Wie man gegen Widerstände eine Wunschsatzung durchbekommt und darüber auch an Zustimmung verliert – Der AfD-Bundesparteitag in Bremen und eine zusätzliche Dokumentation
Gut gelaufen. Kein Chaos auf dem Bundesparteitag der AfD in Bremen. Dabei war es alles andere als abwegig, ebendies zu befürchten. Erfreulich diszipliniert ging es letztlich zu, und so hat der Parteitag eine neue Satzung beschlossen. In vielen Punkten ist sie Bernd Luckes Wunschsatzung. Aber als das Ergebnis verkündet wird, ist in seinem Gesicht als erstes ungläubiges Erstaunen abzulesen: Nur zwölf Stimmen geben den Ausschlag. Nur zwölf Stimmen weniger von 1487, und die für Satzungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit wäre gescheitert. Dabei hatte Lucke wirklich alle Register gezogen, um die von ihm gewollte und von seinen Gefolgsleuten in der Satzungskommission unterstützte Satzung durchzubringen. Festzuhalten, wie dies gelang, gehört ebenfalls zur journalistischen Informations- und Dokumentationspflicht.*) Was hiermit geschieht.
Register 1 – Die Einladung
Der Parteitag in Bremen macht lange vor seinem Beginn Schlagzeilen. Bis zur Frist am 9. Januar haben sich 3150 Mitglieder angemeldet. Etwa doppelt so viele, wie geplant. Das wäre für Bundesparteitage einer politischen Partei ein deutscher Rekord gewesen. Deswegen muss am Ende ein zweiter Saal angemietet werden. Teure Übertragungstechnik soll beide Räume verbinden. Gleichwohl, die Mitglieder sind sauer. Die Räume sind für eine Satzungsdebatte ungeeignet. Kein Platz für Tische, reine Theaterbestuhlung. Eine Zumutung. Nur: Wie konnte man sich so vertun? Das ist einfach erklärt: Bis vier Tage vor Ablauf der Anmeldefrist 9. Januar hatten sich die Anmeldungen ganz im Rahmen der Erwartungen bewegt:1500 Anmeldungen. Da Bernd Lucke aber fürchtete, zu wenig Unterstützung für seine Satzungsänderungen zu erhalten, schickte er am 5. Januar an alle 20 000 Mitglieder eine Mail.
Register 2 – Die Kreisvorsitzenden-Konferenz
Die Botschaft in der Lucke-Mail vom 5. Januar ist geschickt aufgebaut und gut verpackt: Leider seien in letzter Zeit AfD-interne Meinungsverschiedenheiten gezielt der Presse zugespielt worden. Dies schade dem Erscheinungsbild der Partei allgemein. Besonders schädlich sei es für die Hamburger Parteifreunde für die Bürgerschaftswahl in Hamburg am 15. Februar. Er selbst werde auf die persönlichen Angriffe nicht öffentlich reagieren, aber parteiintern wolle er den sachlich teilweise falschen oder verzerrten Darstellungen entgegentreten. Deshalb habe er alle Landes-, Bezirks- und Kreisvorsitzenden zu einer nichtöffentlichen „Kreisvorsitzendenkonferenz“ am 18. Januar nach Frankfurt eingeladen. Er glaube, dass sein Gespräch mit diesen Repräsentanten der Parteibasis wichtig sei: sowohl zum Meinungsaustausch als auch für den Informationsfluss vor einem bedeutenden Parteitag. Mit sämtlichen AfD-Mitgliedern könne er ein solches Gespräch natürlich nicht führen, daher möchten sich die über die Gesprächsinhalte gegebenenfalls bitte bei Ihrem zuständigen Kreisvorstand informieren. Darüber hinaus werde er auf dem Bundesparteitag in Bremen eine persönliche Erklärung zu den öffentlichen Angriffen und zum Streit um die künftige Führungsstruktur abgeben. Und dann die Aufforderung: „Da damit wichtige Entscheidungen für die Zukunft der AfD verbunden sein könnten, nehmen Sie bitte, wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, an diesem Parteitag teil.“ Und dann noch der Hinweis (samt Link): „Falls Sie teilnehmen wollen, müssen Sie sich bis zum 9. Januar angemeldet haben.“ Die Botschaft liest sich wie ein dringender Appell: Kommt alle zum Parteitag. Meldet Euch an. Rettet meine Satzung. So versteht sie auch die Basis. In den nächsten drei Tagen verdoppeln sich die Anmeldezahlen auf jene 3150. Und die Kreisvorsitzenden werden am 18. Januar in Frankfurt darauf eingeschworen, der Satzung und dem Bremer Parteitag zum Erfolg zu verhelfen und ihre Verbandsmitglieder ebenso dazu anzuhalten.
