Warum Manfred Jaworek jetzt glücklich ist

Nach siebzehn Jahren Ringen um das Recht hat der einstige DDR-Bürger sein geerbtes Bodenreformland zurückbekommen – Nun hoffen auch weitere Opfer des deutschen Fiskus auf die Rückgabe

Kennen Sie Manfred Jaworek? Ich auch nicht. Warum erwähne ich ihn dann? Weil er zu den Erben von sogenanntem Bodenreformland gehört und weil er dieses Erbe vor kurzem endlich zurückbekommen hat – nach siebzehn Jahren langen Ringens um sein Recht. Viele tausend andere Erben in Brandenburg und weiteren neuen Bundesländern ringen noch immer. Manfred Jaworek vom Potsdamer Ortsteil Grube ist der erste, dessen Rückgabebegehren seine Rechtsbeistände erfolgreich zuendegebracht haben. Es dient gleichsam als ein Musterverfahren. Am 14. Oktober wurde die Rückgabe von siebeneinhalb Hektar Agrarland beurkundet. Erst so spät ist mit ihr ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom Dezember 2007 umgesetzt worden. Jetzt ist Jaworek wieder der Eigentümer. Jetzt kann er das Land wieder verpachten wie bis 1997. Oder verkaufen. Jetzt ist er glücklich. Wesentlich geholfen hat ihm die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum e.V. (ARE). Sie will den Erfolg „tatkräftig nutzen“, um auch die vergleichbaren Unrechtsfälle zu bereinigen: „Ähnliche Unrechtsfälle sind auch in den anderen jungen Ländern vorhanden und müssen einer gerechteren Lösung zugeführt werden.“ Mit diesem Musterfall beginne sie, diese Unrechtsfälle „auf der ganzen Linie aufzurollen“. Was ist der Hintergrund? Was hat es mit dem „Bodenreformland“ auf sich?

Wie 1945 bis 1949 alles begann

Begonnen hat es in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1945 bis 1949. Damals waren alle Landwirte mit 100 Hektar und mehr als Opfer des kommunistischen Klassenkampfes schlimmster politischer Verfolgung ausgesetzt. Die hatte auch zur entschädigungslosen Enteignung all ihrer Habe geführt. Das auf diese Weise geraubte Land wurde zu einem Teil für die damalige „demokratische Bodenreform“ verwendet und Landarbeitern („Neusiedlern“) und Kriegsvertriebenen aus dem damals deutschen Osten („Umsiedlern“) zugeteilt, jeweils 7 bis 9 Hektar. Dieses Land aus der Bodenreform hatten sie als Existenzgrundlage zum Eigentum erhalten. In der späteren DDR mussten sie es zwar in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) einbringen (Zwangskollektivierung), waren zwar nicht mehr im Besitz des Landes, aber weiterhin dessen Eigentümer.

Durch das „Modrow-Gesetz“ wurde das Bodenreformland zu Volleigentum

Diese Bodenreformbauern, durchweg inzwischen gestorben, haben das Land noch zu DDR-Zeiten an ihre Nachkommen vererbt. Zwar unterlag das Bodenreformland etlichen Beschränkungen und war daher kein vollwertiges Eigentum, aber es ist immer voll vererblich gewesen, wie sich der Bundesgerichtshof 1998 hat berichtigen müssen. Doch noch in den letzten Monaten ihres Bestehens hatte die DDR-Volkskammer mit Wirkung vom 16. März 1990 sämtliche Beschränkungen aufgehoben und die Eigentümer damit zu vollwertigem Eigentum verholfen („Modrow-Gesetz“ vom 6. März 1990). Dann, sechs Monate später am 3. Oktober, ging die DDR unter und in der Bundesrepublik Deutschland auf.

Aber vielen Erben nahm der Gesetzgeber das Land wieder ab

Knapp zwei Jahre später jedoch mit Wirkung vom 14. Juli 1992 hat der Bundestag gesetzliche Regelungen beschlossen, wonach ein großer Teil der Erben ihr Bodenreformland an den Fiskus des Landes, in dem sich das Agrarland jeweils befand, herausgeben musste – ebenso alle etwaigen Pachteinnahmen oder, wenn die Erben das Land veräußert hatten, den Verkaufserlös. Selbst die Verfahrenskosten verlangte der Fiskus ihnen ab. Diese nachträgliche Gesetzesregelung (Abwicklung der Bodenreform« in der DDR (§§ 11-16 von Art. 233 des Einführungsgesetzes zum BGB), rechtskräftig am 22. Juli) sieht vor, dass ein Erbe sein Land nur dann behalten durfte, wenn er am 15. März 1990 in der Land- oder Forstwirtschaft oder in der Lebensmittelindustrie der DDR tätig gewesen war oder während der zehn Jahre davor dort gearbeitet hatte. War dies nicht der Fall, machte der Fiskus seinen Herausgabe- und Kostenerstattungsanspruch gnadenlos geltend.

