Doris von Sayn-Wittgenstein ist nach wie vor Mitglied der AfD – Sie hat ihr Berufungsverfahren vor dem Kammergericht in Berlin nun endgültig und umfassend gewonnen – Ihr Parteiausschluss war rechtswidrig und unwirksam – Über fünf Jahre musste sie auf diesen Sieg warten – Der AfD-Bundesvorstand hat ihr die vollen Rechte brieflich bestätigt
Die Nachricht ist mehr oder minder untergegangen. Ein paar dürre Meldungen, kaum wahrgenommen, und das war’s. Sie betreffen die Causa Doris von Sayn-Wittgenstein, die einstige Vorsitzende des AfD-Landesverbandes von Schleswig-Holstein. Dereinst (2017 und einige Folgejahre) ist ihr Fall den Medien längere und viele Berichte wert gewesen. Da war sie Opfer gewesen, Opfer des Bundesvorstandes ihrer eigenen Partei, ihrer eigenen Fraktion im Landtag sowie etlicher innerparteilicher Gegenspieler und damit auch der Medien. So ist das eben: erst Kesseltreiben, Aufregerthema, Parteiausschluss, dann Jahre später nix mehr mit Parteiausschluss, der war rechtswidrig, ist unwirksam, aber das vom Opfer politisch Gewollte, das Angestrebte, der innerparteiliche Werdegang sind zerstört, entweder endgültig oder vorerst für längere Zeit. Nun aber steht, vom Kammergericht Berlin entschieden, endgültig fest: Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein (hier jetzt kurz DSW genannt) ist weiterhin AfD-Mitglied samt allen damit verbundenen Rechten. Sie kann also auch wieder in Parteiämter gewählt werden. Der AfD-Bundesvorstand hat es ihr in einem Schreiben eigens und sofort bestätigt. Juristisch ist es für ihn eine schmachvolle Niederlage, aber sein politisches Ziel hat er erreicht.
Das Kammergericht hier als letzte Berufungsinstanz
Der Beschluss des 5. Senats vom Kammergericht (5 U 56/21) am 13. Februar 2024 ist ein sogenannter Hinweisbeschluss und lautet: „Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin II vom 15. April 2021 – Az. 58 O 150/19 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO … zurückzuweisen.“ Damit legt es dem Berufungsantragsteller nahe, hier also dem AfD-Bundesvorstand, die Berufung zurückzuziehen und es nicht auf eine förmliche Entscheidung ankommen zu lassen. Dem ist der Bundesvorstand auch sofort gefolgt. Das Kammergericht ist in Berlin, was in anderen Bundesländern das Oberlandesgericht ist, und heißt so aus historischen Gründen. Es hat in diesem Fall als letzte Berufungsinstanz entschieden.
Trotz Aussichtslosigkeit in die Berufung gegangen
Schon das Landgericht Berlin, hier als erste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit, hatte den Parteiausschluss von DSW für rechtswidrig und unwirksam erklärt. Dagegen war der AfD-Bundesvorstand, damals mit Jörg Meuthen an der Spitze, in die Berufung gegangen. Die zwar galt unter Juristen als aussichtslos, aber dem Bundesvorstand kam es darauf an, das Verfahren in die Länge zu ziehen, um DSW möglichst lange aus der Partei heraus- und von Parteiämtern fernzuhalten. Damit hatte er Erfolg. Für diesen „Erfolg“ hat er die Blamage des rechtswidrigen Vorgehens und die Kosten des Parteiausschlussverfahrens in Kauf genommen.
Was ordentliche Gerichte in Sachen politischer Parteien nur prüfen müssen und dürfen
Rechtsanwalt Dirk Schmitz*) kommentiert: „Den Fall hätte man leise und ‚mit Größe‘ beerdigen können. Der versuchte Parteiausschluss der ehemaligen Landessprecherin von Schleswig-Holstein ist krachend gescheitert – diesmal als persönliche Niederlage des AfD-Bundesvorstands. Schmitz erläutert, dass Entscheidungen der Schiedsgerichte von politischen Parteien vor den ordentlichen Gerichten nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegen. Landgericht und Kammergericht hätten nur prüfen müssen und dürfen, „ob die durch ein Parteischiedsgericht verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Parteisatzung findet, das satzungs- gemäß vorgeschriebene Verfahren beachtet, sonst kein Gesetzes- oder Satzungsverstoß vorgekommen und die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist sowie ob die der Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen ordnungsgemäß festgestellt worden sind“.
