Sie bedrohen die individuelle Freiheit
Die Freiheit, die Menschen in Deutschland heute genießen, ist abgetrotzte, erkämpfte Freiheit in Jahrhunderten zuvor. Sie ist für sie selbstverständlich geworden. Doch Freiheit ist stets in Gefahr, nämlich durch den Staat mit dem Drang seines politischen Personals, seine Machtposition zu bewahren und zu erweitern, sowie durch die Menschen selbst: Das staatliche Personal gefährdet die Freiheit unter anderem mittels der sanften Gewalt ausufernder Fürsorglichkeit eines paternalistischen Sozialstaates, und zuviele Menschen lassen die Bevormundung mit sich geschehen, weil sie die mit der Freiheit zu tragende Eigenverantwortung scheuen und dem süßen Gift der vorgeblichen Fürsorglichkeit mehr und mehr verfallen. Daher hat Freiheit auf Dauer keinen Bestand, wenn die Menschen solches mit sich geschehen lassen und die Freiheit nicht beizeiten verteidigen. Insofern müssen sie um ihre Freiheit stets aufs Neue kämpfen.
Ein schleichender Freiheitsverlust ist schwer wahrnehmbar
Aber wie ausgeprägt ist das Bewusstsein dafür, wie groß die Bereitschaft dazu? Denn diese sanfte Gewalt sozialstaatlicher, vermeintlicher Beglückungen ist als schleichender Verlust von immer mehr individueller Freiheit für viele Menschen schwer wahrnehmbar. Oder wenn doch, dann wollen sie ihn nicht wahrhaben, drücken sich also um eine sonst wohl fällige Entscheidung herum, lassen sich die Bevormundung gefallen, nehmen sie zustimmend hin, womöglich sogar hochbeglückt. Wo bleibt da die selbstbewusste, bürgerliche Mündigkeit?
Mit der Frage „Wie mündig sind wir Deutschen?“ befasste sich daher auch ein Symposium in Berlin über wirtschaftliche und individuelle Freiheit, ausgerichtet vom Verband „Die Familienunternehmer – ASU“ und dem John Stuart Mill Institut an der SRH Hochschule Heidelberg zum fünfzigsten Geburtstag des ASU-Präsidenten Patrick Adenauer.
Der freie, selbstbewusste Bürger ein Auslaufmodell?
Drei gegensätzliche, konfliktreiche Begriffspaare standen zur Diskussion: Kollektivierung des Risikos oder individuelle Verantwortung – Staatlicher Paternalismus oder Mündigkeit – Primat der Politik oder Primat der Ökonomie. Damit verbunden waren die Fragen, ob der freie und selbstbewusste Bürger ein Auslaufmodell sei, ob der Sozialstaat eine historische Fehlentwicklung sei, und ob die wirtschaftliche Freiheit dem politischen Plan geopfert werde.
Nein, ein Auslaufmodell sei der freie, selbstbewusste Bürger mitnichten, meinte Reinhard Zinkann, der Geschäftsführende Gesellschafter des Hausgeräteherstellers Miele & Cie. KG in Gütersloh. Wolfgang Gerhard, FDP-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, meinte „Ich hoffe nicht, dass er ausstirbt.“ Aber er sei schwächer geworden. Für Cem Özdemir, den Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen ist dies der Maßstab: Frei und selbstbewusst könne der Bürger nur sein, wenn es für ihn die soziale Grundsicherung gebe. Die sei für alle notwendig, dazu auch Gesundheitsversorgung, Bildung, Sicherheit vor Gewalt. Die Diskussion zeigte: Ein Auslaufmodell soll der freie, selbstbewusste Bürger natürlich nicht sein, aber im Hin und Her der Worte trafen unterschiedliche Vorstellungen darüber aufeinander, was genau ihn dazu macht, was dafür notwendig ist.
Der (deutsche) Sozialstaat eine Fehlentwicklung?
Nicht viel anders verlief die Diskussion zur Frage, ob der Sozialstaat eine Fehlentwicklung sei. Denn auch hier kommt es darauf an, was man unter Sozialstaat versteht, wie breit und tief ein solcher Staat in die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Menschen eingreift und höchstens eingreifen darf. Und so fielen denn auch Sätze wie: Natürlich dürfe Sozialpolitik nicht dazu verführen, abhängig zu werden oder zu bleiben. Aber der Sozialwissenschaftler Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich Böll Stiftung hob diesen Aspekt hervor: Der deutsche Sozialstaat habe doch immerhin auch sozialen Frieden beschert, von dem die Wirtschaft doch ebenfalls profitiere.
Die Freiheit als Produktivkraft nutzen
Norbert Bolz, der das Institut für Medienwissenschaft an der TU Berlin leitet, stimmte Fücks zwar zu: Das Soziale der Marktwirtschaft dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. Aber der Staat greife auf zu viele Bereiche über und übernehme sich dabei. „Um ein starker Staat zu sein, muss er sich zurücknehmen.“ Entscheidend für die Entfaltung der Menschen, der Wirtschaft, des Staates sei, die „Produktivkraft Freiheit“ zu nutzen, nicht so sehr mehr Geld für die Bildung.
