Der Fall von Donald Trump, eine Besonderheit des amerikanischen, hier des New Yorker Rechts: Abschöpfung von Gewinnen, die als unlauter gewertet werden – Erläutert und kommentiert aus deutscher Rechtssicht
Ein Urteil wie das gegen Donald Trump ist nach deutschem Recht so nicht möglich, aber nicht ganz. Wie politisch ist das Urteil gegen Trump? Ein Richter des Supreme Court des USA-Bundesstaates New York – vergleichbar einem Landgericht in Deutschland – hatte Trump mit Datum vom 16. Februar zu einer Gewinnrückzahlung von fast 355 Millionen Dollar verurteilt. Ferner stellt das Urteil die Tätigkeit von Trumps Unternehmen, die Trump Organization, unter die Beobachtung von zwei Aufsehern. Trump selbst darf drei Jahre lang nicht mehr dem Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens im Bundesstaat New York angehören. Das Verfahren gegen ihn lief als Betrugsverfahren. Worin bestand der Betrug? Wem hat er geschadet? Wer gilt als der Betrogene? Das Urteil aus deutscher Rechtssicht erläutert und kommentiert Prof. Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942).
Aden kommt zu diesem Ergebnis: In den USA hat der Attorney General der amerikanischen Einzelstaaten sehr weitgehende Befugnisse, auch unterhalb des Strafrechts staatlich missbilligtes Geschäftsgebaren vor Gericht zu bringen. Die Folge ist, dass – wie im Fall Trump – als unlauter gewertete Gewinne (ill-gotten gains) abgeschöpft werden können. Das kann, da die Berechnungsmethoden unklar sind, in nicht abschätzbarer und potentiell existenzbedrohender Höhe geschehen. Das Ahnden staatlich missbilligten, aber nicht strafbaren Verhaltens durch derartige Gewinnabschöpfung ist für Aden ein schleichender Gestaltwandel des Wirtschaftsstrafrechtes, der sich auch in Deutschland zeigt. Als Beispiel verweist er auf Paragraph 10 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und Paragraph 34 a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Es sei anzunehmen, meint er, dass aufgrund des Internationalen Privatrechts auch deutsche Unternehmen in den Fokus des Attorney General geraten können.
Aden hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen. Weiteres über Aden siehe hier und seine Web-Seite hier.
Der Fall von Donald Trump
Der Ausgangspunkt – Das Gericht – Der Streitgegenstand – Der Attorney General – Attorney General als Anwalt des Volkes – Das Verfahren – New Yo9rk als Finanzplatz – Die Beweislast des Klägers – Unlauterer Gewinn – Kritik – Unlauterer Gewinn als Strafe? – Gestaltwandel des Wirtschaftsrechts – Internationales Privatrecht – Ergebnis
Gastbeitrag von Prof. Dr. iur. Menno Aden
I. Ausgangspunkt
Der Supreme Court des US-Bundesstaates New York hat mit Urteil v. 16. Februar 2024 den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump zur Zahlung von rd. 360 Millionen Dollar verurteilt und hat damit erhebliches Aufsehen erregt. Das Urteil selbst nimmt auf seinen 92 Seiten zwar kaum Bezug auf die politische Bedeutung dieses Immobilienmoguls, dessen Vermögen auf etwa $ 2,5 Milliarden geschätzt wird. In der öffentlichen Wahrnehmung wird dieses Urteil aber weithin als eine Bestätigung der jeweiligen politisch motivierten Bewertungen von Donald Trump gesehen. Er selbst und seine Anhänger betrachten dieses Urteil als schamlosen politischen Winkelzug, um ihn politisch zu vernichten, die etwa gleich starke Gegenpartei rechnet dem Milliardär vor, dass er endlich nicht nur politisch, sondern auch finanziell erledigt sei.[1] Unabhängig von seiner zweifellosen politischen Bedeutung auch für die 2024 anstehende Präsidentenwahl[2] ist das Urteil aber ein Beispiel für die US-amerikanische Rechtskultur, die uns nicht nur im transatlantischen Rechtsverkehr, sondern auch im Völkerrecht[3] oft irritiert, wobei die Person des Beklagten allerdings den Effekt hat, den Blick des Wirtschaftsjuristen für eine Besonderheit des amerikanischen, hier New Yorker Rechts, zu schärfen, nämlich die der Abschöpfung von als unlauter gewerteten Gewinnen wie in diesem Fall.
