Nach Art und Umfang ein einzigartiges Entschädigungswerk – Eine Beteiligung Nicht-Geschädigter an den Kriegsfolgelasten der Geschädigten – Zahlen musste, wer Immobilien und sonstiges Vermögen besaß und Gewinnler der Währungsreform war – Abzugeben war die Hälfte des Vermögens, gestreckt auf dreißig Jahre – Voller Ersatz nur für den Verlust kleiner Vermögen, wer viel besessen hatte, bekam nur wenig – Entschädigt wurden auch Verluste an Sparguthaben, Beteiligungen und Hausrat – Aber die Vermögensabgaben reichten nicht aus, Zuschüsse von Bund und Ländern wurden notwendig – Gesamtvolumen des Lastenausgleichs seit 1949 rund 75 Milliarden Euro
Es ist abermals von einem Lastenausgleich die Rede (siehe hier). Es wäre der dritte. Der zweite ist zwar zum Jahresbeginn 2021 für die meisten Bürger beendet, läuft in Resten aber noch weiter. Wir kennen ihn unter der Bezeichnung Solidaritätszuschlag. Das klingt freundlicher als Sondersteuer und ist sprachlich nicht so sperrig, in der Umgangssparache daher ohnehin nur kurz „Soli“ genannt. Amtlich ist es eine Ergänzungsabgabe zur Einkommens- und Körperschaftssteuer, 1991 zunächst befristet eingeführt, seit 1995 dann unbefristet erhoben, um die Kosten der deutschen Einheit zu stemmen, die anfangs in ihrer Höhe fehlgeschätzt worden waren. Diese Kosten hatten eine derartige Dimension angenommen, dass die politische Führung zu einer Lastenverteilung auf sehr viele Schultern überging. Aber mit dem ersten Lastenausgleich von 1952 haben der zweite und der dritte so gut wie nichts gemein. Der ist qualitativ von höherem Kaliber. Die junge Generation von heute weiß von ihm nur wenig bis nichts. Worum ging es, was war er?
Eine Beteiligung Nicht-Geschädigter an den Kriegsfolgelasten der Geschädigten
Der Lastenausgleich war eine eindrucksvolle friedliche Umverteilungsaktion, ein Entschädigungswerk im westlichen Teil Deutschlands, das nach Art und Umfang als einzigartig gilt, damals jedenfalls und lange Zeit galt. Sein Ziel: den Menschen, die durch den zweiten Weltkrieg Hab und Gut verloren hatten, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen, ihnen die wirtschaftliche Eingliederung zu erleichtern. Er galt den Heimatvertriebenen, den Geflohenen und den (auch nicht vertriebenen einheimischen) Sachgeschädigten. Er sollte deren Kriegs- und Kriegsfolgelasten auf weitere Schultern verteilen, auf die Schultern derjenigen, die nichts oder nur einen Teil ihres Eigentums verloren hatten und die daher für die Zahlungen an die Geschädigten, für den Lastenausgleich aufkommen mussten.
Erst eine Soforthilfe, dann eine dauerhafte Lösung
Ein erster Anfang war mit dem Soforthilfegesetz von 1949 gemacht worden. Mit ihm wurde nur soziale Hilfe geleistet, kein Ausgleich, keine Entschädigung. Diese brachte dauerhaft dann das Lastenausgleichsgesetz von 1952. In ihm hatte sich eine Lösung durchgesetzt, die einen Mittelweg zwischen sozialer Hilfe und Erstattung von verlorenem Vermögen fand. Am Anfang lag der Schwerpunkt auf rentenähnlichen Leistungen, dazu traten mehrere verschiedene Entschädigungen und erst später eine gestaffelte Hauptentschädigung. Ergänzungen und Erweiterungen des Gesetzes folgten in den folgenden Jahrzehnten.
Zahlen musste, wer Immobilien und sonstiges Vermögen besaß und Gewinnler der Währungsreform war
Zahlungsverpflichtet waren die Eigentümer von Grundstücken, Häusern und sonstigem Vermögen, aber auch Schuldner, denen die Währungsreform von 1948 die Schuldensumme bis auf einen kleinen Teil zusammengestrichen hatte. Ihnen wurde eine Hypotheken- und Kreditgewinnabgabe abverlangt, den Übrigen eine Vermögensabgabe. Alles zusammen ergab die Lastenausgleichsabgabe. Allerdings fiel das Aufkommen aus den Währungsreformgewinnen der Schuldner nicht sonderlich ins Gewicht. Entscheidend waren die Mittel aus der Vermögensabgabe. Gesammelt wurden die Abgaben im Ausgleichsfonds.
