Ein anderer möglicher Rechtsweg für die SBZ-Enteignungsopfer

Allerdings: Nötig dafür wäre ein Gesetz zur abschließendes Entnazifizierung auch für die neuen Bundesländer

Noch immer nicht erledigt: Wie kann man den Opfern der vorgeblichen „Bodenreform“ und „Industriereform“ in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ 1945 bis 1949) auf dem Rechtsweg zur Wiedergutmachung verhelfen? Dass sie, falls nicht zu den Nazi-Schuldigen gehörend, nicht einfach nur unschuldige Opfer von Enteignungen, sondern von massiver politischer Verfolgung und Klassenjustiz waren und immer noch sind, steht längst auch höchstgerichtlich außer Zweifel. Dennoch weigern sich die Gerichte, die Unschuld der Betroffenen durch förmliche Rehabilitierung festzustellen.

 Fiskalisch motivierte Rehabilitierungsverweigerung

So hat zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, der Schuldvorwurf könne nicht aufgehoben werden, weil dies dann zwingend die Rückgabe der eingezogenen Liegenschaften zur Folge habe, die aber sei ausgeschlossen (3 B 167.02, Beschluss vom 14. April 2003). Und das Bundesverfassungsgericht  hat in diesem Zusammenhang sogar ein Rehabilitierungsverbot festgestellt (2 BvR 2338/07, Beschluss vom 14. Dezember 2008). Diese Rechtsprechung bewirkt, dass der Schuldvorwurf unangetastet bleiben muss, nur um zu verhindern, dass die Opfer die Rückgabe ihrer einst entzogenen Vermögenswerte durchsetzen können, soweit sie der seit 1990 gesamtdeutsche Staat noch nicht an andere verkauft hat, oder, falls verkauft, die Auskehr des unrechtmäßig erworbenen Verkaufserlöses.

 Der andere juristische Ansatz

An sich werden Rückgabe oder Erlösauskehr durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen ermöglicht. Sie gebieten sie sogar, wie von mir schon früher erläutert. Aber bis auf eine Reihe von Spezialfällen, wie sie vor allem der Berliner Anwalt Stefan von Raumer für seine Mandanten gewonnen hat, pflegen die zuständigen Ämter und die Gerichte mittels Fehlauslegung gleichwohl beides zu verweigern. Inzwischen jedoch hat der Bad Emser Anwalt Thomas Gertner, der ebenfalls auf diese Fälle aus der SBZ-Zeit spezialisiert ist, einen neuen juristischen Ansatz gefunden und ausgearbeitet. Über eine Vielzahl von Verfassungsbeschwerden will er für die Opfer nun diesen Rechtsweg durchsetzen – ebenso wie der Bautzener Anwalt Winfried Schachten.

 Auch die westlichen Siegermächte bestraften mit Vermögenseinzug

Ausgangspunkt hierfür ist nach Gertners Darstellung dieser: Die drei westlichen Siegermächte (Frankreich, Großbritannien, Vereinigte Staaten) haben in ihren Besatzungszonen aktive Nationalsozialisten als Schuldige an den Nazi-Verbrechen ebenso bestraft wie die sowjetische Siegermacht in der SBZ, nicht nur diejenigen Nazi-Größen, die vor dem Sieger-Tribunal in Nürnberg angeklagt und verurteilt worden sind. Auch in diesen Westzonen wurde als Sanktion der Einzug des Vermögens verfügt, wenn die damaligen Spruchkammern die  überprüften Personen als Hauptschuldige und Belastete rechtskräftig eingestuft hatten.

 Die Entnazifizierung in der amerikanischen Zone

Das ist vor allem in den Ländern der amerikanischen Zone geschehen (Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und Bremen). Hier galt das Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946. Es übertrug die Verantwortung für die „Entnazifizierung“ an deutsche Behörden. Diese waren damit auch für die Internierungslager zuständig, in denen mutmaßliche Kriegsverbrecher, NS-Funktionäre und SS-Mitglieder festgehalten wurden. Die ersten Spruchkammern nahmen ihre Tätigkeit am 13. Mai 1946 auf. Allein in der amerikanischen Zone gab es davon nachher 545. Sie entschieden in  regionaler Zuständigkeit in mehr als 900 000 Fällen, standen aber unter Aufsicht der US-Militärregierung, die das Recht besaß, im Einzelfall die Kammerentscheidung zu korrigieren.

 Hauptschuldig, belastet, minderbelastet, Mitläufer

Fall für Fall wurden die Überprüften entweder für hauptschuldig, für belastet, für minderbelastet, als Mitläufer oder für entlastet erklärt. Als belastet eingestuft wurden „Aktivisten“, „Militaristen“ und „Nutznießer“. Zu dem Gesetz gehörten Listen. Wer darin aufgeführt war, galt als Hauptschuldiger oder als Belasteter. Dann war es – in Umkehr der Regel „in dubio pro reo“ – seine Sache zu beweisen, dass er in eine niedrigere Gruppe einzustufen sei. Viele Überprüfte sind dieser Beweislastumkehr zum Opfer gefallen.  

