Der Versuchung erlegen

Wer Hehlergut kauft wird selbst zum Hehler

Gewiß, Steuerhinterziehung gilt nicht als Kavaliersdelikt, der Staat muß sie also ahnden. Aber darf er gestohlene Daten kaufen, die vermuteterweise Aufschluss darüber geben, welche Bürger möglicherweise Steuern hinterzogen haben … und dürfen diese Daten dann als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren gegen diese Verdächtigten verwendet werden?

Der gestohlene Datensatz mit Schweizer Konten

Hundert Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Jedenfalls für unsereinen. Aber für den Staat, der uns alljährlich Hunderte von Milliarden abnimmt und 1,742 Billionen ausgewiesene Schulden hat (in Wirklichkeit aber viel mehr), sind hundert Millionen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem kann er sie brauchen und will sie haben. Er verspricht sich dieses Geld von einem Datensatz. Dieser gibt Aufschluss über 1500 deutsche Bürger mit Konten in der Schweiz. Damit gelten diese Bürger als mutmaßliche Steuerhinterzieher. Jene rund hundert Millionen Euro sind der von der deutschen Finanzverwaltung geschätzte Betrag, den der Fiskus einzunehmen hofft, wenn das Geld auf diesen Schweizer Konten wirklich der deutschen Steuerpflicht entzogen worden ist. Dumm nur, daß es sich sehr wahrscheinlich um gestohlene Daten handelt.

Darf der Staat das Diebesgut kaufen und verwerten?

Wer stiehlt, handelt bekanntlich gesetzeswidrig, ist ein Krimineller und gehört bestraft. Ein solcher Krimineller bietet jetzt dem deutschen Staat das Diebesgut in Form einer CD an und verlangt dafür 2,5 Millionen Euro. 2,5 für erwartete 100 Millionen ist ein lukratives Geschäft. Aber Diebesgut, das zum Verkauf angeboten wird, ist Hehlergut, der Dieb zugleich ein Hehler. Nimmt der Staat das hehlerische Angebot wahr, macht er sich der illegalen Hehlerei mitschuldig. Darf er das und darf er das illegal erworbene Material gegen die mutmaßlichen Steuerhinterzieher verwenden? Oder unterliegt so ein Fall dem Beweisverwetungsverbot?

Damals Steinbrück, heute Schäuble

Das ist umstritten. Es war es auch, als dem Staat vor zwei Jahren so ein Datensatz aus Liechtenstein während der Großen Koalition angeboten wurde und von ihm gekauft worden ist. Als Käufer hatte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) geschickterweise den Bundesnachrichtendienst bestimmt. Ihm glaubte man wohl am ehesten einen solchen zumindest anrüchigen Handel zumuten zu können, zumal er Daten unter bestimmten Umständen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben darf. Im Ergebnis wurde der Fall des dabei ebenfalls ertappten Post-Vorstandsvorsitzenden Zumwinkel als spektakuläres Medienereignis inszeniert – dem Volk zur moralischen Befriedigung und Schaulust (wie einst die öffentlichen Hinrichtungen unter dem Fallbeil), den Steuerhinterziehern zur Warnung und Abschreckung. Heute ist Wolfgang Schäuble Finanzminister (CDU).

Noch keine rechtsfeste gerichtliche Entscheidung

Zumindest in den Vereinigten Staaten dürfen rechtswidrig gewonnene Beweise grundsätzlich nicht verwertet werden. In Deutschland ist das so eindeutig bisher nicht. Gerichtlich ist ein solcher Fall noch nicht wirklich entschieden. Denn auch vor Gericht verständigen sich der Fiskus als Kläger und der Steuersünder als Angeklagter gerne auf einen Kompromiß – wie auch im Fall Zumwinkel. Solange das so bleibt und Rechtsfolgen nicht zu befürchten sind, wird der Staat der Versuchung erliegen und das Hehlergut erwerben.

