Der diffamierte Viktor Orbán

Für die links-grünen Sozialisten ist er mit seiner Vernunft der politische Quertreiber – Nach seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation wird er abermals zum öffentlichen Prügelknaben – Im Ukraine-Krieg haben die Interessen Ungarns für Orbán vor denen der Ukraine Vorrang – Das mögen seine vielen Gegner nicht – Die außenpolitischen Teile seiner Rede im Wortlaut

Regierungsfromme westliche Mainstream-Medien lassen an Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán kaum ein gutes Haar. Ebenfalls nicht gut auf ihn zu sprechen sind Orbáns westliche Politiker-Kollegen. Orbán macht die Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mit. Er setzt sich für Waffenstillstand, Verhandlungen und Friedenslösungen ein. Er sieht die westlichen Führungen mit den USA, Großbritannien und Deutschland als Kriegstreiber. Er befürchtet zu Recht, dass sie auch ihre Länder und die EU zu unmittelbaren Kriegsparteien machen, was sie eigentlich schon sind, obwohl Orbán selbst sie noch – diplomatisch verbrämt – nur „mittelbare“ Kriegsparteien nennt. Er hält nichts von den EU-Sanktionen gegen Russland, blockiert sie allerdings nicht.

Er pocht darauf, dass die Nato ein Verteidigungsbündnis ist, aber kein Kriegsbündnis – ein Bündnis zum Territorialschutz, wenn ein Nato-Mitgliedsland von einer anderen Macht angegriffen wird. Er verweist darauf, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied ist und dass sich die Nato samt den anderen EU-Staaten an dem Krieg nicht beteiligen dürfen und ihre Hilfe auf humanitäre Leistungen beschränken müssen, wie Ungarn es vorlebt. Er warnt vor der akuten Gefahr eines dritten Weltkrieges, mit dem Russland zusätzlich dazu getrieben wird, ihn auch atomar zu führen.

Er wehrt sich gegen zentralistische Bestrebungen und Übergriffe der EU-Kommission. Er wendet sich gegen eine Europäische Union als einen übermächtigen Zentralstaat, sondern setzt sich ein wie einst Charles de Gaulle für eine Union der Vaterländer. Er verweigert sich den Multi-Kulti-Verirrungen, wie sie die westlichen Gesellschaften zersetzen und es für heimliche Mitbetreiber auch sollen. Er vertritt und betreibt für sein Land eine Politik liberal-konservativen Zuschnitts: Sie ist auf solide liberale Weise konservativ und auf solide konservative Weise liberal. Das Konservative beschränkt sich darauf, nur  das zu bewahren, was sich in der Menschengeschichte bewährt hat. Ansonsten ist es neuen und fortschrittlichen Entwicklungen aufgeschlossen und zugewandt.

Was immer Orbán macht, fast nie fehlt die Markierung „umstritten“. Und das ist noch die freundlichste Form, ihn abzulehnen, ihn herabzusetzen und ihn der öffentlichen Diffamierung und Verdammung auszusetzen. Weil er sich dem politischen links-grünen Zeitgeist in der EU widersetzt, ist er deren öffentlicher Watschenmann. Die seit langem in den Mainstream abgerutschte FAZ hat sich gerade wieder an ihm ausgelassen (FAZ vom 24. Februar, Seite 8 und hier).  Anlass ist seine jüngste Rede „Zur Lage der Nation“ in Budapest, die sie blasiert und arrogant kommentiert. Für sie ist er mit seiner politischen Haltung nur einer, der „in vielen Dingen quertreibt und dieses Image auch nach Kräften pflegt“. Wohl räumt sie ein, man habe mit ihm „die Erfahrung gemacht, dass er einzuhalten pflegt, was er zugesagt hat“, um dann aber gleich hinterher zu schicken, das gelte übrigens auch beim Quertreiben. Doch das jüngste EU-Sanktionspaket, das zehnte, trägt er ebenfalls mit. Allerdings lässt das Blatt auch bei solcher Anerkennung gleich diese Feststellung folgen: „Umso wilder sind bisweilen die rhetorischen Husarenritte des Regierungschefs. Zuletzt hat Orbán wieder eine Kostprobe gegeben, als er eine Rede zur Lage der Nation hielt.“ Dann folgt der herablassend kommentierende Beitrag über die Rede.