Gegen den staatlichen Machbarkeitsglauben
Fücks dagegen kehrte den Paternalisten, den Bevormunder in sich hervor: Wenn die Menschen sich selbst schädigten, zum Beispiel durch zu wenig Bewegung, durch falsche Ernährung, müsse der Staat tätig werden. – womit er auf Widerstand stieß, unter anderem bei Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Der wollte die Prävention auf die Information gegen den staatlichen Machbarkeitsglauben beschränkt sehen. Für Brüderle ist „die größte soziale Aufgabe, dass jeder einen Arbeitsplatz hat.“ Paternalistisch heißt ein Staat, wenn er Dinge tut, die auf autoritäre Weise das Wohl seiner Bürger zum erklärten Ziel haben, und sei es gegen deren eigenen Willen.
Drei Bedrohungen für die Freiheit
Bolz hatte anfangs in einem Kurzvortrag drei Bedrohungen für die Freiheit benannt und die erste mit dem englischen Begriff „nudge“ gekennzeichnet, was bedeutet, jemanden zu seinem Besten zum „richtigen“ Tun anzuschubsen. Das sei die staatliche Bevormundung von Menschen, von denen der Staat zu wissen meine, dass sie nicht wüssten, was gut für sie sei. Wenn er ihnen zum Beispiel das Rauchen verbiete, um ihre Gesundheit zu schützen, dann kippe der Sozialstaat um in Entmündigung seiner Bürger.
Hilflosigkeit, die der Staat selbst produziert
Die zweite Bedrohung ist für Bolz das, was er „erlernte Hilflosigkeit“ nennt. Viele Menschen würden sich mit ständig angebotener Hilfe arrangieren, sich auf sie einstellen, sie gewöhnten sich an sie und würden von ihr immer abhängiger. Das Fernsehen stelle fast nur Menschen vor, die sich hilflos fühlten. Dies sei der gefährlichste Effekt für den Sozialstaat, er produziere die Hilflosigkeit selbst. Auf die Frage, zwinge Demokratie zu immer mehr Sozialstaat, antwortete Bolz. „Ja, das ist die Gefahr der Massendemokratie. Die Verführung für Politiker ist dafür groß. Bolz sieht darin ein „ewiges Spannungsverhältnis“, das unaufhebbar sei. Die Politiker müssten „hierzu etwas finden, wofür es eine elegante Lösung nicht geben kann“.
Die Gefahr der political correctness
Was Bolz als dritte Bedrohung ansieht, ist die political correctness. Sie sei die eigentliche Gefahr für die Freiheit, und habe drei Bestandteile: erstens den politischen Moralismus (man dürfe zu bestimmten Themen nur eine Meinung haben (Beispiel: Sarrazin, Klima); zweitens die Reglementierung des Sprachgebrauchs, die „Sprachhygiene“ (Beispiel: Studierende statt Studenten, um wegen des militanten Feminismus auch die weiblichen Studenten ungestraft darin einzubeziehen); drittens den „Sozialkitsch“ – die Massenmedien lebten davon und heizten ihn an (Beispiel: Hartz-IV-Empfänger, alleinerziehende Mütter als Lieblingsthemen).
Was der Staat eben doch nicht kann
Zum Konfliktpaar „Primat der Politik oder Primat der Ökonomie“ trug herzhaft, in wohltuend knapper Diktion und erfrischend verständlich Karen Horn vor, die das Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft in Berlin leitet. Nach ihrer Meinung „sollte klar sein: dass sich nämlich das Primat der Politik auf lange Frist nicht gegen die Schwerkraft der Ökonomie durchsetzen kann oder, anders ausgedrückt, das politische Ziele nicht gratis zu haben sind. Irgendwann fallen der Politik ihre Verstöße gegen die Gesetze der Ökonomie nämlich wieder auf die Füße. Die Politik, der Staat kann alles und leider auch mehr als das, was nach ordnungstheoretischem Verständnis zulässig und erwünscht ist. Der Staat hat das Gewaltmonopol, und das aus gutem Grund. Nur eines kann er nicht: Er kann nicht Fünfe gerade sein lassen.“ Das halte ihn und seinen Gestaltungsanspruch zumindest potentiell in Schach, also im Rahmen des Möglichen und des Vernünftigen.
