Die politisch durchgepeitschte „Energiewende“ in Deutschland hat – unter anderem – ein großes natürliches Problem: Der Strom aus Windkraft und mittels Fotovoltaik aus Sonnenschein ist abhängig von Wind und Wetter. Er steht daher nicht stets zu Verfügung, wenn man ihn braucht, ist also kein gesicherter Strom. Er ist unzuverlässig, er ist Zufallsstrom. Mal schafft er es nicht, den Strombedarf zu decken, mal aber liefert er inzwischen auch weit über den Bedarf hinaus.
Weil staatlich subventioniert, gibt es inzwischen derart viele Windkraft- und Fotovoltaikanlagen, dass sie in Tageszeiten mit vergleichsweise geringem Stromverbrauch viel zu viel Strom erzeugen. Doch lässt sich dieser Überschussstrom in der anfallenden Größenordnung nicht speichern. Die Erzeugung muss also entsprechend gedrosselt werden, denn erzeugter Strom ist aus physikalischen Gründen sofort zu verbrauchen – sonst bricht das Stromnetz zusammen. Damit liegt ein wesentlicher Teil der vorhandenen Kapazität zeitweise brach. Für die Energiewende ist das ein erheblicher Klotz am Bein.
Als Retter aus dieser Not und als indirekter Speicher von Strom soll Wasserstoff dienen. Als Gas ist es speicherbar. Mit dem zeitweiligen Stromüberschuss soll es im Elektrolyse-Verfahren produziert werden. Da aus Wind- und Sonnenenergie hergestellt, gilt er bei seinen Befürwortern als „ökologisch“ gewonnen und heißt folglich „grüner“ Wasserstoff.
Doch längst ist daran gedacht, „grünen“ Wasserstoff auch kontinuierlich herzustellen, also nicht nur mit Überschussstrom. Man will ihn nutzen zum Heizen von Wohnungen, als Treibstoff für Autos und für Züge und zur Rückverwandlung in Strom, wenn Wind und Sonne an Strom nicht genug liefern. Dieser Wasserstoff soll die fossilen Energierohstoffe Erdgas, Erdöl und Kohle samt deren CO2-Emissionen ersetzen, noch absurder allerdings auch die nicht-fossile Kernkraft. Jedenfalls in Deutschland. Warum dies reine Träumerei ist, erklärt sachlich nüchtern und belegt mit Zahlen der Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik Klaus Maier, Bad Nauheim, in dem folgenden Beitrag. Demnach rettet der „grüne“ Wasserstoff Deutschlands Energiewende nicht. Das Vorhaben ist blanke Illusion.
Der Traum vom
grünen deutschen Wasserstoff
Wie schöngerechnet und was zusätzlich noch verschwiegen wird – Ergebnisorientierte Annahmen und kreative Rechnungen – Der nötige Speicherbedarf sprengt alle Vorstellungen und ist daher unbezahlbar – 300 GW Elektrolyse-Leistung notwendig, aber bis 2030 geplante Projekte mit nur 4 GW
Von Klaus Maier
Seit spätestens 2020 ist auf Bundes- und EU-Ebene klar: Die politische Führung wird die Wasserstoffwirtschaft als zentrale Komponente der Energiewende mit allen administrativen und finanziellen Möglichkeiten im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie, bzw. der Wasserstoff-Strategie der EU vorantreiben. Es geht um den „grünen“ Wasserstoff, also den, der aus sogenannten „Erneuerbaren“ Energien (EE) durch Elektrolyse herzustellen ist. Dazu gibt es Zielsetzungen, etwa über die Errichtung von Elektrolyse-Kapazitäten, zunächst bis 2030, aber auch darüber hinaus.
Der sehr schlechte Gesamtwirkungsgrad
Wasserstoff hat als Energieträger, z.B. für die Anwendungen Wärme oder Mobilität, unvermeidbar das Problem des sehr schlechten Gesamtwirkungsgrades über die gesamte Kette von seiner Erzeugung, über seinen Transport (mit Kompression oder Verflüssigung) bis zur Nutzenergie. Verglichen mit der direkten Nutzung der elektrischen Energie – sofern überhaupt möglich – ist die Wasserstofflösung in der Energienutzung um Faktoren schlechter. Dies alles ist bekannt und wurde an vielen Stellen diskutiert ((siehe z.B. [2] und [3]).
