Die Bundeswehr braucht Nachwuchs, aber …

Gründe, warum ihr Soldaten fehlen – Wird man Soldat, um irgendwo überall in der Welt eingesetzt zu werden? – Einsatz als Legionär? Macht man das? – Einsatz der Bundeswehr derzeit hauptsächlich als Waffenlieferant für die Ukraine – Leichtfertiges Verwandeln Deutschlands in eine Kriegspartei gegen RusslandWo ist hier die Motivation, der Bundeswehr ein Leben lang treu zu dienen? – Die Fürsorgeverantwortung des Staates für seine Soldaten über deren aktive berufliche Dienstzeit hinaus

Von Oberstleutnant a.D. und Dipl. Ing. Hans Werner Zimmermann*)

Angesichts sinkender Bewerberzahlen bei der Bundeswehr hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verstärkte Anstrengungen beim Werben um neue Soldatinnen und Soldaten angekündigt. Auch eine Abbrecherquote von 30 Prozent beim Heer wurde beklagt. Woran liegt das Desinteresse der jungen Generation, den Beruf eines Soldaten zu ergreifen? Die Antwort: Wie früher liegt es daran, dass sich die jungen Leute an Fakten orientieren (soweit sie ihnen bekannt sind). Welche sind das? Was hat der Bewerber zu erwarten, wenn er sich entscheidet, Soldat zu werden und der Bundeswehr zu dienen?

Wird man Soldat, um irgendwo überall in der Welt eingesetzt zu werden?

A. Auslandseinsätze – Ursprünglich wurde die Bundeswehr als Verteidigungsarmee gegründet, aber ab 1990 folgten viele internationale Einsätze – zum Beispiel am Golf und im Kosovo-Krieg. Sie hat sich so zu einer „Parlamentsarmee“ entwickelt, die „überall“ eingesetzt werden kann. Einsätze mit Unannehmlichkeiten, Gefahren, einschließlich Lebensgefahren sind zu erwarten. Wird man Soldat, um unter gefährlichen Bedingungen irgendwo in der Welt eingesetzt zu werden?

  1. Afghanistan – Lebhaft in Erinnerung ist der jahrelange, letztlich misslungene Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Dessen Beginn hatte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck damit begründet, dass die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch am Hindukusch verteidigt würde. Ist der Misserfolg und die Flucht der Bundeswehr-Soldaten aus Afghanistan ein Motiv für einen jungen Menschen, Soldat zu werden?
  2. Mali – Gleiches gilt für Mali: Wenn dort nach jahrelangem Einsatz der Bundeswehr ein greifbares Ergebnis nicht sichtbar ist, woher sollte die Überzeugung kommen, einer solchen Truppe zu dienen.
  3. Litauen – Deutsche Truppen vor der russischen Grenze: Von vornherein ein brenzlicher Einsatz. Unter Berücksichtigung der Vergangenheit kann so ein Einsatz zu keinem Erfolgserlebnis führen. Warum sollte sich ein junger Mensch für einen solchen Einsatzort entscheiden? Im Gegenteil: Er wird sich – wenn immer er kann – davor drücken.

Legionär werden? Macht man das?

Summarisch, was die zahlreichen Auslandseinsätze angeht, über die in den Medien immer wieder berichtet wird: Könnte es nicht sein, dass – vielleicht im Unterbewusstsein – der „Legionärsgedanke“ aufkommt? Etwa so: Ich schließe mich einer Organisation an, gehe mit dieser ins Ausland, riskiere dort mein Leben und erhalte dafür Geld? Macht man das?

Einsatz der Bundeswehr derzeit hauptsächlich als Waffenlieferant für die Ukraine

B. Inland – Der Einsatz der Bundeswehr in Inland besteht momentan hauptsächlich in der Rolle als Waffenlieferant für die Ukraine. Als zweitwichtigster Waffenlieferant! Was hat die Bundeswehr mit der Ukraine, einem früheren Teil der Sowjetunion, zu tun. Russlands Angriffskrieg zu parieren? Ist die Bundeswehr dafür verantwortlich, in der gesamten Welt für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen??? Das Argument, dass nach der Unterwerfung der Ukraine auch andere europäische Staaten, auch die BRD überfallen würden, ist aus der Luft gegriffen. Anders als der Westen hat Russland in den letzten Jahrzehnten keine Kriege initiiert und keine Länder zerstört. Was den Begriff „Angriffskrieg“ angeht gibt es von dem amerikanischen Völkerrechtler Prof. de Zayas ein Statement, dessen wichtigster Satz lautet: „…Die Provokation (gemeint ist: die des Westens) und die Vergeltungsmaßnahme darauf (gemeint ist: die der Russen) sind verwerflich. Aber derjenige, der provoziert, trägt die größere moralische Verantwortung.“