Über die rechtlichen Bedenken hinweggesetzt

So ist es auch jetzt. Trotz der rechtlichen Bedenken haben sich Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble über die rechtlichen Bedenken hinweggesetzt. Schäuble beruhigt sich mit dem Hinweis, die Regierung setze mit dem Kauf der CD auch die Linie seines Amtsvorgängers Steinbrück und der vorherigen Bundesregierung fort, der er selbst als Innenminister ebenfalls angehört habe. „Wir können jetzt nicht das Gegenteil machen von dem, was wir vor zwei Jahren gemacht haben.“ Aber wenn eine Handlung rechtswidrig ist, ist es doch nicht erlaubt, sie zu wiederholen, nur weil man sie schon einmal begangen hat. Auch hat Schäuble noch eine weitere Beruhigungspille parat: Das Vorgehen beim Kauf der gestohlenen Daten im damaligen Liechtenstein-Fall sei bisher noch von keinem Gericht in Zweifel gezogen worden. Das stimmt, aber darüber hat auch noch kein Gericht wirklich entscheiden müssen, schon gar nicht ein oberstes.

Eine komplizierte Abwägung

Eine Argumentation zugunsten des Kaufs lautet, Deutschland sichere damit die Wirksamkeit seiner Steuergesetze. Überspitzt könne man sagen, dass die Steuerbehörden in Notwehr handelten. Oder man stößt auf die Überlegung, ob es der gute Zweck, Steuersünder zur Strecke zu bringen, den Behörden nicht ausnahmsweise erlauben sollte, auch strafbare Mittel einzusetzen. Zu Recht spricht Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring von einer komplizierten Abwägung, aber das Interesse der Bürger sei höher zu bewerten als der Schutz der Daten. Doch übergeht er dabei, dass ein Interesse von Bürgern zurückzustehen hat, wenn dieses mit der Rechtsstaatlichkeit kollidiert, der Rechtsstaat also vor einem solchen Interesse zu verteidigen ist.

Der Vorschlag für eine mühsamere Lösung des Konflikts

Thorsten Jungholt schrieb am 31. Januar in Welt Online: „Die Lösung lautet nicht, sich mit Kriminellen einzulassen. Sie lautet auch nicht, das Treiben der Steuerhinterzieher hinzunehmen. Die Lösung ist, wie so oft in der Politik, mühsamer und lässt wenig öffentlichen Beifall erwarten. Deutschland und andere um Millionenbeträge geprellte Staaten müssen Steuerburgen wie die Schweiz drängen, endlich mit ausländischen Behörden zu kooperieren. Niemand verlangt von den Eidgenossen, ihr Bankgeheimnis aufzugeben. Verlangt wird nur, dass sie es nicht auf die Bürger anderer Länder ausdehnen und in deren Rechtssystem eingreifen.“ Aber ist nicht eben dieses Verlangen auch ein Eingreifen in das Schweizer Rechtssystem, wenn es diesen anderen Bürgern Rechtsschutz gewährt, den sie in der Schweiz doch gerade suchen? Die einen suchen im Ausland Schutz vor politischer Verfolgung, die anderen vor fiskalischer.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Von der FDP-Haushaltsexpertin Claudia Winterstein vernahm man: „Sollte ein rechtlich einwandfreier Erwerb nicht möglich sein, muss der Staat darauf verzichten. In einem Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel, sonst öffnet man Erpressern und Hehlern Tür und Tor.“ Peter Schaar, Deutschlands oberster Datenschützer, warnte: „Es kann nicht Datenschutz nach Kassenlage betrieben werden.“ Auch fragte er, was wohl wäre, wenn China gestohlene Daten von in Deutschland lebenden chinesischen Regime-Gegnern kaufen würde.

Gerichtlich klären, ob der Staat darf, was er sich herausnimmt

Der Staatsrechtler Rupert Scholz warnte ebenfalls: „Es gilt der Grundsatz: Niemand darf in Deutschland aufgrund von Beweisen angeklagt werden, die durch kriminelle Handlungen zustande kamen. Bei Ex-Postchef Zumwinkel lag der Fall anders, weil der zu Beginn der Ermittlungen ein Geständnis abgelegt hatte.“ Zwar hätten Steuerhinterzieher kein Recht auf Datenschutz, aber das Recht auf ein rechtsstaatlich sauberes Verfahren.“ In solchem Verfahren, so ist hinzuzufügen, müsste dann eben auch richterlich und notfalls bis zur letzten Instanz geklärt werden, ob der Staat darf, was er sich herausnimmt, und unter welchen Umständen er es darf. Das ist bisher noch nicht geschehen.

