Was man über die Erbschaftssteuer wissen sollte II

Das Problem der Bewertung

Es gibt einige Berufe, die sehr krisenfest sind: Steuerberater, Fachanwälte für Steuerrecht und Steuerrechtswissenschaftler. Das haben sie dem Staat zu verdanken, denn er beglückt sie mit einem chaotischen Steuerrecht, einem Steuer-Labyrinth, und mit ständigen Änderungen desselben. Dafür müssen sie dem Staat unendlich dankbar sein, immerhin darin ist auf den Staat Verlaß. Manches ändert er aber nicht von sich aus, obwohl es änderungsbedürftig ist. Dann hilft ihm die Rechtsprechung auf die Sprünge: der Bundesfinanzhof, das Bundesverfassungsgericht oder gleich beide.

So ist es auch bei der Erbschaftssteuer gelaufen (und damit zugleich für die Schenkungssteuer, die das Pendant zur Erbschaftssteuer ist, damit man sie nicht durch Schenkung unter Lebenden umgehen kann). Stein des Anstoßes war die Bewertung. Denn um den Steuerbetrag – ein Prozentsatz vom vererbten Vermögenswert – zu berechnen, muß man den Vermögenswert kennen. Beim Geldvermögen ist das leicht, es sind die stets bekannten nominalen Verkehrswerte (Nennwerte, Kurswerte) der Bankguthaben und Beteiligungspapiere. Beim Immobilienvermögen dagegen ist es schwer, denn für Häuser, Grundstücke und Betriebe gibt es solche stets aktuellen Verkehrswerte nicht. Den wirklichen Verkehrswert (Substanzwert, auch Gemeiner Wert genannt) eines solchen Vermögens hat man erst dann, wenn es verkauft wurde und der gezahlte Kaufpreis den Wert eindeutig dokumentiert. Vorher ist eine Bewertung immer fiktiv und damit reichlich ungenau, wenn nicht gar willkürlich.

Vermietungs-, Gewerbe-, Betriebs-, Agrar- und Forstimmobilien werden aber im Regelfall genutzt, um mit ihnen Erträge zu erzielen, nicht, um sie zu veräußern. Dem Haus-, Grund- und Betriebsvermögen ist es daher eigen, daß es selten verkauft oder über Generationen hin gar nicht verkauft wird, weil es in der Familie bleibt und nur vererbt wird. Die Zeit des ursprünglichen Erwerbs liegt also in der Regel weit zurück, und damit ist der ursprüngliche Erwerbswert durchweg sehr veraltet. Ob und wie er im Lauf der Zeit gestiegen (oder vielleicht sogar gesunken) ist, läßt sich allenfalls schätzen. Steigen kann er durch erfolgreiche Investitionen und Änderungen der Marktlage. Sinken kann er durch Fehlinvestitionen und ebenfalls durch Änderungen der Marktlage. Folglich behilft sich der Steuerstaat mit Ersatzwerten.

Zu diesem Zweck hat er ein überaus kompliziertes Bewertungsgesetz geschaffen, obwohl es ursprünglich zur Steuervereinfachung eingeführt worden ist. Maßgeblicher Wert als steuerliche Bemessungsgrundlage ist der sogenannte Einheitswert. Er heißt so, weil sein verwaltungsrationeller Zweck ist, für alle Steuern, die an Vermögenswerte anknüpfen, einen einheitlichen Wert festzustellen. Diese Steuern waren oder sind die ehemalige Vermögenssteuer, die ehemalige Gewerbekapitalsteuer, die Grundsteuer sowie die Erbschafts- und Schenkungssteuer. Heute gilt die Einheitsbewertung praktisch nur noch als Randerscheinung. Zwar werden für den Grundbesitz weiterhin Einheitswerte gesondert festgestellt, aber steuerrechtlich sind sie derzeit im wesentlichen nur für die Grundsteuer relevant.

