Sein Buch Feindliche Übernahme – Seine Kritiker reagieren reflexhaft wie Pawlow’sche Hunde – Eine vernichtende Kritik in der FAZ – Sarrazins Vorwürfe gegen den Rezensenten – Die Vorwürfe des Rezensenten gegen die Vorwürfe Sarrazins – Die Kritiker Sarrazins umgehen dessen eigentliches Thema, agieren auf Nebenschauplätzen – Was stattdessen zu wünschen ist
Man weiß: Die SPD will Thilo Sarrazin loswerden. Schon lange. Er ist ein lästiger, aber wichtiger Stachel im Fleisch ihrer politischen Korrektheit, der piekt. Eben darum will Sarrazin SPD-Mitglied bleiben. Inzwischen hat er abermals so ein scheußlich unkorrektes Buch vorgelegt: Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht. Kaum war das Buch erschienen, forderte das SPD-Präsidium Sarrazin (abermals) zum Parteiaustritt auf.*) Und so geschwind, wie Sarrazins meiste politische Gegner dieses neue Buch augenblicklich verurteilt haben, können sie es eigentlich gar nicht gelesen haben. Jedenfalls nicht von vorn bis hinten. Die entrüstete Ablehnung lässt den Schluss zu, dass Sarrazin wohl wieder einen Volltreffer gelandet hat.
Die reflexhafte Reaktion erinnert an einen Herrn Pawlow und sein Hundeexperiment. Die Glocke, die der russische Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow experimentell regelmäßig ertönen ließ, wenn er seinem Hund sofort anschließend Futter gab, löste bei diesem reflexhaft erwartungsfrohen Speichelfluss auch schon dann aus, wenn das anschließende Futter ausblieb; Glockenton und Futter waren eins für ihn, identisch. Übertragen also auf das neue Buch: Sarrazin ist die Glocke, und der Speichelfluss ist der Kritikregen seiner Gegner. Reflexhaft verdammen sie sein Buch, weil sie allein schon Sarrazins Name zum Schäumen bringt. Einseitig, mit den Wölfen heulend leider auch die FAZ. Für sie ist das Buch nur haarsträubend.
Eine vernichtende Kritik
Ihr sachkundiger Rezensent ist Rainer Hermann, promoviertes Redaktionsmitglied und langjähriger Korrespondent für die Türkei und den Vorderen Orient. Er kennt die arabischen Länder, den Islam, den Koran, spricht die arabische Sprache, ist ein seriöser, angesehener Journalist. Unter der Überschrift Haarsträubendes zum Islam – Thilo Sarrazin offenbart mit seiner neuen Kampfschrift vor allem eines: Unkenntnis hat Hermann eine vernichtende Kritik geschrieben. Er jedenfalls muss das Buch ganz gelesen haben. Aus seiner Rezension ein paar Zitate:
„Eine intellektuelle Enttäuschung, ein Buch voller Fehler und Unkenntnis“
„Man kann verstehen, weshalb die DVA den Druck dieses Buchs abgelehnt hat. Denn es ist voller Fehler und Unkenntnis. … . Intellektuell ist das Buch eine Enttäuschung. Denn Sarrazin erforscht seinen Gegenstand nicht, er wägt nicht ab. Auch berichtet Sarrazin nicht von eigener Anschauung aus Reisen in der islamischen Welt. Der Faktencheck fällt nicht günstig aus. Mit Jahreszahlen nimmt es Sarrazin nicht genau (etwa bei der Eroberung von Bagdad durch die Mongolen), nicht mit der Geographie (Sudan ist nicht Teil des Maghreb) und auch nicht mit Übersetzungen. Sarrazin schreibt Namen und Vornamen falsch, verwechselt Aleviten und Alawiten, bringt Laizismus und Säkularismus durcheinander. Zu Afrika behauptet er, „viele Problemstaaten in Afrika und Asien“ würden dadurch geeint, „dass die dort lebenden Menschen überwiegend muslimischen Glaubens sind“. 63 Prozent der Einwohner von Subsahara-Afrika sind jedoch Christen; ihre Staaten gehören zu den ärmsten der Welt. … Haarsträubend ist, was Sarrazin sich zur islamischen Theologie ausdenkt. … Je geringer das Wissen, desto sicherer das Urteil.“ (FAZ vom 31. August 2018, Seite 8 – Die vollständige Rezension hier
„Sarrazin bedient Vorurteile und verstärkt die Ängste der Menschen“
In der gleichen FAZ-Ausgabe (Seite 11) macht sich auch das Feuilleton über das Sarrazin-Buch her. Die Überschrift lautet: Kriminologie aus dem Hobbykeller – Sind Muslime und Migranten auffällig kriminell? Thilo Sarrazin verspricht in seinem neuen Buch „Feindliche Übernahme“ Aufklärung. Autor Thomas Feltes – er lehrt Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum – wirft Sarrazin statistische Fehlschlüsse vor, wonach nicht belegt sei, dass Flüchtlinge, zumal muslimische, überdurchschnittlich viele kriminelle Gewalttaten begingen. Feltes beendet seine Prüfung des Sarrazin-Buches mit diesem Fazit: „Es ist die Vermischung von unvollständig wiedergegebenen statistischen Zahlen, drastischen Einzelfällen, tendenziösen Stellungnahmen einzelner Personen, und Ergebnissen von Studien, die einer genaueren wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standhalten, die letztlich beim Leser den Eindruck einer wissenschaftlich seriösen Darstellung erwecken sollen. In Wirklichkeit bedient Sarrazin Vorurteile in unserer Gesellschaft, die dazu geeignet sind, die soziale Spaltung weiter voranzutreiben und damit die Ängste der Menschen zu verstärken, statt aufzuklären.“ Der ganze Beitrag hier.
