Kreativ und dynamisch

Unternehmer, die schöpferisch zerstören

Am Anfang steht die Idee. Dann wird es schwer: Die Idee muss umgesetzt werden. Dazu gehört Risikobereitschaft. Dann viel, viel Durchhaltevermögen. Menschen, die alle drei Voraussetzungen in sich tragen, sind nicht die Mehrheit, im Gegenteil, sind Einzelgänger, Querdenker, ein winzige Minderheit, sind also sehr, sehr selten. Aber so selten nun auch wieder nicht. Das zeigt das Buch über die kreativen Zerstörer. Es stellt solche Einzelgänger in geballter Ladung vor. Hier reiht sich eine Erfolgsgeschichte an die andere, also gute Geschichten am laufenden Band – gute und erfolgreiche jedenfalls für die Zerstörer sowie für deren Kundschaft, auch für die Wirtschaft allgemein und damit für Land und Volk. Es sind Geschichten über 44 unternehmerische Menschen mit 42 Unternehmen.

Von Doc Morris bis Fielmann

Viele kennen den Arzneimittelversand DocMorris als Schrecken der herkömmlichen Apotheken, wenige seinen Gründer Ralf Däinghaus, viele den Internet-Marktplatz für Gebrauchtwagen Autoscout24 als Umstürzler im Autohandel, wenige die beiden Gründer Nicola Carbonari und Nikolas Deskovic, viele das Erfrischungsgetränk Bionade, wenige den Erfinder und Unternehmensgründer Peter Kowalsky. Wie sie begannen, was sie wurden, was sie sind, das liest man hier. Man liest es auch von Heiner Kamps, dem anfänglichen Unruhestifter im Bäckerhandwerk, und seiner Bäckereikette mit dem Backen im Laden, einer Kette, die sich schlicht mit dem Firmenschild Kamps begnügt, von Arndt Kwiatkowski mit dem Immobilienscout24, von Theo Müller und seiner Müller-Milch, von Günter Fielmann und seinen Fielmann-Brillen oder von Joachim Hunold mit der Air Berlin.

Gestalten, die Gestalter sind

Sie und die übrigen anderen 35 Gründer sowie die vielen sonstigen, die im Buch nicht genannt sind, haben die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die der Wirtschaftsgeschichte ein gutes Stück mitgeprägt. Es sind Gestalten, die Gestalter sind. Es sind Akteure, die man – nach dem französischen Wort für Unternehmer – auch in Deutschland und anderswo Entrepreneure nennt. Es sind Menschen, die jenen Unternehmergeist verkörpern, die für das wirtschaftliche Geschehen die notwendige Antriebskraft liefern, die eine ganze Branche „aufmischen“, die im Teig einer jeden Volkswirtschaft die gärende Hefe sind und die mit ihren Innovationen für Entwicklungsschübe zu sorgen pflegen, kurz: die dynamischen Unternehmer. Sie stoßen üblicherweise auf Widerstand und kommen doch zum Erfolg.

Besseres an die Stelle des Zerstörten

Selten wird das Wort eines Ökonomen zu einem geflügelten Wort. Dem großen österreichischen, später amerikanischen Ökonomen Joseph A. Schumpeter (1883-1950) ist das mit dem Begriff der creative destruction in seinem Buch Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung von 1911/1926 gelungen. Das Zerstörerische bekommt in diesem Fall einen positiven Klang, weil es in schöpferischer Weise an die Stelle des Zerstörten Besseres setzt. Wie der Begriff „Anmaßung von Wissen“ mit dem Namen Friedrich A. von Hayek verbunden ist, auch er ursprünglich Österreicher, so ist es das Wort von der „schöpferischen Zerstörung“ mit dem Namen Schumpeters. Unzeitgemäße Unternehmen und überkommene Wirtschaftsstrukturen werden in die Hintergrund geschoben, verlieren ihre Lebenskraft, werden verdrängt. Neue Produkte ersetzen alte oder neue Produktions- oder Handelsstrukturen treten an die Stelle alter Verfahren.

