Abgucken ist Wettbewerb, Herr Mundt

Auch die jüngste Benzinpreis-Aufregungsrunde wird ausgehen wie das Hornberger Schießen

Was ist denn nun mit den Benzinpreisen? Nix is. Wohl hat sich Rainer Brüderle, als er noch Bundeswirtschaftsminister war, erzürnt aufgeplustert und vom Bundeskartellamt Aufklärung über die (zu) hohen Preise verlangt. Wohl hat das Amt wieder einmal brav und bieder seine „Sektoruntersuchung Kraftstoffe“ vorgelegt. Wohl hat der neue Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, wenn auch vage, eine Prüfung angekündigt. Wohl sind „die Medien“ verbal über die fünf großen Mineralölkonzerne hergefallen mit Schlagzeilen wie Sprit-Abzocke, Preiserhöhungen mit System und Uhr oder Das Kartell ohne Worte. Wohl hörte man von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, die Benzinpreise gesetzlich regeln zu wollen, und zwar nach dem „australischen Modell“, während man einen Tag später aus Australien vernahm, dieses Modell existiere nicht, es sei gescheitert (FAZ vom 31. Mai). Aber (zu) hoch sind die Benzinpreise immer noch.

Eine staatliche Steilvorlage für zusätzlichen Preisschub

Das werden sie auch bleiben, solange der Erdölpreis nicht wieder zurückgeht, der Staat seine Benzinsteuern nicht senkt und die ökoseligen Politiker das von ihnen verordnete E10-Benzin nicht in den Orkus schicken – dieses „Bio“zeug, das für die Mineralölfirmen eine Steilvorlage für zusätzlichen Preisschub und noch mehr preispolitische Spielchen war (und ist). Gewiss, die fünf großen Firmen am Benzinmarkt mit etwa 65 Prozent Marktanteil könnte man ein Oligopol nennen, wenn nicht auch die übrigen 35 Prozent noch wären. Aber nennen wir sie mal so.

Warum sie sich gleichförmig verhalten

Das Marktverhalten von Oligopolisten ist untereinander sehr transparent. Wenige können sich gegenseitig besser beobachten als viele. Wenn einer den Preis ändert, kriegen die anderen vier das sofort mit und ändern ebenfalls, sei es nach unten, sei es nach oben. Das ist kein Kartell, keine Preisabsprache, das ist zwangsläufiges gleichförmiges Verhalten, das ist Wettbewerb. Man nennt das kollusives Verhalten (vom lateinischen collusio = stillschweigendes Einverständnis). Ebenso marktwirtschaftlicher Wettbewerb sind die höheren Spritpreise zum Wochenende, die niedrigeren zum Wochenbeginn, weil sich auch die Autofahrer gleichförmig verhalten. Warum tanken nicht alle montags? Warum zu viele erst am Freitag und Samstag? Wie auf dem Wochenmarkt: Morgens kostet dort das Pfund Erdbeeren 2,90 Euro, eine halbe Stunde vor Marktschluss, wenn noch nicht ganz verkauft, werden sie deutlich verbilligt – an allen Ständen, einvernehmlich, denn sonst müssten alle die empfindliche Frucht wieder mitnehmen, was ihr nicht gut bekäme. Ein Kartell der fünf Erdbeerverkäufer auf diesem Wochenmarkt? Unfug.

Ein schöner Wettbewerbshüter ist das

Wie töricht also das Verlangen von Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt, der Gesetzgeber müsse das „Abgucken der Preise erschweren“ (FAZ vom 27. Mai). Warum denn bloß? Und wie denn? Ein schöner Wettbewerbshüter ist das. Abgucken ist Wettbewerb, Herr Mundt. Zwei Wochen später vernahm man ihn erneut mit einer Aufforderung an den Gesetzgeber. Dieser solle Schritte gegen die von seinem Amt vermutete stillschweigende Preisabstimmung prüfen (FAZ vom 11. Juni). Aber wenn er jetzt nur „prüfen“ soll statt „erschweren“, klingt das schon kleinlaut und verrät Rückzug. Doch griff er Ramsauers Patentlösung auf und riet ebenfalls dazu, sich an der westaustralischen Preisregulierung zu orientieren – als habe er nicht mitbekommen, dass dieses Modell nicht existiere. Herr Mundt sollte genauer FAZ lesen. Oder jetzt diesen Beitrag.

Nicht zuerst Verbraucher-, sondern Wettbewerbsschützer

Versuche, gegen Benzinpreise vorzugehen, und markige Sprüche gegen die großen Anbieter sind dem Bundeskartellamt schon immer als eine günstige Gelegenheit erschienen, Flagge zu zeigen, sich als großer Verbraucherschützer zu präsentieren und damit seine Aufgabe in der Marktwirtschaft auch dem breiten Publikum zu empfehlen. Das ist aber eine falsche Auffassung seiner Aufgabe. Es ist nicht zuerst Verbraucherschützer, sondern Schützer des Wettbewerbs. Der Wettbewerbsschutz hat Vorrang. Damit schützt es automatisch auch die Verbraucher, zwar indirekt, aber nachhaltiger und wirksamer.