Zahlreiche weitere Verfahrensverstöße und inhaltlich vorsätzliche Fehlfeststellungen der AfD-Richter
Eine „Vollohrfeige“ für den gesamten Bundesvorstand der AfD – nicht nur für das Bundesschiedsgericht der Partei – sei die Schlussfeststellung des Kammergerichts (KG), so Schmitz: „Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 14 Abs. 4 PartG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 SchGO) in dem parteiinternen Rechtsmittelverfahren hat zur Folge, dass das Urteil des Bundesschiedsgerichts unwirksam ist und keine Grundlage für einen Parteiausschluss darstellt. Insoweit brauchte das KG gar nicht mehr über zahlreiche weitere Verfahrensverstöße und inhaltlich vorsätzliche Fehlfeststellungen der AfD-Richter entscheiden.“ Die Aussichtslosigkeit der Berufung des AfD-Bundesvorstandes sei offensichtlich. Die Rechtssache sei sogar so eindeutig, dass es keiner Entscheidung des KG im Urteilswege bedürfe. Es sei noch nicht einmal eine mündliche Verhandlung im Sinne von § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO geboten. (Fundstelle des Anwaltskommentars hier).
Das Mitglied der AfD-Schleswig-Holstein Jan Petersen-Brendel hat den Kommentar des Anwalts am 23. Februar so ergänzt: „Es ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass von den an der damaligen Entscheidung beteiligten Schiedsrichtern niemand mehr im Amt ist. Das Bundesschiedsgericht der AfD hat sich unter seinem neuen Präsidenten**) neu aufgestellt. Der heutige Präsident des Bundesschiedsgerichts hat Frau Sayn-Wittgenstein als damaliger Präsident des Landesschiedsgerichts Schleswig-Holstein in der Partei gehalten. Eine Entscheidung gegen die der Bundesvorstand vergeblich durch drei Instanzen gegangen ist … Die Partei wird für diesen Rachefeldzug Kosten von etwa 40.000,- € zu übernehmen haben.“
AfD-Mitgliedschaft von Sayn-Wittgenstein sofort wieder aktiviert
Der AfD-Bundesvorstand hat die Rücknahme seiner Berufung am 23. Februar beschlossen und dem Kammergericht durch seinen Anwalt am gleichen Tag mitteilen lassen. Die Aussichtslosigkeit der Berufung führt er vor allem auf Verfahrensfehler des AfD-Bundesschiedsgerichts zurück. Ebenfalls am gleichen Tag hat er DWS mitgeteilt, ihre Mitgliedschaft in der Partei sei „unverzüglich wieder aktiviert“ und durch ihren Hauptwohnsitzwechsel dem Landesverband Baden-Württemberg zugeordnet worden. Sie ist dort Mitglied im AfD-Kreisverband Rhein-Neckar.
Ein für den Bundesvorstand schmähliches und teures Ende
DSW selbst kommentiert den Kammergerichtbeschluss in einer Pressemitteilung vom 24.Februar so: „Gut fünf Jahre, nachdem der AfD-Bundesvorstand seine Schmutzkampagne gegen mich eröffnet hat, findet das Verfahren vor dem Kammergericht Berlin nunmehr ein für die AfD schmähliches und vor allem auch teures Ende – das Verfahren soll die Partei bzw. Mitglieder und Steuerzahler ca. EUR 100.000 gekostet haben.“
Rechtsstaatliche Standards vom Bundesschiedsgericht bewusst missachtet
Weiter schreibt DSW in ihrer Mitteilung: „Hatte das Landesschiedsgericht Schleswig-Holstein in meinem Parteiausschlussverfahren sogar inhaltlich gegen den Bundesvorstand entschieden, so verstieg sich das Bundesschiedsgericht inhaltlich zu einer rechtlichen Argumentation, die weder vom allgemeinen Recht, dem Parteiprogramm noch von Parteitagsbeschlüssen gedeckt ist. Letztendlich kommt es hierauf jedoch nicht an, weil das Bundesschiedsgericht rechtsstaatliche Standards bewusst missachtete und das Urteil bereits aufgrund zahlreicher, gravierender Formfehler unwirksam ist.“
Kammergericht: Die Aussichtslosigkeit der Berufung ist offensichtlich
Aus den Gründen des Beschlusses gibt DSW diese Textpassage wieder: „Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 14 Abs. 4 PartG i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 SchGO) in dem parteiinternen Rechtsmittelverfahren hat zur Folge, daß das Urteil des Bundesschiedsgerichts der Beklagten (…) unwirksam ist und daher keine Grundlage für einen Parteiausschluss der Klägerin darstellt. Ob darüber hinaus auch weitere Verfahrensverstöße vorliegen, wovon das Landgericht in seinem Urteil ausgeht, bedarf keiner Entscheidung durch den Senat. Die Aussichtslosigkeit der Berufung ist offensichtlich. (…) – Vorliegend ist bei gründlicher, nicht längere Zeit in Anspruch nehmender sachkundiger Prüfung (…) erkennbar, daß die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können.“