Eine Rede zur Lage der Nation hält Orbán Mitte Februar jedes Jahr. Die jüngste fand am 18. Februar statt. Im Folgenden finden Sie im Wortlaut jenen Teil der Rede, der sich mit dem Ukraine-Russland-Krieg, der Nato, der EU und den Inflationssorgen befasst. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt. Die gesamte Rede im Wortlaut können Sie auf Deutsch hier lesen, übersetzt vom Büro für internationale Kommunikation der ungarischen Regierung.

Ungarns Ministerpräsident ist Orbán seit 29. Mai 2010. Damit ist er unter den EU-Regierungs-Chefs der dienstälteste. Bis zu ihrem Ausscheiden am 8. Dezember 2021 war es Angela Merkel gewesen. Von 1998 bis 2002 hatte Orbán das Land schon einmal als Ministerpräsident geführt. Mit seiner Partei Fidesz verfügt er im ungarischen Parlament über zwei Drittel der Sitze.

Eine Rede zur Lage der Nation hat am 21. Februar auch Putin gehalten. Ein Video von dieser Rede  ist  hier zu finden.

 

Wir müssen dem russisch-ukrainischen Krieg fernbleiben

Das ist ihr Krieg und nicht der unsrige –  Wir liefern keine Waffen – Aber wir leisten humanitäre Hilfe – Russland ist für Europas Sicherheit keine Bedrohung, es hätte gegen die Nato keine Chance – Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, kein Kriegsbündnis, sie verpflichtet nur zur gemeinsamen Verteidigung – Wir wollen eine souveräne Ukraine, sofort eine Feuerpause und Friedensverhandlungen, es gibt schon zu viele Tote – Der Krieg wird immer wilder und erbarmungsloser und der Tonfall uns gegenüber immer rüder – Frieden wird es dann geben, wenn die Amerikaner und die Russen miteinander verhandeln

Von Viktor Orbán

Meine lieben Freunde! Wenn 2022 das schwierigste Jahr seit dem Systemwechsel war, dann wird 2023 das gefährlichste Jahr sein. Zwei Feinde, zwei Gefahren lauern auf uns. Die eine ist der Krieg, die andere die Inflation. Wenn wir auf die aufsteigende Bahn zurückkehren wollen, von der uns die COVID-Epidemie abgedrängt hat, dann müssen diese beiden Gefahren abgewehrt werden, man muss diese besiegen, wir müssen uns durch diese hindurchkämpfen. Na, aber wie? Darüber werde ich heute zu Ihnen sprechen.

Wir müssen dem russisch-ukrainischen Krieg fernbleiben

Wie sollen wir die Gefahr des Krieges besiegen? Am liebsten würden wir ihn ganz einfach beenden. Doch dazu verfügen wir nicht über genügend Kraft, das ist nicht unsere Gewichtsklasse. Deshalb bleibt uns, wenn wir Ungarn schützen wollen, wenn wir uns ein friedliches Leben wünschen, dann haben wir nur eine Wahl: Wir müssen dem russisch-ukrainischen Krieg fernbleiben. Das war auch schon bisher nicht leicht und wird es auch im Weiteren nicht sein, denn wir sind Teil der westlichen Welt, Mitglied der Nato und der EU, und dort steht ein jeder außer uns auf der Seite des Krieges oder tut zumindest so, als ob.

Ist es moralisch richtig, wenn wir dem Krieg fernbleiben? Ja, das einzig Richtige. Aber wir leisten humanitäre Hilfe

Kann Ungarn unter solchen Bedingungen auf eine der unseren Verbündeten diametral entgegengesetzte Weise auf der Seite des Friedens verbleiben? Natürlich können wir das tun, denn Ungarn ist ein selbständiger, freier und souveräner Staat, und wir anerkennen außer dem lieben Gott niemanden über uns. Doch ist es richtig, ist es moralisch richtig, wenn wir dem Krieg fernbleiben? Meiner Ansicht nach ist es richtig, ja, das ist das einzig Richtige. Russland hat die Ukraine angegriffen, und deshalb müssen wir die ukrainischen Flüchtlinge hereinlassen, und wir haben richtig gehandelt, sie mit der größten humanitären Hilfsaktion der Geschichte unseres Landes zu unterstützen. Das ist das Gebot der elementaren Humanität, und wir erfüllen es auch.