Der Einheitswert sagt allerdings nichts darüber aus, welcher Bewertungsmaßstab anzulegen ist – ob also der Verkehrswert, Ertragswert, Sachwert, Teilwert oder Bilanzwert. Die erste Einheitsbewertung stammt von 1935, liegt also weit zurück. Eine neue Hauptfeststellung fand zum 1. Januar 1964 statt. Auch sie ist lange überholt. Außerdem war sie, wie der hochangesehene Finanzwissenschaftler Klaus Tipke urteilt, ein „Unternehmen Potemkin“. Daher wurden, um wenigstens zu etwas zeitnäheren Werten zu kommen, die damals ermittelten Immobilienwerte durch prozentualen Aufschlag einfach fortgeschrieben, ohne Rücksicht darauf, daß sich die Werte nicht nur in ihrer absoluten Höhe verändert haben, sondern auch in ihren Relationen zueinander. Die Ergebnisse sind folglich in hohem Maße zufallsbedingt.

Weil sich mobiles Vermögen (Geld) zeitnah sehr einfach und schnell bewerten läßt, immobiles (Grundbesitz) aber nicht, sind die Bewertungen von Geldvermögen und von Haus- und Grundvermögen im Lauf der vielen Jahre stark auseinander gedriftet. Die Einheitswerte des Grundvermögens liegen im Regelfall weit unter ihren Verkehrswerten. Die wesentliche Ursache dafür findet sich in der „Erkenntnis, daß die Finanzbehörden mit einer ordnungsgemäßen, zeitnahen Bewertung überfordert sind“ (Tipke). Schon die Hauptfeststellung für 1964 sei mit einem enormen Aufwand verbunden gewesen, nicht nur für die Finanzverwaltung, auch für die Steuerzahler und ihre Berater. Die Fragebogenaktion von 1967/68 habe von ihnen Architekten- und Ingenieurskenntnisse verlangt.

Aber diese so unterschiedliche Bewertung ist Gegenstand von Kritik und Empörung seit Jahrzehnten. Sie reichten von „Das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung werde durch diese Einheitsbewertung in gröbster Weise verletzt“ bis zu „Die Einheitsbewertung des Grundbesitzes sei aus steuerjuristischer Sicht schlichtweg ein Skandal“. Zwar wurden immer wieder eklatante Verstöße gegen das steuerliche Gleichbehandlungsgebot konstatiert, auch die Verfassungswidrigkeit (Verstoß gegen das Gleichheitsgebot von Artikel 3) festgestellt, aber entsprechende Vorlagen wies das Bundesverfassungsgericht lange Zeit stets als unzulässig ab oder räumte dem Gesetzgeber schließlich extrem großzügige Fristen ein, um den beklagten Zustand zu beenden. Daher hat sich der Gesetzgeber lang und länger vor der grundsätzlichen Korrektur herumgedrückt.

Immerhin hatte er sich aber zu einer Neuregelung schon aufraffen müssen, die eine realitätsgerechtere Bewertung für vererbtes Grundvermögen sicherstellen sollte. Er kam damit den Einheitswertbeschlüssen der Verfassungsrichter vom 22. Juni 1995 nach, änderte zum 1. Januar 1996 einschlägige Vorschriften des Bewertungsrechts sowie das Erbschaftssteuergesetz, setzte die Vermögenssteuer vom 1. Januar 1997 an außer Vollzug und hob die Gewerbekapitalsteuer mit Wirkung vom 1. Januar 1998 gänzlich auf.

Aber für den Bundesfinanzhof war mit der Neuregelung die Ungleichheit noch nicht beendet. Er hielt die ungleiche Behandlung der Erben von Bargeld und börsennotierten Wertpapieren gegenüber Erben von Haus- und Grundvermögen, Betriebsvermögen sowie Landwirtschafts- und Forstvermögen für verfassungswidrig. Im Mai 2002 rief er daher das Bundesverfassungsgericht mit einem Vorlagebeschluss abermals an (II R 61/99 und 1 BvL 10/02).

Print

Schreibe einen Kommentar