„Ein prosperierender Landesverband wurde bewusst zerstört“
„Der Bundesvorstand“, so DSW, „hat demnach auf rechtswidrige Weise über Jahre meine Mitgliedsrechte bewusst verletzt und mich sogar an der Ausübung meines Amtes als demokratisch von den Mitgliedern gewählte Landesvorsitzende gehindert. Dadurch wurde das basisdemokratische Votum der Mitglieder in Schleswig-Holstein entwertet und die innerparteiliche Demokratie sowie die oft bemühte ‚Rechtsstaatlichkeit‘ mit Füßen getreten. Ein prosperierender Landesverband wurde bewusst zerstört (Mitgliederverlust fast 500) und sogar eine Landtagswahl ging hierdurch im Jahr 2022 mit 4,4 % verloren (Umfragewert 2018: 11 %!). … Deutschland ist in akuter Gefahr, und in einer ‚Alternative für Deutschland‘ gibt es Menschen, die sich ausschließlich damit beschäftigen, Sand ins Getriebe der Partei zu streuen und gegen ehrliche Mitglieder, die doch zahlreich vorhanden sind, mit schändlichen Methoden zu arbeiten. Es wird Zeit, Delegiertenparteitage abzuschaffen, die einigen nur dazu dienen, sich Pfründe zu sichern. Mehr Mut zur Basis und zu einer direkten Demokratie!“
Ein kurzer Rückblick auf Ereignisse der AfD in Schleswig-Holstein seit 2017
2017 ist der AfD Schleswig-Holstein mit 5,9 Prozent zum ersten Mal der Einzug in den Landtag gelungen. Damals war DSW für die AfD in den Landtag und kurz darauf auch zur Landessprecherin gewählt worden. Ende 2018 hat die AfD-Fraktion im Landtag sie aus der AfD-Fraktion ausgeschlossen. Seitdem saß sie im Landtag als fraktionslose Abgeordnete. 2019 folgte der Parteiausschluss, gegen den sie juristisch vorging. Ende Juli 2017 wurde sie bundesweit bekannt, weil sie auf dem Parteitag unerwartet mit einer Stegreif-Bewerbungsrede für den Bundesvorsitz der AfD kandidierte und ihr zum Sieg nur eine Stimme fehlte. 2020 verließ von sich aus ein weiterer Abgeordneter die Landtagsfraktion (Frank Brodehl). Als Begründung gab er einen „völkisch-nationalistischen Grundton“ in der Partei vor. Damit ging der AfD im Landtag der Fraktionsstatus verloren, für den mindestens vier Abgeordnete erforderlich sind. Wie weit Sayn-Wittgensteins Einfluss in der Partei immer noch reichte, zeigte sich im Februar 2022 bei der Aufstellung der Liste für die bevorstehende Landtagswahl. Die damals 65 Jahre alte Politikerin wurde für den zweiten Listenplatz nominiert, trotz ihres ungeklärten Mitgliedsstatus. Laut Urteil des Landgerichts Berlin war Sayn-Wittgensteins Ausschluss aus der AfD zwar unzulässig, aber die Entscheidung über die Berufung stand noch aus. Doch die Satzung des Landesverbandes erlaubt auch Nichtmitgliedern die Kandidatur. Gewählt wurde DSW am Ende allerdings nicht. (Quelle FAZNet vom 4. Mai 2022 hier).
Ausführlich über den Fall AfD gegen DSW informiert habe ich auf dieser Blog-Seite bisher zweimal: im Dezember 2018 (hier) und im Mai 2019 (hier).
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*) Dirk Schmitz M.A., seit 1991 Rechtsanwalt, langjähriger ehrenamtlicher Richter, Kommunikationswissenschafter, engagierter Verteidiger, derzeit im Kryptowährungsprozess „Onecoin” vor dem Landgericht Münster. Schmitz sieht durch den Zeitgeist Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit gerade in Masken- und Impfzeiten in Gefahr. Als „alter Liberaler” ohne FDP-Hintergrund steht er für Bürgerrechte und „die Freiheit des Andersdenkenden”. (Quelle: hier).
Schmitz ist auch Geschäftsführer der Acura-Klinik in Baden-Baden. Er hat Frau von Sayn-Wittgenstein einige Male beraten und vertreten.
**) Gereon Bollmann, zuletzt bis zur Pensionierung am 1. Januar 2020 zwanzig Jahre Richter am Oberlandesgericht in Schleswig. Näheres über ihn hier.