Sarrazins „Jargon der Unvoreingenommenheit“
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) legte der Feuilletonist Mark Siemons noch einmal nach. Die Überschrift dieses Verrisses lautet Der Jargon der Unvoreingenommenheit – Thilo Sarrazin erteilt sich und seinen Lesern die Lizenz, das Wissen über den Islam zu ignorieren: Traut einfach euren Ängsten! Für Siemons beruht der Sinn des ganzen Buches „darauf, jenen ‚Durchschnittseuropäern’, als die Sarrazin seine Leser und sich selbst bezeichnet, ein Einverständnis zu unterstellen: dass den Experten nämlich nicht zu trauen sei, dass sie durch die Bank zu den ‚Beschwichtigern und Verharmlosern’ gehörten, die einer Erkenntnis des wirklichen Wesens der Religion im Wege stehen. Ohne diese Voraussetzung wäre es nicht zu verstehen, dass der erklärte Nicht-Fachmann Sarrazin den vielen existierenden Büchern zum Thema noch ein weiteres hinzufügt“.
Sarrazin erlaubt seinen Lesern, „das Wissen über den Islam zu ignorieren“
Siemons wirf Sarrazin vor, er brüste sich damit, gegenüber dem Islam unvoreingenommen zu sein. („ohne innere Vorbehalte und ohne vorgefasste Meinung“). Daraus dieser Ausschnitt: „’Unvoreingenommenheit’ ist vielmehr die Lizenz dafür, all die Arbeit der Differenzierung, Historisierung und Kontextualisierung nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, die über die Jahrhunderte hinweg bei der Beschäftigung mit dem Islam geleistet worden ist. Diese Lizenz erteilt der Autor nicht nur sich selbst, sondern – das ist der womöglich verkaufsfördernde Clou – auch allen ‚Durchschnittseuropäern’, also allen potentiellen Lesern: Traut euren unmittelbaren Intuitionen und Ängsten, ist die Botschaft dieses Buchs, lasst sie euch durch kein historisch-kritisches Wissen relativieren. Alles, was ihr unmittelbar fühlt, stimmt, der Islam als solcher ist genauso aggressiv, kulturlos und frauenfeindlich, wie ihr immer schon dachtet, eure Befürchtung, er überwältige eure Gesellschaft, ist berechtigt, und deshalb ist die Forderung am Ende, „die Einwanderung von Muslimen grundsätzlich“ zu unterbinden, nicht monströs, sondern folgerichtig. Wer eben noch des Ressentiments verdächtig war, kann sich jetzt als Hüter der reinen Rationalität vorkommen.“ Die Folgerungen, die Sarrazin im Namen rationaler Unvoreingenommenheit ziehe, liefen darauf hinaus, Asylrecht, Religionsfreiheit und Pluralismus aufzuweichen, und zwar zugunsten „einer an kognitiver und sozioökonomischer Optimierung ausgerichteten Technokratie“ – was immer Siemons damit meinen mag. (FAS vom 2. September 2018, Seite 44. Lesen des ganzen Textes hier möglich).
