Der erste Ordo-Preis für ordnungspolitische Innovationen
Ideen und Ideenlehren, denen man zum Erfolg verhelfen will, brauchen Vorbilder. Für die Soziale Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland ist das Ludwig Erhard gewesen. Er strahlte sie aus und verkörperte sie. Heute hat diese Marktwirtschaft eine solche charismatische Führungsfigur nicht. Oder noch nicht wieder. Aber sie hat viele Menschen, die für die Ideenlehre von dieser Marktwirtschaft in der Alltäglichkeit ihres beruflichen Wirkens Vorbilder sind. Man findet sie in Unternehmen, in der Wissenschaft, in öffentlich-rechtlichen Institutionen, in privaten Kreisen. Gelegentlich stoßen Medien auf sie, greifen sie heraus und stellen sie für kurze Zeit in verdientes Rampenlicht. Daneben gibt es die überaus vielen Alltagshelden, die in so ein Licht nicht oder zu lange nicht geraten. Sie kann man ins öffentliche Bewußtsein heben, in dem man ihre Bedeutung mit einem sie ehrenden Preis hervorhebt.
Verliehen von der Jenaer Allianz
Ein solcher Preis ist nun auch der Ordo-Preis für ordnungspolitische Innovationen, verliehen von der Jenaer Allianz*). Prämiert werden mit ihm Leistungen, die auf dem Gebiet der Ordnungspolitik innovativ, also ideenreich, originell und zukunftsweisend sind, und die zur Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft beitragen. Bestimmt ist er für Nachwuchswissenschaftler sowie für jüngere Menschen, die in Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft bedeutende innovative Ideen und Projekte vozuweisen haben. Dotiert ist er mit 10 000 Euro.
Ein Unternehmer, ein Wirtschaftswissenschaftler
Er wurde jetzt erstmals vergeben und ging an den Software-Unternehmer Dirk K. Martin und den Wirtschaftswissenschaftler Michael Wohlgemuth. Martin ist Geschäftsführender Gesellschafter der PM Computer Services GmbH & Co. KG (PMCS) mit Sitz in Bad Camberg, Wohlgemuth Geschäftsführender Forschungsreferent am Walter Eucken Institut in Freiburg, habilitierter Wirtschaftswissenschaftler und Lehrbeauftragter der Universitäten Freiburg und Witten/Herdecke.
Was hinter Erhards Marktwirtschaft steckt
Die Ideenlehre hinter Erhards Sozialer Marktwirtschaft ist die der Freiburger Schule oder Ordo-liberalen Schule, eng verwandt mit der liberalen Wiener oder Österreichischen Schule der Nationalökonomie mit Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek als ihren Leitsternen. Kern der ordo-liberalen Gedanken: Der Staat soll sich darauf beschränken, der Wirtschaft eine feste Ordnung (lateinisch ordo) zu geben, ihr einen Ordnungsrahmen zu setzen und die Wirtschaft sich in diesem Rahmen frei entfalten zu lassen. Der Staat müsse sich der direkten staatlichen Eingriffe in den Wirtschaftsablauf, den Wirtschaftsprozeß, enthalten. Ordnungspolitik statt Prozeßpolitik, lautet diese ordo-liberale Leitlinie. Mit Ludwig Erhard als ersten Bundeswirtschaftsminister wurde das Gedankengebäude dann zu einem guten Teil und erfolgreich in die Praxis umgesetzt, an seiner Seite der Ökonom und Soziologe Alfred Müller-Armack von der Universität Köln, der den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ geprägt hat.
Die Soziale Marktwirtschaft wiederbeleben
Diese Marktwirtschaft ist ein für eine freiheitliche Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zum Vorteil der Bürger tragendes Element. Heute harrt sie der Wiederbelebung, denn Politiker und Parteien mißachten sie in ihrer ursprünglichen Form nunmehr seit Jahrzehnten. Was Deutschland heute praktiziert, ist Erhards Soziale Marktwirtschaft nicht mehr, sie wird fälschlich nur noch so genannt. Diese Marktwirtschaft von einst muss wiederbelebt werden. Sie steht noch in gutem Ruf, wird aber immer mehr ausgehöhlt. Wirtschaftliche Fehlentwicklungen und Krisen werden dann ihr angelastet, die nicht sie zu verantworten hat, sondern der Staat mit seinen Regierungen, Parteien, Politikern und Interessengruppen. Der neue Ordo-Preis soll ihre Wiederbelebung fördern helfen.
