Das Bundesverfassungsgericht kneift mit seinem OMT-Beschluss „Ab nach Luxemburg“ nicht – Ökonom und AfD-Sprecher Bernd Lucke legt dar, warum – Eine schöne Vorlage für den AfD-Wahlkampf
Unsere Verfassungsrichter des 2. Senats in Karlsruhe sind doch wirklich auch einmal richtig klug. Jedenfalls sechs der acht Richter. Mit ihrer Mehrheit haben sie die Entscheidung über das verfassungsrechtlich angegriffene OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zunächst lieber den Kollegen vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf den Tisch gelegt und ihm gleichsam als „Schwarzen Peter“ zugeschoben. Für viele sieht oder sah das nach Kneifen aus, nach Drückebergerei. Dass dem nicht so ist, hat die FAZ in zwei Leitartikel-Kommentaren dargelegt (siehe meinen Beitrag vom 9. Februar hier). Sollte nun aber der EuGH den „Schwarzen Peter“ – wann auch immer – zurückspielen, indem er der EZB beim OMT-Programm freie Hand lässt, dann ist es jedoch kein „Schwarzer Peter“ mehr, sondern für das Bundesverfassungsgericht, salopp gesagt, ein „gefundenes Fressen“. Dies, wenn auch anders formuliert, dargelegt zu haben, ist das Verdienst des Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Lucke, der auch einer der drei Bundessprecher der jungen Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist. Ebenfalls in der FAZ.*)
Strategisch möglicherweise sehr klug
Bernd Luckes Ausgangspunkt ist die unmissverständliche Feststellung der Verfassungsrichter, dass die EZB mit dem OMT-Staaten-Rettungsprogramm*) ersichtlich ihre Kompetenz, ihr Mandat überschreitet und damit gegen europäisches Recht verstößt. Folglich sei der OMT-Beschluss der EZB unzulässig. Lucke fragt: „Warum also urteilt das Bundesverfassungsgericht dann nicht einfach entsprechend? Ist die Anrufung des EuGH ein Ausweichmanöver, um ein unbequemes Urteil zu vermeiden? Ist sie ein Mangel an Selbstbewusstsein, zu dem als richtig Erkannten auch zu stehen? Präjudiziert sie ein Durchwinken des OMT-Programms durch den vermeintlich EZB-freundlicheren EuGH? Lucke die Vorlage an den EuGH anders: Tatsächlich verhalte sich das Bundesverfassungsgericht strategisch möglicherweise sehr klug und zielführend.
Das Bundesverfassungsgericht kneift keineswegs
Seine Gedankenführung lautet: „Das Bundesverfassungsgericht musste damit rechnen, dass die EZB sein Urteil aus Gründen der formalen Zuständigkeit einfach ignorieren würde. Einer rechtlichen Einschätzung des EuGH aber müsste sich die EZB beugen. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, den EuGH zu befragen, wie denn der OMT-Beschluss der EZB rechtskonform interpretiert werden könnte. Dabei ‚kneift’ das Bundesverfassungsgericht keineswegs.“ Vielmehr habe es gleich eindeutig spezifiziert, unter welchen Bedingungen der OMT-Beschluss der EZB allenfalls primärrechtskonform sein könne, nämlich beim Ankauf von Staatsanleihen dürfe ein Schuldenschnitt nicht in Kauf genommen, Staatsanleihen nicht unbegrenzt aufgekauft und die Preisbildung für sie nicht erheblich beeinträchtigt werden.
Den EuGH in die Zwickmühle geschickt
Luckes Folgerung daraus: „Diese Bedingungen aber lassen vom OMT-Beschluss nichts mehr übrig. Die EZB dürfte entgegen der Ankündigung nicht unbeschränkt kaufen. Sie dürfte noch nicht einmal in solchen Mengen kaufen, dass der Preis dadurch wesentlich verändert würde. Und überhaupt dürfte sie keine Anleihen von Krisenstaaten kaufen, denn damit nähme sie selbstverständlich einen Schuldenschnitt in Kauf. Die Konditionen des Bundesverfassungsgerichts verkehren den OMT-Beschluss in ein Kurspflegeprogramm für die Anleihen solider Staaten.“ Damit stehe der EuGH vor einem Dilemma. Wenn er den OMT-Beschluss in dieser Richtung interpretiere, sei das OMT-Programm tot. Winke er ihn aber durch, provoziere er ein gegenteiliges Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sich mit seiner Stellungnahme selbst gebunden habe: Es müsse das OMT-Programm für unzulässig erklären, falls der EuGH dieses Programm nicht in seinem Sinne interpretiere.