Die Vorwürfe Sarrazins gegen den Rezensenten
Soweit ein üblicher Hergang: Da schreibt einer ein Buch, es behandelt ein politisch heißes Thema, der Autor ist nicht irgendwer, aber „umstritten“, daher gibt es viele Rezensionen, das Buch wird vom Mainstream verrissen, der Autor muss es über sich ergehen lassen und hat es hinzunehmen. Nicht so jedoch der Autor Sarrazin gegenüber der FAZ. Er verfasst zu dem Verriss von Rainer Hermann eine längere Entgegnung, schickt sie der Redaktion, und die – sehr ungewöhnlich – hat sich genötigt gesehen, sie im Blatt zu veröffentlichen. (FAZ vom 12. September, Seite 6). Unter dem Titel „Leere Behauptungen“ wehrt er sich. Die von Hermann behaupteten Fehler seien leere Behauptungen. „Wo ihm meine Feststellungen nicht passen, verdreht er sie gern, damit werden sie aber nicht falsch. Was ich zur islamischen Theologie sage, nennt er ‚haarsträubend’, bleibt aber unkonkret. Dass ihm mein Vorgehen bei der Interpretation des Korans nicht gefällt, macht er deutlich. Aber es gelingt ihm nicht, mir ein falsches Zitat nachzuweisen. Dagegen zitiert Hermann meinen Text wiederholt ungenau beziehungsweise falsch.“ Was Sarrazin im Einzelnen und Besonderen zu bemängeln hat, können Sie auf der Internet-Seite von Dirk Maxeiner Die Achse des Guten (Achgut.com) hier nachlesen.
Die Vorwürfe des Rezensenten gegen die Vorwürfe Sarrazins
Ebenfalls ungewöhnlich: An gleicher Stelle, unterhalb von Sarrazins Entgegnung, in gleicher Länge gibt die FAZ auch Rainer Hermann Platz für eine Gegenäußerung. Hermann bescheinigt Sarrazin „Eine Tendenz zum Beleidigtsein“ und geht im Einzelnen auf dessen elf Vorwürfe ein. Er bemängelt nun seinerseits, was Sarrazin bei ihm bemängelt, zum Beispiel: „Aus den vielen Dutzend falschen Angaben in Ihrem Buch habe ich lediglich einige herausgegriffen, um zu zeigen, wie oberflächlich und fehlerhaft Sie arbeiten. … Ich habe nirgends geschrieben, Sie hätten den Koran falsch zitiert. Sie unterstellen mir etwas, das nicht zutrifft. Ich werfe Ihnen lediglich vor, dass Sie bei Ihrer Exegese des Korans eine Methode anwenden, die es bei Ihnen und vielen Salafisten gibt, nicht aber in der islamischen Theologie. … Ich werfe Ihnen ja nicht vor, dass Sie kein Arabisch können. Doch was würden Sie davon halten, wenn jemand in Pakistan die Bibel auf Urdu liest und darüber ein Buch von 500 Seiten schreibt? … Entweder Sie verdrehen meine Aussagen zum Erbrecht, oder Sie haben sie nicht verstanden.“ Hermanns ganze Entgegnung (allerdings kostenpflichtig) hier.
Sarrazins Kritiker umgehen dessen eigentliches Thema, agieren auf Nebenschauplätzen
Fällt Ihnen etwas auf? Bei den drei Verrissen und bei den gegenseitigen Vorwürfen zwischen Sarrazin und Hermann geht es, gemessen am eigentlichen Anliegen des Sarrazin-Buches, nur um Nebensächliches. Sie agieren auf Nebenschauplätzen, verlieren sich im Klein-Klein, würdigen nicht, was Hauptschauplatz ist: Sarrazin warnt vor einer drohenden Islamisierung Deutschlands, auch anderer europäischer Länder und den Folgen. Das wird umschlichen wie der sprichwörtliche heiße Brei oder – wie von Siemons – ins Ironisch-Lächerliche verdreht. Dabei ist Sarrazins Thema gerade diese Warnung und begründete große Gefahr: das mutwillige (weil um die Folgen wissende) Zerstören unserer Gesellschaft und Lebensform. Der Buchtitel besagt eindeutig, wovor Sarrazin warnt. Aber ebendas umgehen seine Kritiker. Sie spießen das Buch auf nur an einzelnen Fehlern, Missverständnissen oder Ungenauigkeiten. Einem FAZ-Leser ist das aufgefallen. Seinen Brief „Debatte über den Koran“ hat die Redaktion veröffentlicht. Verfasst hat ihn Wolfgang Illauer aus Neusäß-Westheim. Er schreibt:
„Ich wünsche mir eine Debatte über das Entscheidende“
