Heimlich enteignete Erben

Brandenburgs Bodenreformland-Skandal

Ins Blickfeld gerät noch einmal Brandenburgs Bodenreformland-Skandal. Rechtswidrig, sittenwidrig, eines Rechtsstaats nicht würdig – so hatte gegen die Landesregierung schon der Bundesgerichtshof im Dezember 2007 geurteilt. Nun musste die Regierung das Verdikt auch eines weiteren Spruchkörpers über sich ergehen lassen. Denn der als Folge dieser Affäre eingesetzte Untersuchungsausschuss des Landtages hat in seinem Abschlussbericht vom 20. März ebenfalls mit deutlicher und umfänglicher Kritik nicht gespart.

Musste sich der BGH mit der Rechtswidrigkeit von Brandenburgs Vorgehen gegen Bodenreformlandbesitzer befassen, hatte der Ausschuss zu untersuchen, wie es zur Rechtswidrigkeit gekommen ist und hat kommen können. Jahrelange Untätigkeit und versäumte politische Entscheidungen sind sein Hauptvorwurf, vor allem gegen das Finanzministerium.

Eine Zwischenbemerkung: Ich weiß, Blog-Beiträge sollen nicht zu lang sein; viele Leser haben zu wenig Zeit oder ermüden leicht. Aber wenn ich es für geboten halte, etwas hinreichend zu erläutern und zu dokumentieren, möge man mir die nun folgende Ausnahme verzeihen.

Der Abschlussbericht ist umfassend, sorgfältig, klar formuliert und für die Landesregierung alles andere als ein Ruhmesblatt. Dabei rollt er auch den Hintergrund des Falles auf. Zu DDR-Zeiten hatten viele DDR-Bürger Land geerbt, das zwischen 1945 bis 1949 früheren Eigentümern entzogen und als kommunistische Bodenreform an Landarbeiter und Vertriebene verteilt worden war. Aber nach der deutschen Einheit von 1990 hat der Fiskus der neuen Bundesländer den meisten von ihnen das Eigentum daran wieder entzogen, indem sich das jeweilige Land als „besserberechtigt“ ausgeben und die Erben als „nicht zuteilungsberechtigt“ darstellen durfte. Den Anstoß dazu gaben bundesgesetzliche Vorschriften. Mit ihnen wurden diese Erben gezwungen, ihren Grund und Boden, also meist den wesentlichen Teil ihres kleinen Vermögens, unentgeltlich an den Staat abzutreten.

Die Idee mit dem „gesetzlichen Vertreter“

Aber den Ländern gelang es nicht immer, die Erben, denen sie die Grundstücke wieder wegnehmen wollten, rechtzeitig ausfindig zu machen. Denn das musste vor dem 2. Oktober 2000 geschehen sein. Die Frist hatte den Sinn, Rechtsfrieden herzustellen. Da die Länder sahen, dass sie es bis dahin nicht schaffen würden, alle Erben zu finden, verfielen sie auf die Idee, sich zum gesetzlichen Vertreter dieser Erben bestellen zu lassen. In dieser Vertretereigenschaft übertrugen sie die Grundstücke kurzerhand an sich selbst und ließen sich im Grundbuch als Eigentümer eintragen. So war auch Brandenburg in dem vom BGH entschiedenen Fall vorgegangen.

Das Unrecht an zwei Brüdern als Präzedenzfall

Zwei Brüder hatten zusammen mit ihrer Mutter von ihrem Vater einstiges Bodenreformland in Straußberg geerbt. Gestorben war der Vater im Oktober 1989, im Grundbuch blieb er eingetragen. Das Land Brandenburg wusste von dem Land, gab aber an, die Erben nicht zu kennen. Um sich auch an diesem Land das Eigentum zu sichern, aber weil ihm wegen der drohenden Verjährungsfrist die Zeit dafür davonlief, ließ es sich vom Landkreis Märkisch-Oderland im Juli 2000 zum gesetzlichen Vertreter des nicht bekannten Eigentümers bestellen und im September 2000 die Grundstücke notariell übertragen. Der Notarin sagte es, der Eigentümer sei unauffindbar. Der Landkreis genehmigte die Eigentumsübertragung. 2002 wurde das Land im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
Als die Erben, die beiden Brüder Horst und Egon Netzel, davon erfuhren, drangen sie darauf, das Grundbuch zu berichtigen und rechtmäßig sie als Eigentümer einzutragen. Sie mussten diesen Anspruch einklagen. Das Landgericht wehrte ihre Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt. Aber Brandenburg legte dagegen Berufung ein, begehrte beim BGH Revision – und fiel dabei gründlich auf die Nase. Die Entscheidung stammt vom 7. Dezember vergangenen Jahres (V ZR 65/07).

