Der Ukraine-Krieg und eine evangelische Sicht

Eine Stellungnahme zu „Ist der Verteidigungskrieg der Ukrainer ein „gerechter Krieg“? im Magazin der evangelischen Kirche Chrismon

Von Dr. Hermann Hinsch*)

Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung liegt monatlich eine Zeitschrift bei, die wohl niemand kaufen würde: Chrismon. Das evangelische Magazin**). Also gleich ins Altpapier? Ich, immer noch Mitglied der Evangelischen Kirche, schaue doch, ob ich aus der Zeitschrift irgendetwas über den heutigen Zustand der Kirche erfahren kann. Sie befindet sich in Auflösung. Das Personal wendet sich schon anderen Themen zu, vor allem der Energiewende, obwohl die eine große Enttäuschung ist. Wir haben einen viel zu trockenen Sommer, aber all der bisherige gigantische Aufwand zeigt auch nicht den geringsten Einfluss auf das Wetter.

Zum Krieg gehört Kriegspropaganda

Nun mischt sich die Kirche in einen Krieg ein.***) Zum Krieg gehört Kriegspropaganda, und die kann nicht ehrlich sein. Die führenden Leute des Gegners werden als unmenschlich bezeichnet, einfach als schlecht. Die Motive des Gegners seien so unsinnig und unverantwortlich, dass sich jede Diskussion darüber erübrige. Dazu die Gräuelpropaganda: Danach begeht der jeweilige Gegner grässliche Untaten gegenüber der Zivilbevölkerung. Genau gleich ist die Kriegspropaganda der anderen Seite.

Bei einer differenzierten Betrachtung bleiben

Was sollte die Regierung eines Landes tun, das glücklicherweise gar nicht an einem solchen Krieg beteiligt ist? Versuchen, den Schaden gering zu halten, den der Krieg im eigenen Land bewirken könnte, und bei einer differenzierten Betrachtung bleiben, wie die Schweiz und Schweden im 2. Weltkrieg. Was sind das aber für Leute, welche die Kriegspropaganda einer Seite als alleinige Wahrheit offensiv darstellen und die Verbreitung der entgegengesetzten Propaganda mit allen Mitteln unterdrücken, als wären sie selbst im Krieg, wie damals die Nazis: Das Hören von Feindsendern verhindern und alle sonstigen Verbindungen zu der anderen kriegsführenden Partei unterbrechen.

Audiatur et altera pars

Dummheit, Verfolgung unanständiger Interessen? Ein Rüstungsindustrieller wird sich einfach nur freuen, aber warum schließt sich da die Kirche an? Der Verfasser des Artikels, Burkhard Weitz, zitiert den Kirchenvater Augustinus, was der vor 2000 Jahren zum „gerechten Krieg“ geschrieben hat. Alles nicht relevant für den derzeitigen Ukraine-Krieg. Augustinus hätte allen Überlegungen das schon damals alte Prinzip vorangestellt: “Audiatur et altera pars“ (Auch die andere Seite hören). Wenn man nicht, wie unsere Regierung und unsere Kirche, in dumpfe Polemik verfallen will, ist neben der tatsächlichen Situation auch die Vorgeschichte wichtig.

Das passt nun gar nicht auf die Ukraine

Da beginnt der Artikel von Herrn Weitz schon mit einer glatten Lüge: „Die ukrainische Armee hat niemanden angegriffen. Aktuell verteidigt sie die Freiheit der Menschen in der Ukraine.“ Klingt richtig rührend, man denkt an Schiller: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein wie die Väter waren.“  Das passt nun gar nicht auf die Ukraine. Der Schriftsteller Gogol (1809 – 1852), in der Gegend geboren, beschreibt Land und Leute seiner Zeit und davor, nämlich gewöhnliche Bauern, Kosaken, Zigeuner und Juden, absolut kein „einzig Volk“.

Gogol nennt die Gegend nicht „Ukraine“, sondern „Malorossiya, Kleinrußland“

Die Leser fanden seine Darstellung der Verhältnisse zutreffend und seine oft phantastischen Geschichten unterhaltsam, und so hatte Gogol großen Erfolg, natürlich nur, weil er nicht in seiner Muttersprache, sondern russisch schrieb. Aber er streute Zitate im Heimatdialekt (oder Sprache) ein. Die Verhältnisse waren etwa wie in Norddeutschland vor 200 Jahren. Plattdeutsch war hier die Umgangssprache, aber niemand stellte Hochdeutsch als Amtssprache in Frage. Und so war dort Russisch ganz selbstverständlich einzige Amtssprache, schließlich war das Land schon lange Provinz des Zarenreiches und davor auch kaum selbstständig gewesen. Gogol nennt die Gegend nicht „Ukraine“, sondern „Malorossiya, Kleinrußland“.

Der Zerschnitt des Zarenreiches durch die Sowjets in 15 Republiken

Dann kamen die Sowjets und entdeckten den Nationalismus. Jede Gruppe, die sich als Nation bezeichnete, wurde als solche anerkannt. Vorwiegend anhand der Sprachgrenzen teilten sie das Zarenreich in 15 sogenannte Republiken. Teilweise erfolgte die Grenzziehung auch nach anderen Kriterien. Damals nicht so wichtig, denn die Sowjets und niemand sonst konnten ahnen, dass diese „Republiken“ einmal alle souveräne Staaten sein würden.