II. Das Gericht
Die Gerichtsverfassung amerikanischer Prägung ist hier nicht darzulegen. Zum Verständnis des Folgenden dürfte aber ein kurzer Hinweis hilfreich sein. Der Name Supreme Court in New York (folgend: SC) ist ein aus der Kolonialzeit stammender historischer Titel. Der SC ist daher kein Höchstgericht, sondern entspricht als Eingangsinstanz für Fälle ab einer gewissen Bedeutung etwa unserem Landgericht. Der SC hat neben den Spruchkörpern (Einzelrichter oder Einzelrichter plus Schöffenbank, Jury genannt) eine Appellate Division, also Berufungsabteilung, mit nach Sachbereichen unterschiedenen Zuständigkeiten.[4] Die Urteile des Supreme Court, auch die der Berufungsabteilung werden auf Parteiantrag vom New York Court of Appeals überprüft, wenn die Berufung rechtlich vorgesehen oder von den befassten Gerichten zugelassen wird..
Eine Besonderheit des US-amerikanischen Rechtes ist das Jury-system, wonach eine Schöffenbank über die Feststellung von Tatsachen entscheidet, während dem Richter die rechtliche Würdigung des so festgestellten Tatbestandes obliegt. In Fällen wie hier, die wesentlich aus dem Gesetzesrecht folgen, führt ein Einzelrichter[5] die Verhandlung und entscheidet den Fall. So kann es geschehen, dass wie in diesem Trump-Fall ein einzelner Richter mehr oder weniger nach Gefühl astronomische Summen zu- oder abspricht, und dass es von der Gestimmtheit dieses einen Richters abhängig sein kann, ob ein Unternehmen in den Konkurs getrieben wird. [6]
III. Streitgegenstand
Der Kläger vertreten durch den Attorney General macht im Wesentlichen geltend: Trump habe gegen § 63 (12) des New York Executive Law verstoßen, indem er den Banken und Versicherungsunternehmen falsche Finanzberichte übermittelt habe, um bessere Zinssätze für Kredite und Versicherungsschutz zu erhalten.
Trump behauptet, die Unterlagen seien vollständig oder im Wesentlichen richtig gewesen und macht geltend (der Richter verwendet hier das abwertende Wort crow (= krähen wie ein Hahn), dass er alle Kredite vollständig und pünktlich zurückgezahlt habe. Das ist auch unstreitig.
Der Richter nennt den Fall eine Zivilklage ( S.1 des Urteils: civil action), in welcher das Volk von New York als Kläger, vertreten durch den (hier ist eine Frau Amtsinhaberin) Attorney General of the State of New York, Geldschadensersatz (monetary penalties) und Unterlassung (injunctive relief) gegen Donald John Trump und andere fordert (hier folgend nur: Trump). Der Richter stellt allerdings fest, es handele sich hier nicht um eine der üblichen (garden-variety) Schadensersatzklagen, die auf Betrug (common law fraud) gestützt werden. Der Attorney General und auch das Gericht werfen Trump ausdrücklich keinen Betrug im Sinne des Strafrechts vor. Auf Seite 87 des 92 Seiten umfassenden Urteils sagt der Richter vielmehr:
Their complete lack of contrition and remorse borders on pathological. They are accused only of inflating asset values to make money…This is a venial sin, not a mortal sin…Defendant did not commit murder or arson. They did not rob a bank on gun point. Donald Trump is not a Bernard Madoff. – Ihr völliger Mangel an Zerknirschung und Einsicht grenzt ans Pathologische. Ihnen wird nur vorgeworfen, dass sie Vermögenswerte überhöht haben, um Geld zu verdienen … Dies ist eine lässliche Sünde, keine Todsünde … Der Angeklagte hat weder Mord noch Brandstiftung begangen. Sie haben keine Bank mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt. Donald Trump ist kein Bernard Madoff.