Der Staat soll sich auf Ordnungspolitik beschränken
Auch der Staat könne nicht von vornherein verlorene Kämpfe doch noch erfolgreich für sich entscheiden. Das könne niemand. „Ich kann mir vornehmen, die Sonne heute abend nicht untergehen zu lassen, es wird nicht gelingen. Wir können uns auch den Märkten nicht entgegenstemmen, und wir sollten es auch nicht. Ein so verstandenes Primat ist anmaßend und kommt uns teuer zu stehen; nur, manchmal merken wir es nicht, weil wir die Alternative nicht haben erleben dürfen.“ Der Mensch wolle und brauche Freiheit, in allen Facetten seines Daseins, gesellschaftlich, wirtschaftlich, kulturell. Nur das lasse ihm die Würde, die ihm zukomme. „Um die Offenheit unserer gesellschaftlichen Prozesse zu sichern, sollte sich der Staat auf Ordnungspolitik beschränken. Er sollte möglichst nur den Rahmen setzen.“
Regeln ja, Regulierungen nein
Der Unternehmer Arndt Kirchhoff ergänzte zustimmend: Regeln ja, Regulierungen nein. Mit Regulierungen griffe der Staat zu sehr in das unternehmerische Handeln ein und hinke mit ihnen immer hinterher. Kirchhoff verlangt vom Staat mehr Planungssicherheit, über vier Jahre hinaus. Gesetzesfolgen müssten schneller und besser abgeschätzt, nicht (mehr) zweckmäßige Gesetze auch wieder gestrichen werden.
„Der Staat mag kein Entdeckungsverfahren“
Bundeskartellamtpräsident Andreas Mundt sagte, das Wettbewerbsprinzip durchzusetzen, sei ein ständiger Kampf, sei es immer gewesen. „Der Staat mag kein Entdeckungsverfahren, weil er nicht weiß, was dabei herauskommt.“ Aber auch Unternehmen seien vom Wettbewerb nicht so begeistert. Entschieden kritisierte Mundt die staatliche Politik für die sogenannten erneuerbaren Energien. Sie seien dem Wettbewerb komplett entzogen. Marktsignale würden diese Stromerzeuger überhaupt nicht erreichen. „Aber damit müssen wir anfangen, wir können die doch nicht zu lange ganz dem Wettbewerb entziehen.“
„Das Energieprogramm nimmt uns viel Entdeckungspotential“
Das traf auf den Widerspruch von Volker Ratzmann, dem Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, der für eine weitere Ausschaltung des Wettbewerbs zugunsten der „Erneuerbaren“ eintrat. Für ihn besteht ein „vitales Interesse“ daran, das noch auszubauen; anders als ohne Wettbewerb gehe es nicht, es gehe nur mit staatlicher Regulierung. Für Mundt dagegen ist das eine „enorme Fehlallokation“. Das könne man dauerhaft nicht machen. Frau Horn kritisierte das Energieprogramm der Bundesregierung bis 2040 als „eingigantisches planwirtschaftliches Projekt“, mit ihm werde viel verbaut: „Wir wissen nicht, was sonst geschehen und kommen würde, es nimmt uns viel Entdeckungspotential.“
Die Eigeninitiative der Bürger nicht ersticken
Für einen zwar starken, aber schlanken Staat hatte sich zu Beginn Ulrike Ackermann eingesetzt, Professorin an der SRH Hochschule Heidelberg und Direktorin des John Stuart Mill Instituts. Ein solcher Staat müsse seinen ordnungspolitischen Aufgaben nachkommen und der Versuchung widerstehen, der bessere Unternehmer sein zu wollen. „Der sich in seiner Interventionslust zurückhält und dafür sorgt, dass verfasste Regeln eingehalten werden. Der als Rechtsstaat die innere und äußere Sicherheit seiner Bürger garantiert und sich jeglicher Übergriffe auf das private Leben und die die individuellen Freiheiten seiner Bürger enthält. Ein Staat also, der sich seiner Neutralität bewusst ist und weder recht noch Politik moralisiert. Der die Eigeninitiative seiner Bürger gerade nicht in paternalistischer Fürsorge erstickt.“ Und: Keiner dürfe zu seinem Glück gezwungen werden.
Die Furcht vor dem aufgeblähten Staat
Einen Schlusspunkt setzte Patrick Adenauer: „Wir Familienunternehmer fürchten nicht den starken Staat, der für seine Kernaufgaben auch von uns zu Recht Steuern verlangt.“ Aber: „Wir fürchten und erleben in unseren Unternehmen nahezu täglich den aufgeblähten Staat, dem die unternehmerische Freiheit suspekt zu sein scheint.“ Beispiele dafür sind für Adenauer eine Steuersystematik, die nicht mehr verständlich sei und deren Auslegung so viele Mittel verschlinge, dass gute Geschäfte nicht getätigt würden, sowie ein Arbeitsrecht, das derart angeschwollen sei, dass Verträge eigentlich zwischen Unfreien geschlossen würden. Auch Adenauer warnte: Der Staat solle nicht der Versuchung erliegen, das Glück des Individuums oder der Gesellschaft vorgeben zu wollen. Garantieren aber könne und müsse er die Voraussetzungen für das Glück. Und an die FDP gerichtet sagte Adenauer, freiheitliche Politik sei mehr als nur Steuern zu senken.