Das Schönrechnen
Um diesen Mangel der Wasserstoffwirtschaft zu kaschieren, wird meist nur qualitativ über das geredet, was mit Wasserstoff alles prinzipiell möglich ist. Über die quantitativen Aspekte wird eher selten gesprochen. Ist es dennoch nötig, benennt man immer nur den Wirkungsgrad der reinen Elektrolyse unter optimalen Bedingungen (möglichst mit vermuteten Verbesserungen in der Zukunft) und ggf. noch den Wirkungsgrad der Brennstoffzelle für die Rückverstromung. Dabei werden die anderen Glieder der Verlustkette nicht erwähnt.
Auch wird gerne verschwiegen, dass diese Verluste durch Mehrerzeugung für den Elektrolysestrom auszugleichen sind. Da dieser Strom aber aus Windenergieanlagen und Photovoltaikanlagen und damit aus den unbeständigen (volatilen) Erneuerbaren Energien (VEE) kommt, bedeutet dies einen erhöhten, zusätzlichen Ausbau solcher Anlagen.
Bei der Wirtschaftlichkeit wird zudem gerne ein hoher Wert der Volllaststunden angenommen (z.B. 4000 Stunden im Jahr und mehr), was einen unrealistischen Nutzungsgrad der Elektrolyseanlagen von um die 50 Prozent bedeutet. Dass der Wasserstoff als Energieträger bei den Kosten den fossilen Energieträgern (Benzin, Diesel, Kerosin) nicht das „Wasser reichen“ kann, wurde mehrfach vorgerechnet.[2] Für die Herstellung von grünem Wasserstoff hat aktuell auch die Marktsituation ihre Tücken, wie z.B. der Bayrische Rundfunk berichtete.[4]
Um die publizierten Kosten für Wasserstoff im Rahmen zu halten, will die EU in ihren Ankündigungen die Elektrolyseanlagen sogar mit kontinuierlichem Strom betreiben. Das wäre aber nur mit Kohle-, Erdöl-, Erdgas- oder Kernkraftwerken möglich. Professor Sinn bewertet das richtig:
„Wenn nicht überschießende Spitzen verwendet werden, ist es aber stets ökologischer, den grünen Strom direkt für die Zurückdrängung fossiler Stromquellen zu verwenden als für die Produktion von Wasserstoff. Andernfalls würde der Wasserstoff ja faktisch aus fossiler Energie gewonnen.“ [7]
Für den Elektrolysestrom muss also der zeitweilig überschüssige Strom aus Wind und Sonne verwendet werden, der nicht direkt ins Stromnetz eingespeist werden kann, weil er es sonst überlasten würde. Es ist die sogenannte Überschussenergie aus den VEE (volatilen EE), die fälschlich oft als kostenlos dargestellt wird.
Eine weitere Beschönigung sind die offiziellen Angaben über den Wasserstoffbedarf für Deutschlands „Dekarbonisierung“, also für seinen Umstieg von fossilen Energieträgern auf Windkraft und Sonnenstrahlung. Wenn nämlich auch der für industrielle Zwecke benötigte und elektrolytisch herzustellende Wasserstoff eines Tages nur noch mit dem Strom aus Windkraft- und Sonnenenergie erzeugt werden soll, muss man wissen, wieviel man von diesem Wasserstoff braucht. Die Volatilität dieses Stroms führt aber zu besonderen Problemen, die nachfolgend erörtert und in meiner Studie (siehe hier) im Detail behandelt werden.
Ergebnisorientierte Annahmen und kreative Rechnungen
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zeigt in seiner Stellungnahme [5], dass in den Studien zum Wasserstoffbedarf große Unterschiede bestehen. Nur durch zielgerichtete Annahmen und kreative Rechnungen kommt man zu politisch vorzeigbaren Werten. Daher habe ich in meiner Studie [1, Kap. 4.2] zusammengestellt, wofür und wieviel Wasserstoff im Einzelnen verwendet wird. In Summe sind es rund 33 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Dieser Bedarf liegt erheblich über den offiziell genannten Zielwerten.
Mittlerweile wird daher immer weniger von der Autarkie Deutschlands gesprochen, sondern eingesehen, dass Deutschland Wasserstoff importieren muss. Das wäre bei 33 Millionen Tonnen Wasserstoff im Jahr auch gar nicht anders möglich.