Der Richter ergänzt zwar dann seine Ausführungen mit der Feststellung, dass das Gericht nicht über moralische Fragen zu befinden, sondern lediglich die Tatsachen zu ermitteln und das Gesetz anzuwenden (apply the law) habe. Auf die Bewertung von Trumps Bestreiten der gegen ihn erhobenen Vorwürfe als fast pathological kommt es daher eigentlich nicht an. Aber die stark persönlich gefärbte Rechtsfindung der Richter im common- law- Bereich lässt solche Seitenhiebe zu. Von der internationalen Presse wurde gerade diese Bemerkung aufgegriffen. Es zeigt sich hier wie in vielen Urteilen aus dem Common-Law-Bereich die Neigung der Richter, sich selbst ein wenig wie ein krähender Hahn zu gerieren, indem persönlich gefärbte Sprache und Gedankenführen an den Rand der Objektivität stoßen.
IV. Attorney General
Das Amt des Attorney General, wie es in USA verstanden wird, ist bei uns und auch in anderen Ländern des Systemrechts (bzw. Civil Law in englischer Bezeichnung) unbekannt. Die übliche Übersetzung mit Generalstaatsanwalt ist nur sehr ungenau. Der Generalstaatsanwalt leitet und führt die Aufsicht über die Strafverfolgung in seinem Bezirk. Die Zuständigkeit des Attorney General (folgend: AG) reicht weiter, so weit, dass sie in vielen Fällen als fast unbeschränkt angesehen werden kann. So wird in New York darüber diskutiert, ob der AG nur für solche Aufgaben zuständig ist, die das Gesetz ihm ausdrücklich zuweist oder ob er darüber hinaus seine Befugnisse allgemein aus dem althergebrachtem, aber oft sehr schwammigen, Common Law ableitet. Der Richter nennt diesen vom New Yorker AG gegen Trump eingeleiteten Fall auch eine civil action. Der AG ist gleichsam das Auge des Gesetzes. Er ist, wenn ein religionsgeschichtlicher Vergleich erlaubt ist, der Satan wie das Alte Testament ihn ursprünglich versteht – nicht der Gegner Gottes, sondern dessen Gehilfe bei der Durchsetzung des göttlichen Rechts.[7] LIebman gibt eine äußerst lehrreiche Darstellung der Geschichte und Bedeutung des AG in New York und in den USA allgemein und schreibt 2020: [8]
„ Rolle des Attorney General im Staat New York ist eine immer aktivere geworden und hat sich von einer überwiegend passiven Vertretung New Yorks zu einer auch aktiven Wahrnehmung der Interessen des Staates und seiner Bürger verlagert. Neu ins Amt gekommene Attorneys General beginnen, in der ganzen USA eine größere Rolle in der nationalen Politik und Politikgestaltung zu spielen (larger role in national politics and policymaking). Der Zuständigkeitsbereich des AG im Bundesstaat New York war daher noch nie so wichtig.“
Dieser LIebman-Artikel zeichnet die verfassungsrechtliche Entwicklung des Attorney General im Staat New York nach und argumentiert, dass das Amt über einen erheblichen Bestand an Common-Law-Befugnissen verfügt, von denen viele nicht ausreichend genutzt werden (common law powers, many of which are underutilized). Der Artikel schließt mit einer Diskussion darüber, wie diese Befugnisse die Handlungen des Generalstaatsanwalts im Staat New York in der Zukunft beeinflussen könnten.
V. Attorney General als Anwalt des Volkes
Das Gericht führt aus: Diese Klage beruht auf einer umfangreichen Untersuchung des Klägers, des AG. Im Jahr 2020 leitete der AG ein Sonderverfahren ein, um eine Reihe von Vorladungen (sub-poena) gegen verschiedene namentlich genannte Angeklagte sowie andere Personen und Organisationen durchzusetzen. Das erkennende Gericht leitete dieses Verfahren und erließ mehrere Anordnungen. Der AG reichte die vorliegende Klage am 21. September 2022 ein. Am 3. November 2022 gewährte das Gericht eine einstweilige Verfügung. In der Klage werden sieben Klagegründe geltend gemacht. Bei der Zielsetzung der vorliegenden Ausführungen sind diese hier nicht zu behandeln.
