As Time Goes by

Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern will 62 seiner 172 Häuser schließen – Auch Rudolf Karstadts erste Filiale in Lübeck ist mit dem Aus bedroht – An zentraler Stelle in Lübecks Altstadt seit 1906 – „Eine alte Welt geht zugrunde“ – Neue Geschäftskonzepte haben die alten Einkaufsgewohnheiten verändert – Wenn Karstadt als Altstadt-Magnet verschwindet, leiden darunter dort auch die kleinen Geschäfte – Die Mitverantwortung Lübecker Kommunalpolitik – Das Lübecker Karstadt-Gebäude ein architektonischer Lichtblick

Karstadt-Gebäude in Lübeck (Foto: Maxwitat, Lübecker Nachrichten)

As Time Goes By. Während die Zeit vergeht. Sie erinnern sich? Klar: Casablanca, der „Kultfilm“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann aus dem Jahr 1942, ein Klassiker der Kinogeschichte. Und dann dieser Song in Rick’s Café Américain. Wollen Sie den noch einmal hören? Dann hier. Aber er ist für diesen Beitrag nur der Aufhänger für die zeitliche Vergänglichkeit auch der klassischen Warenhäuser, mit der gerade Karstadt (wieder einmal) zu kämpfen hat. Nach so mancher Umwandlung im Lauf der Jahre heißt der Warenhauskonzern heute Galeria Karstadt Kaufhof GmbH. Es ist Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern. Nun droht ihm Insolvenz. Nicht zum ersten Mal. Aber die von 2009 wurde überwunden. Danach sieht es jetzt überhaupt nicht aus. Leider. Die Unternehmensführung zeigt sich daher gezwungen, 62 der insgesamt 172 Warenhäuser zu schließen – für die betroffenen Mitarbeiter und Städte ein Schock. Auch dem Haus in Lübeck droht das Aus.

Auch Rudolf Karstadts erste Filiale in Lübeck ist mit dem Aus bedroht

Bitter ist das für Lübeck und Karstadt auch stadt- und firmenhistorisch. Nach dem ersten Karstadt-Haus in Wismar entstand in Lübeck die erste Filiale. In Wismar hatte Rudolf Karstadt 1881 sein erstes Geschäft gegründet und es Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt genannt. Das zweite eröffnete er 1884 in Lübeck. Dort zu den Kunden der ersten Stunde gehörten Thomas und Heinrich Mann. Schnell kamen damals Filialen in 23 anderen norddeutschen Städten hinzu. Das ist lange her. Jüngst gab die Unternehmensführung ihren Sanierungsplan und das Schließen von fast ein Drittel ihrer Warenhäuser bekannt. Von den vier Standorten in Schleswig-Holstein sollen sogar drei aufgegeben werden. Eins von den dreien ist der in Lübeck.

An zentraler Stelle in Lübecks Altstadt seit 1906

Karstadt Lübeck liegt in der Altstadt an zentraler Stelle an markantem Ort. Und das schon seit 1906. Rathaus, Marienkirche, Buddenbrook-Haus, Café Niederegger und Parkhaus sind nur wenige Schritte entfernt. Das ist für Einkäufe eine beste Lage. Trotzdem erwirtschaftet Karstadt dort nach Angaben der Konzernspitze so wenig Umsatz, dass dieser die Kosten auch nicht annähernd deckt – trotz zunehmender Einwohnerzahl, trotz guter Kaufkraft, trotz der vielen Lübeck-Touristen. Für die örtliche Regionalzeitung Lübecker Nachrichten ist der Fall mit seinen vielen Facetten ein breites, sich hinziehendes Berichtsthema. Einer ihrer Berichte auf Seite 1 beginnt mit den Worten: „Karstadt schließt, die Altstadt leidet, wer hilft Lübeck?“ Die Altstadt ist Lübecks Innenstadt und Herzstück.

„Eine alte Welt geht zugrunde“

Viele Lübecker verstehen die zum 31. Oktober geplante Schließung nicht. Das ist traurig, sagen sie. Karstadt gehört doch zu Lübeck. Hier haben wir immer so gut wie alles bekommen. Wenn ich früher etwas Bestimmtes brauchte, dann wusste ich, hier bekomme ich das auch. Es wäre schade, wenn Karstadt fehlte. Was sollen wir ohne Karstadt in der Innenstadt? Und der Inhaber der uralten Löwen-Apotheke direkt neben dem Karstadt-Gebäude sagt: „Es ist eine Katastrophe. Eine alte Welt geht zugrunde“. Es sind durchweg ältere Lübecker, die so reden, zumal die Altstadtbewohner. Sie schwelgen vor allem in Erinnerungen. Auch ich, der ich Lübecker und Karstadt-Kunde bin, werde diese Einkaufsmöglichkeit sehr vermissen.