„Deutschland soll den Daten-Dieb verhaften“

Der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat Schäuble wissen lassen, die Schweiz werde keine Amtshilfe auf Basis von gestohlenen Kundendaten leisten. Die Regierung will das sogar, wie ein Ministeriumssprecher sagte, in einem Gesetz festschreiben, denn ein solcher Datenkauf verstoße gegen Treu und Glauben sowie Recht und Ordnung. Was Deutschland da mache, sei in der Schweiz strafbar. Noch heftiger Thomas Sutter von der schweizerischen Bankiervereinigung: „Wir erwarten, dass Deutschland diese Daten nicht kauft, sondern dass sie den Kriminellen, der in der Schweiz eine Straftat begangen hat, verhaften und dass sie die Daten zurück an die Schweiz geben.“ Nicht anders der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats Kurt Lauk: „Der Staat ist gehalten, alle rechtsstaatlichen Mittel anzuwenden, den Mann in Haft zu nehmen.“

Ist Kaufverzicht Beihilfe zur Steuerhinterziehung?

Merkel, Schäuble und die anderen Kaufbefürworter mögen sich zusätzlich mit dem Argument exkulpieren, auf den eigentlich rechtswidrigen Ankauf zu verzichten, sei Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Aber der Unionsfraktionsvorsitzende und Jurist Volker Kauder hat das Unrechtsbewusstsein bei einem solchen „Deal“ klar formuliert: „Diebstahl bleibt Diebstahl. Mit Dieben sollte sich der Staat nicht gemein machen.“ (FAZ vom 2. Februar 2010)

Der Kauf zielt vor allem auf die NRW-Landtagswahl

Doch geht es Merkel und Schäuble weniger um die hundert Millionen Mehreinnahmen, sondern zu allererst darum, wie das in Nordrhein-Westfalen auf die Wähler in der bevorstehenden Landtagswahl ankommt. Ginge sie für die CDU-FDP-Koalition verloren, verlöre die Koalition von Union und FDP im Bund die Mehrheit im Bundesrat. Wie groß diese Gefahr ist, hat die Bild-Zeitung mit ihrer Seite-Eins-Schlagzeile am 1. Februar sinnfällig gemacht: „Kauft euch die reichen Steuerbetrüger“. Für „Bild“ also sind die 1500 Inhaber Schweizer Konten bereits Steuerbetrüger und dann auch noch reiche. Aber wenn die Zahlen (100 Millionen Euro und 1500 Kontobesitzer) stimmen, kommen im Durchschnitt auf jeden der 1500 Kontoinhaber nur rund 67 000 Euro. Unter „reich“ stellt man sich eigentlich doch etwas mehr vor.

„Bild“ hat gesprochen, die Politiker folgen

Aber für Politiker ist mit so einer Schlagzeile klar, was Bild und Volkes Seele wollen. Bild Online fragte, ob die Regierung die CD kaufen solle. 60 Prozent der Leser waren dafür, rund 30 Prozent hatten Skrupel, weil die Rechtslage wackelig sei. Welcher Politiker mag sich einer solcher Meinung, wahrscheinlich die Meinung einer Mehrheit im Land, entgegenstellen und das Risiko der Wahlniederlage und des politischen Machtverlustes eingehen.

Kontendaten-Klau als „moderne Form des Banküberfalls“

Doch rechtsstaatlich konsequent ist der Ankauf des Diebesgutes nicht. Bedenkenswert ist hierzu eine weitere Äußerung von Volker Kauder: „Wenn der Staat für aus Verbrechen erlangte Daten Geld zahlt, ist das Risiko groß, dass er damit zu weiteren Straftaten ermuntert.“ In der Tat: Um wieviel verführerischer wird die Versuchung für entsprechend anfällige Bankangestellte oder begabte „Hacker“ sein, mit rechtswidrig kopierten heiklen Bankkundendaten den Fiskus zu beliefern, wenn sie sicher sein können, dass dieser dafür mehr als einen ansehnlichen Nebenverdienst springen lässt? Der Datenklau wird zu einer „modernen Form von Banküberfall“ (Pirmin Bischof von den Schweizer Christdemokraten).