VI. Das Verfahren
Im Trump – Fall hat der AG sich auf Gesetzesrecht gestützt und den Anspruch des Volkes von New York auf Durchsetzung der vorgeschriebenen Regeln zur Lauterkeit der gewerblichen Wirtschaft. Es handelt sich um das Executive Law § 63 (12) des Staates New York. Dieses gibt dem AG sehr weitreichende Befugnisse, um Fälle von Betrug und unzulässiger Kundenbeeinflussung zu untersuchen und zu verfolgen. Aufgrund seiner weiten Definitionen verleiht § 63 Abs. 12 dem AG weitreichende Befugnisse zur Ausstellung von Vorladungen (sub-poena) sowie niedrige rechtliche Hürden dafür.[9] Das Gesetz hat folgenden Wortlaut:
Wann immer eine Person wiederholt betrügerische oder illegale Handlungen bei Ausübung, Führung oder Abwicklung von Geschäften begeht, kann der AG … eine Anordnung (bei Gericht) beantragen in Betreff der Fortsetzung dieser Geschäftsausübung und irgendwelcher betrügerischer oder illegaler Handlungen. Die Anordnung kann Wiedergutmachung und Schadensersatz anordnen und, wenn angemessen, alles (Gewerbeerlaubnisse u. ä.) widerrufen, und das Gericht kann die begehrte Wiedergutmachung (relief) gewähren oder soviel davon gewähren, wie es für angemessen hält.
Die Kernworte werden im Gesetz wie folgt definiert:
- „Betrug“ oder „betrügerisch“, wie hierin verwendet, umfasst jede Idee, Plan oder betrügerischen Kunstgriff, sowie jede Täuschung um zu betrügen, Betrugspläne oder Betrugsversuche sowie jegliche Täuschung, Falschdarstellung, Verschweigung, Tatsachenunterdrückung, Vorspiegelung, falsche Versprechen oder unzumutbare Vertragsbestimmungen.
- Der Begriff „anhaltender Betrug“ oder „Illegalität“, wie hierin verwendet, umfasst das Weitermachen oder die Fortsetzung betrügerischer oder rechtswidriger Handlungen oder Verhaltensweisen.
- Der Begriff „wiederholt“ wie hierin verwendet, umfasst die Wiederholung einzelner und abgeschlossener betrügerischer oder rechtswidriger Handlungen oder Verhaltensweisen, die mehrere Personen betreffen.
- Ungeachtet gegenteiliger Gesetze gehen alle Gelder, die nach diesem Abschnitt von einer staatlichen Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit eingezogen werden //an den Staat//.
VII. New York als Finanzplatz
Das Gericht lässt sich für sein Urteil auch von dem Gedanken leiten, dass der Staat New York, insbesondere New York City, eines der wichtigsten Finanzzentren der Welt ist. Die Wall Street sei ein Synonym für Kapitalbildung, Investitionen, Handel, Kreditvergabe und Kreditaufnahme. Im Urteil von 2023 habe sich das erkennende Gericht mit Interesse des Staates an einem ehrlichen Markt befasst: In unterschiedlichen Zusammenhängen haben Gerichte entschieden, dass ein Staat ein quasi souveränes Interesse am Schutz der Integrität des Marktes habe. Das Interesse des Staates nach § 63 Abs. 12 umfasst die Verhinderung von „betrügerischen oder illegalen“ Geschäftsaktivitäten. Wenn illegales Fehlverhalten nicht als Betrug zu werten ist, ändert das nichts an dem Interesse des Staates, einen Markt zu gewährleisten, der den Standards Recht und Billigkeit entspricht.
Die rechtzeitige und vollständige Rückzahlung von Krediten beseitige daher nicht den Schaden, den Trump durch unlauteres Geschäftsverhalten anrichte. Die häufige Ausrede „Jeder macht es“ sei umso mehr ein Grund, wachsam zu sein. Hier sei zwar unbestritten, dass Trump alle geforderten Zahlungen pünktlich geleistet habe. Die nächste Gruppe von Kreditgebern habe aber möglicherweise nicht so viel Glück. Der Richter: New York means business – meint es ernst mit der Bekämpfung von Geschäftsbetrug.