Auftrieb für die euroskeptischen Kräfte in Deutschland
Winke der EuGH den OMT-Beschluss der EZB durch, so Lucke weiter, wäre das für ihn misslich: „Denn wenn der EuGH europäisches Recht so auslegt, dass das Bundesverfassungsgericht postwendend dieser Auslegung widerspricht und der EZB eine Mandatsüberschreitung bescheinigt, würde dies mehr als nur einen Ansehensverlust für den EuGH bedeuten. Es würde euroskeptischen Kräften in Deutschland Auftrieb verleihen, die eine Missachtung der vertraglichen Grundlagen der EU kritisieren und demokratische und rechtsstaatliche Korrektive vermissen.“ Vor allem aber wäre aus dem Durchwinken ein Austrittsrecht aus der Währungsunion ableitbar, das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht vorgesehen sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe 1993 in seinem Maastricht-Urteil festgestellt, dass die vertragliche Grundlage der Währungsunion verlassen werde, wenn diese nicht als Stabilitätsgemeinschaft fortentwickelt werde. Lucke abschließend: „Wenn also das Bundesverfassungsgericht aus der relativ schwachen Position eines nur national zuständigen Gerichts der EZB möglichst wirksam in die Parade fahren wollte, hätte es sich inhaltlich und strategisch kaum klüger verhalten können.“
Eine schöne Vorlage für den AfD-Wahlkampf zur Europa-Wahl
Ob der EuGH seine Entscheidung auf die lange Bank schiebt oder nicht und wie immer seine Entscheidung ausfällt: Das Bundesverfassungsgericht beschert mit seinem Beschluss der Lucke-Partei AfD eine sehr schöne Vorlage für ihren Wahlkampf um den Einzug ins EU-Parlament. Gewiss hat es diesen Effekt nicht in seinem Visier gehabt, aber für die Partei läuft er darauf hinaus. Daher haben die Beschwerdeführer nicht nur für sich selbst und Deutschland, sondern auch für die AfD einen Erfolg erstritten, die vor allem mit ihrer Kritik an den schlimmen Folgen der Euro-Währungsunion schon ihren Bundestagswahlkampf 2013 bestritten und den Einzug in den Bundestag nur sehr knapp verfehlt hat und die unter anderem auch mit dieser Kritik ebenfalls in den Europa-Wahlkampf ziehen wird.
Starbatty, Henkel und Gauland müssten umdenken
Diesen Vorteil werden inzwischen auch die prominenten AfD-Mitglieder Joachim Starbatty, Hans-Olaf Henkel und Alexander Gauland sehen müssen. Ihre anfänglichen Äußerungen nämlich stehen im Widerspruch zu Luckes FAZ-Beitrag. Nun müssten sie umdenken. Starbatty urteilte in einer ersten Stellungnahme am 7. Februar: „Damit hat das Bundesverfassungsgericht de facto abgedankt. Niemand braucht das Verfassungsgericht mehr anzurufen, weil alle Verstöße gegen das Grundgesetz, die etwa die gemeinschaftliche Haftung, den Euro oder europäische Belange betreffen, zum EuGH weitergeleitet werden.“ (Quelle hier). Henkel und Gauland hatten am gleichen Tag den Beschluss der Verfassungsrichter ebenfalls gegeißelt: Diese Entscheidung reihe sich ein in den aktuellen politischen Trend, immer mehr Souveränität von den Mitgliedstaaten an die Europäischen Union abzugeben. Es sei ein fatales Signal, wenn das Bundesverfassungsgericht nun damit beginne, ureigene Kompetenzen nach Luxemburg zu verlagern und damit den deutschen Bürgern jede Möglichkeit einer Mitbestimmung in Deutschland nehme (der Wortlaut hier). Gauland ist stellvertretender AfD-Bundessprecher, Henkel und Starbatty sind Spitzenkandidaten der Partei bei der Wahl ins EU-Parlament.
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*) FAZ vom 10. Februar 2014, Seite 19: „Kluger Schachzug des Verfassungsgerichts“.
**) Mit ihrem OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) hat die EZB angekündigt, Staatsanleihen der hochverschuldeten Euro-Krisenstaaten in unbegrenzter Höhe aufkaufen zu wollen, um deren Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Dagegen geklagt hatten eine Gruppe von Professoren, der Verein „Mehr Demokratie“, dem sich rund 37 000 Bürger angeschlossen hatten, und auch die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke.
Zur Erinnerung und um auf einen möglichen Interessenkonflikt hinzuweisen: Auch ich bin AfD-Mitglied