 Für Hauptschuldige Arbeitslager und Vermögenseinzug

Rechtskräftig als hauptschuldig Eingestufte wurden zwingend für zwei bis zehn Jahre in ein Arbeitslager eingewiesen. Dort hatten sie als Sühnemaßnahme Wiedergutmachungs- und Aufbauarbeiten abzuleisten. Ebenso zwingend war als Beitrag zur Wiedergutmachung ihr Vermögen einzuziehen. Behalten durften sie nur, was zum notdürftigen Lebensunterhalt für sich und ihre Familie erforderlich war. Außerdem mussten die Hauptschuldigen, soweit sie Einkünfte hatten, laufende Sonderabgaben für einen Wiedergutmachungsfonds leisten. Auch verloren sie zahlreiche Bürgerrechte.

Belastete konnten für bis zu fünf Jahre ins Arbeitslager geschickt werden. Zwingend vorgeschrieben war aber auch für sie, ihr Vermögen einzuziehen, entweder teilweise oder ganz. Ebenso wurden ihnen Sonderabgaben auferlegt, wenn sie über Einkünfte verfügten.

 Ein Bodenreformgesetz gab es auch in Bayern

Auch in Bayern beispielsweise gab es wie in der SBZ ein Bodenreformgesetz (Gesetz zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform), verabschiedet vom bayrischen Landtag am 18. September 1946. Eigentümer mit viel Grund und Boden sollten für vertriebene und landlose Bauern Teile davon abgeben. Allerdings war für den Gesetzeszweck zuerst das Grundeigentum der NSDAP bereitzustellen, ebenso das Grundeigentum der früheren NSDAP-Mitglieder, wenn es rechtskräftig entzogen war. Entsprechend geringer jedoch wurde dadurch der Abgabebedarf für Land unbelasteter Großgrundbesitzer.

 Die ungleiche Handhabung der Entnazifizierung

Gleich also war zwischen der SBZ und den Westzonen, dass  „entnazifiziert“ wurde – wie unter den vier Siegermächten vorgesehen. Ungleich aber war die Handhabung. Die Westmächte richteten die „Entnazifizierungspolitik“ auf die einzelnen Personen aus. Die sowjetische Besatzungsmacht dagegen und mit ihr die deutschen SBZ-Kommunisten zielten auf eine bestimmte Bevölkerungsschicht (Großgrundbesitzer, Industrielle, Mittelstandsunternehmer, Großbürgertum).  In ihr und in deren wirtschaftlicher Potenz sahen sie die Wegbereiter und Stützpfeiler der Nazi-Herrschaft, des Faschismus’. Daher wollten sie mit ihrer „Entnazifizierung“ deren wirtschaftliche Grundlage zerstören und die Eigentumsstruktur ändern. Daher war der Vermögensentzug bei ihrer „Entnazifizierung“ der zentrale Teil. Daher spricht Gertner hier von „struktureller“ Entnazifizierung.

 Entnazifizierung missbraucht als Klassenkampf

In den Westzonen wurden Personen in förmlichen Verfahren individuell überprüft und bestraft, in der SBZ wurde Schuld überwiegend pauschal zugemessen und geahndet. Hier ging die „Entnazifizierung“ einher mit kommunistischem Klassenkampf gegen das Großbürgertum und mit Klassenjustiz. Daher war sie, wie Gertner feststellt, „in Wahrheit nur ein Vorwand für einen verdeckten Klassenkampf“. So wurde sie zugleich zur politischen Verfolgung, groben Rechtsstaatswidrigkeit und zu schweren Verstößen gegen die Menschenwürde und das Völkerrecht. Die Entnazifizierung, so Gertner, sei systematisch dazu missbraucht worden, um das eigene kommunistische Herrschaftssystem in der SBZ zu installieren und die NS-Diktatur durch eine kommunistische Diktatur zu ersetzen.

 Was im Westen als Bodenreform ablief

Den Einzug von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen zum Beispiel in der US-Zone vollzogen die Landessiedlungsbehörden, die Spruchkammern befanden nur über den Schuldvorwurf und die Einstufung. In der SBZ dagegen lagen Schuldvorwurf samt Einstufung und Sanktionsvollzug in einer Hand. Für Agrar- und Forstland oblag dies dort den Bodenkommissionen. Wer 100 Hektar und darüber besaß, verlor alles. Und das in kollektiver Schuldzumessung. Ebenso erging es dem Großbürgertum bei der „Industriereform“. Was unter den Westmächten als Bodenreform ablief, vollzog sich pragmatisch nach dem Landbedarf. Wer Land abgeben musste und unbelastet war, bekam eine Entschädigung, aber er musste nur Teile abgeben, wurde nicht völlig enteignet.