VIII. Beweislast des Klägers
Der AG forderte neben einem Gewerbeverbot zugunsten der Staatskasse relief (svw: Wiedergutmachung). Der Richter spricht diese in Höhe von rd. $ 360 Millionen zu. Es stellt sich die Frage nach der systematischen Einordnung dieses Anspruches. Es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, denn Banken, die möglicherweise durch die falschen Wertangaben zu Krediten an Trump veranlasst wurden, die sie bei besserer Kenntnis nicht gegeben hätten, sind in diesem Fall nicht Kläger. Auch ein Bereicherungsausgleich, der im wesentlichen denselben Regeln folgt, wie sie §§ 812 fff BGB ausformuliert, [10] kommt nicht in Betracht, weil Trump von den Klägern (Staat New York bzw. dessen Bürger) nichts erlangt hat. Es handelt sich um die Abschöpfung unlauterer Gewinne (disgorgement of ill-gotten gains). Der Richter sagt (S. 81):
Wenn wie hier ein Anspruch vorliegt, der auf betrügerischer Handlung (fraudulent activities) beruht, kann Abschöpfung als gerechtes Heilmittel zur Verfügung stehen, ungeachtet des Fehlens von Verlusten für Einzelpersonen oder weiterer Ersatzansprüche von Geschädigten.
Die Abschöpfung unterscheide sich vom Schadensersatz, indem sie auf den Gewinn des Täters und nicht auf den Verlust des Opfers schaue. Ziel sei die Abschreckung (disgorgement aims to deter), indem der Übeltäter daran gehindert wird, unrechtmäßig erworbene Vorteile zu behalten. Dementsprechend ist weder die Behauptung noch der Nachweis erforderlich, dass Verbraucher oder die Öffentlichkeit einen Schaden erlitten haben. Die Quelle der unrechtmäßig erworbenen Gewinne ist unerheblich.[11]
IX. Unlauterer Gewinn – Ill-gotten gains
Die in dem Urteil abgehandelten Fälle, in denen Trump unrichtige oder irreführende finanzielle Selbstauskünfte vorgehalten werden, sind hier nicht darzustellen. Diese dienen dazu, dem Abschöpfungsbetrag zu ermitteln: Welcher Zinssatz wurde Trump von den Banken zugestanden und wie hoch wäre der gewesen, wenn Trump richtige SFC seiner Vermögensverhältnisse beziehungsweise den Wert der von ihm gestellten Sicherheiten gegeben hätte? Das sich jeweils ergebende „Schummeldelta“ addiert sich insgesamt zu dem zugesprochenen Allabschöpfungsbetrag.
Nur ein Beispiel (S. 81ff des Urteils): Die im Prozess vorgelegten Beweise machen deutlich, dass sich die Deutsche Bank auf die Informationen der SFC (=Statement of Financial Condition) verlassen hat, um die Kreditfazilitäten für Doral, Trump Chicago und das Old Post Office auszureichen und aufrechtzuerhalten. Aus den Unterlagen geht auch klar hervor, dass Donald Trump die Kreditfazilitäten nicht erhalten hätte, hätte er nicht eine bedingungslose, „eiserne“ persönliche Bürgschaft übernommen. Darüber hinaus war die Private Wealth Management Division bereit, die auf falschen SFCs basierenden persönlichen Garantien zu akzeptieren.
Der Richter führt weiter aus:
Der Sachverständige des Klägers McCarty, sagte zuverlässig und überzeugend aus, dass die Beklagten durch Zinssätze profitiert hätten, die ihnen aufgrund betrügerischer (fraudulent) SFCs vom Private Wealth Management der Deutschen Bank Division gewährt wurden, die niedriger waren als die Zinssätze, die sie für gleichzeitig angebotene andere Darlehensformen gezahlt hätten. ….McCarty berechnete die Unterschiede zwischen den Zinssätzen und ermittelte die folgenden unrechtmäßig erworbenen Zinsersparnisse, die dieses Gericht hiermit als die vernünftigste Annäherung an die unrechtmäßig erworbenen Zinsersparnisse zugrunde legt: (1) 72.908.308 $ von 2014–2022 für das Doral-Darlehen (2) 53.423.209 US-Dollar von 2015 bis 2022 für das Old Post Office-Darlehen; (3) 17.443.359 US-Dollar von 2014 bis 2022 für das Chicago-Darlehen; und (4) 24.265.291 US-Dollar von 2015 bis 2022 für das 40-Wall-Street-Darlehen. Insgesamt hat Trump durch den Betrug etwa 168.040.168 US-Dollar an Zinsen eingespart.