Voller Ersatz nur für den Verlust kleiner Vermögen, wer viel besessen hatte, bekam nur wenig
Konzipiert war der Lastenausgleich als Vermögensausgleich zwischen Geschädigten und Nichtgeschädigten. Allerdings erhielten die Geschädigten nur für den Verlust kleiner Vermögen vollen Ersatz, nämlich dann, wenn der nach dem Gesetz berechnete Vermögenswert unter 5 000 Reichsmark oder Ostmark lag. Betrug er 10 000 Mark, gab es nur rund 80 Prozent davon, bei 60 000 Mark nur 33, bei 100 000 Mark nur 25, bei 1 Million Mark nur 8 bis 9 Prozent, darüber nur bis 6,5 Prozent. Insgesamt enthält das Gesetz dreißig solcher „Schadensstufen“. Grundlage der Berechnung war bei Haus-, Betriebs- und Grundvermögen der Einheitswert von 1935. Üppig also ist diese Entschädigung nicht ausgefallen.
Entschädigt wurden auch Verluste an Sparguthaben, Beteiligungen und Hausrat
Entschädigt wurden darüber hinaus, aber ebenfalls begrenzt, die Verluste an Forderungen (Sparguthaben) und Beteiligungen, an Hausrat und an Gegenständen der Berufsausübung. Der Wert des Hausrats wurde geschätzt anhand des früheren Einkommens und Vermögens, der Schaden in drei pauschale Stufen eingruppiert. Ein großer Posten waren vor allem die Kriegsschadenrenten. Sie wurden an Alte und Erwerbsunfähige gezahlt, die keinen Vermögensverlust nachweisen konnten. Diese Renten sind mit der Zeit zum weitaus größten Teil des gesamten Lastenausgleichs geworden. Ebenfalls im Lauf der Zeit hat sich der Personenkreis, der unter das Lastenausgleichsgesetz fiel, noch vergrößert, zum Beispiel von 1965 an durch die Flüchtlinge aus der DDR.
Abzugeben war die Hälfte des Vermögens, aber gestreckt auf dreißig Jahre
Der Stichtag für die Berechnung der Lastenausgleichsabgabe ist der Tag der Währungsreform gewesen (21. Juni 1948). Abzugeben war die Hälfte des zu diesem Tag festgestellten Vermögenswertes. Doch ist diese Vermögensabgabe auf dreißig Jahre (bis 1979) gestreckt worden, zahlbar in jeweils vierteljährlichen Raten. Das hat es in den weitaus meisten Fällen ermöglicht, die Raten aus den Vermögenserträgen zu bestreiten, die Vermögenssubstanz wurde im Regelfall nicht angegriffen, zumal die Abgabe dem mit der Zeit steigenden Vermögenswert nicht angepasst wurde. Fälle wie jener der verwitweten und verarmten Hausbesitzerin in Berlin, die auf ihr Haus einen Hypothekarkredit aufnehmen musste, um die Vermögensabgabe zahlen zu können, die den Kredit dann nicht bedienen konnte, die das Haus daher verkaufen und aus dem Erlös die Abgabe weiterhin zahlen musste, wurden im Bundesausgleichsamt als seltene Einzelfälle bezeichnet.
Aber die Vermögensabgaben reichten nicht aus, Zuschüsse von Bund und Ländern wurden notwendig
Die Abgaben der Nichtgeschädigten und Währungsreformgewinner haben allerdings für die Lastenausgleichszahlungen nicht ausgereicht. Ergänzend gespeist werden mussten sie auch durch steigende Zuschüsse von Bund und Ländern aus Steuermitteln. Insgesamt haben die einst 598 Ausgleichsämter und 11 Landesämter mit ihren einst 25 000 Beschäftigten 8,6 Millionen Anträge auf Schadensfeststellung bearbeitet, 5 Millionen auf Hausratsentschädigung und 2,1 Millionen Anträge sogenannten Kriegssachschäden (überwiegend Bombenschäden). Anträge konnten nur bis zum 31. Dezember 1995 gestellt werden. Bis dahin waren die 598 Ausgleichämter schon auf 103 geschrumpft und die Zahl der mit dem Lastenausgleich Beschäftigten von den rund 25 000 auf 2 300. Denn 1990 war der Lastenausgleich weitgehend abgeschlossen (Quelle: Bundesfinanzministerium hier).