Register 3 – Der Termin
Der Parteitag liegt zwei Wochen vor den Wahlen in Hamburg und darf in dieser heißen Wahlkampfphase natürlich nicht „scheitern“. Und ein Scheitern würde es für Bernd Lucke selbstredend sein, wenn er mit der bisher gültigen Satzung hätte weitermachen müssen. Daran lässt er keinen Zweifel. Implizit droht er sogar mit Rücktritt. Im Bundesvorstand zwar beeindruckt das nicht mehr; schon zu oft habe er das gemacht, hört man von dort. Aber die Mitgliederbasis beeindruckt die Möglichkeit, Herr Lucke könne das Handtuch werfen, durchaus. Das wird sie verhindern wollen; zu wichtig ist er für die Partei.
Register 4 – Die Tagungsverlängerung
Inhaltlich sollte der Parteitag ein Satzungsparteitag sein, sich also allein auf die angestrebte neue Satzung der Partei (und auf Nebenordnungen) konzentrieren. So war es im März 2014 auf dem Bundesparteitag in Erfurt vereinbart worden. Aber am 28. November 2014 erhalten die Parteimitglieder aus der Bundeszentrale in Berlin die Mitteilung, neben dem Parteitag finde auch die erste Bundesfachkonferenz statt – mit dem thematischen Schwerpunkt „Sozialpolitik“. Diese Konferenz beginne am Sonnabend (31. Januar 2015) um 10 Uhr. Die werde voraussichtlich um 13 Uhr unterbrochen, und es folge der Bundesparteitag. Nach dessen Abschluss werde dann der Fachkongress für Steuer- und Sozialpolitik am Sonntag (1. Februar) fortgesetzt. Geplant sei, die Veranstaltung am Sonntag um 16 Uhr zu beenden. Später dann wird die Parteibasis unversehens davon überrascht, dass der Parteitag nicht zwei, sondern drei Tage dauert und schon am Freitag (30. Januar) beginnt. Und in der vom Bundesvorstand vorgeschlagenen Tagesordnung liest sie, dass sie an allen drei Tagen Vorträge hören wird, insgesamt vier. Alle laufen unter der gemeinsamen Überschrift „Alternativen zur Politik der Altparteien“. Es geht um die alternde Republik, eine familienfreundliche Reform der Sozialversicherungen, eine Gesundheitspolitik nach dem Schweizer Modell und um die Reform der Einkommensbesteuerung. Es sind wichtige Themen, zweifelsohne, und die Namen der Vortragenden stehen für Qualität. Beides lässt erwarten, dass sie auf großes Interesse stoßen. Die Absicht dahinter: möglichst viele Mitglieder zusätzlich nach Bremen zu locken. So wird aus dem Satzungsparteitag auch ein Vortragsparteitag, obwohl solche Vorträge zu einem Programmparteitag gehören, der im November ohnehin vorgesehen ist.
Register 5 – Die Tagesordnung
Nach der neuen Tagesordnung dauert der Parteitag nunmehr von Freitag 18 Uhr bis Sonntag 17 Uhr. Man sollte meinen, das sei genug Zeit, die Satzung wirklich einmal ausführlich zu besprechen. Aber nun sind da die vier Vorträge. Drei davon platziert die Tagesordnung auf den Sonnabend und Sonntag. Mit ihnen werden die beiden Tage sogar beginnen, also stets um 9 Uhr. Dann sind die Mitglieder einigermaßen ausgeschlafen und munter. Erst nach den Vorträgen ist die Satzungsdebatte vorgesehen. Dann aber hat die Aufmerksamkeitsfähigkeit der Mitglieder schon etwas gelitten; selbst spannende Vorträge samt anschließender Diskussion pflegen zu ermüden. Und je müder die Versammelten umso eher neigen sie dazu, die Satzung schnell durchzubekommen und die über 180 Änderungs- und Entschließungsanträge samt Sondervoten mit allen ihren Details im Zweifel eher abzulehnen (oder zu verschieben) als sie ausgiebigst zu diskutieren – immerhin 457 Seiten stark ist das Antragsbuch.