X. Kritik
Wer wie der Verfasser selber in der Kreditwirtschaft tätig war, kann diesen Ausführungen und dem Ergebnis, zu dem der Richter kommt, nur zum Teil folgen. Bei den Ausführungen fällt auf, dass der Richter anscheinend überhaupt nicht berücksichtigt, dass in erster Linie die Kreditgeber selbst dafür verantwortlich sind, sich ausreichend und verlässlich zu informieren. Dabei spielen natürlich die Angaben des Kreditnehmers eine große Rolle
Entscheidend aber ist, dass die Bank sich aufgrund eigener Feststellungen ein Urteil bildet, auch wenn die Insolvenz der Benko-Gruppe (2023/24) den Eindruck erweckt, dass das Informationsbedürfnis der Kreditgeber mit steigender Höhe des Kredites gegen Null geht. Bewertungen können mit wandelnden Umständen außerordentlich auseinanderklaffen. Als Justiziar einer Bank war der Verfasser mit einer Insolvenz befasst, in welcher zertifiziert werthaltige Grundschulden auf einem Industriegrundstück gestellt worden waren. Die an sich seriöse Bewertung beruhte aber auf Annahmen, die infolge der Insolvenz entfielen. Die Grundschulden waren daher, als es darauf ankam, praktisch wertlos. Im vorliegenden Fall beruft der Beklagte ehemalige US-Präsident sich gelegentlich[12] darauf, dass seine Person einer ihm gehörenden Immobilie einen Wert über dem verleihe, der, wäre er nicht Donald Trump, nicht gegeben wäre. Der Leser des Urteils stößt sich auch daran, dass dem Beklagten eine fraudulent activity vorgeworfen wird, aber ausdrücklich gesagt wird, dass kein strafbarer Betrug vorliege. Das führt zur Frage der richtigen Übersetzung. Fraudulent bedeutet hier vielleicht nicht betrügerisch i.S. d. § 263 StGB, sondern mit dem Oxford Dictionary abschwächend ein Verhalten, welches dem Gegner eine von diesem selbst gehegte Vorstellung bestärkt.
XI. Gewinnabschöpfung als Strafe?
Wenn vielleicht auch nicht im Rechtssinne, denn der Richter spricht hier von einer civil action, so handelt es sich doch praktisch um eine strafrechtsähnliche Maßnahme, von der Art eines Bußgeldes. Allerdings herrscht nach New Yorker Recht, das hier offenbar mit dem der anderen US-Bundesstaaten übereinstimmt, die Meinung, dass die Anordnung der Abschöpfung keine (unzulässige) Strafe darstellt. Der Täter, dem ein rechtswidriger Gewinn entzogen werde, verbleibe in der Position, die er ohne Fehlverhalten innegehabt hätte. Außerdem sei die Abschöpfung als Rechtsbehelf z.B. dann nötig, wenn der AG gehindert wird, Rückerstattung und Schadensersatz zu fordern, weil der Beklagte sich mit seinem Geschäftspartner geeinigt haben sollte.
Die in dieser Weise praktizierte Gewinnabschöpfung ist wirtschaftsgeschichtlich ein neues Rechtsinstitut. Dem klassischen deutschen Schadensersatzrecht und dem Recht der europäischen Systemrechte war es unbekannt. Sie hat aber nun z.B. in § 10 UWG und im Kartellrecht gemäß § 34, § 34 a GWB Eingang in das europäische und deutsche Recht gefunden. [13] Die nach diesen Vorschriften vorgesehene Verbandsklagebefugnis entspricht dann jedenfalls in der Grundausrichtung der Befugnis des AG, die Interessen der Öffentlichkeit auf Lauterkeit des Wirtschaftsverkehrs wahrzunehmen und vor Gericht zu bringen und ahnden zu lassen. Dieses neuartige Institut steht zwischen dem von Parteiautonomie beherrschten Schadensersatzrecht und dem staatlich beherrschten Strafrecht. Die Besonderheit dieses Instituts und vielleicht auch seine mögliche Gefährlichkeit ergibt sich aus den unterschiedlichen Beweisanforderungen (S. 75 des Urteils). Im Strafrecht entscheidet der Richter, wenn er keinen vernünftigen Zweifel an seinen Erkenntnissen hat (beyond reasonable doubt). Im Zivilrecht entscheidet er zu(un)gunsten einer Partei nach Beweislast, Beweisregeln und überwiegender Wahrscheinlichkeit (preponderance of evidence).[14] Nicht selten ist aber die gerichtliche Strafe weniger einschneidend als ein Zivilurteil, etwa wenn es wie hier Gewinnabschöpfung in existenzbedrohender Größe anordnet, zumal wenn man die in den USA sehr hohen rechtlichen Gebühren für Rechtsanwälte berücksichtigt. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 GG kann man ein Problem darin sehen, dass staatliche Maßnahmen Strafe genannt werden, aber nicht als solche empfunden werden, dass aber umgekehrte Maßnahmen unter geringeren Beweisanforderungen nicht als Strafe gewertet werden, obwohl sie z.B. wegen ihrer finanziellen Auswirkungen praktisch eine ist.