Eine stets gesicherte Stromversorgung ist für ein Industrieland unentbehrlich
Es ist unabdingbar, dass unser Stromversorgungssystem für ein Industrieland wie das deutsche eine stets gesicherte Stromversorgung bieten muss – auch für Wärmepumpen und Elektro-Fahrzeuge, denn auch diese können nicht Tage oder Wochen warten, bis eine Dunkelflaute vorbei ist. Also wird als Reserve ein Langzeitspeicher gebraucht. Die dafür nötige Kapazität ist aber nur über die Technik der Strom-zu-Gas-zu-Strom-Umwandlung („P2G2P“) möglich. Es bedeutet, als gasförmigen Energieträger entweder Wasserstoff oder Methan zu verwenden, weil Gas in großen Mengen in unterirdischen Kavernen gespeichert werden kann, so wie das mit Erdgas gemacht wird. Die politisch Verantwortlichen in der EU haben sich für Wasserstoff entschieden, aber dessen Nachteile gegenüber Methan dabei ausgeblendet.
Also müsste Deutschland in diesem Zusammenhang Langzeitspeicher mit Wasserstoff aus VEE-Überschussstrom realisieren.
Das Minimal-Szenario: Wasserstoff für die gesicherte Stromversorgung
In meiner Studie[1] habe ich in einem möglichen Szenario angenommen, dass Deutschland (als Industrieland) 2050 mit Dekarbonisierung noch jährlich 1.000 Terrawattstunden (TWh/a) gesicherte Stromerzeugung benötigt, inklusive für Wärmepumpen und Elektro-Mobilität. [1 Kap. 4.5] Einzelheiten und Begründungen sind in meiner Studie zu finden. [1, Kap. 4.5]
Um eine solche Stromversorgung technisch zu realisieren, müssen die VEE von derzeit 130 Gigawatt (GW) auf über 1.000 GW – d.h. 446 GW Windkraft an Land, 89 GW auf See, 535 GW Fotovoltaik – ausgebaut werden. Die Elektrolyseleistung musste für dieses Szenario aus technischen und ökonomischen Gründen auf 300 GW angesetzt werden, und die dafür notwendige Langzeitspeicher-Kapazität wurde mit 38 Terrawattstunden (TWh) ermittelt.
Selbst wenn man die Wasserstofferzeugung auf den Strom-zu-Gas-zu-Strom-Speicher und mit einer Dimensionierung der Stromversorgung auf ein durchschnittliches Ertragsjahr beschränken würde, wäre in diesem Szenario in einem ertragsschwachen Jahr ein Stromimport nötig, der mit Spitzenleistungen von über 100 GW nicht realisierbar ist. Denn das ist ein Vielfaches dessen, was die Verbindungsleitungen zu allen Nachbarländern an Übertragungskapazität zulassen.
Allein diese Zahlen machen schon deutlich – und da wurde noch kein Wasserstoff für z.B. Industrie oder Mobilität erzeugt – dass eine solche Stromversorgung nicht zu verantworten und realpolitisch auch nicht durchsetzbar ist.
Das erweiterte Szenario: Wasserstoff als Energieträger und zur stofflichen Nutzung
Mit der Annahme, dass wenigstens ein Teil des nötigen Wasserstoffs für Industrie und Mobilität in Deutschland hergestellt werden soll, wird das vorgenannte Szenario nochmals gesteigert.
Geht man davon aus, dass von den 33 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr rund ein Viertel im Land erzeugt und der Rest importiert wird, sind dafür rund 650 TWh/a VEE-Überschussstrom nötig (wegen der Verluste der gesamten Wandlungskette). Wir befinden uns wieder im Jahre 2050 und sind „dekarbonisiert“. Auch in diesem Szenario benötigt man die 1.000 TWh/a gesicherte Stromversorgung. Es sollen aber, so die (willkürlich festgelegte) Vorgabe, in Deutschland durchschnittlich gut 8 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr zusätzlich erzeugt werden.
Das würde bedeuten, den Ausbau der VEE auf rund 1.526 Gigawatt steigern zu müssen: 636 GW Windkraft an Land, 127 GW Windkraft auf See, 763 GW Photovoltaik. Das ist das 11,6-fache von heute.
