Als Muster könnte der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina mit seinen diktatorischen Vollmachten dienen – Als Rechtsgrundlage böte sich die UN-Charta an (Artikel 39 ff) – Ein unrealistischer Vorschlag? Weil sich Israel ihm verweigern würde? – Was Israels Regierung ihrer Bevölkerung schuldig wäre
Von Prof. Dr. iur Menno Aden*)
Der Jahrestag des wieder aufgelebten Israel-Palästina-Konflikts hat zahlreiche Bekundungen für und gegen Israel hervorgerufen. Diese haben eines gemeinsam: Sie bieten keine Lösung. Vielleicht fehlt der Mut, den Konflikt zuende zu denken. Die seit Jahrzehnten gegenseitig verübten Verletzungen im Israel-Palästina-Konflikt sind derartig, dass es lange dauern wird, bis die Streitparteien zu dem Zustand finden, den Theodor Herzl in seinem utopischen Roman Altneuland (Leipzig 1902) ausgemalt hat. Es besteht vielmehr die sehr reale Möglichkeit, dass Israel aus den bekannten Gründen (demografische Entwicklung, Wegfall des amerikanischen Schutzes, militärtechnische Aufholung der Gegenseite) die nächsten Jahrzehnte nicht als Staat im heutigen Sinne überdauern wird. Darauf sollte der Blick für eine Lösung gerichtet werden. Meine Erfahrungen beim Hohen Repräsentanten in Sarajewo im Jahre 1996/97 nach dem von der UNO/USA erzwungenen Ende der Feindseligkeiten im Bosnien-Krieg (hierzu mein Buch: Bosnien – Scharnier der Kulturen, 2019) veranlasst mich zu folgendem Vorschlag:
Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina mit diktatorischen Vollmachten
Bei dem Binnenkrieg auf dem Balkan nach dem Zerfall Jugoslawiens hielt sich die internationale Gemeinschaft für völkerrechtlich berechtigt, einen sogenannten Hohen Repräsentanten mit umfassenden Vollmachten in der Exekutive, Legislative und der Judikative einzusetzen. Es wurde also dem Volk von Bosnien-Herzegowina zugemutet, einen vom UN-Militär gestützten Diktator zu dulden, der nicht nur die Verwaltung des Staates an sich ziehen konnte, sondern auch die Vollmacht hatte, vom Parlament beschlossene Gesetze aufzuheben und Gerichtsurteile abzuändern oder außer Vollzug zu setzen. Dieses nach dem Ende des Krieges eingeführte System dauert bis zur Stunde (Oktober 2024) an.
Als Rechtsgrundlage die UN-Charta (Artikel 39 ff)
Die Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen ergibt sich nach Meinung der aktiven Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, aus dem Geist und Wortlaut der Artikel 39 ff der UN-Charta. Diese regeln Eingriffsbefugnisse der UNO in die Souveränität der Staaten, wenn von diesen eine Gefahr für den Weltfrieden ausgeht. Wenn die an sich vorgesehenen nichtmilitärischen Maßnahmen wie Sanktionen nicht zum Ziele führen, kann der UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 43 ff auch mit Waffengewalt eingreifen.
Das Bedrohungspotential in Nahost ist vielfach höher als das auf dem Balkan
Die Gefahr für den Weltfrieden, die aus dem Israel-Palästina-Konflikt droht, übersteigt das Bedrohungspotential des Bosnien-Konfliktes um ein Vielfaches. Israel hat die Atombombe, und auf der Gegenseite scheint der Iran ebenfalls über Atomwaffen zu verfügen. Wann wenn nicht hier und jetzt ist der UN-Sicherheitsrat gefordert, militärisch einzugreifen? Folgendes Vorgehen empfiehlt sich: Der UN-Sicherheitsrat stellt den Bedrohungsfall fest und besetzt mit Gewalt Israel und (!) Palästina. Es wird für das gesamte Streitgebiet (Israel, Gaza, Westbank usw.) ein Kommissar nach dem Muster von Bosnien eingesetzt, der mit diktatorischen Vollmachten den Frieden erzwingt und mit internationaler Unterstützung politische Maßnahmen einleitet, die auf eine Aussöhnung der Streitparteien hinwirken.
Ein unrealistischer Vorschlag? Weil sich Israel ihm verweigern würde?
Dese Lösung ist völkerrechtlich nicht nur möglich, sondern nach dem Wortlaut der betreffenden Artikel der UN-Charta eigentlich zwingend. Man wird aber entgegenhalten, dass sie völlig an den Realitäten vorbeigehe. Warum? Weil Israel sich verweigern würde? Israel täte gut daran, diesen Vorschlag auf diplomatischem Wege selber zu lancieren. Hierzu eine persönliche Erfahrung: Ich war 1970 zu einer Zeit als die Apartheid noch in voller Blüte stand als Jurist in Pretoria/Republik Südafrika. Jeder Weißer, ob Bure oder „Anglo“, pochte auf die militärische und wirtschaftliche Überlegenheit des weißen Südafrikas gegenüber den aufmüpfigen Schwarzen. Niemals, never, never, niemals, werden wir unser Land den Schwarzen überlassen! Man weiß, dass nur wenige Jahre später eben das geschah.
Was Israels Regierung ihrer Bevölkerung schuldig wäre
Durchhalteparolen pflegen desto schriller und lauter zu werden, je näher man die Katastrophe spürt. Die Kraftreden und Kraftakte von Netanjahu sind daher wohl kein Zeichen von Kraft und Zuversicht, sondern eher Zeichen der Angst, dass Israel dem Ende entgegen gleitet. Die israelische Regierung wäre es ihrer Bevölkerung schuldig, ihr das zu sagen und sie auf entsprechende Lösungen vorzubereiten. Auch unsere Außenministerin sollte diesen Vorschlag einmal prüfen lassen und dezent in die UNO einspielen, wenn sie, wie die Mehrheit der Deutschen, das Wohl Israels und seiner Bevölkerung will.
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*) Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika, wurde 1972 in Bonn promoviert. Berufliche Stationen: Deutsche Bank AG (1975-1981), Ruhrgas AG, Essen (1981-1987), Sparkasse Essen (1987-1994), Präsident des Oberkirchenrates (= Landeskirchenamt) der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin (1994-1996), Berater für Wirtschaftsrecht, Office of the High Representative (OHR) in Sarajewo (1997-1998), Professor für Wirtschaftsrecht, Fachhochschule für Ökonomie und Management in Essen (1999-2007), Lehrauftrag Internationales Wirtschaftsrecht, Technische Universität in Dortmund (seit 2004 bis heute). Neben seiner Lehrtätigkeit hat er zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen. Verheiratet, fünf Kinder. Weiteres über Aden siehe hier.
Hinweis vom Betreiber dieser Blog-Seite: Überschrift und Zwischenüberschriften stammen nicht vom Autor des Beitrags, sondern von mir. Ergänzende Informationen zum Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina finden Sie bei Wikipedia hier.