Das ist ihr Krieg und nicht der unsrige. Wir liefern keine Waffen. Vorrang der Interessen Ungarns vor denen der Ukraine

Doch sehen wir auch, dass im Krieg in der Ukraine nicht die Heere des Guten und des Bösen miteinander streiten, sondern die Truppen zweier slawischer Länder führen miteinander einen in Zeit und – vorerst – auch noch im Raum begrenzten Krieg. Das ist ihr Krieg und nicht der unsrige. Ungarn anerkennt das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung, um gegen den äußeren Angriff zu kämpfen. Aber es wäre in keinerlei Hinsicht, auch in moralischer nicht richtig, wenn wir die Interessen der Ukraine vor die Interessen Ungarns setzen würden. Die Linke steht auch in Ungarn auf der Seite des Krieges, sie würde Waffen liefern, würde die finanzielle Last des Krieges auf sich nehmen und die Verbindungen mit Russland auflösen. Wir tun das nicht. Wir liefern keine Waffen. Auch mit dem Geld gehen wir vorsichtig um, denn am Ende gibt Brüssel dann noch das Geld, das uns zusteht, der Ukraine.

Wir erhalten unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland aufrecht

Die humanitäre Unterstützung der Ukraine bedeutet für uns auch nicht die Liquidierung unserer russischen Verbindungen, denn das ist unseren nationalen Interessen entgegengesetzt, die selbst zu bestimmen wir das Recht besitzen. Deshalb stimmen wir nicht zu, dass Gas-, Öl- oder die Atomindustrie betreffende Sanktionen eingeführt werden, die Ungarn kaputtmachen. Aus der Nationalen Konsultation können wir wissen, dass darüber ein nationaler Konsens besteht. Deshalb erhalten wir unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland aufrecht, ja, wir empfehlen dies der gesamten westlichen Welt, denn ohne Beziehungen wird es weder eine Feuerpause noch Friedensverhandlungen geben. Deshalb geben wir dazu nicht unsere Zustimmung, dass man Priester, führende Kirchenleute auf die Sanktionslisten setzt, es ist schon schlimm genug, dass dies mit Künstlern und Sportlern geschehen ist.

Die ungarische Auffassung ist nur in Europa die Ausnahme, in der Welt ist sie allgemein

Und wichtig ist auch, dass sich unser Blick nicht einengt, wir nicht provinziell sind. Wir sollten über Brüssel hinaussehen. Außerhalb Europas sind sich alle Länder über die beschränkte Bedeutung des Kriegs in der Ukraine und den Vorrang des eigenen nationalen Interesses im Klaren. Wir sollten uns nicht vom nüchtern denkenden Teil der Welt isolieren. Die ungarische Auffassung ist nur in Europa die Ausnahme, in der Welt ist sie allgemein.

Russland ist für Europas Sicherheit keine Bedrohung, es hätte gegen die Nato keine Chance

Die ungarische Regierung hält die Annahme nicht für realistisch, dass Russland die Sicherheit Ungarns oder Europas bedrohen würde. Das trifft höchstens für die Atomwaffen zu, doch das Risiko ihres Einsatzes wird durch den Krieg in der Ukraine nicht gemindert, sondern vergrößert. Hinsichtlich der traditionellen Kriegsführung zeigt der Krieg in der Ukraine gerade, dass Russland gegen die Nato keine Chance hätte. Wir verstehen, dass die Ukrainer Europa glauben machen möchten, die Russen würden bis zum Atlantischen Ozean nicht stehenbleiben, doch diese Drohung kaufen ihnen die Ungarn nicht ab. Die ganze Welt kann sehen, dass die russischen Streitkräfte nicht in der Situation sind und eine gute Zeit lang auch nicht sein werden, die Nato anzugreifen. Ich möchte daran erinnern, dass Ungarn bereits vor einem Jahrzehnt die Aufstellung einer gemeinsamen europäischen Streitkraft vorgeschlagen hat, und heute können wir sehen, wie schade es ist, dass dies damals auf taube Ohren gestoßen ist.