Das BGH-Urteil: Brandenburg handelte sittenwidrig und unwürdig

Das oberste Zivilgericht ließ es an Deutlichkeit gegenüber Brandenburg nicht fehlen. Es legte ihm „Mißbrauch der verliehenen Vertretungsmacht“ zur Last. Schon deshalb schulde Brandenburg den Klägern, der beantragten Grundbuchberichtigung zuzustimmen. Die Auflassung der Grundstücke an sich selbst sei nicht wirksam und daher nichtig. Das Gericht bezeichnete die Auflassung, also den Vollzug des Eigentumswechsels im Grundbuch, sogar als sittenwidrig. Dies deswegen, weil Brandenburg einseitig seine eigenen Interessen und Ansprüche durchgesetzt hat.

Die Begründung für die Auflassung an sich selbst „erfolgte ins Blaue hinein und war inhaltlich falsch“, schreibt das Gericht in der Urteilsbegründung. Sie sei allenfalls geeignet gewesen, den Landkreis zu täuschen. Die Begründung für die Auflassung sei mit Brandenburgs Verpflichtungen gegenüber den Brüdern unvereinbar. Brandenburg habe den Interessen der Brüder und ihrer Mutter „grob zuwider“ gehandelt. Auch hält das Gericht dem Land ein „eines Rechtsstaates unwürdiges Verhalten“ vor, „das nachhaltig an die Praxis der Verwalterbestellung der DDR erinnert“. Und Brandenburgs Meinung, die Brüder hätten ihren Anspruch auf die Grundbuchberichtigung deswegen verwirkt, weil sie die Berichtigung über Jahre hin nicht veranlasst hätten, bezeichnet das Gericht schließlich noch als „bemerkenswert abwegig“. Personelle Konsequenzen für die schweren Verfehlungen? Keine.

Ausgehebelter Rechtsfrieden

An sich hätte Brandenburg einen Anspruch auf die Grundstücke dann gehabt, wenn es ihm gelungen wäre, die Erbfolge nach dem Tod des Vaters Netzel und die fehlende „Zuteilungsfähigkeit“ der Kläger und ihrer Mutter rechtzeitig in Erfahrung zu bringen. Denn nach der (rechtlich und moralisch allerdings haarsträubenden) Gesetzeslage galt das Land als „besserberechtigt“ und die Erben als „nicht zuteilungsfähig“. Doch weil ihm das nicht gelang, verfiel es auf den Ausweg, sich zum Vertreter der Eigentümer bestellen zu lassen. Damit aber, so rügt das Gericht, habe Brandenburg „die durch Verjährungsbestimmung beabsichtigte Sicherung des Rechtsfriedens“ aushebeln wollen.

Brandenburg muss also nicht nur fiskalisches Beutegut wieder herausgeben, sondern sieht sich auch öffentlich als Rechtsbrecher gebrandmarkt. Außerdem hat der BGH über einen Präzedenzfall entschieden. In Brandenburg wie auch in den restlichen vier neuen Bundesländern gibt es viele tausend gleicher Fälle. Von 1996 bis 2000 hat das Land, wie sein Finanzministerium auf meine Anfrage im Februar 2008 bekundete, mit „flächendeckender Recherche“ rund 80 000 Eigentümer von Bodenreformland ausfindig gemacht. Gegenüber rund 63 000 davon hatte es keine Handhabe auf eine Herausgabe des Landes. In rund 17 000 Fällen also hat sie einen Anspruch geltend gemacht. Bis zu 10 000 davon waren Ansprüche gegenüber unbekannten Eigentümern

Brandenburg gab sich bußfertig

Das Land gab sich bußfertig und beeilte sich zu handeln. Am 4. Februar 2008 gab es seine Entscheidung und ein „Fünf-Punkte-Paket“ bekannt: 1. Es wird seine noch nicht vollzogenen Anträge auf Grundbucheintragung zurücknehmen. 2. Ist das Land schon eingetragen und tauchen die Eigentümer oder deren Erben noch auf, überträgt es ihnen das Eigentum zurück, und zwar auch dann, wenn sie nicht „besser berechtigt“ sind. 3. Tauchen diese nicht auf, wird das Land die Flächen absondern und sie wie ein Treuhänder zugunsten der unbekannten Eigentümer bewirtschaften. 4. Um bisher übersehene Eigentümer oder deren Erben noch ausfindig zu machen, wird das Land in der Regionalpresse entsprechende Aufrufe veröffentlichen. 5. Zusammen mit dem Justizministerium will es eine „Arbeitshilfe für die Grundbuchämter“ für den Umgang mit den verschiedenen Fallgestaltungen entwickeln.