Missbrauch muss nachweisbar sein

Das Kartellamt wirft den großen Ölgesellschaften vor, dass sie ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen. Falls sie das nachweislich tun, kann das Amt den Missbrauch untersagen. Aber es ist eine ganze Menge, was das Amt den Firmen nachweisen muss, wenn es mit einer Untersagung vor Gericht durchkommen will. Es muss nachweisen, dass die fünf wirklich marktbeherrschend sind. Dann, dass wirklich Missbrauch vorliegt. Hierfür muss es nachweisen, dass die „missbräuchlichen“ Preise von Wettbewerbspreisen abweichen. Für diesen Nachweis muss es Preise von vergleichbaren Märkten zur vergleichbaren Zeit suchen, dann nachweisen, dass dies Märkte mit wirksamen Wettbewerb sind, also Märkte mit Wettbewerbspreisen, dann, dass die „missbräuchlichen“ Preise wirklich auf die Marktbeherrschung zurückgehen. Auch muss die Abweichung groß genug sein. Aber wie groß ist groß? Was ist wirklich der „richtige“ Wettbewerbspreis? Ist Missbrauch nicht nachzuweisen, gilt die Vermutung, dass Wettbewerb herrscht.

Wie das Kartellamt krumme Wege geht

Mit einer (zunächst nur einstweiligen) Anordnung zur Preissenkung könnte das Kartellamt ein Missbrauchsverfahren einleiten. Doch auch daran stellt das Gesetz besondere Anforderungen: Würde ohne die Anordnung ein dauerhafter Schaden eintreten? Liegt, um sie zu rechtfertigen, wirklich ein starkes öffentliches Interesse vor? Das Kartellamt kennt die Schwierigkeiten solcher Anordnung ebenfalls und weiß, dass es vor Gericht mit einem Missbrauchsverfahren nicht bestehen wird. Darum lässt es die Finger davon. Doch kann das Amt die Ölfirmen auffordern, die Benzinpreise zu senken – in der Erwartung, dass die Unternehmen dem ohne förmliche Anordnung oder Untersagung folgen. Verbindlich ist die Aufforderung für die Firmen natürlich nicht. Insofern geht das Amt krumme Wege. Doch kann es sein, wie in früheren Jahren geschehen, dass die Benzinpreise nach einer solchen Aufforderung zwar sinken, dass die Ölfirmen jedoch die Senkung mit veränderten Marktverhältnissen und Wettbewerbsdruck begründen. Ohne Nachweis des Gegenteils gilt auch hier die Wettbewerbsvermutung.

Preiskommissar darf das Kartellamt nicht sein

Die verbalen öffentlichen Attacken des Kartellamts sind für die Ölfirmen mit einer Prangerwirkung verbunden. Befreien können sie sich von diesem Makel nicht. Es gilt der lateinische Spruch semper haeret aliquid: Etwas bleibt immer hängen. Das nutzt das Kartellamt aus. Denn diese Attacken mögen den meisten Bürgern das Amt als tapferen Wettbewerbshüter erscheinen lassen. Natürlich gefällt dem Amt diese Rolle, die ihm eine Art Heiligenschein verleiht. Es spielt sie auch ganz bewusst, und falls es dabei ein nicht ganz reines Gewissen hat, rechtfertigt es sich mit der Vorstellung, auf diese Weise mache es dem Bürger die Marktwirtschaft plausibler, stärke sein Vertrauen in ihr und seine Akzeptanz. Aber gerade damit verdirbt es in der Bevölkerung den Sinn, das Empfinden dafür, nach welchen Maßstäben und mit welchen Maßnahmen der Staat wann in das Wirtschaftsgeschehen, Marktgeschehen eingreifen darf und wann nicht. Insofern ist es ein falscher Heiligenschein, mit dem sich das Amt schmücken lässt. In der freien Marktwirtschaft, auch und gerade in der „sozialen“, hat der staatliche Preiskommissar nichts zu suchen.

Diese unglaubliche Verlogenheit

Auch die jüngste Benzinpreis-Aufregungsrunde und die „Sektoruntersuchung Kraftstoffe“ des Kartellamts werden ausgehen wie das Hornberger Schießen. Wie am Benzinmarkt schon in den letzten Jahrzehnten. Mundt spuckt große Töne. Wirklich ausrichten kann er nichts. Wie schon seine Vorgänger. Und alle die markigen Politiker-Sprüche sind Mätzchen. Außerdem sind sie unglaublich verlogen. Denn es sind die Politiker, die uns die zu hohen Benzinpreise eingebrockt haben. Nicht die Mineralölgesellschaften. Aber auf die schieben die Politiker gerne die Schuld, um von sich selbst als die Urheber des zu teuren Sprits abzulenken. Superbenzin mit einem Preis von zum Beispiel 1,56 Euro je Liter ist mit 91 Cent Steuern belastet. Ohne diese Steuern bekämen wir diesen Liter für 65 Cent.

Eine Kurzfassung dieses Beitrags ist in der Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ vom 10. Juni 2011 erschienen.

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