Etwa 70 000 Erben wurden Opfer des fiskalischen Beutezugs

Etwa von 1994 an hat der ostdeutsche Fiskus begonnen, die Grundbücher flächendeckend auf Eintragungen von Bodenreformland abzusuchen. Die dafür eingerichteten Behörden drängten die so aufgespürten Eigentümer in bedrohlich formulierten Formbriefen dazu, das Land zugunsten des Fiskus im Grundbuch freiwillig und unentgeltlich aufzulassen. Sollten sie sich weigern, drohten sie ihnen mit teuren Zivilrechtsklagen. Meist hatten sie mit der Drohung Erfolg. In den Weigerungsfällen klagten sie in der Regel ebenfalls mit Erfolg. Das Ausmaß dieses fiskalischen Beutezuges war und ist groß. Die Zahl der solchermaßen enteigneten Bodenreformland-Erben wurde auf bis zu 70 000 geschätzt. Zwischen 1995 und 1998 liefen Beschwerdeverfahren der Opfer. Aber Amts- bzw. Landgerichte haben sie zur »Auflassung« des Bodenreformlandes an den Fiskus verurteilt, obwohl sie als dessen Eigentümer im Grundbuch eingetragen waren. Berufungen dagegen wurden zurückgewiesen, die von einem Opfer eingelegte Revision vom BGH verworfen.

Im Rechtsstreit um die Vererbarkeit unterlag der BGH

Nach der deutschen Wiedervereinigung war es zur herrschenden Rechtsansicht geworden, das Bodenreformland habe auch vor dem Modrow-Gesetz nicht vererbt werden dürfen. Diese Ansicht hat die Rechtswissenschaftlerin Beate Grün von der Universität Erlangen-Nürnberg in ihrer Habilitationsschrift derart überzeugend widerlegt, dass sich der BGH gezwungen sah, seine bisherige Auffassung von der Nicht-Vererbbarkeit für falsch zu erklären und die Vererbbarkeit ausdrücklich zu bestätigen, nachzulesen in seinem Urteil vom 17. Dezember 1998 (V ZR 200/97).

Trotz Niederlage hat der BGH den Erben die Landrückgabe verweigert

Trotzdem war der BGH nicht dazu bereit, als Rechtsfolge daraus den Erben das Eigentum an diesem Land zuzusprechen, sondern beharrte darauf, am Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Danach durfte der ostdeutsche Fiskus den Erben weiterhin das Land entschädigungslos abnehmen und sie, wenn sie sich weigerten, aus dem Grundbuch herausklagen und mit den Kosten des Verfahrens belasten. Hatten sie das Land verpachtet oder verkauft, mussten sie alle bisherigen Pachteinnahmen oder den Verkaufserlös an das betreffende Bundesland abführen.*)

So hatten sich die Opfer aus der DDR den Rechtsstaat nicht vorgestellt

Die meisten der Opfer haben während ihrer DDR-Zeit kein weiteres Vermögen bilden können. Daher war das Land, das ihnen der Fiskus entschädigungslos entzog, nach der Wiedervereinigung ihr einziger nennenswerter Vermögenswert. Etliche sollen durch den Entzug sogar in den finanziellen Ruin getrieben worden sein, weil sie Kaufpreise oder Pachteinnahmen zurückzahlen mussten, die sie anderweitig bereits ausgegeben hatten. Für alle Opfer war der Eigentumsentzug bitter und die Verbitterung darüber groß. So hatten sie sich den Rechtsstaat nicht vorgestellt.

Wem das Bodenreformland rechtsstaatlich wirklich zusteht

Der Umgang des seit 1990 gesamtdeutschen Staates mit einstigen DDR-Bürgern und deren geerbten Bodenreformland ist genau so himmelschreiend rechtswidrig wie der Umgang mit jenen, denen dieses Land 1945 bis 1949 völker- und menschenrechtswidrig weggenommen worden ist, also den „Alteigentümern“. Denn nach wirklich rechtsstaatlichen Maßstäben steht das Bodenreformland weder den Erben noch dem Fiskus zu, sondern den ursprünglichen Eigentümern – die aber meist aus menschlicher Rücksichtnahme auf die einstigen DDR-Bürger zum Verzicht auf die Rückforderung dieses Teils ihres Landes bereit waren. Nur der Staat als Fiskus hatte diese Anstandshemmung und rechtsstaatliche Gesinnung nicht.

