Wer sollte sie regeln und wie sollte man sie regeln? – Die 15. Demokratietagung in Speyer
Werden Abgeordnete und höherrangige Politiker angemessen bezahlt? Verdienen sie, was sie verdienen? Bekommen sie für das, was sie tun, zuviel? Oder bekommen sie zuwenig? Wonach soll sich ihre Bezahlung richten? Nach dem von Bundesrichtern? Oder nach dem von anderen staatlichen Besoldungsgruppen? Und wann und wie sollen sie mehr bekommen? Nur dann, wenn sie ausdrücklich nach mehr verlangen? Oder automatisch, gebunden an einen Index? Vielleicht gebunden an den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten? Oder wie sonst? Und wer regelt das? Sie selbst? Wenn nein, wer sollte es dann regeln? Nach welchen Qualitätskriterien?
Die drei möglichen Akteure: das Parlament, das Volk oder Sachverständige
Fragen über Fragen. Mit ihnen beschäftigt hat sich kürzlich die 15. Speyerer Demokratietagung in der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer mit ihrem Initiator Hans-Herbert von Arnim. Für den Rechts- und Staatswissenschaftler von Arnim kommen bei der Frage, wer über die Abgeordnetendiäten entscheidet drei mögliche Akteure in Frage: das Parlament selbst, das Volk (wie in der Schweiz) oder unabhängige Sachverständige. Kritische Bedenken trug er gegen alle drei vor. Die Abgeordneten selbst sind, weil es sich um eine Entscheidung in eigener Sache handelt, nicht unabhängig genug. Volksentscheidungen auf Bundesebene stoßen auf wohl zu großen politischen Widerstand. Einen gewissen Einfluss würde das Volk aber dann bekommen, so von Arnim, „wenn Diätenerhöhungen jeweils nur mit Wirkung für die nächste Wahlperiode beschlossen werden dürfen, damit die Bürger vor der Wahl wissen, wie die zu wählenden Vertreter bezahlt werden (so das US-amerikanische Modell)“ . Das allerdings werde im Bundestag und in vielen Landesparlamenten konterkariert, indem nach der Wahl Erhöhungen in Stufen für die ganze Wahlperiode festgelegt würden.
Wenn Sachverständige: Sollen sie nur beraten oder auch entscheiden
Die dritte Möglichkeit, unabhängige Sachverständige mit der Aufgabe zu betrauen, geht auf das Bundesverfassungsgericht in seinem Parteienfinanzierungsurteil zurück (BVerfGE 85, 264: „Einschaltung unabhängigen Sachverstandes“). Diese Sachverständigenkommission soll aber nur beratende Funktion haben. Wer aber, fragt von Arnim, solle die Kommissionsmitglieder bestellen? Tue dies der Bundestag, so erliege er leicht der Versuchung, solche Personen zu berufen, die den Abgeordneten nicht wehtäten. Und die FDP habe sogar eine Kommission mit Entscheidungsrecht ins Gespräch gebracht. Aber eine Kommission, die die Diäten endgültig festlege, dürfte zudem verfassungsrechtlich gar nicht zulässig sein. Derzeit jedenfalls entschieden die deutschen Parlamente, also auf Bundesebene der Bundestag, alles alleine.
Beamte entscheiden über Beamtenbesoldung, Abgeordnete in eigener Sache
Sogenannter Eckmann in der Besoldungspyramide ist nach der Darstellung von Arnims der Staatssekretär und dessen Gehalt. Der Bundestag bestimme die Bezüge des „Eckmanns“ im Rahmen von Besoldungsgesetzen; darin seien der Betrag und die jeweilige Erhöhung genau aufgelistet. Allerdings säßen im Innenausschuss, der die Entscheidung des Bundestags vorbereite, fast nur Beamte. Eine Vorentscheidung über die Beamtenbesoldung träfen also Beamte. Ferner bemängelt von Arnim, dass Abgeordnete in eigener Sache entscheiden. Ihre Bezahlung und Versorgung regelten sie selbstständig, wie ihnen vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben. Hier aber rückt für von Arnim die Frage in den Fokus, wie sie das regeln. Da das Parlament dabei in eigener Sache entscheide, also nicht unbefangen sei, bedürfe es halbwegs wirksamer Kontrollen. Dafür kämen, wenn man die Bürger nicht unmittelbar selbst entscheiden lassen wolle, die Öffentlichkeit („die Medien“) und das Verfassungsgericht in Betracht.
