Künftig sollen sie aufgebrochen werden
Bisher dürfen nur französische TGV-Züge von Alstom durch den Ärmel-Kanaltunnel fahren. Doch künftig sollen auch deutsche ICE-Züge von Siemens durch die Röhre geschickt werden. Der französische Staat freilich sperrt sich. Er war schon bisher nicht zimperlich darin, seine nationalen Wirtschaftsinteressen auch gegen die Wettbewerbsregeln durchzusetzen.
Frankreichs Regierung schäumt
Bisher betreibt das Befördern von Fahrgästen durch den Kanaltunnel allein die Firma Eurostar, die zu 55 Prozent der französischen Staatsbahn gehört, der Rest ist (mit 45 und 5 Prozent) in britischer und belgischer Hand. Aber bei der Ausschreibung für zehn neue Tunnel-Züge gab Eurostar nicht der französischen Alstom mit deren TGV-Zügen den Zuschlag, sondern der deutschen Siemens AG mit den ICE-Zügen. Bisher liefert allein Alstom die Züge für die Tunnelfahrt. Frankreichs Regierung schäumt, und Alstom will den Zuschlag gerichtlich für null und nichtig erklären lassen. Denn wenn Eurostar demnächst auch deutsche ICE-Züge durch den Tunnel schickt, dann kann und will das auch die Deutsche Bahn mit ihren eigenen ICE-Zügen direkt selbst tun.
Zwei Monopole geraten ins Wanken
Damit gingen gleich zwei Monopole verloren: ein Strecken- und ein Liefermonopol. Denn erstens ließe nicht mehr nur Eurostar Züge durch den Tunnel fahren, sondern auch die Deutsche Bahn, und zweitens dürften nicht mehr nur französische Alstom-Züge den Tunnel passieren, sondern auch deutsche Siemens-Züge. Frankreich versucht mit Tricks und fadenscheiniger Begründung, beide Monopole zu erhalten, und gibt Sperrfeuer – zum Beispiel: die Siemens-Züge erfüllten für den Tunnel nicht die strengen Sicherheitsvorschriften. Aber das lässt sich beheben. Auch sind diese Normen möglicherweise absichtsvoll auf die Alstom-Züge ausgerichtet, damit diese das Streckenmonopol behalten. Zumindest sind sie veraltet, so dass bisher nur Alstom davon profitiert.
Damit die Tunnelstrecke besser ausgelastet ist
Unterstützung findet die Deutsche Bahn, bei der Gesellschaft Eurotunnel, die den Tunnel betreibt und dort für die Strecke und die Sicherheit zuständig ist. Die nämlich will die Strecke besser auslasten und auch andere Beförderer mit anderen Zügen zugelassen sehen. Die Deutsche Bahn hat eine erste ICE-Testfahrt samt erfolgreicher Notfallübung bereits absolviert. Es ist im EU-Binnenmarkt doch selbstverständlich: So, wie französische Autos auch über deutsche Straßen fahren dürfen und umgekehrt deutsche auf französischen, so muss auch der Deutsche Bahn erlaubt sein, den Kanaltunnel mit Zügen aus deutscher Fertigung zu benutzen. Nur verkehrssicher müssen sie alle sein – die Autos und die Züge.
Mit Industriepolitik sündigt nicht Frankreich allein
Was Frankreichs Regierung zu verhindern sucht, ist die bekannte französische Industriepolitik und staatlicher Protektionismus pur. Mit freier Marktwirtschaft und Wettbewerbsfreiheit haben es französische Regierungen nun einmal nicht so sehr, wenn diese ihre politischen Interessen stören und französische Unternehmen oder Branchen den Kürzeren ziehen. Damit stehen sie keineswegs allein. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die USA auf versteckte Weise Boeing im Flugzeuggeschäft stützen, indem sie Boeings Rüstungslieferungen mit überhöhten Preisen honorieren, oder wenn sie bei Ausschreibungen für Tankflugzeuge gegen das Airbus-Angebot mit Methoden entscheiden, die fragwürdig sind. Auch deutsche Regierende sind ordnungspolitische Sünder, zum Beispiel beim Retten von gescheiterten Banken und Unternehmen, wenn sie nur groß genug sind.
Für wen die reine Lehre gilt und für wen nicht
Mit dem Wettbewerb ist das so eine Sache: Wer gegenüber Konkurrenten mit seinem Angebot Erfolg hat, schätzt ihn und will, dass der Wettbewerb frei bleibt; wer mit seinem Angebot unterliegt und einen Auftrag nicht bekommt, wünscht ihn womöglich zum Teufel. Ist der Unterlegene ein rein privates Unternehmen in einer Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, muss er die Niederlage hinnehmen und versuchen zu verbessern, was er zu bieten hat. So jedenfalls sieht es das ordnungspolitische Konzept für das Wirtschaftsleben in der reinen Lehre vor. Aber für staatlich bedeutsame, beeinflusste oder beherrschte Unternehmen gilt die reine Lehre zu häufig nicht.
Störfaktor Staat
Was das ordnungspolitische Konzept für das Wirtschaftsleben anempfiehlt, wird gerade dann, wenn es auf seine Anwendung besonders ankommt, als überaus lästig gern beiseite geschoben, zumal wenn staatlich beherrschte Unternehmen mit von der Partie sind. Die reine Lehre, so müssen wir uns dann anhören, sei in diesem Fall nicht sonderlich hilfreich. Aber gerade dann wäre sie es ganz besonders. Der gefährlichste Störfaktor für den Wettbewerb ist nach wie vor der Staat.