Dieser vom heutigen Stand oft fehlerhafte Zerschnitt des Zarenreiches hat an mehreren Stellen den erbitterten Widerstand von Teilen der Bevölkerung hervorgerufen. Aber die hiesige Auffassung ist: Was die Sowjetunion entschieden hat, gilt für die Ewigkeit und kann auch nicht durch Volksentscheide ausgehebelt werden. Dass die Krim nun zu Russland gehört, sei eine „völkerrechtswidrige Annexion.“ Die USA sind tief enttäuscht. Sie sahen schon Sewastopol als ihren Marinestützpunkt und sich selbst damit als die Herren des Schwarzen Meeres.

Die ukrainische Armee hat niemanden angegriffen? Doch, sie hat – seit 2014

Ein weiterer Fehler aus heutiger Sicht war die Zuweisung der russischsprachigen Gebiete am Donezk zur Ukraine. Die Leute dort haben sich in den Gebieten Lugansk und Donezk von der Herrschaft Kiews unabhängig machen können, mit Hilfe Russlands. Die ukrainische Armee habe niemanden angegriffen, schreibt Herr Weitz. Ganz im Gegenteil, sie greift dort seit 2014 an. Es gab fast 13.000 Tote. „Freiheit der Menschen in der Ukraine“ sei das Ziel der ukrainischen Armee, schreibt Herr Weitz. Am Donezk ist das Ziel die Unterdrückung. Die Menschen sollen ihre russische Sprache aufgeben, die Sprache Puschkins und Tolstois, gesprochen von Königsberg bis Wladiwostok. Schulen, in denen Russisch Schulsprache ist, darf es nicht mehr geben. Stattdessen wird den Kindern etwas aufgezwungen, was sich im 14. Jahrhundert aus dem Russischen entwickelt hat und Russen nur als Dialekt ansehen können.

Warum unterstützen wir den ukrainischen Nationalismus?

Als Tourist findet man das alles nur komisch. In einer Straßenbahn in Odessa reden alle Leute russisch, die Schaffnerin beantwortet Fragen auf Russisch, aber alle Hinweisschilder und Durchsagen sind in der derzeit offiziellen ukrainischen Sprache. „Wir werden alles zurückgewinnen, was uns gehört“, hat Selensky vor der Wahl versprochen. Nun kämpft er darum, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Mindestens 1 Million Russen sind aus den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk nach Russland geflohen, hoffentlich können sie in absehbarer Zeit zurückkehren. Warum unterstützen wir den ukrainischen Nationalismus? Würden wir uns da heraushalten, gäbe es nicht so viele Tote, und wir hätten genügend Gas.

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Diese Fußnoten sind von mir, Klaus Peter Krause, eingefügt. Die evangelische Kirche schwimmt mit im Mainstream von Politik, Medien, Opportunisten und einseitig informierten Bürgern. Abweichende, selbständige Stimmen wie die aus der katholischen Kirche von Erzbischof Carlo Maria Viganò, dem ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA,  sind aus der evangelischen Kirche nicht wahrnehmbar. Es mag sie geben, doch verschaffen sie sich kein Gehör.

*)  Dr. Hermann Hinsch ist Diplom-Physiker. Er  war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Erforschung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Er ist Autor der Bücher Das Märchen von der Asse, Gorleben und anderen Endlagern: – eine unendliche Geschichte und  Radioaktivität – Aberglaube und Wissenschaft, beide im Kindle-Verlag erschienen. Verfasst hat er diesen Beitrag in Hannover am 7. Juli 2022.

**)   Der Verlag, in dem das Magazin Chrismon erscheint, ist die Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH (GEP) in Frankfurt am Main und das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen für die Evangelische Kirche in Deutschland, für ihre Gliedkirchen, Werke, Einrichtungen und die evangelischen Freikirchen. Weiteres hier.

Herausgeber und Redaktion von chrismon und chrismon.de über sich selbst: „Das evangelische Magazin chrismon versteht sich als publizistische Heimat aller Leser, die sich für christliche Themen und Werte interessieren. Gut recherchiert und packend erzählt chrismon, ob im Printheft oder auf der Website von Menschen, die das Leben in allen seinen Herausforderungen zuversichtlich und verantwortlich meistern. Die sich ihren jeweiligen Lebenssituationen stellen und daran wachsen, die sich in unterschiedlichen Situation mit der tröstenden Kraft von Liebe, Glauben und Kirche auseinandersetzen.

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***)  Ist der Verteidigungskrieg der Ukrainer ein „gerechter Krieg“? Gibt es den „gerechten Krieg“? Von Burkhard Weitz in: Chrismon – Das evangelische Magazin. Juli 2022. Der ganze Beitrag hier.  Burkhard Weitz  (Jahrgang 1965) lebte als Kind vier Jahre lang in der christlich-muslimischen Stadt Bethlehem, Palästina. Nach Abitur und Zivildienst studierte er Theologie in Bielefeld, Hamburg und Amsterdam, außerdem vergleichende Religionswissenschaften in Philadelphia (USA). Während seiner Ausbildung zum Pfarrer unterrichtete er Religion an allgemeinbildenden Schulen. Seit 1999 ist er Journalist, erst beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, dann seit 2000 beim evangelischen Monatsmagazin Chrismon, seit 2006 verantwortlich für die Abonnentenausgabe Chrismon Plus. Nebenbei schreibt er als freier Autor Rezensionen für theologische Fachliteratur, Beiträge für Zeitungen oder Artikel für Sammelbände. Burkhard Weitz lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Frankfurt am Main (Quelle hier).

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