TTIP Vertreter von Industrie und Zivilgesellschaft Einblick in Dokumente erhalten. Die Kommission hat dazu eine Beobachtergruppe aus 14 Vertretern einberufen.“

Ein Verteidiger des Abkommens

Rainer Hank hat das Abkommen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verteidigt, wenn auch nicht in dessen Details. Der schärfste Vorwurf laute, das TTIP laufe auf eine diktatorische Beschränkung der demokratischen Selbstbestimmung hinaus. Es handele sich um einen Vertrag, den das internationale Großkapital zu Lasten nationaler Demokratien durchdrücken wolle. Hank setzt dies dagegen: Länder, die Freihandelsabkommen schlössen, hätten sich irgendwann einmal davon überzeugen lassen, dass der ungehinderte Verkehr von Waren, Dienstleistungen oder Arbeitnehmern am Ende allen Vorteile bringe. Demgegenüber würden Subventionen und als Umwelt- oder Verbraucherschutz getarnte Handelsbarrieren den Wettbewerb verzerren und zu Wohlfahrtsverlusten für alle führen.

Ein Freihandelsabkommen „setzt der Demokratie in der Tat Grenzen“

Hank sieht in Freihandelsabkommen nicht „diktatorische Beschränkung demokratischer Selbstbestimmung“, sondern „vertraglich zwischen Staaten verabredete demokratische Selbstbindung im Versprechen, einander diese wirtschaftlichen Freiheiten ohne Einschränkung zu gönnen“. Er konstatiert: „Solche Verträge setzen in der Tat der Demokratie Grenzen. Mehr noch: Der Rechtsstaat garantiert über Grenzen hinweg Vertragsfreiheit und den Schutz des privaten Eigentums. Deshalb gehört es zur Idee des Freihandels, dass ein ausländischer Investor davor geschützt wird, diskriminiert oder gar enteignet zu werden – selbst wenn ein Gesetz zur Diskriminierung oder Enteignung demokratisch erlassen würde. Tatsächlich wertet der „Investitionsschutz“ damit den Rechtsstaat als höheres Gut im Vergleich zur Demokratie, die stets in Gefahr ist, zufällige Mehrheiten protektionistisch zu bedienen.“ (Der ganze Beitrag von Hank hier)

Was bisher erreicht wurde: Misstrauen

Ein Leser schrieb an die FAZ***) unter anderem: Die Problematik des sogenannten Investitionsschutzes werde in den Kommentaren zu Recht angesprochen. Amerikanische Investoren könnten nämlich unter anderem bei Interessenkollisionen, zum Beispiel ein nationales EU-Land erheblich in Regress nehmen. Die rechtsstaatliche Souveränität eines Landes setzt sich hier einer unkalkulierbaren Gefahr aus. ….. Eines haben die derzeit laufenden Verhandlungen des Freihandelsabkommens leider jetzt schon ausgelöst, nämlich Misstrauen. … Für unsere Volksvertreter gilt es, bei diesem nachhaltigen Thema besser Farbe zu bekennen. Sie müssen deutlicher aufzeigen, wo mehr freier Handel für Europa sinnvoll und verantwortbar ist und wo nicht. Sie müssen sich insbesondere in dem laufenden Verfahren öffentlich eindeutiger äußern, bekennen und positionieren. Dies schulden sie der Glaubwürdigkeit ihres Mandats.“
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*) Karin Zimmermann ist eine sachkundige couragierte Frau, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges mit ihrer Familie aus Ost-Brandenburg in der Nähe von Landsberg an der Warthe vertrieben wurde. Ihre Eltern hatten dort einen Bauernhof.

**) FAZ vom 19. Mai 2014, Seite 19

***) FAZ vom 2. Juni 2014, Seite 18

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