Die Uni Köln als sinnfälliger Ort
Sinnfälliger Ort der Preisübergabe war die Universität Köln, dort, wo Müller-Armack einst gelehrt hat, zusammen mit den beiden anderen großen liberalen Ökonomen in Köln, Theodor Wessels für Wirtschaftswissenschaft, Günter Schmölders für Finanzwissenschaft und Erich Gutenberg für Betriebswirtschaft, danach Christian Watrin und Hans Willgerodt, später Jürgen B. Donges und Johann Eekhoff. Joachim Starbatty (Universität Tübingen) erinnerte an diese Kölner Gespanne der namhaften ordo-liberalen Wissenschaftler, als er den Preis vorstellte. Er selbst hatte in Köln studiert und war Assistent von Müller-Armack gewesen. Sie alle haben hier, wie er sagte, ordo-liberales Denken gelehrt und weiterentwickelt. Auch Carl Christian von Weizsäcker habe in diesem Sinne gewirkt.
Die Jenaer Allianz
Die Jenaer Allianz*) hat sich 2008 in Jena gebildet. Sie ist, wie Starbatty sagte, ein Kooperationsnetzwerk von Institutionen, die sich der Idee der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Ihren ersten Kongreß hat sie 2008 an der Universität Jena abgehalten. Die Allianz ist sich nach den Worten Starbattys darin einig, dass es zur Sozialen Marktwirtschaft keine Alternative gibt. Sie sei eine Wirtschafts‐ und Gesellschaftsordnung, die auf Freiheit baue und sich zugleich dem Nächsten gegenüber in Solidarität verantwortlich fühle. Sie sei sozial, wenn und solange sie auf freiheitlichem Boden gründe. Dieser Grundsatz müsse auch das Leitmotiv für die Aus‐ und Umgestaltung der Sozialsysteme sein.
Der Mensch muss frei, darf nicht Knetmasse sein
In Jena hatte die Allianz ihren „Aufruf zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft“ auf den Weg gebracht. In ihm hat sie, wie Starbatty sagte, „bewußt die christlich‐abendländischen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft betont“. Sie wisse sich darin einig mit den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft. In der Präambel des Aufrufs heiße es: „Vor Gott sind alle Menschen gleich. Die christliche und die humanistisch‐liberale Gesellschaftslehre betonen daher die Personalität des Menschen. Er darf weder Knetmasse in den Händen kollektivistischer Gesellschaftsplaner noch ausbeutbares Subjekt ökonomischer Partikularinteressen und von Politikern sein, die Umverteilung schon für eine tragfähige Sozialpolitik halten. Der Mensch muß frei sein, damit er Verantwortung vor Gott und für sich selbst übernehmen kann.“
„Ein Unternehmer, der sozial fühlt, weil er freiheitlich denkt“
Die Laudatio auf beide Preisträger hielt die Leiterin des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Berlin), Karen Horn, in ihrer Eigenschaft als Ökonomin und Publizistin. Sie nannte Dirk Martin einen „wahren Pionierunternehmer“. Seine Firma PMCS bietet Computer-Dienstleistungen an, mit denen seine Kunden Informationstechnik-Kosten sparen, und zwar mit einer neuartigen Kombination von drei Dienstleistungen zusammen. Als „ordnungspolitisch ungeheuer wertvoll“ wertet die Laudatorin auch Martins Verantwortungsbewusstsein und Engagement für das Gemeinwohl. Bei der Konrad‐Adenauer‐Stiftung ist Schatzmeister gewesen, im Bundesverband „Die Jungen Unternehmer“ (BJU) Bundesvorsitzender. „Martin ist ein Unternehmer, der sozial fühlt, weil er freiheitlich denkt,“ sagte Frau Horn. „Er setzt sich öffentlich in Wort und Schrift für Verantwortung und Freiheit ein, durchaus streitlustig, und kämpft gegen verfehlte und überflüssige Staatseingriffe. Er kommt damit in vorbildlicher Form dem nach, was der Münchner Wirtschaftsethiker Karl Homann als die ordnungsethische Verantwortung der Unternehmer bezeichnet hat.“
„Ein akademischer Pionierunternehmer“
Der Wissenschaftler Michael Wohlgemuth dagegen ist für Frau Horn „ein akademischer Pionierunternehmer“, der permanent zwischen alten und neuen Theoriemöglichkeiten zu wählen habe und schon seit vielen Jahren unter Risiko in eine höchst befriedigende Wissenschaftsproduktion investiere – „und uns so, neben wichtigen dogmengeschichtlichen Aufarbeitungen, Innovationen auf dem Gebiet der Ordnungstheorie beschert“. Er warte immer wieder mit neuen wissenschaftlichen Kombinationen auf. Deren Kern bestehe darin, die evolutorische, die „österreichische“ Marktprozesstheorie auf politische Wettbewerbsprozesse anzuwenden und die traditionelle Ordnungsökonomik Freiburger Prägung um die hayekianische Idee der Wissensteilung und der spontanen Ordnung zu erweitern. Dies habe er auf dem Feld der Institutionenökonomik, der ökonomischen Theorie der Politik und der Verfassungsökonomik getan.