Ebendarum leisten viele Mitglieder gegen das Aufblähen der Tagungsordnung durch die Vorträge Widerstand. Sie wollen die Satzung ohne Zeitdruck diskutiert wissen und nur die Satzung (samt den Nebenordnungen). Der Bundesvorstand fühlt sich gedrängt, bei der Basis ein „Meinungsbild“ einzuholen. Er fragt, ob sie begehrten, die Vorträge zu streichen und die Tagesordnung entsprechend zu ändern. Dabei zählt er sechs Gründe auf, warum er das nicht für gut hält. Am 19. Januar teilt die Führungsspitze (Konrad Adam, Bernd Lucke, Frauke Petry) mit, 68 Prozent der Befragungsteilnehmer hätten sich dafür ausgesprochen, die Vorträge beizubehalten. Aber die endgültige Tagesordnung beschließe der Parteitag in Bremen. In der Tat, dieser könnte die Tagesordnung durch einfachen Mehrheitsbeschluss auch noch in letzte Minute ändern. Doch der Bundesvorstand bescheidet die Teilnehmer wie schon zuvor: Das Ändern der Tagesordnung sei unfair. Immerhin seien die Vortragenden nun doch eingeladen und vor Ort. Die Vorträge jetzt noch zu streichen, gehöre sich nicht. Das leuchtet ein, man hat Anstand. Außerdem: Die Referenten sind von großer Klasse und die Vorträge exzellent, keine Frage. Aber dieses Vorgehen wirkt wie eine Erpressung, viele Mitglieder haben den Eindruck, sie würden ausgetrickst, um die Debatte abzukürzen und die Satzung leichter durchzubekommen. Offenkundig rechnet man im Bundesvorstand mit zu viel Widerstand.
Register 6 – Die „persönliche Erklärung“
Die ohnehin knappe Zeit der Mitglieder zur Satzungsdebatte am Sonnabendnachmittag verkürzt Bernd Lucke dann noch um weitere gut 40 Minuten, die er für seine „persönliche Erklärung“ verbraucht. Darin attackiert er seine Vorstandskollegen in einem geradezu unfairen Rundumschlag. Sie hätten „stümperhaft“ gearbeitet, wobei er sich selbst einbezieht. Nicht alle natürlich. Einige hätten ihm schon auch Arbeit abgenommen, still und unauffällig. Aber eben nicht alle. Es ist klar, wen er meint. Und man erkennt, wie er den gesamten Bundesvorstand sieht: wie einst seine Lehrstuhlmitarbeiter an der Universität. Aber natürlich gelingt es ihm am Ende, gekonnt an die Einheit zu appellieren, die Gefahr des Scheiterns des Parteitages an die Wand zu malen und für die Satzung zu werben.
Register 7 – Der Abbruchversuch
Am Sonnabend gegen 18:45 Uhr und damit nach vielleicht netto drei Stunden Debatte und unmittelbar vor der Aussprache zu dem besonders kritischen Punkt des von ihm so sehr gewünschten Generalsekretärs schlägt Lucke vor: Weil es nun doch schon spät geworden sei, sollten alle noch nicht diskutierten und abgestimmten Änderungsanträge zurückgestellt und vielleicht später noch behandelt werden. Aber erst einmal solle der Parteitag jetzt die ganze Satzung bestätigen. Er lässt diesen wirklich schwerwiegenden, geradezu ungeheuerlichen Antrag nicht einmal durch Dritte stellen, sondern stellt ihn selbst. Hunderte Mitglieder müssen sich düpiert fühlen. Die Tatsache, dass das aus vier Juristen bestehende Präsidium Luckes Vorschlag für juristisch nicht haltbar hält, ficht den Ökonomen Lucke nicht an. Er legt nach – bis ihm sogar der getreueste seiner Gefolgsleute das Mikrofon entzieht: Bernd Kölmel als Sitzungsleiter. Aber letztlich tut Kölmel das zu Luckes Schutz, denn der gibt sein autoritäres undemokratisches Gebaren gerade offen zu erkennen und verliert mit jeder Minute am Mikrofon an Zustimmung.
Gewonnen, aber unter Verlust an einstiger Zustimmung
Am Ende hat Bernd Lucke gerade eben noch zwei Drittel der Mitglieder auf seiner Seite. Trotz des Ziehens aller (sieben) Register. Gleichwohl, zwei Drittel sind eine klare Mehrheit. Er hat also gewonnen. Aber so ist das mit Momentaufnahmen. Sie täuschen oft, denn um zu werten, man braucht immer einen passenden Vergleichsmaßstab: Vor einem Jahr hatte Bernd Lucke in der AfD eine Zustimmungsquote von nahe 100 Prozent. Aber seine Haltung zu TTIP und Russland, sein Lavieren in der Frage der Islamisierung, seine über den „Spiegel“ veröffentlichte Haltung zur Türkei und zu anderen Themen haben bewirkt, dass sich Teile der Basis von ihm entfernt haben. Zu erkennen ist das auch, als es späten Sonntagnachmittag darum geht, die Junge Alternative offiziell als AfD-Jugendorganisation anzuerkennen. Dafür vehement in die Bresche wirft sich Alexander Gauland. Er ist Vorstandsmitglied und stellvertretender AfD-Sprecher. Lucke tritt gegen ihn auf und obsiegt auch hier, die Anerkennung wird abermals vertagt. Nötig gewesen wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die kommt nicht zustande, aber bemerkenswert ist das Ergebnis: Rund 60 Prozent stimmen für Gaulands Plädoyer, nur rund 40 für Luckes. An der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit fehlen nur 6 Prozentpunkte. In Bremen hat Bernd Lucke klar zu erkennen gegeben, wie lästig ihm diese Basis ist. Und die hat das bemerkt. Wohl hat er Bremen als Sieger verlassen, aber unter Verlust an einstiger Zustimmung. Und der Graben zwischen den zwei großen Parteiflügeln wurde vertieft, statt ihn wenigstens etwas aufzufüllen.