Wie sich der Bundestag wirksamer Kontrolle zum Teil entzieht
Um die öffentliche Kontrolle zu sichern, hat das Bundesverfassungsgericht, wie von Arnim weiter ausführte, eine selbstständige Entscheidung des Parlaments durch spezielles Gesetz vorgeschrieben, wenn es um den finanziellen Status der Abgeordneten geht. Das sei in diesem Fall die einzig wirksame Kontrolle. Aber über wesentliche Teile seines finanziellen Status’ entscheide der Bundestag nicht durch Gesetz, sondern regele das lediglich im Haushaltsplan, so zum Beispiel die Höhe der Kostenpauschale und die Höhe der Zahlungen für Mitarbeiter: „Diese betragen inzwischen monatlich über 20 000 Euro und haben damit ein Volumen erreicht, das höher ist als die Entschädigung (8252 Euro) und die Kostenpauschale (4123 Euro) zusammen. Beide, die Kostenpauschale und die Mitarbeiterpauschale, sind dynamisiert, steigen also mit dem allgemeinen Preis- und Einkommensniveaus. Das feit allerdings nicht dagegen, dass immer mal wieder gewaltige Sprünge in eigener Sache beschlossen werden, wie man am Hochschießen der Mitarbeiterpauschale sieht.“
Die Mitarbeiterpauschale-Höhe noch immer nicht gesetzlich geregelt
Für die Mitarbeiterpauschale sei ursprünglich vorgesehen gewesen, ihre Höhe gesetzlich zu regeln, was dann aber ohne Begründung entfallen sei. Später habe man die fehlende gesetzliche Regelung dadurch heilen wollen, dass ins Grundgesetz eine entsprechende Ermächtigung hineingeschrieben werden sollte. Der Plan sei gescheitert – am Nein des Bundesrats. Die gesetzliche Nicht-Regelung bestehe aber immer noch, und über ihre Verfassungswidrigkeit könne eigentlich kein Zweifel bestehen.
Eine verschleierte staatliche Parteienfinanzierung
An den Abgeordnetenmitarbeitern zeigt sich für von Arnim zweierlei: „Einmal ist es sehr viel leichter, die Beträge zu erhöhen, wenn diese nur im Haushaltsplan ausgewiesen sind. Erhöhungen stehen dann sehr viel weniger unter öffentlicher Kontrolle. Das lässt sich auch empirisch belegen. Außerdem geht die Mitarbeiterbeschäftigung leicht in eine verschleierte staatliche Parteienfinanzierung über. Das hat man vor der Bundestags- und der bayerischen Landtagswahl ganz deutlich gesehen: Abgeordnetenmitarbeiter, die laut Abgeordnetengesetz nur zur Unterstützung der parlamentarischen Arbeit des Abgeordneten eingesetzt werden dürfen, wurden in großem Umfang als Wahlkampfhelfer zweckentfremdet. Das hat das Fernsehmagazin Report Mainz in seiner Sendung vom 17. September eindringlich demonstriert.“
Die wichtige Kontrollinstanz der Verfassungsgerichte
Die andere wichtige Kontrollinstanz sind für von Arnim die Verfassungsgerichte selbst. Sie hätten aus dem Grundsatz dass das Parlament bei Entscheidungen in eigener Sache verstärkter Kontrolle bedürfe, zweierlei abgeleitet: erstens, dass das Parlament über den Status seiner Abgeordneten öffentlichkeitswirksam, also durch besonderes Gesetz (und nicht bloß im Haushaltsplan) entschieden müsse, damit die öffentliche Kontrolle greifen könne; zweitens, dass das Verfassungsgericht Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache besonders streng zu kontrollieren habe.
