Wozu engagieren wir uns in der Ukraine?

Wissen, was in der Ukraine werden soll, falls sie mit ihren westlichen Helfern obsiegt – Ohne so ein festes Ziel wird alles Murks, wird alles verspielt werden – Daher ist die Friedensordnung schon während des Krieges zu entwerfen – Wie soll das Verhältnis zu Russland werden? Was ist das deutsche Interesse? – Zu befürchten ist völlige Planlosigkeit – Wie verhindern, dass sich in der Ukraine Murks wiederholt? Was kann Deutschland dazu beitragen? Sind deutsche nationale Interessen für die deutsche Regierung nicht so wichtig?

Von Dr. iur. Menno Aden*)

In diesen Tagen nimmt der Ukraine-Krieg mit offenbar zunehmender Schärfe seinen Fortgang. Niemand weiß, wie es weitergehen soll, die Hauptverantwortlichen in Moskau und Washington offenbar auch nicht.  Je härter der Krieg, desto mehr rückt die entscheidende Frage in den Hintergrund: Worum geht es eigentlich?  Was wollen wir erreichen?

Cicero sagte: Inter arma silent leges – In der Hitze des Kampfes schweigt das Recht – und man darf ergänzen, auch der Verstand. Kriege begleiten den Weg der Menschheit seit jeher. Die Tragik des 20. Jahrhunderts besteht daher wohl eigentlich nicht einmal in der Tatsache der beiden Weltkriege, sondern in dem Unvermögen oder Unwillen der Sieger, über ihren Hass und den Zeitpunkt hinaus zu denken, in welchem der Feind, also Deutschland,  am Boden liegen werde. Aber was sollte dann folgen? Man wusste es nicht – 1918 so wenig wie 1945, und jeder der vielen Sieger grabschte sich seinen Vorteil. Damit waren die Früchte des Sieges, kaum dass er errungen war, verspielt.

Die Friedensordnung ist schon während des Krieges zu entwerfen

Schiller lässt Octavio in Die Piccolomini sagen: Im Kriege selber ist das Letzte nicht der Krieg. Im Kriege selber, also schon während der Kämpfe, sind nicht Sieg und Niederlage das Wichtigste, sondern die Friedensordnung danach. Das ist dasselbe, was Carl von Clausewitz in seinem weltberühmten Buch Vom Kriege fordert.  Der Ruf Die Waffen nieder (Bertha von Suttner, 1889) wird, so berechtigt er ist, wohl weiterhin  ungehört bleiben. Wenn also Kriege vorerst noch Fortsetzung und Teil der Politik sind, wie Clausewitz sagt, dann sollte unsere sich so aufgeklärt dünkenden Zeit doch jedenfalls das eine leisten: Wenn wir uns an einem Krieg politisch so beteiligen, wie wir Deutschen es derzeit beim Ukrainekrieg tun, sollten wir wenigstens wissen: Wozu?  Die entscheidende Frage ist also nicht, ob und wer wie viele Kampfmittel in die Arena des Ukraine-Krieges schüttet und wer am Ende Sieger sein wird, sondern:  Wozu?

Angenommen, die Ukraine und ihre westlichen Helfer obsiegen …

Angenommen alles läuft 100-prozentig nach Wunsch des Westens. Die russischen Truppen ziehen sich besiegt aus der Ukraine zurück:  Was dann?  Wie soll dann das Verhältnis zu diesem Staat, der nach verbreitetem Urteil als völlig korrupt gilt, gestaltet werden?

  • Wie soll der Rechtsstaat dort institutionalisiert werden?
  • Wie kann vermieden werden, dass die wenig entwickelte ukrainische Wirtschaft in die Hände von Spekulanten und M & A–Fuzzis (Übernahmehändlern) oder sonst in falsche Hände gerät.
  • Welche Maßnahmen müssen  j e t z t (!!) vorbereitet werden, um dann in der Ukraine eine Zivilgesellschaft aufzubauen, die so einigermaßen mit europäischem Standard kompatibel ist?
  • Im totalzerstörten Deutschland entstand nach 1949 eine der denkbar intelligentesten Mittel des Wiederaufbaus  aus  eigener (!!) Kraft –  Soziale Marktwirtschaft nebst Lastenausgleichgesetz.**) Ein solches System für die Ukraine jetzt (!!!)  konzeptionell vorzubereiten und es nach Ende der Kämpfe  einführen zu können  –  d a s  wäre ein schöner deutscher Betrag zum Frieden.
  • Ein Marshall- Plan für die Ukraine, wie vom Bundeskanzler gefordert,  wäre – bei allem Respekt – völlig verfehlt. Der wichtigste Grund ist: Der Marshallplan hatte nur in Deutschland, nicht in den anderen europäischen Ländern, die aber mit sehr viel größeren Beträge bedacht wurden, Erfolg, und zwar aus typisch deutschen Gründen: Bei uns gab es auch nach dem Totalverlust 1945 eine funktionierende Infrastruktur mit Mittelstand und technisch orientierte industrielle Basis. Die Berliner Straßenbahnen fuhren z.T.  bereits wieder am 9. Mai 1945 durch die völlig zerstörte Stadt.  Hier war der Marshall-Plan so etwas wie das Streichholz am Gasherd.  In der Ukraine ist das anderes. Schon jetzt lässt sich sagen, dass die massiven Finanzspritzen die auch der deutsche Steuerzahler aufbringt, zum guten Teil in den Taschen in der Ukraine wirtschaftenden Oligarchen landen werden.
  • Die von verantwortlichen Politikern erhobene Forderung, die Ukraine schleunigst in die EU aufzunehmen, ist verantwortungslos. Das würde erst Deutschland als Hauptzahlmeister der EU, dann diese selbst zerstören