Wir wollen eine souveräne Ukraine, sofort eine Feuerpause und Friedensverhandlungen, es gibt schon zu viele Tote

Meine lieben Freunde! Während unser den Frieden fordernder und der den Krieg unterstützende Standpunkt der anderen die Unterschiede zu Tage treten lässt, verschwimmt die Tatsache, dass es hinsichtlich der strategischen Ziele eine völlige Übereinstimmung gibt. Wir wollen, dass Russland für Europa keine Bedrohung darstellen soll und es zwischen Russland und Ungarn ein entsprechend breites und tiefes Gebiet gibt, eine souveräne Ukraine. Der Unterschied liegt in den Mitteln, laut den Befürwortern des Krieges kann man dies durch den Sieg über Russland erreichen, unserer Ansicht nach aber durch eine sofortige Feuerpause und durch Friedensverhandlungen. Für unseren Vorschlag spricht noch ein weiteres schwerwiegendes Argument. Leben kann man nur durch eine Feuerpause retten. Das Ausmaß des Verlustes an Menschen erreicht bereits die Dimensionen von mehreren hunderttausend Opfern, der Schmerz, die Verwitwung, das Ansteigen der Zahl der Waisen, die Wellen des Meeres an Leiden kann nur durch eine Feuerpause eingedämmt werden.

Die Nato-Mitgliedschaft ist für Ungarn von existenzieller Bedeutung

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Krieg hat auch einige lehrreiche und schwerwiegende Wahrheiten an die Oberfläche gebracht. Gehen wir nicht wortlos an ihnen vorbei. Da ist gleich die Frage unserer Nato-Mitgliedschaft. Stellen wir fest, dass die Nato-Mitgliedschaft für Ungarn von existenzieller Bedeutung ist. Wir liegen zu weit im Osten, am östlichen Rand der westlichen Welt, um auf sie verzichten zu können. Weiter innen wäre es natürlich einfacher, dem Beispiel Österreichs und der Schweiz folgend könnten auch wir mit dem Gedanken der Neutralität herumspielen, doch hat die Geschichte uns diesen Luxus nicht gegeben.

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, kein Kriegsbündnis, sie verpflichtet nur zur gemeinsamen Verteidigung

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Ein militärisches, ein Verteidigungsbündnis, das entstanden ist, damit wir uns verteidigen können. Deshalb sind wir beigetreten und deshalb verspürte ich eine historische Genugtuung, als ich mit 45 Jahren sowjetischer Besatzung hinter unserem Rücken den Beitrittsvertrag unterzeichnen durfte. Mindestens genauso wichtig ist es, dass wir verstehen, was die Nato nicht ist. Die Nato ist kein Kriegsbündnis. Sie ist keine Kriegskoalition. Die NATO-Mitgliedschaft bedeutet über die gemeinsame Verteidigung hinaus keinerlei Verpflichtung, und die Mitgliedsstaaten können voneinander auch gar nicht erwarten, dass im Interesse irgendeiner Art gemeinsamen Kriegsziels gemeinsam ein Land angegriffen werden soll. Wenn also einige Nato-Mitglieder oder eine Gruppe von ihnen außerhalb des Territoriums der Mitgliedsstaaten eine Kriegshandlung vollziehen wollen, dann müssen sie dies außerhalb des Rahmens der Nato machen. Wer will, der geht, wer nicht will, der geht nicht.