XII. Gestaltwandel des Wirtschaftsrechts
Vor Jahren hat der Verfasser von einem Gestaltwandel im Internationalen Privatrecht gesprochen.[15] Zugrunde lag der Gedanke einer tief greifenden Änderung der politischen und weltwirtschaftlichen Gegebenheiten im Vergleich zum 19. Jahrhundert, als die Grundlagen des Internationalen Privatrechtes entstanden. Ähnliche Gedanken stellen sich hier wieder. Die eigentliche Botschaft des vorliegenden Falles besteht darin, dass dem Beklagten große, möglicherweise existenzbedrohende Zahlungspflichten aufgelegt werden, obwohl er, da alle Kreditgeber ihr Geld vollständig und pünktlich wiederbekommen haben, überhaupt keinen Schaden verursacht hat. Die Anspruchsgrundlage dafür ist das Rechtsinstitut der Wertabschöpfung.
Das zugrundeliegende Gesetzesrecht und das vorliegende Urteil sind Teil eines schleichenden Gestaltwandels des Wirtschaftsrechtes, der sich in den USA aber auch bei uns und anscheinend weltweit vollzieht. Das klassische (Wirtschafts-) Recht ist der von autonom geschlossenen Verträgen bewirkte Austausch von Wirtschaftsgütern. Streitigkeiten daraus betreffen wirkliche Vermögensverschiebungen. Ersatz eines wirklich entstandenen Schadens und Rückgabe eines ohne Rechtsgrund wirklich empfangenen Vorteils zulasten eines wirklich Entreicherten. Nun hat sich eine dritte Form schleichend dazwischengeschoben. Darin geht es nicht um den Ausgleich von Vermögenszuständen, sondern um die Durchsetzung abstrakter Rechtsinteressen des Staates und seine Behörden. Durch Bestrafung, Mahnung oder Warnung zu abstrakter Gesetzestreue wird– so jedenfalls die politische Begründung – der Verbraucher geschützt, die Umwelt behütet, Zusammenballung von nicht staatlicher Macht verhindert.
XIII. Internationales Privatrecht
Es liegen anscheinend noch keine Fälle vor, in denen das New York Executive Law auf Auslandssachverhalte angewendet wurde. Die Maßnahmen des AG können sich aber auch gegen Ausländer richten und gegen deren aus New Yorker Sicht als unlauter angesehene Geschäftspraktiken. Es dürfte dann dasselbe gelten wie für das Antitrustrecht, das als Teil des ordre public gilt und durch Rechtswahl nicht verdrängt werden kann. Ein im Staate New York tätiger deutscher Unternehmer dürfte daher nicht gegen die Gefahren gefeit sein, wegen angeblicher oder wirklicher Schummelei in Deutschland in New York dem Attorney General gegenüber gestellt zu werden, um unlautere Gewinne auszukehren. Im Rahmen der vorliegenden Überlegungen sei auf dieses Problem nur hingewiesen, ohne dass es jetzt vertieft werden kann.
Ergebnis
Der Rechtsstreit zwischen dem ehemaligen US – Präsidenten Trump und dem Attorney General des Staates New York hat wegen der Person des Beklagten weltweite Beachtung gefunden. Damit tritt eine Facette des amerikanischen Wirtschaftsrechts in unser besonderes Bewusstsein.
