Die uralte Fabel von der Ameise und der Grille in einer Version des 21. Jahrhunderts
Der Autor dieser Übertragung der Fabel ins politische Leben heutiger Zeit gilt als unbekannt (hier). Ihr zugrunde liegt die Fabel von Jean de La Fontaine (1621-1695) „Die Grille und die Ameise“, in vielerlei Version nacherzählt zum Beispiel hier, hier und hier. Letztlich zurück geht die Geschichte auf den altgriechischen Fabeldichter Aesop (hier). Zugeschickt hat sie mir ein Freund als Fundstück aus dem Internet. Hier ist es – mit Zwischenüberschriften und leichten Redigaturen von mir:
Fleißig den Sommer über die eine, hedonistisch die andere
„Die (bekanntlich schwarze) Ameise schuftete während des ganzen Sommers von morgens früh bis abends spät (derart, dass es von gewerkschaftlicher Seite als unsolidarisches Verhalten gerügt werden muss), baute ihr Haus und füllte ihre Tiefkühltruhe mit Früchten und Gemüse aus dem eigenen Garten. Nicht so die (bekanntlich grüne) Grille. Sie machte sich über das Spießbürgertum der Ameise lustig und befand: ‚Die lebt doch am Leben vorbei!‘ Die Grille selber fand ihre Selbstverwirklichung mit Singen, Lachen und Tanzen. Sie feierte Party den ganzen Sommer lang.
Dummerweise ist nicht ewig Sommer
Als die Grille erkennen musste, dass jedes Fest und auch jeder Sommer mal ein Ende hat und sie zu frieren und zu hungern begann, berief sie Ende Oktober eine Pressekonferenz ein, in der sie anklagend fragte, ob es denn mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit vereinbar sei, dass die Ameise ein großes beheiztes Haus habe und Nahrungsvorräte im Überfluss, während andere in der Kälte litten und hungerten.
Die Grille als Opfer latenter Grünenfeindlichkeit
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigte Bilder der fröstelnden Grille und in starkem Kontrast dazu Aufnahmen der Ameise in ihrem gemütlichen Heim vor einem Tisch voller Speisen. Führende Kommentatoren der Tagespresse zeigten sich schockiert über diesen krassen Gegensatz und fragten: ‚Wie ist es möglich, dass in einem so reichen Land so viel Armut zugelassen wird?‘ Der Fall erregte landesweite Aufmerksamkeit, und bald schaltete sich NEID ein, die Nationale Einheitsgewerkschaft der Insekten Deutschlands. Deren Funktionär wies in einer populären Talkshow darauf hin, die (bekanntlich grüne) Grille sei das Opfer einer bisher schon immer latent vorhandenen Grünenfeindlichkeit geworden.
Die unsolidarische Ameise als Schande für den Rechtsstaat
Bekannte Persönlichkeiten der Popmusik gründeten die Initiative „Rock für Grün“, und alle Welt war gerührt, als ein von der britischen Königin geadelter Popstar auf einem Konzert dieser Bewegung mit den eigens für diesen Anlass komponierte Song ‚It´s Not So Easy Being Green‘ auftrat. Sowohl Vertreter der Regierungs- als auch der Oppositionsparteien nutzten jeden öffentlichen Auftritt, um ihre Empathie und Solidarität öffentlich zu manifestieren, indem sie erklärten, alles Menschenmögliche zu tun, um der armen Grille zu ihrem gerechten Anteil am allgemeinen Wohlstand zu verhelfen. Sie zitierten aus Studien, die besagten, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Unsolidarisches Verhalten sei für einen Rechtsstaat eine Schande, und die hartherzige Ameise müsse endlich lernen zu teilen. Einkommensunterschiede seien eine schreiende Ungerechtigkeit.
Die Regierung zeigt Handlungsfähigkeit
Die Regierung, der Journalisten immer wieder vorgeworfen hatten, sie wolle dieses brennende Problem aussitzen, zeigte ihre Handlungsfähigkeit und legte dem Parlament ein ‚Gesetz zur wirtschaftlichen Gleichstellung grüner Insekten“ vor. Es belegte die Ameise mit einem Solidaritätszuschlag auf ihre Einkommensteuer. Dieser Gesetzesvorschlag wurde von allen Parteien bejubelt oder zumindest begrüßt. Endlich bekomme jetzt die Grille ihren gerechten Anteil am Bruttosozialprodukt und könne am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben. Aber wieviel und ob überhaupt, blieb im Ungewissen.
Die Hilfskräfte der Grille sonnen sich im Eigenlob
Die in Medienkreisen und bei Kulturschaffenden unbeliebte Ameise muss nun härter arbeiten, um ihre Sondersteuer bezahlen zu können, aber mit dem neuen Gesetz hat die Regierung Handlungskompetenz gezeigt, und die Opposition konnte ihr soziales Gewissen beweisen. Die Medien, oft als vierte Macht im Staate gepriesen, hatten wie immer demonstriert, wie überparteilich und unparteiisch sie ihr Wächteramt ausüben.“