Nach der Rückgabe an Jaworek hoffen nun auch die anderen Erben

Soweit zum Hintergrund der Landrückgabe an Manfred Jaworek. Die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) vom 16. Oktober berichtete: „So wie den Jaworeks erging es nach der Wende Tausenden Familien. Ihr Schicksal wollten die meisten nicht einfach so hinnehmen und verstiegen sich in glücklosen Rechtsstreitigkeiten, die über Jahre dauerten und nicht selten den familiären Frieden zerstörten. Für viele ging nicht nur das Land, sondern auch alles Ersparte verloren. Manche trieb der Kampf vor den Gerichten bis in die Insolvenz.“ Die MAZ zitiert den ARE-Vorsitzenden Manfred Graf von Schwerin: „Das Beispiel Jaworek ist exemplarisch für Tausende Fälle, die jetzt wieder hochkommen.“ Nun hofften die anderen Erben darauf, heißt es in der MAZ weiter, dass auch sie ihr Land und die oftmals fünfstelligen Gerichtskosten zurückbekämen.

Aber das Land Brandenburg will den Jaworek-Fall nicht verallgemeinert sehen

Doch verweist die Zeitung auch auf eine Stellungnahme von Brandenburgs zuständigem Finanzministeriums. Dort wolle man von einem Präzedenzfall nicht sprechen. Dessen Sprecherin Ingrid Mattern bekräftige, Einzelfälle ließen sich nicht verallgemeinern. „In wenigen hundert Fällen habe man bei der „rechtswirksamen Eigentumsübertragung auf das Land … fehlerhafte Anspruchsdurchsetzungen nicht ausschließen“ können. Zu ihnen gehöre auch der Fall Jaworek. Details über ihn würden aber nicht preisgegeben. Entscheidend für die Frage, ob ein Fall wieder neu aufgerollt werde, seien neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Erbengemeinschaften.

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*) Die Begründung des Gerichts lautete im Kern: Der mit dem Modrow-Gesetz erreichte Rechtszustand sei „über das Regelungsziel des Gesetzes hinausgegangen“. Es liege ein „gesetzgeberisches Versehen der Volkskammer“ vor. Das Gericht spricht von einer „versteckten Regelungslücke“. 1992 sei sie aber durch Artikel 233 EGBGB geschlossen worden. Dieser Artikel habe das DDR-Recht „nachgezeichnet“. Demgemäß habe der Erbe das Eigentum an seinem geerbten Land dem Fiskus des jeweiligen Bundeslandes aufzulassen. Soweit kein „besserberechtigter“ Miterbe vorhanden ist, gilt der Fiskus als der „Bestberechtigte“. Damit stellte der Bundesgerichtshof die Vererblichkeit jenes Landes, die zu bestätigen er sich letztlich genötigt sah, als eine nur formelle Vererblichkeit hin.

Diese Entscheidung und Begründung attackierte Rechtswissenschaftlerin Grün in einem Beitrag für die Rechtszeitschrift VIZ (Juni-Ausgabe 1999). Für sie ist es „geradezu grotesk“, daß der BGH die Rechtsfolge des Modrow-Gesetzes, nämlich die aufgehobene Rückgabepflicht an den sozialistischen DDR-Bodenfonds, als „sachwidrige Rechtsfolge“ bezeichnet. hat. Die Annahme der Richter, die Volkskammer habe ihr eigenes Gesetz gar nicht richtig gekannt und es mit dieser Rechtsfolge gar nicht gewollt, nannte sie tollkühn. Sarkastisch schrieb sie: „Weil sich der BGH nicht vorstellen kann, daß die damals noch sozialistische – bisher nicht frei gewählte – Volkskammer unter DDR-Ministerpräsident Modrow gar nicht so sozialistisch im Sinne von eigentumsfeindlich war, und weil der BGH die Herstellung von Volleigentum durch die sozialistische DDR als ‚sachwidrig‘ bewertet, gestattet er es heute, das sozialistische ‚Versehen‘ richtigzustellen.“

Damit habe sich der Gerichtshof, so konstatierte Frau Grün, zum Bewahrer des aus heutiger westdeutscher Sicht „richtigen“ Sozialismus´ gemacht und in der heutigen Bundesrepublik den Sozialismus der ehemaligen DDR nachträglich perfektioniert. Der sozialistische Bodenfonds, abgeschafft durch die sozialistische Volkskammer, lebe als Bodenfonds der ostdeutschen Bundesländer wieder auf und werde sogar „rechtsstaatlich“ verbessert. Was noch nicht einmal mehr die sozialistische DDR gewollt und beschlossen habe, nämlich den Erwerbern jenes Bodenreformlandes und ihren Erben das Land als Volleigentum zu sichern, werde nun in der nicht-sozialistischen Bundesrepublik vermeintlich rechtsstaatlich aufgehoben.