Wie soll das Verhältnis zu Russland werden? Was ist das deutsche Interesse?

Vor allem stehen wir vor der Frage, wie das Verhältnis zu Russland entwickelt werden soll. Es geht doch nun wahrhaftig nicht nur um Erdgas. Die massiven Übergriffe der USA in die deutsche Souveränität, an die politisch einsichtige Deutsche ohnehin nie recht geglaubt haben, hat uns erneut gezeigt, wer in der deutschen Außenpolitik die Hosen anhat. Wir leider nicht! Die von den USA angeordnete Kappung von Geschäfts- und Gesprächsfäden ist jedenfalls nicht im deutschen Interesse und kann keine Lösung sein.

Zu befürchten ist völlige Planlosigkeit

Zu diesen Fragen scheint es bei uns überhaupt keine Überlegungen und Pläne zu geben. Wie vor der Wiedervereinigung! Ich hatte 1989 ein Gespräch mit einem höheren Beamten des damaligen Gesamtdeutschen Ministeriums und stellte die Frage: Welche Pläne, etwa für Verkehrsverbindungen und Wirtschaftsbeziehungen hat die Bundesregierung für den Fall der Wiedervereinigung?  Die schlichte Antwort war: Keine. Wer also weiß, mit welcher Planlosigkeit wir auf die Wiedervereinigung zugingen, dürfte berechtigt sein, auch jetzt angesichts der Ukraine-Krise völlige Planlosigkeit des Westens zu befürchten.

Was wollen wir eigentlich erreichen?

Ich halte mich auch aus einem zweiten Grund dazu für berechtigt. 1996/97 konnte ich im OHR***) in Sarajevo Weltpolitik auf höchstem Niveau miterleben, zum Teil sogar mitgestalten. Das hört sich hochgreifend an. Aber wir Mitarbeiter im OHR hatten fast täglich mit Staatsoberhäuptern, Ministern, Repräsentanten weltweit tätiger Organisationen usw. zu tun. Unser  damaliger Chef Carl Bildt, zuvor Außenminister Schwedens, hatte eine  Leidenschaft für Gespräche auf höchsten Niveau,  am besten in New York im Sicherheitsrat der UNO. Diese Leidenschaft ist heute bei vielen in Ukraine-Dingen tätigen Politikern auch festzustellen. Von den gepflogenen Gesprächen wurde uns von Carl Bildt in der Morgenrunde dann das Nötige mitgeteilt. Und dann fühlt man sich auch etwas wichtig. Aber meine Frage, die ich in dem Gremium unklugerweise mehrfach deutlich stellte wurde damit nicht beantwortet:  Was wollen wir hier eigentlich erreichen?  Wenn alles perfekt läuft – so meine Frage –  was soll in diesem besten Fall aus Bosnien werden?

Ohne die richtigen Fragen zu stellen, wird alles Murks

Entsprechend der Quick-Fix-Theorie der Amerikaner, welcher auch Bildt anhing, wurden allerlei Gesetze erlassen.  Viele davon gingen ins Leere.  Der politische Wille,  Erfolge zu generieren,  hatte die Frage verdrängt: Können diese Gesetze denn auch durchgesetzt werden? Das schien aber auch nicht mehr so wichtig zu sein: Die OHR-Presseabteilung brachte sie als Leistungsnacheis in der Weltpresse.  Die Frage: Wie soll das Ergebnis aussehen? Wurde überhaupt nicht diskutiert. Dann geht es aber wie mit dem Internet. Das kann viele nützliche Antworten geben – aber man muss die richtige Frage stellen!  Wenn man das nicht tut, wird alles Murks. Das wird der Hauptgrund dafür sein, dass auch 25 Jahre nach dem Ende des Bosnischen Krieges der Murks fast derselbe geblieben ist und dass es den OHR  immer noch gibt.

Hohe Politik als das Stochern mit langer Stange im selbst erzeugten Nebel

Hohe Politik ist nicht selten das Stochern mit einer besonders langen Stange im selbst erzeugten Nebel. Nescis, mi fili, quantilla prudentia mundus regatur – Du ahnst nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird.  Soll der Graf Axel Oxenstierna (1583- 1654) seit 1612 schwedischer Reichskanzler unter König Gustav Adolf gesagt haben.