Wer glaubt, den Krieg unter Kontrolle halten zu können, unterschätzt dessen riskante Natur

Meine lieben Freunde! So stark und mächtig auch jemand sein mag, der glaubt, er könne den Krieg unter seiner Kontrolle halten, ihn managen, ihn schrittweise portionieren, er überschätzt seine Kräfte und unterschätzt die riskante Natur des Krieges. Jene, die diese Fehler begehen, leben zumeist weit von der zerstörerischen Wirklichkeit der Kämpfe an der Front entfernt. Doch wir leben hier und der Krieg tobt auf dem Boden des benachbarten Landes. Brüsseliten haben bisher nicht ihr Leben in diesem Krieg gegeben, aber Ungarn schon. Während man in Munkács die ungarischen Symbole abnehmen lässt, die ungarischen Leiter an der Spitze unserer Schulen abgelöst werden, starben viele den Heldentod in der Frontlinie. Die ungarische Minderheit von Transkarpatien verdient dies nicht. Mehr Respekt für die Ungarn in Munkács, in Kiew, in Brüssel und in Washington!

Europa driftet in den Krieg hinein, ist mit Russland schon im mittelbaren Krieg

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa durchlebt die Minuten des Hineindriftens in den Krieg. Es balanciert auf einem schmalen Brett. Ja, in Wirklichkeit stehen sie bereits in einem mittelbaren Krieg mit Russland. Wenn du Waffen lieferst, wenn du die für die militärischen Aktionen notwendigen Informationen der Satelliten lieferst, wenn du die Offiziere der einen kämpfenden Partei ausbildest, wenn du das Funktionieren des gesamten Staatsapparates finanzierst und über die andere Seite Sanktionen verhängst, dann ist es gleichgültig, was du sagst, du stehst im Krieg, vorerst im mittelbaren Krieg. Die Gefahr des Hineindriftens ist eine ständige geworden. Es begann mit Helmen, setzte sich mit der Lieferung von zum Auslöschen von Leben nicht geeigneten Instrumenten fort, jetzt sind wir bei der Sendung von Panzern angekommen und schon stehen die Flugzeuge auf der Tagesordnung und bald werden wir auch schon über die sogenannten Friedenstruppen hören. Wie die Schlafwandler auf dem Dach. Wir müssten auch verstehen, wie die Mondkrankheit sich der Kriegsanhänger bemächtigt hat und wie sie auf das Dach gekommen sind. Wir verstehen unsere polnischen und baltischen Freunde auch trotz aller Meinungsunterschiede. Ihre Geschichte erklärt vieles. Na, aber die anderen?

Wir hätten Russland garantieren können, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen

Das hätte nicht so geschehen müssen, genauer gesagt: Es hätte auch anders geschehen können. Wir hätten eine Garantie geben können, dass wir die Ukraine nicht in die Nato aufnehmen, doch wir haben das Gegenteil getan, und haben unsere frühere Entscheidung aus 2008 bekräftigt, dass wir sie aufnehmen werden. Wir hätten auch die Lösung befolgen können, die wir 2008 gewählt hatten, als der russisch-georgische, d.h. grusinische Krieg ausbrach und Russland 20 Prozent des Territoriums von Grusinien besetzte. Damals beschlossen wir, das Feuer nicht ausufern zu lassen und mit der Führung des genial verhandelnden Präsidenten Sarkozy gelang es, den Konflikt zu lokalisieren, und es kam zum Waffenstillstand.

Wir hätten tun können, was wir 2014 getan haben, als Russland die Krim annektierte

Wir hätten auch tun können, was wir 2014 unter der Führung von Angela Merkel getan haben, als Russland die Ukraine angriff und die Halbinsel Krim annektierte. Wir hätten auch den Krieg wählen können, so etwas wie das Gegenwärtige. Doch da haben wir, der Westen, anders entschieden: statt Kämpfen Verhandlungen, statt Krieg Frieden. Ich erinnere mich, auch damals gab es Anhänger des Krieges, aber es gab auch eine starke deutsche und französische Führung, die mutig war und rechtzeitig handelte. So blieb der Krieg aus und kam das Abkommen von Minsk zustande.

Vor einem Jahr hätten wir Russlands Angriff als einen regionalen Krieg einstufen können

Vor einem Jahr hat der Westen anders entschieden. Als Russland den Angriff startete, isolierte der Westen den Konflikt nicht, sondern erhob ihn auf ein gesamteuropäisches Niveau. Er hätte ihn auch als lokalen, regionalen Krieg oder als einen militärischen Konflikt zwischen zwei slawischen Staaten einstufen können, wie das auch Ungarn vorschlug. Das ist ein weiteres Argument gegen den Brüsseler Superstaat und für die starken Nationalstaaten. Wenn die Mitgliedsstaaten entschieden, gab es Frieden, wenn das imperiale Zentrum entschied, dann gab es Krieg.