Die behördlichen Corona-Einschränkungen haben den Entschluss beschleunigt

Die Beschränkungen wegen des Corona-Virus dürfte die Entscheidung für das Schließen der 62 Karstadt-Kaufhäuser beschleunigt haben; geschäftlich schwierig war die Lage schon vorher. Durch die behördlich angeordnete Schließung während der Corona-Krise habe das Unternehmen 500 Millionen Euro an Umsatz verloren, heißt es.  Wegen der Infektionsgefahr ist die Kundenfrequenz auch nach der Wiedereröffnung niedrig geblieben. Durch die Pandemie und den auch dadurch ausgelösten Konjunkturabschwung rechnet das Unternehmen bis Ende des Jahres 2022 mit Umsatzeinbußen von bis zu 1,4 Milliarden Euro. Schon jetzt liege der Umsatzausfall bei mehr als 1 Milliarde Euro.

Neue Geschäftskonzepte haben die alten Einkaufsgewohnheiten verändert

Aber die Ursachen für die Schließung sind andere. Die alten Einkaufsgewohnheiten sind durch neue Geschäftskonzepte as time went by verändert, treffender wohl: zerstört worden, wenn auch nicht willentlich. Neue Anbieter sind aufgetaucht, haben andere Angebotsformen entwickelt, haben sich durchgesetzt, den Einzelhandel umgekrempelt, die Kunden angezogen und von herkömmlichen Geschäften abgezogen. Darunter vor allem die Kettengeschäfte wie Aldi, Markant, Lidl, Edeka, Penny und wie sie sonst noch heißen sowie die großen Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese“ außerhalb der Stadtzentren, die mit dem Auto bequem zu erreichen sind und große Parkplätze bieten.

Opfer des Wandels sind auch die alteingesessenen Fachgeschäfte in Lübecks Altstadt

So auch in Lübeck. Viele kleine, alteingesessene Fachgeschäfte verschwanden. Zu wenig Kundschaft, zu starke Anziehungskraft der Einkaufszentren am Stadtrand, altgewordene Inhaber ohne Nachfolger, Dahinschwinden der geschäftlichen Vielfalt in der Altstadt, Abwandern der bisherigen Kundschaft, wenn die früheren Käufe dort nicht mehr möglich sind. Dann natürlich die Folgen des Online-Handels mittels Internet, der dem stationären Handel erheblich und immer mehr zusetzt  (Stichwort Amazon). Ein Übriges tut der Hang der beherrschenden „Grünen“ in allen Lübecker Altparteien zur möglichst autofreien Altstadt mit Zugangshindernissen, die das Einkaufen mit dem Auto zum Vollpacken mit dem Eingekauften verleiden sollen. Wird der Parkraum verringert und das Parken teurer, dann stärkt das den Online-Handel zusätzlich. Doch sind autofreie Straßen und das Schlendern auf ihnen natürlich angenehm. Sie sind auch durchaus sinnvoll, wenn es sich dabei um ein maßvolles Konzept handelt.

Wenn Karstadt als Altstadt-Magnet verschwindet, leiden darunter auch die kleinen Geschäfte

Die Händler in der Lübecker Altstadt sehen das Aus für Karstadt als einen Schlag auch gegen sich selbst. Ihre Stimmung ist gedrückt. Obwohl ein Konkurrent, haben sie von der Magnetwirkung des großen Kaufhauses auf die Menschen auch selbst profitiert. Was viele Menschen anzieht und die Altstadt belebt, belebt nebenbei auch das eigene Geschäft. Nun fürchten die Altstadthändler schwindende Attraktivität mit ihren Folgewirkungen. Fehlt der Magnet, zieht er in die Altstadt weniger Menschen an, die auch in kleineren Läden ihr Geld ausgeben. Der Inhaber des letzten Herrenausstattungsgeschäfts in der Altstadt, Hans Frick, sagt: „Wenn Karstadt schließt, geht einer der letzten Wirtschafts-Anziehungspunkte in der Innenstadt verloren.“ Auch sein Resümee lautet: „Es ist eine Katastrophe für Lübeck.“ Aber eine alte Welt geht irgendwann stets zugrunde. Anfangs unmerklich, dann unwiederbringlich. Das zieht sich üblicherweise hin, es sei denn, es geschieht  durch kriegerische Zerstörung. Die liegt hier nicht vor.