Wie die Brüder Netzel wurden in Brandenburg auch rund 7400 weitere Erben enteignet, ohne es zu merken. Aber das Interesse von Brandenburgs Fiskus, sie endlich jetzt zu ermitteln und das Land an sie herauszurücken, scheint nicht groß zu sein; erst 170 haben ihr Land zurückbekommen, erst 308 für die Rückübertragung eine verbindliche Zusage erhalten (Angaben der Märkischen Oderzeitung vom 20. März 2009).

Untersuchungsausschuss: Ein folgenschwerer politischer Fehler

Im Ausschussbericht heißt es unter anderem: „Aus heutiger Sicht muss jedoch festgestellt werden, dass ein folgenschwerer politischer Fehler darin lag, sich nicht von Anfang an mit aller notwendigen Konsequenz für eine zügige und zielführende Ermittlung unbekannter Eigentümer eingesetzt zu haben. … Der Hauptfehler, das Zeitversäumnis, zog weitere Fehler nach sich: Die Mängel bei der Recherche und die vom Wunsch nach Verfahrensbeschleunigung und Aufwandsbegrenzung geprägte Vertretungspraxis. Der dadurch entstandene Schaden ist fatal: Nicht ermittelte Eigentümer wurden behandelt, als seien sie nicht ermittelbar. Mit anderen Worten: Wenn ein Eigentümer nicht für 90 DM ermittelt werden konnte, galt er als unauffindbar.“

Und weiter: „Das Ministerium der Finanzen hat zugelassen, dass sich Verwaltungshandeln in hohem Maße verselbstständigte. In den turnusgemäßen Berichten der Landesregierung an den Landtag über den Stand des Sondervermögens wurde die Vertretungspraxis nie erwähnt. Auch in dem Bericht an das Kabinett über die Abwicklung der Bodenreform vom 4. November 2003 heißt es, dass in 15 500 Fällen ein Anspruch des Landes „in der Regel einvernehmlich durchgesetzt“ wurde. Diese Zahl wurde als Beleg dafür genommen, dass „die Betroffenen die Rechtslage überwiegend angenommen“ hätten. Tatsächlich war es falsch, von „einvernehmlichen“ Lösungen zu sprechen, denn die Angaben bezogen sich auch auf 8 900 Fälle von Vertreterbestellungen. Diese Fälle konnten kaum als ‚einvernehmlich’ bezeichnet werden, denn die Betroffenen waren an einem „Einvernehmen“ überhaupt nicht beteiligt.“

Fiskalischer Raubzug offenkundig

Brandenburg hat die Bereicherungsabsicht bestritten. Gleichwohl ist der fiskalische Raubzug offenkundig. Daher muss man Brandenburgs Fiskus wirklich nicht bedauern, dass er diese Grundstücke wieder hergeben muss und dass ihm vorher auch schon andere Bodenreform-Grundstücke durch die Lappen gegangen sind, weil er sie nicht kannte. Der Umgang des seit 1990 gesamtdeutschen Staates mit einstigen DDR-Bürgern und deren geerbten Bodenreformland ist genau so himmelschreiend rechtswidrig wie der Umgang mit den ursprünglichen Eigentümern des Landes.

Das ursächliche Unrecht lebt fort

Eigentlich gehört das Bodenreformland weder den Erben noch dem Fiskus, sondern ihnen. Nach den Prinzipien eines wirklichen Rechtsstaates standen dem Staat alle diese Grundstücke überhaupt nicht zu, sondern jenen Eigentümern, denen sie in der sowjetischen Besatzungszeit (1945 bis 1949) durch politische Verfolgung entschädigungslos und völkerrechtswidrig entzogen worden sind. Mit der deutschen Einheit fielen sie zunächst an den bundesdeutschen Staat, in dem die zusammengebrochene DDR aufgegangen ist. Aber die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl gab sie an die Eigentümerfamilien nicht zurück, um sich fiskalisch daran zu bereichern. Dieses ursächliche Unrecht lebt fort und wird von den Gerichten entgegen gesetzlicher Regelungen noch immer gestützt zu Recht erklärt.

Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses mit 277 Seiten (Drucksache 4/7351) unter:
http://www.landtag.brandenburg.de/media_fast/4908/090320%20Bericht%20Untersuchungsausschuss.pdf

Copyright: Klaus Peter Krause

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