Obwohl etliche Spitzen des Überschussstroms bei 300 GW Elektrolyseleistung ungenutzt bleiben, werden immerhin fast 90 Prozent der Überschussenergie verwendet. Allerdings bleiben die Elektrolyseanlagen zu dreiviertel ihrer Kapazität ungenutzt. Dabei wird idealerweise schon unterstellt, dass die Elektrolyse mit gleichem Wirkungsgrad zwischen Null und Nennleistung arbeitet und durch den volatilen Betrieb keine Degradation und kein erhöhter Wartungsaufwand entsteht. Die für dieses Szenario angesetzten 300 GW Elektrolyseleistung stellen schon ein gewisses Optimum dar. Diese Sachlage wird in meiner Studie [1 Abb. 4-6] grafisch verdeutlicht.
Der nötige Speicherbedarf sprengt alle Vorstellungen und ist daher unbezahlbar
Dass es unmöglich ist, die Überschüsse an Strom aus volatiler Erzeugung mit Langzeitspeicher zu glätten, um die Elektrolyseanlagen mit (weitgehend) konstantem Strom zu versorgen, weise ich in meinem Buch Die Abrechnung mit der Energiewende[6] nach. Der dafür nötige Speicherbedarf sprengt nämlich alle Vorstellungen und ist daher unbezahlbar.
300 GW Elektrolyse-Leistung notwendig, bis 2030 geplante Projekte 4 GW
Um die Dimension der Schönrechnungen und Fehlplanungen zu erfassen, muss man die 300 GW notwendige Elektrolyseleistung in Beziehung setzen, zu den Ankündigungen von 5 bzw. 10 GW der Bundesregierung und aller geplanten Wasserstofferzeugungsprojekten, die bis 2025 1,5 GW und bis 2030 4 GW betragen.[8] Auch die öffentlich gelobte „große“ Siemens-Anlage [4] mit 0,009 GW wirkt dagegen geradezu marginal – von dieser Sorte wären mindestens 33.000 Stück notwendig.
In meiner Studie werden in diesem Zusammenhang weitere Aspekte behandelt, und es wird quantitativ gezeigt, dass eine Verwirklichung realpolitisch ausgeschlossen ist.
Technisch ist sehr viel möglich, aber die entscheidende Frage bleibt, was davon sinnvoll, politisch durchsetzbar und wirtschaftlich ist.
Bad Nauheim, Januar 2023
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[1] Klaus Maier. Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland.
Download: https://magentacloud.de/s/bqp6MXE77tZ9kWT
[2] Klaus Maier. Gutachterliche Stellungnahme zum Hessischen Wasserstoffzukunftsgesetz – zur technischen und wirtschaftlichen Einschätzung des Gesetzesvorhabens, z. B. 88 ff.
Download: https://magentacloud.de/s/My7NsDopPr9X3ye
[3] Dr. Ulf Bossel. Wasserstoff löst keine Energieprobleme,
https://www.leibniz-institut.de/archiv/bossel_16_12_10.pdf
[4] Christoph Röder/BR24. Strompreisbremse: Bayerns größte Elektrolyseanlage vor dem Aus: https://www.br.de/nachrichten/bayern/gruener-wasserstoff-droht-bayerns-groesster-elektrolyseanlage-das-aus,TSeV2BF
[5] Wissenschaftliche Dienste. Wasserstoffbedarf, Seite 5.
https://www.bundestag.de/resource/blob/894040/0adb222a2cbc86a20d989627a15f4bd8/WD-5-024-22-pdf-data.pdf
[6] Klaus Maier. Die Abrechnung mit der Energiewende – Der Energiewende-Check, Seite 301 ff. ISBN 978-3-347-06789-9 oder ISBN 978-3-347-06790-5
[7] Prof. Hans Werner Sinn. Schwarze Schwäne – Krieg, Inflation und ein energiepolitischer Scherbenhaufen. Ab 1h:22. https://www.youtube.com/watch?v=78ntekFBE4o
[8] acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften,
Elektrolyse in Deutschland – Leistungen, Zielsetzungen und Bedarfe bis 2030, Seite 8.
https://www.wasserstoff-kompass.de/fileadmin/user_upload/img/news-und-media/dokumente/Elektrolysekapazitaeten_.pdf