Gesamtvolumen des Lastenausgleichs seit 1949 rund 75 Milliarden Euro – gemessen an heute ein relativ bescheidener Betrag
Vom 1. September 1949 bis zum 31. Dezember 1995 haben die Ämter (einschließlich der anfänglichen Soforthilfe) insgesamt fast 140 Milliarden DM an Lastenausgleich in seinen verschiedenen Formen ausgezahlt. Nach Abschluss der damals noch offenen Fälle gibt das Bundesfinanzministerium das Gesamtvolumen des Lastenausgleichs mit rund 75 Milliarden Euro an (hier). Wenn man bedenkt, was für Milliarden und Abe-Milliarden für die Euro-Rettung, die Klimaschutzpolitik, die Energiewende und die Corona-Politikfolgen geradezu verpulvert werden, sind diese 75 Milliarden ein bescheidener Betrag gewesen. Kernaufgabe der noch bestehenden Ausgleichsämter sind heute die Rückforderungsverfahren, wenn Schadensausgleiche bekannt geworden sind.
Eigentumsrechte durch Empfang von Lastenausgleich nicht beeinträchtigt
Wer Lastenausgleichszahlungen erhalten hat, ist in seinen Eigentumsrechten für entzogene oder enteignete Vermögenswerte nicht beeinträchtigt. Das hat das Lastenausgleichsgesetz (LAG) von 1952 in seiner Präambel festgelegt. Damit hat der Lastenausgleichsempfänger seine Rechte am entschädigten Eigentum nicht verloren, muss aber, wenn er entschädigtes Eigentum zurück erhält wie seit 1990 im einstigen DDR-Gebiet, den betreffenden Teil des Lastenausgleichs zurückzahlen (F.A.Z. vom 4. Januar 1996). Das hat damals zwar viele Empfänger überrascht, ist aber von Anfang an im Gesetz verankert gewesen (Paragrah 342 LAG), wenn auch 1992 für Rückgaben in den neuen Bundesländern verschärft worden (Paragraph 349).
Kein Lastenausgleich 1990 für Bürger der einstigen DDR, aber ein Pauschalentgelt für die einst dort gelandeten Vertriebenen
Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 war abermals die Aufgabe zu lösen, die krassen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen zwei Bevölkerungsgruppen zumindest zu mildern: die zwischen den Menschen in den alten und denen in den neuen Bundesländern, die nach dem Krieg auch noch 45 Jahre lang das Elend des Kommunismus haben durchstehen müssen. Vorschläge, sie ebenfalls noch mit einem Lastenausgleich zu beglücken, haben sich nicht durchgesetzt. Denn 1990 war der Lastenausgleich so gut wie abgeschlossen. Auch gab es für die Vertriebenen und Kriegsgeschädigten in der nun untergegangenen DDR keinen Eingliederungsbedarf, wie er den Nachkriegsverhältnissen in den alten Bundesländern entsprach. Daher entschied sich der Gesetzgeber, das Lastenausgleichsgesetz nicht auf die neuen Bundesländer zu übertragen. Stattdessen sah er vor, an die Vertriebenen, die nach dem Krieg in der SBZ/DDR gelandet waren und nun in den neuen Bundesländern lebten, eine einmalige Zuwendung zu zahlen und deren Schicksal mit pauschal je 4000 DM (rund 2045 Euro) abzugelten.
Zustande gekommen ist dagegen eine Variante, nämlich die Wiedervereinigungssteuer, genannt Solidaritätszuschlag. Man mag ihn als „zweiten Lastenausgleich“ empfinden, aber wie eingangs schon festgestellt: Er ist von deutlich kleinerem Kaliber..
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Ich stütze mich für diese Darstellung auf meinen Beitrag über den Lastenausgleich in der FAZ vom 4. Februar 1996.