Triebfedern für wirtschaftlichen Umschwung

Auch die heute so gängigen Begriffe „dynamische Unternehmer“ und „Innovation“ gehen auf Schumpeter zurück. Das Dynamische kennzeichnet derartige Unternehmer als kraftvolle Triebfedern für wirtschaftlichen Aufschwung in einem Unternehmen, einer Branche, einer Volkswirtschaft. Und Innovation heißt Erneuerung. Ein Kapitel in Schumpeters Buch Business Cycles von 1939 trägt die Überschrift „Theorie der Innovation“. Mit der deutschsprachigen Ausgabe des Buches 1961zog der Begriff auch in den deutschen Sprachgebrauch ein. Innovation bedeutet Erfindungen anwenden, Ideen in die Tat umsetzen: in neue Produkte, in neue Dienstleistungen oder in neue Verfahren. Alles dies zusammen mit der schöpferischen Zerstörung wird durch die im Buch vorgestellten Unternehmer mit den von ihnen geschaffenen Unternehmen verkörpert.

„David gegen Goliath, Gut gegen Böse“

Schumpeter habe die Entrepreneure, schreibt Herausgeber Nikolaus Förster in seiner Einführung, als Helden beschrieben: „David gegen Goliath, Gut gegen Böse. Das sehen nicht alle so, vor allem nicht die, die zu den Verlierern gehören, die lange spöttisch auf die Newcomer heruntergeschaut haben – bis es zu spät war.“ Dann folgen die Porträts als Kernstück des Buches, jedes mit einem Foto des beschriebenen Entrepreneurs bebildert. Sie sind zuvor als Serie in der Financial Times Deutschland erschienen. Entsprechend journalistisch flott sind sie geschrieben, folglich leicht lesbar. Der Umfang von nur vier bis sechs Buchseiten überfordert die Lesergeduld nicht, im Gegenteil, man erführe gerne mehr als geboten wird. Zuweilen fehlen in den Beiträgen Jahresangaben. Im Tageszeitungsartikel mögen sie entbehrlich gewesen sein, im Buch sind sie es nicht; hier hätten sie in die Texte nachträglich eingefügt werden sollen.

Schumpeters Gedanken umkreisend

Anschließend geben David Schumacher und Hanna Grabbe einen Ausblick mit dem Titel „Die neuen Kombinierer“. Es folgen sechs Kommentare von Marion A. Weissenberg (Das Feuer des Kapitalismus), von Hermann Simon (Kampf gegen die Mehrheit), von Graham Horton (Von U-Booten und Stinktieren), von Horst Hanusch (Schumpeter lebt), von Harald Hungenberg, Andreas König und Albert Enders (Anleitung zur Zerstörung) sowie von Christoph Meinel (Die Mauer muß weg). Alle sechs umkreisen Schumpeters Gedanken von der schöpferischen Zerstörung aus verschiedener Sichtweise. Eine Biographie Schumpeters von Constantin Gillies schließt das Buch ab. Aber gemessen am bewegten und wechselvollen Leben Schumpeters ist sie nur bruchstückhaft und daher arg kurz geraten. Kurze Filme in der beiliegenden DVD zeigen die Akteure in Bewegung und Ton.

In seinem Buch „Capitalism, Socialism and Democracy“ (1942) stellte Schumpeter die These auf, der Kapitalismus werde durch seine eigenen Erfolge zugrundegehen. Es entstehe eine neue Schicht aus Intellektuellen, Bürokraten, Professoren und Journalisten, die von den Früchten des Kapitalismus lebten. Damals klang das wohl abwegig. Heute nicht mehr.

Nikolaus Förster (Hrsg.): Die kreativen Zerstörer der deutschen Wirtschaft. Wie Ideen Märkte verändern. FinanzBuch Verlag GmbH, München 2009. 290 Seiten. 34,90 Euro.

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