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*) Wenn ich über die AfD schreibe, müssen Sie als Leser wissen, dass ich ein Mitglied dieser Partei bin, erstmals einer politischen Partei überhaupt, und daher befangen sein kann. Aber ich bin zugleich auch journalistischer Beobachter, der in dieser Rolle sich bemüht zu registrieren, was zu registrieren eine journalistische Aufgabe ist.
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Werter Herr Krause,
das Beste sind dann doch immer die Geschichten hinter der Geschichte. Danke für Ihre sorgfältige Nachbereitung und ausführliche Darstellung der Sache. Das ist gute alte Schule.
Beste Grüße!
Rainer Gebhardt
Sehr geehrter Herr Krause –
durch Ihren aufklärenden Bericht und Ihre Beobachtungen ermöglichen Sie mir einen Blick „auf die andere Seite der Medaille“. Besten Dank dafür!
Beste Grüße
Ursula Ludwig
Hallo Herr Krause.
Ich als politisch interessierter Schweizer verfolge das ganze nun auch sehr aufmerksam, predige ich den Deutschen doch seit mehr als 20 Jahren schon, das es um ihre Demokratie nicht eben gut bestellt ist.
Es war schon lange abzusehen das Lucke eben kein Demokrat ist wie ich mir als Schweizer das wünschen würde, sondern das er System-Mitglied werden will.
Er benutzt die Demokratie zu seinen Gunsten.
Schade das er bloss ein Apparatschik ist und es nicht wagt eine echte alternative Position zu halten.
Die Auftritte Luckes in den diversen Talk-Shows bezeugen da etwas, was mir sofort aufgefallen ist, nämlich das es ihm schon genügt dort anerkannt zu werden und „dabeisein“ ( im System ) zu dürfen.
Ein Debattierer mit Format und Charisma ist Lucke aber bei weitem nicht.
Diese Satzung hat „ihn“ ein grossen Stück weitergebracht, wollen wir hoffen das die AfD die Kraft findet das noch einmal zu korrigieren, das Leute wie Petry und Gauland Standvermögen haben und durchhalten. Das er sie öffentlich derart kritisierte nahm ich ebenfalls sehr negativ zu Kenntnis.
Nicht das es hier in der Schweiz in unseren Parteien viel besser wäre, aber hier haben wir eben noch die Mittel zur Hand um nicht nur die Regierung, sondern auch unsere Parteien in Zugzwang zu bringen, sie zur Arbeit zu zwingen.
Ich meine die Volksinitiative, das Referendum usw. als Teil der direkten Demokratie.
Ich finde den Kommentar nicht journalistisch sondern ausschließlich einseitig. Es schwingt der Duktus mit, dass wir, die Mehrheit der Mitglieder, alle ein bisschen dooof sind und keinen eigen Willen hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist mir aber zu langweilig die einzelen konstruierten Punkte zu widerlegen, außer mal einen als Vorgeschamack: Es ist üblich, dass sich ca. 50% von Veranstaltungsteilnehmern erst auf dem letzten Dücker anmelden. Da sieht man wie hier konstruiert wird.
Was völlig fehlt ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Aktionen der Luckegegner. WARUM dürfen die, was Lucke hier negativ ausgelegt wird?!
Weder angekarte Busse, noch Abspachen, noch Verzögerungstaktiken werden erwähnt. Oder das das Tagungsprsäidium üarteiisch war und den Antrag auf Nichtbefassung mit allen Änderungsanträgen unzulässig sei. 3 h später war der insgesamt ca. 4 mal gestellte Antrag zulässig. Warum hat die JA versucht mit ihrem Antrag die Abstimung zu verzögern? Die JA hat sich das selbst zuzuschreiben. Wir können selber denken!
Ihr solltet Euch wie Demokraten gebärden und die Abstimmung akzeptieren. Schluss mit dem Nachgekarte!