Aufgrund einzelstaatlicher Gesetzgebung und/oder des Common Law hat der Attorney General der Einzelstaaten sehr weitgehende Befugnisse, auch unterhalb des Strafrechts missbilligtes Geschäftsgebaren mit der Folge vor Gericht zu bringen, dass – wie im Falle Trump – als unlauter gewertete Gewinne (ill-gotten gains) abgeschöpft werden können. Das kann, da die Berechnungsmethoden unklar sind, in nicht abschätzbarer und potentiell existenzbedrohender Höhe geschehen.
Die Ahndung von missbilligtem aber nicht strafbarem Verhalten durch Gewinnabschöpfung erweist sich als ein schleichender Gestaltwandel des Wirtschaftsstrafrechtes, der sich auch bei uns z.B. in § 10 UWG und § 34 a GWB zeigt.
Es ist anzunehmen, dass aufgrund des Internationalen Privatrechts auch deutsche Unternehmen in den Fokus des Attorney General geraten können.
PS. Den Leser bitte ich, mich auf etwaige Irrtümer hinzuweisen bzw. Ergänzungen vorzuschlagen.
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[1] Unter Stichworten wie Trump Verdict weist das Internet praktisch beliebig viele Pressemeinungen nach. Statt vieler vgl. die Darstellung des Falles der US- Journalisten Adam Reiss and Dareh Gregorian https://www.nbcnews.com/politics/donald-trump/ny-fraud-case-damages-pay-millions-judge-engoron-rcna135283. – Ich bin Empfänger von nicht zur Veröffentlichung geeigneten privaten E-Mails, welche dieses Urteil als das politische Ende von Trump begeistert begrüßen.
[2] Russel A. Miller Wie das Gericht Präsidenten macht (a.d. Englischen) , FAZ v. 22. 2. 24, S. 6
[3] vgl. Aden, M. Wirtschaftssanktionen und Menschenrechte RIW , 3/ 2022; Sanktion und Gegensanktion – völkerrechtliche Fragen zur EU – Blockade – VO v. 6.6.2018 RIW 3/ 2020
[4] ttps://www.nycourts.gov/courts/ad4/court/overview.html
[5] Engl. Wikipedia zu Trumps Richter: :Arthur Engoron was born in Queens, New York City. Engoron wrote for the student newspaper at The Wheatley School in Old Westbury, and graduated in 1967 In the late 1960s, Engoron drove a yellow taxi for a year while completing his undergraduate studies. He received his bachelor’s degree from Columbia University in 1972. He spent four years as a drummer prior to enrolling at the New York University School of Law, and received his Juris Doctor degree in 1979.
[6] S. 6 des Urteils: Constitutional provisions guaranteeing a jury trial, such as the Seventh Amendment to the United States Constitution, apply only to cases “at common law,” so-called “legal” cases. The phrase “at common law” is used in contradistinction to cases that are “equitable” in nature. Whether a case is “legal” or “equitable” depends on the relief that plaintiff sought. Here, plaintiff seeks disgorgement and injunctions, each of which are forms of equitable relief. Thus, there was no right to a jury,3 and the case was “tried to the Court;” the Court being the sole factfinder and the sole “judge of credibility.”
[7] Aden, M. Apostolisches GLaubensbekenntnis, 2013, S. 163
[8] Bennett Liebman* The Common Law Powers Of The New York State Attorney General https://nyujlpp.org/wp-content/uploads/2021/07/JLPP-23.1-Liebman-Final.pdf
[9] s. engl. Wikipedia: New York Executive Law § 63(12)
[10] https://www.law.cornell.edu/wex/unjust_enrichment
[11] So auch in Ernst & Young, LLP, 114 AD3d 569 (1. Dept. 2014), wo es im Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Lehmannpleite ging.
[12] z.B. sein Anwesen Mar – a – Lago in Florida.
[13] hierzu Aden, M. DZWIR 2023, 460
[14] An action brought by the Attorney General seeking equitable relief for repeated or ongoing fraud in conducting business is subject to a “preponderance of the evidence” standard, as is customary in civil litigation. Jarrett v Madifari, 67 AD2d 396, 404 (1st Dept 1979).
[15] 1. Seite in: Recht der Internationalen Wirtschaft Heft 9 (September) 2008