Vor einem Jahr waren die Deutschen noch mit im Friedenslager, dann haben sie sich gewendet

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch im Hinblick auf die Zukunft ist es lehrreich, wie wir unsere den Frieden befürwortenden Verbündeten verloren haben. Vor einem Jahr waren wir noch nicht allein im Friedenslager. Da waren z.B. die Deutschen, die keine Waffen lieferten, sondern nur Helme. Im Vergleich dazu werden in einigen Wochen Leopard-Panzer auf dem Boden der Ukraine nach Osten marschieren, in Richtung der russischen Grenze. Vielleicht sind auch noch die alten Landkarten vorhanden. Die Deutschen wendeten sich zusammen mit den anderen bzw. die anderen zusammen mit den Deutschen. So löste sich das Friedenslager auf.

Es ist kaum glaubhaft, dass sich die Deutschen freiwillig gewendet haben

Es ist kaum glaubhaft, dass sich die Deutschen freiwillig gewendet haben sollen. Heute tun sie bereits so, als ob sie schon immer dort gewesen wären. Moderne deutsche Schule, sie laufen nicht nur einfach über, sondern kündigen offen an, dass sie sich auch sofort an die Spitze stellen. Sie sind gründliche Menschen, wenn sie etwas machen, dann machen sie es ernsthaft. Und die anderen Länder dachten, wenn auch die Deutschen nicht in der Lage sind, einem derartigen äußeren Druck zu widerstehen, dann werden sie selbst dazu kaum in der Lage sein. Sie sind lieber aus dem Friedenslager ins Kriegslager hinübergewechselt. Wir sind also zu zweit verblieben: Ungarn und der Vatikan. Wir können uns über die Gesellschaft nicht beklagen, doch müssen wir in den kommenden Monaten mit ernsthaften Konsequenzen rechnen.

Der Krieg wird immer wilder und erbarmungsloser und der Tonfall uns gegenüber immer rüder

Wir müssen der Tatsache ehrlich ins Auge blicken, dass der Krieg immer wilder und erbarmungsloser sein wird, deshalb sollten wir uns darauf vorbereiten, dass auch der Tonfall uns gegenüber immer rüder und schonungsloser sein wird. Provokationen, Beleidigungen, Drohungen und Erpressungen. Ich kann nicht versprechen, dass es leicht sein wird, aber dass wir festbleiben werden, schon. Wir haben schon längst die die Souveränität respektierende diplomatische Druckausübung hinter uns. Wo sind jene gemütlichen Zeiten, in denen 2014 Hillary Clinton nur einen guten Freund, einen good friend, hierherschickte, um die Ungarn mit Demonstrationen gegen die Regierung und einigen Einreiseverboten zu einer Einsicht zu bringen. Damals haben wir gut manövriert, unsere Erwartungen bestätigten sich, und in Person von Donald Trump kamen die entlastenden befreundeten Truppen an, zum Glück nicht hier, sondern in Washington.

Seitdem ist viel Wasser den Potomac hinuntergeflossen. Ein Glück, dass man sich im Weißen Haus seinen Sinn für Humor bewahrt hat und Präsident Biden statt eines guten Freundes einen Pressemann, einen press man,  als Botschafter entsandt hat, um die Ungarn um jeden Preis, aber unbedingt in das Kriegslager hineinzupressen, aus uns eine Anschlusserklärung herauszupressen. Das ist gut so, der Humor hilft der Freundschaft über die schwierigeren Zeiten hinwegzukommen. Doch soweit sollte man nicht kommen, dass sie das nächste Mal irgendeinen Mann namens Puccini schicken …

Die öffentliche Meinung in Europa wird immer stärker auf der Seite des Friedens sein

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kalkulieren so, dass es 2024 in Amerika erneut Wahlen geben wird, unsere republikanischen Freunde bereiten sich mit strotzenden Muskeln auf die Rückkehr vor. Ich erwarte auch, dass die Demokratie auch in Europa ihre Kraft zeigt und die öffentliche Meinung immer stärker auf der Seite des Friedens sein wird, eine Feuerpause, Friedensverhandlungen, mehr Nüchternheit fordert und, wenn es sein muss, dann neue Regierungen wählt. Es wird nicht gerade ein Spaziergang sein, jedoch führen die glatteren und bequemeren Wege alle in den Krieg.