Wie verhindern, dass sich in der Ukraine Murks wiederholt? Was kann Deutschland dazu beitragen?

Auf den jetzigen Ukraine-Krieg zu übertragen: Wie verhindern wir, dass sich dieser Murks wiederholt? Wir Deutschen können die Ukrainekrise nicht allein lösen.  Aber wir könnten uns auf die bereits genannten großen Deutschen Schiller und Clausewitz berufen.  Eine dauerhafte Friedensregelung muss schon während des Krieges entworfen und vorbereitet werden.   Als Deutsche haben wir daher zu fragen

  • Wie soll die Friedenslösung des Ukraine Konflikts aussehen?
  • Wie kann – nachdem darüber Klarheit besteht – diese erreicht werden?
  • Was können wir Deutschen unter Wahrung deutscher Interessen   j e t z t  (!!) dafür tun?
  • Wie gestalten wir unser Verhältnis zu Russland?
  • Wie weit müssen wir amerikanische Übergriffe in unsere hinkende Souveränität dulden?

Deutsche nationale Interessen für die deutsche Regierung nicht so wichtig?

Wir müssen hoffen, dass in den Planungsstäben des Auswärtigen Amtes und des Bundeskanzleramtes diese Fragen bearbeitet werden. Meine oben berichteten Erfahrungen und die Beobachtung der politischen Wirklichkeit in Deutschland lassen  allerdings befürchten, dass auch auf höchster Ebene manchmal  recht „eigenartig“ agiert wird, und dass  deutsche nationale Interessen für die deutsche Regierung  nicht so wichtig sind. Da fragt man besser wohl gleich die Amerikaner, die – wie Nord Stream 2 zeigt – bei uns ohnehin das letzte Wort haben.

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*) Dieser Beitrag ist am 19. Juli zuerst auf der Web-Seite des Autors erschienen (hier). Prof. Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942, Abitur 1962) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), wurde 1972 in Bonn promoviert, war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika, war beruflich tätig in der Energie- und Kreditwirtschaft und von 1994 bis 1996  Präsident des evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes in Schwerin, dann bis 2007 Professor an der FH für Ökonomie und Management in Essen. Verheiratet, fünf Kinder. Er hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen. Aus dem „Klappentext“ seines Buches: „Etliche berufliche Einsätze in aller Welt führten ihn immer wieder zu der Frage, wie es den Vereinigen Staaten von Amerika gelingen konnte, über viele Kriege hinweg zur imperialen Macht aufzusteigen, anderen Nationen – wie zum Beispiel Deutschland –  aber den Ruf eines „Störenfrieds der Weltordnung“ anzuhängen.“  Weiteres über Aden siehe hier.

**)  Soziale Marktwirtschaft – Key to Economic Success or contradictio in adiecto. Business Review  -Research Journal of  The Institute of  Business Administration, Karachi (Pakistan), July/December 2011.

***) Office of the High Representative (Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina)

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2 Kommentare zu „Wozu engagieren wir uns in der Ukraine?“

  1. „Ukraine-Krieg“ ist gelogen! 2014 wurde im Sinne der NATO die legitime Regierung in Kiew weggeputscht und Zivilisten durch Söldner ermordet. Dem schlossen sich schließlich die ukrainischen Soldaten an und ermordeten russisch sprechende Mitbürger. Als „Bürgerkrieg“ versteht man die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Bürgern eines Staates. Die mililtärische Sonderaktion der Russischen Föderation seit dem 24. Februar 2022 beendet diesen NATO-gestützten Bürgerkrieg. Ziel ist der Erhalt der kompletten Ukraine und die Einsetzung eine legitimen Regierung. So war es von Anfang an vorgesehen und so wurde es vom Kreml kommuniziert.

    Man beweise mir etwas anderes oder hülle sich in Schweigen!

  2. Lieber Klaus Peter,
    Leider hat Dr. Aden Recht: Wir sind nicht Herr unseres Landes. In Art. 139 GG steht es überdeutlich: „Die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt“. Wir hätten längst einen Friedensvertrag, wenn es diesen Artikel nicht gäbe. Bei der Wiedervereinigung haben die Amerikaner darauf bestanden, dass er erhalten bleibt, und unsere Regierung hat auf die Streichung verzichtet. Die Folge: immerwährende Stationierung von Ramstein & Co, deren Kosten wir seit dem 2. Weltkrieg „dankbar“ übernehmen dürfen. Im Sommerinterview hat Christian Lindner die deutschen Kosten für den Ukrainekrieg auf 30 Mrd. Euro (bisher) beziffert (wenn ich mich nicht verhört habe). Man hat den Eindruck, hier gibt es einen verdeckten Stellvertreterkrieg,gegen Deutschlands Industrie und Bevölkerung.
    Gruß Wolfgang

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