Aus der BGH-Begründung ergab sich auch, daß sie in auffälligem Gegensatz zum bisherigen Umgang mit dem DDR-Recht stand. Nach diesem Umgang nämlich soll auch nach 1990 als Recht gelten, was in der DDR ebenfalls als Recht galt. Und wähnt man sich im Einzelfall über dieses Recht im Unklaren oder glaubt, herausgefunden zu haben, es sei im Einzelfall nicht eingehalten oder nicht (mehr) angewendet worden, erlauben sich gesamtdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung, DDR-Recht „nachzuzeichnen“, und zwar selbst dann, wenn es westdeutschem Recht vor 1990 widersprach – so geschehen in besonders schlimmer Weise zum Beispiel 1996/97 durch die „nachträglichen Enteignungen“ von Privateigentum zu „Volkseigentum“. Im Gegensatz zum bisherigen Umgang mit DDR-Recht hat der BGH ausgerechnet ein so eindeutiges DDR-Gesetz wie das Modrow-Gesetz , das jenes Volleigentum beschert, gerade nicht anerkennt; hier, so das Gericht, habe sich die DDR-Volkskammer „versehen“. Eine derart gegensätzliche Verfahrensweise verstanden die Opfer als rein ergebnisorientiert, weil Fiskalinteressen dienend, und damit als willkürlich. Dass es kein Versehen war, hat auch Hans Watzek bestätigt, der 1990 Landwirtschaftsminister in der Modrow-Regierung war.

Nach Ansicht von Frau Grün hat der BGH mit diesem Urteil die seit der Wiedervereinigung in Gesetzgebung und Rechtsprechung spürbare Tendenz fortgesetzt, den Schutz privater Eigentumspositionen in einer Weise zurückzudrängen, „die an den Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung rüttelt“. Der schleichende Wertewandel zu Lasten dieses Eigentumsgrundrechts seit der Einheit bringe die Freiheit insgesamt in Gefahr.. „Die Rechtsprechung verfehlt ihre Aufgabe als unabhängige dritte Gewalt, wenn sie von sich aus – gleichsam vorauseilend – Fiskalinteressen unterstützt und die Rechte des Bürgers aus dem Blick nimmt.“ Zum gleichen Ergebnis wie Frau Grün kam Joachim Göhring, einer der bekanntesten Zivilrechtswissenschaftler in der früheren DDR und danach Rechtsanwalt in Berlin, in der Zeitschrift „Neue Justiz“ (4/1999, Seite 173 bis 176). Der Gesetzgeber bleibe aufgefordert, die nach 1990 unrichtige Regelung und die dazugehörige Rechtsprechung, die von der Rechtsstaatlichkeit abweiche, zu korrigieren.

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Ein Kommentar zu „Warum Manfred Jaworek jetzt glücklich ist“

  1. Lieber Dr. Krause, mit großem Interesse, weil auch betroffen, werde ich verfolgen, was aus meinen enteigneten 49 ha bei Halle/Saale sich doch noch entwickelt. Das B.Verf.G. hat mir zwar 2011 betätigt, dass die mir keine Hilfe geben können, obgleich nach diesem richterlichen Beschluss:“Die Ausweisung der Familie des Herrn Werner Klügel aus Kleinpörthen Kreis Zeitz ist mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar. Sie hat aus Gründen der politischen Verfolgung zu einer schweren Herabwürdigung der Betroffenen geführt.
    Sie ist rechtsstaatswidrig“.
    Also: Meine Familie wurde auch offiziell Rechtswidrig enteignet und vertrieben aus Mitteldeutschland. Aber außer 2% nach ALG verschließt dieser Rechtsstaat seine Schatulle und kassiert die übrigen 98% in eigene Tasche.
    Als >Studenten haben wir gesungen: “
    Vivat et respublica
    Et qui illam regit, 😐
    PROTEQuae nos hic protegit! :|PROTEGIT ? Pereant?
    Ihr CDK

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