Frieden wird es dann geben, wenn die Amerikaner und die Russen miteinander verhandeln

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben keine Illusionen, wir sind weder naiv noch ’68-er Blumenkinder‘ oder träumende Pazifisten. Wir wissen, dass es zu den Verhandlungen nicht zwischen den Ukrainern und den Russen kommen wird. Frieden wird es dann geben, wenn die Amerikaner und die Russen miteinander verhandeln. Das wird unvermeidlich eintreten, doch je später es dazu kommt, einen desto höheren Preis werden wir alle dafür zahlen. Nach der Meinung der Anhänger des Krieges steht die Zeit auf Seite der Ukrainer und des Westens, deshalb müsse man den Kampf fortsetzen, das verändert das Kräfteverhältnis, es wird einen Sieg über Russland geben und der Sieg bringt den Frieden. Doch nach Meinung der ungarischen Regierung bringt der weitere Kampf nicht den Sieg und den Frieden, sondern den Tod weiterer hunderttausender Menschen, einen sich erweiternden Konflikt, sich in offenen Krieg verwickelnde Länder, jahrelangen Krieg, Zerstörung, Leiden und die Gefahr des Weltkriegs. Bleiben wir also beim Frieden, doch das Verteidigungsministerium soll das Schießpulver trockenhalten. Soviel zum Krieg.

Die Sanktionen sind die Waffen der EU-Kriegspolitik – auf Russland gezielt, Europa getroffen

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir die Inflation niederringen wollen, dann müssen wir mit dem Verständnis kämpfen. Warum gibt es in ganz Europa Inflation? Das Übel hat Brüssel über uns gebracht mit den über die Energieträger verhängten Sanktionen. Der Name der Krankheit lautet Sanktionsinflation und der Virus ist die Brüsseler Sanktion. Die Sanktionen sind die Waffen der Brüsseler Kriegspolitik. Mit den Sanktionen haben sie auf Russland gezielt, aber Europa getroffen. Es ist nicht lange her, als man in Brüssel versprach, diese Sanktionen würden das Ende des Krieges bringen. Ein Jahr ist vergangen, und das Ende des Krieges ist nicht nähergekommen, sondern entfernt sich immer mehr.

Anders als versprochen hat Brüssel die Sanktionen auf die Energie ausgeweitet

In Brüssel hatte man auch versprochen, man würde die Sanktionen nicht auf die Energie ausweiten. Dann hat man dies trotzdem getan. Der Preis des Erdgases stieg um ein Vielfaches und erreichte Ende August das Niveau von 350 Euro. Das ist ein Rekord, seit Menschengedenken haben wir so etwas nicht gesehen. Die Situation hat sich zwar gebessert, doch beträgt der Preis des Erdgases auch heute noch das Mehrfache des Preises von 20 Euro vor zwei Jahren. Hinzu kommt noch, dass man in Brüssel den Preis des Gases mit dem Preis der elektrischen Energie verbunden hat. Vergeblich haben wir und die Polen protestiert. So stieg zusammen mit dem Anstieg der Gaspreise gleich auch der Strompreis. Auch dann, wenn der Strom nicht durch Gasturbinen, sondern durch Sonnenenergie, Wind, Wasserenergie, in Kohlekraftwerken oder durch Atomenergie hergestellt wurde.

2022 haben die Sanktionen den Ungarn 4000 Milliarden Forint aus ihrer Geldbörse genommen.