„Juristisch ein außerordentlich vermintes Gelände“

Volker Kauders Bruder Siegfried, als Jurist und Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses auch nicht irgendwer, hat vor den Ankauf ebenfalls gewarnt: Diese so erworbenen Daten seien in einem Strafprozeß gegen Steuersünder nicht verwertbar. Steuern dürften nicht beigetrieben werden, indem sich Finanzbehörden einer Hehlerei schuldig machten. Das Risiko, damit vor Gericht auf die Nase zu fallen, hält er für zu groß: „Der Staat würde sich auf juristisch außerordentlich vermintes Gelände begeben. Davon kann ich nur dringend abraten.“ Mit dem Kauf der CD gebe man den Datendieben ein Signal: „Wenn Du klaust, kaufen wir es Dir ab. Das sollte der Staat nicht tun.“

Was in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte

Wohl wahr, Dieben kauft man gestohlenes Gut nicht ab. Das sollte in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein. Deutschland nennt sich einen solchen, also muss seine Regierung danach auch handeln. Sonst würde sie sich wie in diesem Fall nicht nur der Hehlerei schuldig machen, sondern auch der Beihilfe zur strafbaren Verwertung von Geschäftsgeheimnissen

Schäuble ist hehlerei-erfahren seit 1989/90

Schäuble übrigens hat mit Hehlerei Erfahrung. 1989/90 hat er bei der Wiedervereinigung maßgeblich daran mitgewirkt, dass der nunmehr gesamtdeutsche Staat den von den Kommunisten politisch Verfolgten in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone die Rehabilitierung und die Rückgabe der damals geraubten Vermögenswerte bis heute verweigert. Dem kommunistischen entschädigungslosen Vermögensraub in einem Unrechtsstaat folgte der Vermögensraub in dem vorgeblichen Rechtsstaat Bundesrepublik, die dieses Raubgut meistbietend verkauft hat und immer noch verkauft. Nach einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts darf dieser Raub Hehlerei genannt werden. Steuerhinterziehung ist eine Straftat, aber dieser zweite Vermögensraub von 1989/90 ein staatliches Verbrechen.

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3 Kommentare zu „Der Versuchung erlegen“

  1. Die Bundesregierung kauft zum zweiten Mal Hehlerware, um Steuerhinterzieher zu enttarnen.
    BILD findet das seit zwei Tagen gut. Ich finde das schlecht – ja, gefährlich. Der Staat, der den Rechtsrahmen setzt, darf ihn nicht brechen. Auch nicht für ein richtiges Ziel (und das Ziel ist richtig, Steuerbetrug gehört hart bestraft).

    Daten-Diebstahl ist aber auch ein Delikt, das normalerweise empfindlich bestraft wird. Stattdessen gibt es jetzt wieder Millionen zur Belohnung. Da werden viele sagen, bei einer Bank Daten klauen ist lukrativer als bei einer Bank am Schalter arbeiten. Und dass die Absicht der Regierung gut ist, rechtfertigt gar nichts. Gute Absichten gibt es genug. Demnächst Untreue für die Umwelt, Klauen für das Klima? Wo ist die Grenze?

    Der Staat ist zu besonderer Vorbildfunktion und Vorsicht verpflichtet im Umgang mit den eigenen Gesetzen. Was die Regierung derzeit macht, wirkt so, als wenn Eltern ihren Kindern Drogen verbieten und selbst jeden Abend einen Joint rauchen.

    Ein deutsches Gericht hat – im Fall von Metzler – sogar einen Polizeibeamten schuldig gesprochen, der einen Entführer unter Druck setzte, um das Leben eines Kindes zu retten. Heißt das, der Staat darf Recht brechen, um an Steuergeld zu kommen, aber nicht, um Leben zu schützen?“

    Was der Rechtsstaat heute in Deutschland noch wert ist, beschreibt der Vorsitzende Richter des Finanzgerichtes Niedersachsen Schlepp im April 2009 in „Clean State“ so: …“ Die Vorgänge um die Landenteignungen (45-49) sind so beschämend, dass mir die Worte dafür ausgehen … Da kommt eine Bundesregierung, die das Parlament und die Regierung täuscht – um nicht zu sagen belügt – nur um wiedergewählt zu werden. Ein Teil unserer heute geltenden Verfassung beruht auf eben dieser Täuschung und ist erschlichen!“.

    Als 81jähriger bin ich zwar nicht als Steuerhinterzieher, aber umso mehr in der 45/49 Enteigneten Sache betroffen. Nach EAGL will man mir 1,7 % meines Eigentums wiedergeben, das die Bundesrepublik seit der Wende verscherbelt

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