Anmerkungen zum Russischen als zweite Amtssprache in der Ukraine
Von Dr. Hermann Hinsch
Personen, die zu ihrer Zeit als bedeutend angesehen wurden, setzte man ein Denkmal. Ist es schön gemacht, stellt es eine Zierde des jeweiligen Platzes dar. Was wäre unser Ernst-August-Platz in Hannover ohne das Reiterstandbild des Königs! Der hatte eine Beziehung zur Stadt, das muss aber nicht sein. Wir haben auch ein Schiller-Denkmal, obwohl der keine Beziehung zu unserer Stadt hatte und, wie ich vermute, nie hier war. Für diesen Fall hat Wilhelm Busch eine Begründung:
„Dass einer, der z. B. fremd soeben erst vom Bahnhof kömmt in der ihm unbekannten Stadt gleich den bekannten Schiller hat.“
Nicht viele Menschen interessieren sich für die dargestellte Person. Aber es gibt Vandalen. Sie verlangen den Abriss eines Denkmals, wenn die dargestellte Peron, lebte sie heute noch, in der Ideologie ihrer Partei nicht passen würde.
Das Denkmal in Odessa für die Zarin Katharina
So ist es in Odessa dem Denkmal der Zarin Katharina ergangen, die zusammen mit ihren vier wichtigsten Ministern dargestellt war. Wer hat den Abbau verlangt? Die Stadtbewohner natürlich nicht. Sofern sie das Denkmal nicht nur als Schmuckstück betrachten, ist ihnen bewusst: Ohne die Zarin Katharina, ihre Feldherren und die russische Armee gäbe es die Stadt gar nicht. Diese haben das Gebiet den Türken abgenommen, und es wurden Russen, nicht Ukrainer, angesiedelt.
Einst hieß das Gebiet der ukrainische Sprache Kleinrussland
Allerdings hatte man damals noch Schwierigkeiten, Russen und Ukrainer überhaupt zu unterscheiden. Das Sprachgebiet ihres
Dialektes nannte man „Kleinrussland“ (Malarossija). Es war erheblich kleiner als die heutige Ukraine. Bis an die Küste des Schwarzen Meeres reichte es nicht. Erst 1920 hat die Sowjetunion russischsprachige Gebiete der Ukraine zugeschlagen, als sie das Land in 15 Republiken gliederte, nach ethnischen bzw. sprachlichen Gesichtspunkten. Bei der Ukraine ist sie von diesem Gesichtspunkt abgewichen. „Zurückgewinnen, was uns gehört“, sagt Selenski. Was man den Sowjets verdankt, ist das unveräußerlicher Besitz?
Übrigens, den Unterschied zwischen Ukrainern und Russen gibt es, historisch gesehen, noch nicht sehr lange. Kiew war einmal die Hauptstadt des russischen Reiches, dort residierten die ersten russischen Großfürsten.
Eingemischt in einen schon bestehenden Konflikt
Über den Abriss des Denkmals berichtet der Westdeutsche Rundfunk (WDR), die Statue sei nach einer Petition von Bürgern abgebaut worden. Welche Bürger? Die von Odessa bestimmt nicht. WDR und Münchner Merkur schreiben „als Protest gegen den russischen Angriffskrieg“. So schrecklich der Krieg ist, muss man doch einmal klarstellen: Die Kanonen donnern seit 2014, und seit diesem Jahr werden Raketen abgeschossen, von der ukrainischen Armee gegen die Einwohner der „Volksrepubliken“ Donetzk und Lugansk. Russland hat sich in einen bestehenden Konflikt eingemischt. Nehmen die Einwohner von Odessa ihnen das übel? Vermutlich nicht. Sie haben von den Ukrainern Schlimmeres erlebt als den Abriss eines Denkmals.
Die Muttersprache als etwas Besonderes
Die Muttersprache ist für jede und jeden etwas Besonderes. Wer einigermaßen gebildet ist, versteht etwa 60.000 Worte. Hat man sich die in zwanzig Jahren angeeignet, sind das 3.000 pro Jahr, 10 pro Tag. Es erscheint unglaublich, lässt sich aber leicht überprüfen. Man nehme z.B. einen Duden mit 1.000 Seiten, auf jeder Seite 100 Wörter, zähle auf einigen Seiten die bekannten Wörter und multipliziere den Durchschnittswert mit der Seitenzahl 1.000. Im Übrigen geben Sprachforscher diese Zahl an.
Russisch gegen das unbedeutende Ukrainisch tauschen?
Wer ist nun in der Lage, eine zweite Sprache in der gleichen Vollkommenheit zu lernen? Vermutlich niemand. Welche Eltern wollen ihre Kinder diesem Problem aussetzen? Die Sprache Tolstois und Puschkins, gesprochen von Königsberg bis Wladiwostok, gegen das ganz unbedeutende Ukrainisch tauschen? Gäbe es eine Abstimmung in Odessa, ob man weiter von Kiew regiert werden möchte, oder ob man sich Russland als Schutzmacht unterstellt: Wo würde die Mehrheit wohl ihr Kreuz machen? Unsere Medien würden geifern wie bei bereits stattgefundenen Abstimmungen: Fake, Fälschung, Stimmabgabe unter dem Druck bewaffneter Gruppen, Ausfüllen von Stimmzetteln durch Kinder, Scheinreferendum.
Russisch als regionale zweite Amtssprache wieder rückgängig gemacht
All die schrecklichen Zustände in der Ukraine müssten nicht sein. Alles war auf einem guten Weg. Der Präsident Wiktor Janukowytsch führte ein Sprachgesetz ein, nach dem Russisch und andere Sprachen als regionale Amtssprachen eingeführt werden konnten, wo in der betreffenden Region der Anteil der Muttersprachler in dieser Sprache die Marke von 10 Prozent übersteigt. Daraufhin wurde Russisch von 9 Regionalparlamenten zur regionalen zweiten Amtssprache erklärt. Das haben die ukrainischen Nationalisten wieder rückgängig gemacht.
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Verfasst hat Dr. Hinsch den Beitrag am 18. Juli 2023. Russisch hat er gelernt während seines Physikstudiums nach dem Vorexamen, für die Unibibliothek auch kleinere Übersetzungen gemacht und ein Volkshochschulzertifikat für Russisch erworben. Erweitert hat er diese Sprachkenntnisse auf vielen Reisen nach Russland und in die ehemaligen Sowjetrepubliken, darunter auch sechsmal ins ukrainische Tschernobyl (fast immer als Organisator kleiner Gruppen), sowie durch Lesen von russischen Zeitschriften, die immer, wie er auf Befragen erläutert, auch einiges zur Geschichte bringen. Seine Kenntnisse historischer Ereignisse stammen auch aus westlichen Quellen.
Dr. Hermann Hinsch ist Diplom-Physiker. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Erforschung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Er ist Autor der Bücher Das Märchen von der Asse, Gorleben und anderen Endlagern: – eine unendliche Geschichte und Radioaktivität – Aberglaube und Wissenschaft, beide im Kindle-Verlag erschienen.