Es ist die Grundregel der Ökonomie, dass die ansteigenden Energiepreise die Preise aller Produkte erhöhen. Das ist besonders dann so, wenn du einen Großteil der Energie aus dem Ausland importierst, so wie Ungarn. Hinzu kommt noch, dass sich herausstellte, wir haben Russland nicht Quellen entzogen, sondern ihnen mehr Geld gegeben. 2022 ist der Profit der Öl- und Gasindustrie der Welt um 70 Prozent auf die Weise gestiegen, dass die betroffenen Mammute nichts erneuert, nicht mehr produziert haben, sondern nur den Sanktionsextraprofit eingesteckt haben, was sie die europäischen Menschen haben zahlen lassen. Die Sanktionen haben 2022 den Ungarn viertausend Milliarden Forint aus ihrer Geldbörse genommen. Viertausend Milliarden Forint! Um soviel mehr haben die ungarischen Betriebe, der Staat und die Familien in Ungarn wegen der Sanktionen für Energie ausgegeben. Diese Summe hätten die Firmen für Lohnerhöhungen, der Staat für Steuersenkungen oder zur Unterstützung von Familien und die Familien für den Wohnungskauf oder für ihre Kinder ausgeben können.

Die Mitgliedsstaaten müssten Brüssel kontrollieren und nicht Brüssel die Mitgliedsstaaten

Man steht nur inmitten der Brüsseler Glaspaläste und will nicht glauben, was dort geschieht. Man muss den Realitäten ins Auge blicken: Aus Brüssel kommen anstatt Hilfe nur weitere Sanktionen. Den uns zustehenden Teil des Europäischen Wiederaufbauprojekts hat die Brüsseler Bürokratie mit wohlbedachter Böswilligkeit Ungarn und Polen nicht gegeben. Wir haben so ein Geld 2022, im schwierigsten Jahr, nicht erhalten, das die Mitgliedsstaaten als gemeinsamen Kredit aufgenommen hatten und deren auf uns entfallenden Teil wir, Ungarn, werden dann zurückzahlen müssen. Sie suchen nach Flöhen in der ungarischen Rechtsstaatlichkeit, während der Gefängniswagen am Gebäude des Europäischen Parlaments permanent im Bereitschaftsdienst ist. In Wirklichkeit müssten die Mitgliedsstaaten Brüssel kontrollieren und nicht Brüssel die Mitgliedsstaaten. Ich hoffe, nach den Europawahlen 2024 wird dies so sein. Wenn Brüssel schon unbedingt einen Krieg führen will, dann sollte es gegen die Inflation einen Krieg führen. Das tut es nicht. Wir jedoch führen ständig den unsrigen. Schon jetzt haben wir etwa zwei Dutzend Maßnahmen getroffen, mit denen wir die Firmen und die Familien schützen.

Die Inflation nicht als einen unabänderlichen Gottesfluch betrachten

Und, meine Freunde, jetzt ist es am wichtigsten, dass wir die Inflation nicht als einen unabänderlichen Gottesfluch betrachten. Und obwohl die Inflation Höchstwerte erreicht und den Familien große Lasten auferlegt, darf man sich nicht vor ihr erschrecken und man darf sich nicht mit ihr abfinden. Man muss handeln und das wird sein Ergebnis haben. …….. Die Inflation ist wie ein Tiger, und du besitzt nur eine Patrone. Wenn du ihn nicht triffst, frisst er dich. Ich bitte Sie, vertrauen Sie uns, wir treffen ihn. Hierüber können wir auch Wetten abschließen, bis zum Ende des Jahres hobeln wir die Inflation in den einstelligen Bereich.

Die Lebensinstinkte der Ungarn funktionieren

Meine lieben Freunde! Wie wir sehen, ist die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos. Sie erweckt eher Hoffnungen. Die Lebensinstinkte der Ungarn funktionieren, auch jetzt durchschauen sie die Dinge richtig, und wie es die Nationale Konsultation gezeigt hat, ist hinsichtlich der Hauptziele die Übereinstimmung breit. Von hier aus danke ich allen, die an ihr teilgenommen haben! Wir bleiben dem Krieg fern, Ungarn bleibt die Insel des Friedens und der Sicherheit, wir brechen auch die Inflation – das ist immer die Sache der Regierung.  ……… Der liebe Gott über uns allen, Ungarn vor allem! Vorwärts Ungarn!

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