Die Mitverantwortung Lübecker Kommunalpolitik

Lübecks Kommunalpolitiker sind nicht unschuldig daran, dass Karstadt und der kleine Innenstadt-Einzelhandel Kundschaft verloren haben. Wohlwissend, dass dies geschehen würde, haben sie zu gern und eifrig das Entstehen der Einkaufszentren am Stadtrand mitveranlasst und gefördert, Grundstücke bereitgestellt und Baugenehmigungen erteilt. Ein Leser schrieb in den Lübecker Nachrichten: „Lübeck hat doch in den letzten Jahrzehnten konsequent die Betriebe im Zentrum … von ihrer Kundschaft abgeschnitten. Ich kann hier nicht die vielen alteingesessenen Betriebe aufzählen, denen man die Existenz vernichtet hat. Von Touristen und anderen Besuchern der Innenstädte kann kein Kaufhaus überleben.“ Wenn Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) zur Schließungsabsicht sagt „Das kann man nicht einfach so hinnehmen. Auch Großkonzerne haben eine Verantwortung“, dann unterschlägt oder übersieht er die kommunalpolitische Mitverantwortung. Was er beklagt, haben die Lübecker Kommunalpolitiker durchaus hingenommen und auch bewusst betrieben. So sieht es auch eine Leserin der gleichen Zeitung: „Die Oberen von Lübeck lassen es seit Jahren zu, dass Billigläden außerhalb der Stadt auf der grünen Wiese entstehen konnten. Dadurch wird Lübeck immer mehr zu einer Geisterstadt. Wo sind sie alle hin: Haerder, Anny Friede, Beuthien und so weiter? Zuletzt bleibt uns nur noch der Internet-Einkauf.“

Was Kunden bei Karstadt störte und unzufrieden machte

Schuldlos ist aber wohl auch die Unternehmensleitung nicht. Darauf weist ebenfalls ein  Lübecker hin: „Es ist kein Wunder, dass Karstadt nicht mehr das ist, was es früher einmal war. Jahrelang konnte man im untersten Geschäft nur Betten und Handtücher kaufen. Wann kauft man schon mal Federbetten? Wenn man heiratet oder nach zig Jahren neue braucht. In die untersten Räumlichkeiten gehören Artikel, die die Kundschaft anziehen: Schreibartikel, Souvenirs, Kinderspielzeug. Touristen kaufen Postkarten oder Tassen mit Lübeck-Motiven, die man bei Karstadt aber nur im obersten Stockwerk fand. Dann kam der Hammer mit dem Schließen der Kassen (zu ergänzen ist: in jedem Stockwerk. Einfügung von mir). Wenn man sich eine Kaffeemaschine kauft, wird man gezwungen, damit ins Erdgeschoss zu fahren, um sie zu bezahlen.“ Dieser Lübecker nennt noch weitere Beispiele, darunter das stark ausgedünnte Verkaufspersonal, nach dem der Kunde lange suchen muss, wenn er beraten werden will. Verständlich zwar, dass so die Kosten gesenkt werden sollten, aber womöglich ist der dadurch ausgelöste Umsatzverlust höher ausgefallen als die Kostensenkung.

Das Lübecker Karstadt-Gebäude ein architektonischer Lichtblick

Wenn Karstadt von November an in Lübeck schließt, wird doch hoffentlich das Karstadt-Gebäude in seiner gegenwärtigen äußeren Gestalt erhalten bleiben. Es ist nach seinen Neu- und Umbauten eines der wenigen aus der späteren Nachkriegszeit, die in Lübeck architektonisch geglückt und vorzeigbar sind – insofern ein seltener Lichtblick und daher besonders schade, wenn es Karstadt darin nicht mehr geben wird. Eine Karstadt-Mitarbeiterin sagt im Interview mit den Lübecker Nachrichten: „Wir haben doch voriges Jahr erst umgebaut. Wir haben eine neue, junge engagierte Geschäftsführerin. So gut stand unser Haus noch nie da. … Meine Eltern gingen immer zu Karstadt zum Einkaufen. Die Weihnachtsgeschenke haben wir hier gekauft. Und meine Konfirmationskleidung.“ Daran hat sich Wesentliches geändert. Heute kaufen die Menschen anders ein und woanders, vor allem die jungen Generationen. So vollzieht sich, was sich immer vollzieht. As time goes by.

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Ein Kommentar zu „As Time Goes by“

  1. Soll ich ihnen was verraten? Wenn diese alten Kästen verschwinden werden die Stadtteile voller. Sie werden auch netter und die neuen Konzepte brauchen auch mehr Personal.

    Hertie ist hier in HH Altona seit Generationen weg und niemand vermisst es. Da steht jetzt das Mercado mit 50 Geschäften und ner öffentlichen Bücherhalle, Arztpraxen und Wohnungen haben Sie auch noch eingebaut. Die Hütte ist voll und ne Garage integriert. Drumherum jede Menge Cafés Restaurants Wochenmarkt kleine Geschäfte etc. pp. Läuft trotz Internet, das hat nur die Technikläden ruiniert und selbst da nicht alle.

    Ganz anders wie z.B Karstadt in Hamburger Osten das so halbtot ist wie die wenige Kundschaft die da rumgeistert. Das hält sich auch nur weil daneben der gleiche Marktplatz wie in Altona und auch über mehrere Etagen existiert. Da verirren sich anscheinend noch ein paar Konsumenten in den Retro-Tempel.

    Wenn die Lübecker Stadtväter mal sehen wollen wie der Hase heute läuft müssen Sie sich nur in den Zug setzen. 60Minuten und sie sind da. Je eher das Ding verschwindet desto besser.

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