Sterbehilfe-Debatte ohne AfD?

Nein, auch sie trug dazu bei – Aber die Rede von Beatrix von Storch kam in Berichterstattungen nicht vor – Nicht Hilfe zum, sondern Hilfe beim Sterben

Sterbehilfe ist Gewissenssache und verbunden mit Fragen zu Ethik und Moral.  Ist sie zu tolerieren oder abzulehnen? Oder gesetzlich sogar zu ermöglichen? Und wenn ja, mit welchen Regeln? Es versteht sich, dass sie daher auch zur politischen Auseinandersetzung wird. So jüngst im Deutschen Bundestag wieder einmal geschehen. Es war eine erste Orientierungsdebatte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts*) vom 26. Februar 2020, das ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Medien haben über die Debatte berichtet, auch die FAZ. Was war in deren Bericht auffällig?

Wer alles im FAZ-Bericht zu Wort kommt

Wie üblich und durchweg auch nicht anders möglich, geben Medienberichte das, was in solchen Debatten gesagt wird, zusammengefasst wieder. Kernaussagen der Redner heben sie mit Namensnennung hervor, teils zitieren sie diese auch wörtlich.  So berichtet die FAZ (Ausgabe vom 22. April, Seite 4 hier) über die FDP-Poli­ti­ke­rin Katrin Helling-Plahr unter anderem, diese habe sich auf das vom Verfas­sungs­ge­richt entwi­ckel­te „Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben“ bezogen und davor gewarnt, die eige­nen Moral­vor­stel­lun­gen über die von Ster­be­wil­li­gen zu stel­len. Sie berichtet über Äußerungen von Renate Künast und Katja Keul (beide Die Grünen),  die Sterbehilfe müsse endlich auf rechts­si­che­re Wege gelenkt werden. Sie berichtet über Benjamin Strasser (FDP), Kirs­ten Kappert-Gonther (Die Grünen), den Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU)  und darüber, was die Abge­ord­ne­ten Lars Castel­luc­ci (SPD), Ansgar Heve­ling (CDU), Stephan Pilsin­ger (CSU) und Kath­rin Vogler (Linke) als die jüngs­te und bislang restrik­tivs­te Initia­ti­ve zu einer Neure­ge­lung fordern.

Wer im FAZ-Bericht nicht zu Wort kommt

Was aber vermisst der Leser? Er vermisst, wie sich die im Bundestag stärkste Oppositionspartei geäußert hat, also die AfD.  Mochte sich diese nicht äußern? Hat sie zum Thema so gar nichts zu sagen? Doch. Für sie hatte die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch gesprochen. Der FAZ-Bericht verliert darüber kein Wort. Andere Medien wie Süddeutsche Zeitung, ZDF, Ärzteblatt verfuhren nicht anders. War es zu unbedeutend? Zu verschroben? Zu extrem „rechts“? Nur das Gleiche, was andere schon vorgetragen hatten? Nichts davon.  Machen  Sie sich Ihr eigenes Bild. Hören und sehen können Sie Frau von Storchs Rede hier.

Nicht Hilfe zum, sondern Hilfe beim Sterben

Sich das Leben zu nehmen, ist nach der Überzeugung von Beatrix von Storch kein Ausdruck einer „autonomen Selbstbestimmung“. Es sei fast immer ein Akt der vollständigen Verzweiflung. Das gelte für den schwer kranken Neunzigjährigen, der keine Hilfe  z u m  Sterben, sondern Hilfe  b e i m  Sterben brauche, also menschliche Begleitung und eine tatsächlich schmerzlindernde palliativmedizinische Versorgung. Es gehe es aber auch um den vierzigjährigen Familienvater, der gerade seine Existenz verloren habe oder den Neunzehnjährigen, den seine Freundin verlassen habe. Sie brauchten Hilfen zum Leben, nicht zum Sterben. „Staatliche Angebote zum Sterben öffnen die Büchse der Pandora hin zu einer Kultur des Todes.“ Deshalb, so Frau von Storch, trete sie ein für eine Kultur des Lebens. Hat jemand was dagegen?

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*)  Die Leitsätze des Urteils (2 BvR 2347/15 hier) lauten:

1a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

1b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

1c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

2. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.

3.a) Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen.

3.b) Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen.

4. Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.

5. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.

6. Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.

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