„Mit großer Erwartung und Spannung las ich in der F.A.Z. vom 12. September unter „Briefe an die Herausgeber“ die beiden Texte („Thilo Sarrazin: Leere Behauptungen“ / „Eine Tendenz zum Beleidigtsein – Rainer Hermanns Antwort“). Und dann war meine Enttäuschung groß. Denn bei diesem Briefwechsel ging es eigentlich und weit überwiegend nur um Kleinigkeiten und Nebensachen. Ich wünsche mir eine Debatte, in der auf beiden Seiten mit hervorragend formulierten und vorbildlich untermauerten Argumenten über das Entscheidende gesprochen wird, eine Auseinandersetzung, in der beispielsweise die folgenden Fragen zum Islam pro und contra behandelt werden: Ist der Koran ein ‚gefährliches’ Buch, weil er viele Suren enthält, die das siebte Jahrhundert spiegeln und unseren Menschenrechten widersprechen? In diesem Zusammenhang: Wie sieht das Frauenbild im Koran und in den Hadithen aus? Wie ist die überaus radikale Sure 9 zu interpretieren? Wie sollen wir die im Koran enthaltene grundsätzliche Berechtigung zum Töten beurteilen? (Sie wird ausdrücklich formuliert in den Koransuren 5,32; 6,151 und 25,68.) Ist die Bibel ebenso ‚gefährlich’ wie der Koran? Kann man Jesus und Mohammed auf dieselbe Stufe stellen? Wie interpretieren die Imame, die in Deutschland predigen, den Koran? Relativieren die meisten von ihnen das Zeitgebundene, Überholte aus dem siebten Jahrhundert, oder nehmen die meisten von ihnen alle Suren als ewige, unveränderliche göttliche Offenbarung wörtlich? Welchen Einfluss üben sie auf die muslimischen Kinder und Jugendlichen aus? Es wäre schön, wenn sich Thilo Sarrazin und Rainer Hermann über solche und ähnliche Fragen austauschen könnten, wenn die beiden abgedruckten Briefe nur ein Vorspiel wären, ein erstes kleines Kräftemessen! Die Hauptsache kommt noch!“ (FAZ vom 17. September, Seite 5).
„Schade, dass der Briefwechsel von den Tribalgesellschaften in Deutschland ablenkt“
Auch den Brief eines anderer kritischen Lesers druckte die FAZ: „Schade, dass der Briefwechsel der Herren Sarrazin und Rainer Hermann … davon ablenkt, dass in Deutschland Tribalgesellschaften durch die monatelange Grenzöffnung der Kanzlerin noch schneller den politischen Islam hoffähig werden und unseren Rechtsstaat ad absurdum führen. Die arabischen Clans sind schon außer Kontrolle, den Rest besorgt der unkontrollierte Zustrom in unsere Sozialsysteme. Ein frustrierter ‚Intellektueller’. Werner Rosenbecker, Hiddenhausen“ (FAZ vom 19. September, Seite 21). Näheres zum Stichwort Tribalgesellschaften finden Sie im Jürgen Fritz Blog hier. Sachliches über Sarrazin, noch bevor dessen Buch veröffentlich war, schreibt Roland Tichy hier und – ach, ja – wie man eine kritische Besprechung auch elegant und unterhaltsam machen kann, liefert Jörg Seidel in der Online-Ausgabe des Magazins eigentümlich frei hier: „Den Koran lesen. Aber nicht auf dem Klo.“
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*) „Das SPD-Präsidium hat den Publizisten Thilo Sarrazin aus Anlass der Veröffentlichung seines neuen Islambuches am Donnerstag zum freiwilligen Parteiaustritt aufgefordert. Es gehöre zum Selbstverständnis der Partei, „uns allen menschenfeindlichen Bestrebungen zu widersetzen und entgegenzustellen“, hieß es in einer Erklärung. „Wer wie Thilo Sarrazin dieses Selbstverständnis nicht (mehr) mittragen will, sondern Menschen pauschal diffamiert und damit bei anderen massive Ängste schürt, sollte sich eine andere politische Heimat suchen.“ Sarrazin sagte dieser Zeitung, es verstehe sich „von selbst“, dass er die „SPD-Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ teile. Er empfehle dem SPD-Präsidium, sein Buch zu lesen, die „pauschalen Vorwürfe“ gingen daran „vollständig vorbei“. „Die Aufforderung zum Austritt empfinde ich als absurd und werde ihr selbstverständlich nicht nachkommen“, sagte Sarrazin. …. (FAZ vom 31. August 2018, Seite1).