Eine konstitutionelle Schwäche der Gerichtskontrolle
Die Klagebefugten klagen nicht, die klagen wollen, sind nicht befugt
Aber dem ersten abgeleiteten Grundsatz habe sich der Bundestag entzogen (Beispiel Kosten- und Mitarbeiterpauschale). Und bisher habe das Bundesverfassungsgericht da noch nicht gegenhalten können: „Hier zeigt sich eine konstitutionelle Schwäche der Gerichtskontrolle. Das Bundesverfassungsgericht kann von sich aus nicht tätig werden. Aber auch die Bürger können nicht klagen; eine Popularklage gibt es bekanntlich nicht, außer in Bayern. Die Abgeordneten selbst oder die Bundesregierung könnten zwar klagen, haben bisher aber davon abgesehen – aus naheliegenden Gründen. Sie profitieren ja von der Nichtregelung im Abgeordnetengesetz. Das Dilemma besteht also darin, dass die, die klagebefugt sind, nicht klagen wollen, und die, die vielleicht klagen wollten, nicht dazu befugt sind.“ Das sei der Grund, warum viele Teile des finanziellen Status’ von Abgeordneten seit Jahren als verfassungswidrig kritisiert würden, ohne dass es bisher ein klärendes gerichtliches Urteil gebe. Doch hat von Arnim inzwischen für die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) Verfassungsklage erhoben. Sie richtet sich, wie er sagte, unter anderem gegen die verschleierte Staatsfinanzierung durch die Zweckentfremdung von Abgeordnetenmitarbeitern, die die Chancengleichheit außerparlamentarischer Parteien verletzt.
Normativ ist der Abgeordnete unabhängig, faktisch ist er’s nicht
Nach welchen Qualitätskriterien sollte sich die Bezahlung von Abgeordneten richten? Von Arnim verweist auf vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Grundsätze. Danach soll sie sich richten nach der „Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung der damit verbundenen Verantwortung und Belastung und des diesem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Ranges“ (BVerfGE 40, 296 [315]). Aber wie interpretiert werde, meint von Arnim, hänge auch davon ab, welches Bild man sich vom Abgeordneten mache: Da stritten zwei konkurrierende Bilder um die Deutungshoheit: ein normatives und ein faktisches. Das normative Bild unterstelle unabhängige Abgeordnete (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz) und direkt vom Volk gewählte Abgeordnete (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz). Das faktische Bild gehe dagegen davon aus, dass Abgeordnete weder wirklich unabhängig seien noch unmittelbar vom Volk gewählt würden, sondern dass tatsächlich wesentlich die Parteien bestimmten, wer ins Parlament komme. Am prägnantesten könne man das mit dem Wort des einstigen Bundesverfassungsrichters Gerhard Leibholz ausdrücken, Abgeordnete seien „gebundene Parteibeauftragte“.
Wenn letztlich nur die Parteien bestimmen, wer Abgeordneter wird …
Je nachdem, welches der beiden Bilder man zu Grunde lege, komme durchaus Unterschiedliches heraus. Der ungebundene, frei gewählte Abgeordnete, der mit Augenmaß und Leidenschaft dicke Bretter bohre, könne gewiss eine andere Bezahlung erwarten als Abgeordnete, die lediglich Geschöpfe und Funktionäre ihrer Partei und Fraktion seien: „Deshalb kann es auch nicht angehen, den finanziellen Status ohne Blick auf die Parteien, in die die Abgeordneten eingebunden sind, zu betrachten. Für das faktische Bild vom Abgeordneten ist dies unerlässlich. Wenn die Parteien letztlich bestimmen, wer Abgeordneter wird, muss auch ein Blick auf das Rekrutierungsverfahren der Parteien geworfen werden, die sprichwörtliche Ochsentour und die Frage, ob es stimmt, dass das Verfahren so strukturiert ist, dass vornehmlich zeitreiche und immobile Personen Abgeordnete werden. Auch die (direkte und verschleierte) staatliche Parteienfinanzierung ist einzubeziehen und verdeutlicht das Bild. … Die sogenannten Parteisteuern vervollständigen das faktische Bild: Abgeordnete (wie auch andere Amtsträger) verdanken ihr Mandat der Partei und müssen dafür einen Teil ihrer Entschädigung an diese abführen.“
Die politische Klasse darf die Kontrolle nicht aushebeln
Von Arnim folgert: „Die Frage, wer die Bezahlung regeln sollte, hängt ganz wesentlich auch von dem Bild ab, das wir von den Politikern haben. Beim normativen Bild, das die politische Klasse selbst bevorzugt, liegt die Entscheidung durch das Parlament nahe, beim faktischen Bild eher die Entscheidung unmittelbar durch das Volk. Einen Kompromiss zwischen beiden Polen bildet sozusagen das durch öffentliche und gerichtliche Kontrolle eingehegte parlamentarische Entscheidungsverfahren. Dann müssen die öffentliche und die richterliche Kontrolle aber wirklich in Funktion gehalten und dürfen nicht durch die politische Klasse ausgehebelt werden.“
(Ein weiterer Bericht von der Demokratietagung folgt)
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