Leichtfertiges Verwandeln Deutschlands in eine Kriegspartei gegen Russland

Also: Wo ist hier die Motivation, der Bundeswehr ein Leben lang treu zu dienen? Leichtfertiges Verwandeln der Bundesrepublik Deutschland in eine Kriegspartei gegen Russland – das muss man der deutschen Bundesregierung vorwerfen. Deutsche Waffenlieferungen spielen dabei noch nicht einmal die Hauptrolle. „…Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen…“, so die Feststellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Eine Ausbildung ukrainischer Soldaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland findet zweifellos statt. Hat der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages keine Ahnung? Weiß es der Verteidigungsminister besser, und riskiert er es bewusst, Kriegspartei zu werden? Ist anzunehmen, dass junge Menschen, die sich für einen Beruf entscheiden müssen, solche Fehl-Entscheidungen nicht erkennen?

Treues Dienen trotz zahlreicher, erkennbarer „Widrigkeiten“?

C. Andere Motive, Soldat zu werden? – Entscheidet sich ein Berufsanfänger zum Dienst in der Bundeswehr, muss man von ihm treues Dienen – ein ganzes Berufsleben lang – erwarten können. Treues Dienen trotz zahlreicher, erkennbarer „Widrigkeiten“? Welche Motive können dazu beitragen?

1.Überdurchschnittliche Bezahlung?                                                    2. Interessante Tätigkeiten?         3.                                                      3. Überdurchschnittliche Karrierechancen?                                    4. Kameradschaft?                                                                                5. Das Gefühl der Geborgenheit durch umfassende Fürsorgeverantwortung der Vorgesetzten.

Die Fürsorgeverantwortung des Staates für seine Soldaten über deren aktive berufliche Dienstzeit hinaus

Nur die Fürsorgeverantwortung sei hier kurz beleuchtet. Sie kann erreicht und vermittelt werden, wenn der Soldat die Fürsorge seines Vorgesetzten spürt. Ganz konkret und immer. In jeder einzelnen Situation. Es geht hier um immer ein persönliches Vertrauensverhältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen. Eine solche Fürsorge kann nicht auf andere delegiert werden. Der Soldat muss sich ganz sicher sein, dass ihn sein Vorgesetzter nicht Gefahren aussetzt, die nicht zwingend zur Auftragsdurchführung erforderlich sind. Er muss sich sicher sein, dass er von seinem Vorgesetzten nicht alleine gelassen wird, wenn er selbst „mal Mist gemacht“ hat. Diese Fürsorgeverantwortung gegenüber dem einzelnen Soldaten kann der Dienstherr auch dann nicht abstreifen – so das Berufsverständnis eines Soldaten – wenn er nach vollbrachtem Berufsleben pensioniert wird.

Ein Kardinalfehler bei den Beihilfen für pensionierte Soldaten im Krankheitsfall

Eine Übertragung etwa der Gewährung von Beihilfen für Ruheständler im Krankheitsfall auf das Innenministerium – wie geschehen – muss als Kardinalfehler angesehen werden. Dieses wiederum hat sie dem Bundesverwaltungsamt (BVA) übertragen. Dort aber sitzen Beamte und Angestellte, die Verwaltungslehre gelernt/studiert haben. Fürsorgeverantwortung gegenüber den ihnen anvertrauten Pensionären stand – so ist zu vermuten – nicht auf deren Lehrplan. Wenn etwa der junge Soldat am Anfang seiner Dienstzeit in den Glauben versetzt wird, dass ihm sein „Brötchengeber“ nach der Pensionierung 70 Prozent der bei Krankheiten entstehenden Kosten ersetzt, dann muss er das auch tun. Wenn er die verbleibenden 30 Prozent durch eine privat abzuschließende Krankenversicherung abdeckt, muss er sich ganz sicher sein können – in diesem Glauben wird er jahrzehntelang gelassen – dass die durch Krankheiten entstehenden Kosten zu 100 Prozent abgedeckt sind.

Ein Vertrauensbruch

Die nun im Laufe der Jahrzehnte in der Praxis eingetretene Situation ist aber eine andere. Einschränkungen vom 70-Prozent-Grundsatz sind in einer gigantischen „Bundesbeihilfeverordnung“ festgelegt. Diese führen dazu, dass eine 70-Prozent-Erstattung der Belege in der Praxis kaum stattfindet. Das ist eindeutig ein Vertrauensbruch, der dazu beiträgt, dass sich Pensionäre schwertun, Berufsanfängern den Dienst in der Bundeswehr zu empfehlen – ein schwerer Mangel.

