Die eigentliche Katastrophe Europas

Sie liegt 570 Jahre zurück und fand statt mit der türkischen Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen – damals an einem Pfingstmontag

Von Menno Aden*)

In diesen Tagen begehen die kaum mehr christlichen Staaten des Westens das liebliche Pfingstfest, wie Goethe es nennt. An diesem Pfingstmontag, dem 29. Mai 2023, trifft es sich, dass taggenau vor 570 Jahren, dem Pfingsttag 1453, Konstantinopel von den Türken erobert wurde. Georg Ostrogorsky, der serbische Byzantinist, stellt den Untergang Konstantinopels in seiner Geschichte des byzantinischen Staates (München 1963) wie folgt dar (S. 469 ff):

Das byzantinische Konstantinopel lag mitten im Herzen des osmanischen Gebietes. Diesen Fremdkörper zu beseitigen und dem osmanischen Imperium ein festes Staatszentrum in Konstantinopel zu geben, war das erste Ziel des    jungen Sultans Mehmed II. Der byzantinische Kaiser Konstantin XI. setzte alle seine Hoffnung auf die Hilfe des Abendlandes. …. Die sich widersprechenden Interessen der abendländischen Mächte schlossen eine wirksame  Hilfeleistung für Byzanz von vorneherein aus. Mehmed II hatte gewaltige  Rüstungen vorgenommen und vor allem Mithilfe abendländischer Techniker eine starke Artillerie geschaffen. In einem bis dahin nie gesehenen Umfange wurde von den Türken bei der Bestürmung Konstantinopels die neue Waffe    verwendet. Nach den Worten eines griechischen Zeitgenossen entschieden die Kanonen alles. Am Vorabend, während der Sultan seine Truppen zum Kampf vorbereitete, hielten die  Christen in der Hagia Sophia den letzten christlichen Gottesdienst ab…..  In den ersten Morgenstunden des 29. Mai begann der Sturm. Konstantin XI. kämpfte bis zur letzten Stunde und fand im Gefecht den Tod, den er suchte. Drei Tage und drei Nächte dauerte die Plünderung, die der Sultan seinen Soldaten bewilligt hatte. Güter von unschätzbarem Wert, Kunstdenkmäler und kostbare Handschriften wurden  vernichtet. Feierlich zog Mehmed II. in die Stadt ein. Konstantinopel wurde die Hauptstadt des osmanischen Reiches.  Das byzantinische Kaiserreich bestand nicht mehr.“

Daraus sind für uns heute gültige Einsichten zu ziehen:

  1. Die christlichen Völker haben selber mitgeholfen, dass Konstantinopel den Ungläubigen anheimfiel.
  2. Wir heutigen Europäer wissen nicht mehr, was die Vernichtung von Konstantinopel bedeutet. Wer seine Geschichte aber nicht mehr kennen will, hat sich aufgegeben. Houllebecq hat mit seinem Buch Die Unterwerfung wohl doch irgendwie recht.
  3. Die Vernichtung von Konstantinopel, der Hauptstadt des Christentums, führte zu der für das Abendland erschütternden Einsicht: Gott steht nicht auf der Seite der Christen.
  4. Vernichtung von Konstantinopel war der Schlusspunkt einer sich seit der Schlacht bei Mantzikert (1071) anbahnenden türkischen Expansion mit bis heute folgenden Etappen:

– 1389: Schlacht auf dem Amselfeld. Vernichtung Serbiens

– 1529: Türken das erste Mal vor Wien

– 1683: Türken ein zweites Mal vor Wien. Dieses Mal auf Veranlassung und im Bündnis mit Frankreich, das sich im Westen Straßburg aneignen konnte, weil die deutschen Kräfte im Osten vor Wien gebunden waren. Gegen alle Wahrscheinlichkeit konnten die zahlenmäßig weit überlegenen Türken in der Schlacht auf dem Kahlenberg zurückgewiesen werden.

– 1923: Vertreibung der Griechen aus Ionien (berüchtigt ist das Gemetzel von Smyrna, das seitdem Izmir heißt). 3000 Jahre lang hatten Griechen hier gelebt. Hier waren von Thales von Milet und den großen ionischen Philosophen die Grundlagen des Abendlandes gelegt worden.

– 1960: Der Beginn der seither stetig wachsenden türkischen Einwanderung nach Mitteleuropa auf Veranlassung der USA, die damit das Nato-Mitglied im Südosten gegen Sowjetunion stabilisieren wollte.

  1. Der russische Staatspräsident Putin sagt: Der Zerfall der UdSSR 1990 war die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Vielleicht greift er damit zu kurz. Am 29. Mai 1453 begann der Prozess, den Putin wahrscheinlich wirklich im Auge hat.

Als die türkisch-sprachigen Staaten des „islamischen Hängebauchs“ 1990 von der Sowjetunion frei wurden und die heute wahrnehmbare Auswirkung

Fast ein Drittel des Gebietes der UdSSR bestand bis 1990 aus dem „islamischen Hängebauch“ wie er in Russland spöttisch genannt wurde. Das waren die türkischsprachigen Gebiete, die heute die Staaten Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Aserbaidschan ausmachen. Der Zerfall des russischen Imperiums hat diese befreit. Das hat zu einer im Westen noch kaum wahrgenommenen Stärkung des Selbstbewusstseins der türkisch-sprachigen Bevölkerung zwischen Jakuten im fernen Nordosten Russlands über Konstantinopel/Istanbul geführt und ist bemerkbar auch in den türkischen Sprachgebieten Deutschlands. Der westlichste Ausläufer des noch minderheitlichen türkischen Sprachgebiets dürfte sich heute in Duisburg im Ruhrgebiet befinden. Die politische Bedeutung dieser neuen Haltung zeigt sich im Großen im Kampf um Berg-Karabach im Kaukasus, wo die türkischsprachigen Aserbaidschaner die nach dem Abzug der Russen schutzlos gewordenen Armenier drangsaliert. Im Kleinen zeigt sie sich z. B. wenn (Mai 2023) eine türkischstämmige Dozentin einer Polizeiakademie in NRW ihren Arbeitgeber verhöhnt und beleidigt.

Folge: Die eigentliche Katastrophe Europas liegt 570 Jahre zurück in der Eroberung Konstantinopels, deren Folgen wir anscheinend erst heute sehen – aber nicht sehen wollen.  Nicht Finis Germania (vgl. R. P. Seiferle), sondern Finis Europa? 

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*) Dieser Beitrag ist zuerst auf der Web-Seite des Autors (hier) erschienen. Menno Aden versieht ihn mit dem Vermerk „Hierzu ergeben sich einige  für uns recht unerfreuliche Gedanken, die ich wie immer zur Kritik stelle.“

Prof. Dr. Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), wurde 1972 in Bonn promoviert, war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika, war beruflich tätig in der Energie- und Kreditwirtschaft und von 1994 bis 1996  Präsident des evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes in Schwerin, dann bis 2007 Professor an der FH für Ökonomie und Management in Essen. Verheiratet, fünf Kinder. Er hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen. Weiteres über Aden siehe hier.

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