 Im Westen wurden rechtsstaatliche Verletzungen korrigiert

Wohl wurden auch in den Westzonen viele Personen auf schwer widerlegbare Vermutung hin als hauptschuldig oder belastet eingestuft. Wohl büßten auch sie als Folge davon ihr Vermögen ein. Wohl war es auch ihnen versagt, sich auf politischen Irrtum zu berufen. Wohl wurden auch gegen sie  strafähnliche Sanktionen verhängt, obgleich sich eine Schuld auf rechtsstaatliche Weise so gar nicht feststellen ließ. Anders aber als in der SBZ wurden diese Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips später korrigiert, als nämlich das Grundgesetz von 23. Mai 1949 in Kraft getreten war und zum Abschluss der „Entnazifizierung“ Ländergesetze verabschiedet wurden. Diese Gesetze haben es den als hauptschuldig oder belastet Eingestuften ermöglicht, einzelfallweise die Einstufung zu überprüfen und die wirkliche Schuld festzustellen. Dabei sind viele als „minderbelastet“ oder als „Mitläufer“ herabgestuft worden. Die Folge: Sie bekamen das eingezogene Vermögen zurück.

 Ein Entnazifizierungsgesetz auch für die SBZ-Opfer verlangt

Was nun bedeutet dies alles? Nach Gertners Darlegungen ist das klar: Es muss auch für die in der SBZ Enteigneten ein abschließendes Entnazifizierungsgesetz her. Entweder erlässt es der Bund, oder aber die fünf „ostdeutschen“  Bundesländer erlassen je ein eigenes – wie damals die westdeutschen Länder. Mit mehreren in Karlsruhe anhängigen Verfassungsbeschwerden will Gertner klären lassen, ob der Bundes- oder die Landesgesetzgeber verpflichtet sind, den in der SBZ-Zeit erhobenen pauschalen Schuldvorwurf gegen die damals auch durch Enteignung verfolgten Bürger in justizförmiger Weise überprüfen zu lassen. Dann, so ist sich Gertner sicher, würden die auf dieser Gesetzesgrundlage geführten Rehabilitierungsverfahren in den weitaus meisten Fällen zu der Feststellung führen, dass die damaligen Opfer „sich nicht nur nicht einer Straftat schuldig gemacht haben, sondern darüber hinaus völlig unbelastet waren und dass in ihrem Fall die Regeln der Entnazifizierung zum Zweck des Klassenkamps missbraucht worden sind“.

 Ein Nachtrag

21. Juli 2010: Wie ich erst jetzt erfahren habe, hat das Bundesverfassungsgericht die diesbezüglichen Verfassungsbeschwerden des Anwalts Gertner nicht zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse 1 BvR 690/10 und 1 BvR 901/10). Die für mich nicht nachvollziehbare Begründung des Gerichts: Die Beschwerden seien „für jedermann erkennbar aussichtslos“. Allerdings hat der Münchener Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth in einem Fachbeitrag dargelegt, dass Opfer der sogenannten Boden- und Industriereform einen verfassungsrechtlichren Anspruch auf den Erlass einer zusätzlichen Rehabilitierungsgesetzgebung nicht haben, weil (strafrechtliche) Rehabilitierungsansprüche bereits bestehen (Zeitschrift für offene Vermögensfragen, ZOV 2009, Heft 3, Seite 115 ff.). Doch hat sich das Bundesverfassungsgericht bei der Abweisung Gertners auf diesen Beitrag nicht berufen.

Gertner selbst hat – den Nichtannahmebeschluss kommentierend – den Eindruck, das Gericht wolle ihn abschrecken, weil er jetzt auf die Idee gekommen sei anzuprangern, dass die Gerichte sich weigern, das an sich einschlägige Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz anzuwenden, also keinen effektiven Rechtsschutz gewähren und damit ein Grundrecht verletzen. Über seine ähnlichen Verfassungsbeschwerden bei den Landesverfassungsgerichten in Berlin, Brandenburg und Thüringen haben diese noch nicht entschieden. Sie richten sich gegen das gesetzgeberische Unterlassen der Landesgesetzgeber.

 

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2 Kommentare zu „Ein anderer möglicher Rechtsweg für die SBZ-Enteignungsopfer“

  1. Was passiert, wenn jeder Alteigentümer sich als “dem Deutschem Reich“ zu gehörig darstellt – hat also nicht’s mit der Bundesrepublik zu tun, nur mit einem Friedensvertrag nach Völkerrecht! Restitution inklusive.

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