Was zu tun ist

Der langen Rede kurzer Sinn:

  1. Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgezogen werden. Die Probleme des Auslandes sind nicht unsere.
  2. Besonders heikel ist die Stationierung deutscher Soldaten vor der russischen Grenze: Nicht aufstocken – wie geschehen – sondern besser heute als morgen zurückziehen.
  3. Die ursprüngliche Zurückhaltung des Bundeskanzlers bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine war richtig. Wenn die Deutschen vom Ausland zu einem anderen Verhalten gedrängt werden, muss gesehen werden: Das Ausland hat andere Interessen als wir Deutsche.
  4. Das Bundesministerium für Verteidigung darf die Fürsorgeverantwortung nicht aus der Hand geben. Andere Stellen (hier das Innenministerium) wissen nicht, was Fürsorge bedeutet. Dafür können sie nichts. Sie haben es nicht gelernt. Das darf man ihnen nicht übelnehmen. Ein „Wegdelegieren“ auf das Innenministerium muss schiefgehen.
  5. Vorschriften sind drastisch zu vereinfachen (Nur ein Beispiel: die Bundesbeihilfeverordnung). Es muss Abstand davon genommen werden, jeden einzelnen denkbaren Beihilfe-Sonderfall zu regeln und durch ein Heer von Beamten durchsetzen zu wollen. Dieses „Heer“ ist teurer als die minimalen Einsparungen, die sie bewirken können.

Dauerhaftes Kuschen führt zur jetzt beklagten Situation

Würden 1. bis 5. realisiert, entstünden hunderttausende positiver Multiplikatoren in Form der aktiven Soldaten und Pensionäre, die in ihrer Familie, bei Freunden, im Vereinsleben, … Werbung für den Soldatenberuf machen würden. Die Anzahl der Soldaten und Soldatinnen zu vergrößern, würde problemlos, nach oben unbegrenzt und ohne Klamauk geschehen. Proteste aus dem Ausland muss man ertragen lernen. Die Interessen des Auslandes können denen der Bundesrepublik auch diametral gegenüberstehen. Dauerhaftes Kuschen führt nur zu einer Situation wie sie derzeit beklagt wird.

___________________________________

*) Hans Werner („Hannes“) Zimmermann, Neunkirchen-Seelscheid, hat diesen Text als „Offenen Brief“ verfasst und auch mir zugeschickt. Zwei Absätze daraus habe ich zum Schutz seiner Privatsphäre weggelassen. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt. Zimmermann ist von 1959 an Berufssoldat in der Luftwaffe gewesen. Er hat an der Höheren Technischen Schule der Luftwaffe Luft- und Raumfahrttechnik mit dem Abschluss als Ing. (grad.) studiert und an der Technischen Universität München Maschinenbau mit dem Abschluss als Dipl.-Ing. Er war unter anderem Leiter der Werft 29 in Diepholz (Änderungsüberholungen an Hubschraubern), Kommandeur der Technischen Gruppe 11 in Erding (Tornado-Instandsetzung), Leiter der Gruppe ATV in Kaufbeuren zum Ausarbeiten von Vorschriften für Lfz-Technik, Lfz-Elektronik und Lfz-Bewaffnung und -Munition sowie Organisationsstabsoffizier beim Abwicklungsstab Süd zur Abwicklung der NVA-Luftwaffe in Kamenz. Verlassen hat er die Bundeswehr mit Eintritt in den Ruhestand als Oberstleutnant 1993. Für beispielhafte Erfüllung der Soldatenpflichten hat er am 5. September 1985 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold erhalten. Nach seiner Bundeswehrzeit war er Geschäftsführer des neu gegründeten Ingenieurbüros AVIADOC in Neunkirchen-Seelscheid (Aufgabe: Übersetzung flugzeugtechnischer Vorschriften der MIG-29 vom Russischen ins Deutsche). Später (2005) hat er auch daran mitgearbeitet, das Technische Handbuch für Fahrzeugüberprüfungen für den türkischen TÜV in Istanbul zu erstellen. Ein früherer Beitrag von ihm („Auch Deutsche als Kriegstreiber“) ist auf dieser Blog-Seite am 5. März 2023 hier erschienen.

Print

Schreibe einen Kommentar