Im Unterschied zum Mainstream der Ökonomen
Frau Horn sieht darin „hochspannende moderne Fortentwicklungen der klassischen Ordnungstheorie“. In seiner Arbeit stelle Wohlgemuth die einzig wirklich große Frage, nämlich jene nach den Bedingungen gesellschaftlicher Ordnung. Im Unterschied zu der mathematisierten, formalisierten und technokratisierten Ökonomik, wie sie vom Mainstream der Ökonomen betrieben werde, begreife er sein Fach dabei als wahrhafte Geisteswissenschaft – und zwar als eine tiefgründige, kreative Sozialwissenschaft, die notwendig verzahnt ist mit Nachbardisziplinen der Ökonomie wie der Philosophie, der politischen Soziologie, der Psychologie und dem Recht.
Ein ökonomischer Methodenstreit
Achim Wambach hatte als Prodekan der WiSo- Fakultät und Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik anfangs in seiner Begrüßung an den „Neuen Methodenstreit“ in der Volkswirtschaftslehre erinnert. Er meinte damit die „Kontraposition“ zwischen stark mathematisierter Volkswirtschaftslehre und der nationalökonomischen Ordnungstheorie und –politik. Der Streit sei zwar stark überzeichnet worden, aber das Fach Volkswirtschaftslehre sei als Economics eine internationale Disziplin. Er kennzeichnete sie kurz so:
Ordo-liberal darf kein nur deutsches Phänomen bleiben
„Wissenschaftler wechseln zwischen Lehrstühlen in den verschiedenen Ländern in Europa und den USA, und auch unsere Studenten tun dies. Dies wird gefördert dadurch, dass den Studenten in allen Ländern die gleichen Methodenkenntnisse vermittelt werden.“ Diese internationale Positionierung der Volkswirtschaftslehre finde sich auch in den Bewertungskriterien wieder, die beim Evaluieren der großen Forschungsinstitute angewendet oder beim Bewilligen von Forschungsprojekten, Forschergruppen und Sonderforschungsbereichen anlegt würden. „Wir in Köln haben und werden uns weiterhin diesen Kriterien und dem internationalen Wettbewerb stellen,“ sagte Wambach. „Ich denke, es gilt auch für die Ordnungspolitik, dass sie die internationale Positionierung braucht und kein deutsches Phänomen bleiben darf, wenn sie im Wissenschaftsbetrieb verankert sein will.“
Die Gefahr für die Nationalökonomen
Kritisch verwies Wambach auf die methodische Spezialisierung der Volkswirtschaftslehre und auf die Ausfächerung ihrer Inhalte. Er sieht darin zu Recht „die Gefahr, dass Erkenntnisgewinne nur in immer engeren Fachkreisen wahrgenommen werden (können) und der Bezug zu wirtschaftspolitischen Themen, zu den klassischen ökonomischen Fragestellungen, verloren geht“. Damit eben das nicht geschieht, bedarf es (auch) dessen, was die ordo-liberale Schule der Nationalökonomie lehrt und mit „akademischen Pionierunternehmern“ wie Michael Wohlgemut weiterentwickeln und in die politische Öffentlichkeit tragen muß.
Die Ordo-Prinzipien geben Orientierung
Für Wambach „ist klar, dass es in der ökonomischen Forschung Wellen und Bewegungen gibt, die vermutlich wieder zu den klassischen Fragen zurückführen werden“. Schon jetzt fragten viele Studenten und Promovenden die klassischen makroökonomischen Themen nach. Dieses Interesse werde um so stärker werden, je länger die Wirtschaftskrise andauere. Den Studenten seien in der Lehre nicht nur reine Methodenkenntnisse beizubringen, sondern auch die Verknüpfung der akademischen Erkenntnisse mit praktischen wirtschaftspolitischen Fragestellungen aufzuzeigen. Dafür seien die Prinzipien und Heuristiken der Ordnungspolitik von großem Wert. „Sie geben Orientierung und helfen, die relevanten Fragen zu stellen.“
Der Ordo-Preis als Brücke
Wambach wünscht sich, daß die Institution des Ordo-Preises dazu beiträgt, an der Brücke zwischen akademischer Forschung und Politikberatung durch das Denken in Ordnungen zusammen mit den modernen Konzepte der Wirtschaftswissenschaften gemeinsam zu bauen.
*) Mitglieder der „Jenaer Allianz“ sind die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, der Bund Katholischer Unternehmer, die Familienunternehmer (ASU), das Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Leipziger Wirtschaftspolitische Gesellschaft, die Ludwig-Erhard-Stiftung, das Walter-Eucken-Institut und das Wilhelm-Röpke-Institut.