„Unsagbares” zur deutschen Pathologie*)

Ein Zwischenruf von Roland Vaubel**)

Ich bin 1948 geboren. Für die Schandtaten der Nazis fühle ich mich nicht verantwortlich. Verantwortlich ist man für das, was man selbst getan hat – nicht für die Taten Anderer. Es mag rational sein, den Kindern und Kindeskindern einer schuldbefleckten Elterngeneration zu misstrauen, aber eine “Erbsünde” gibt es nicht. Für die Schandtaten der Nazis verantwortlich kann nur sein, wer 1945 erwachsen, also mindestens 18 Jahre alt war. Das sind die Jahrgänge 1927 und älter, die heute mindestens 95-Jährigen. Sie machen weniger als 0,6 Prozent der deutschen Bevölkerung aus (Statistisches Bundesamt). Von diesen hat sich vermutlich nur ein kleiner Bruchteil schuldig gemacht.

Trotzdem tragen die Deutschen noch heute schwer an der Schuld ihrer Eltern

Roland Vaubel Fotoquelle: Wikipedia

und Großeltern. Die Last scheint auch nicht, wie man eigentlich erwarten würde, mit der Zeit abzunehmen. Dafür sorgen verschiedene Interessenten. Politische Entscheidungen werden immer noch dezent  mit der (jüngeren) “deutschen Geschichte” begründet – zum Beispiel das Zögern, der Ukraine Waffen zu liefern. Wer hat ein Interesse daran, bei den Deutschen von heute an  Schuldgefühle zu appellieren?

In Deutschland ist es das linke politische Spektrum, das sich dabei besonders hervortut – nicht nur die Antifa. Das hat damit zu tun, dass die Linksparteien die Nazis früher und entschlossener bekämpft haben als die bürgerliche Opposition, die es ja auch gab. SPD und KPD stimmten 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz und wurden brutal verfolgt.

Interessiert sind auch die, die heute von Deutschland “Solidarität” einfordern. “A bad conscience is a goldmine”, lautet ein englischer Spruch; wenn jemand ein schlechtes Gewissen hat, kann man daraus Kapital schlagen. An (erfolgreichen) Versuchen mangelt es gerade in Europa nicht.

Diese Fakten hier zu erwähnen, gilt wahrscheinlich nicht als politisch korrekt. Aber was ich schreibe, ist die Wahrheit.

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*) Der Begriff Pathologie kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt „Lehre von den Leiden“. Als Teilgebiet der Medizin bezeichnet er die Lehre von den abnormen und krankhaften Vorgängen und Zuständen von Lebewesen und deren Ursachen. Pathologisch bedeutet krankhaft. Ein Verhalten wird beispielsweise als pathologisch bezeichnet, wenn es extreme Formen annimmt und den Charakter einer Abhängigkeit entwickelt. In diesem Sinn ist es eine Verhaltensstörung.

**) Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Roland Vaubel lehrte von 1984 bis 2016 Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim. Zuvor hat er als ordentlicher Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam und als Gastprofessor  an der University of Chicago  gelehrt. Studium an den Universitäten München, Oxford und Columbia University (New York). Bachelor of Arts in Philosophy, Politics and Economics (1970). Master of Arts in Economics (1972). Wissenschaft­licher Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft, Kiel (1973-84), zuletzt als Forschungs­gruppen­leiter. Promotion zum Dr. rer. pol. (1977) und Habilitation (1980) an der Universität Kiel. . Mitglied des Wissenschaft­lichen Beirats beim Bundes­ministerium für Wirtschaft und Technologie. Associate Editor der Zeitschrift „Review of International Organisations“. Mitglied des Editorial Board der Zeitschriften European Journal of Political Economy, Constitutional Political Economy und Cato Journal. Mitglied des Academic Advisory Council des Institute of Economic Affairs, London. (Quelle: hier). Vaubel war Mitunterzeichner des eurokritischen Manifests Die währungspolitischen Beschlüsse von Maastricht: Eine Gefahr für Europa (1992) und des Hamburger Appells (2005). Er war einer der 68 Hauptzeichner der Wahlalternative 2013. Im Mai 2018 initiierte er mit Dirk MeyerThomas Mayer und Gunther Schnabl den Aufruf Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen! Dieser wurde von über hundert Ökonomen unterstützt. (Quelle: hier).

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