Die Soziale Marktwirtschaft leichtfertig verspielt

Zu viel Regierung und Regulierung – zu wenig Markt und Wettbewerb

Freiheit ist Freiheit, denn Freiheit ist unteilbar. Daher gehört zur Freiheit auch die Marktwirtschaft. In Deutschland ist der Begriff Marktwirtschaft seit dem Beginn der Bundesrepublik mit dem Beiwort „soziale“ versehen. Das hat seinen guten Sinn. Aber der ist verloren gegangen und mit ihr ein wichtiges Stück Freiheit. Denn die einstige Marktwirtschaft wurde verdreht und verfälscht. Sie ist entartet. Darum hat Michael von Prollius sein jüngstes Buch „Die Pervertierung der Marktwirtschaft“ betitelt.

Innerhalb von fünfzig Jahren ruiniert

Das ordnungspolitische („ordoliberale“) Gedankengut der Sozialen Marktwirtschaft sieht Prollius schon in den 1950er Jahren auf dem Rückzug, also in einer Zeit, als sich diese Marktwirtschaft in Deutschland noch gar nicht zur vollen Wirksamkeit entfaltet und ihren Erfolgshöhepunkt noch gar nicht erklommen hatte. Man sieht daran: Eine Krankheit, die erst begonnen hat, verhindert die Höchstleistung noch nicht, Krankheitskeime brauchen ihre Zeit. Aber sind sie erst einmal eingedrungen und nicht sofort bekämpft worden, vermehren sie sich, und ihr unseliges Wirken setzt ein. Innerhalb von fünfzig Jahren, schreibt Prollius, sei das Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft ruiniert worden – durch Keynesianismus, Interventionismus, Wohlfahrts-Etatismus, Angebotspolitik. „Aus einer sozialen ist längst eine sozialstaatliche Marktwirtschaft geworden.“

Wie sich der Ruin vollzog

Wie sich der Ruin vollzog, ist im Buch beschrieben. Das Ziel der Sozialpolitik wandelte sich von der Absicherung zur Betreuung. Zuständigkeitserweiterungen von Regierung und Verwaltung wurden als sozialpolitische Errungenschaften verkauft. Die Bürokratisierung immer weiterer Lebensbereiche griff um sich. An die Stelle marktkonformer Versicherungsprinzipien traten Marktregulierung, Preisfixierung, Fixierung von Vertragsinhalten und die Schwächung der Eigenvorsorge. Keynesianische Globalsteuerung setzte ein. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hielt Einzug in die Wirtschaftspolitik. Es kam die Konzertierte Aktion, heute „Bündnis für Arbeit“ genannt. Karl Schiller baute als Bundeswirtschaftsminister die Soziale Marktwirtschaft keynesianisch um in eine vermeintlich „aufgeklärte Marktwirtschaft“. Entsprach ein konjunktureller Abschwung nicht den politischen Wachstumswünschen, wurden die Staatsausgaben ausgeweitet und mit Schulden bezahlt („deficit spending“).

Niedergang, wohin man blickt

Für den Arbeitsmarkt entstand das Arbeitsförderungsgesetz. Die Bundesanstalt für Arbeit erhielt das Monopol zur Arbeitsvermittlung. Andere Stichworte sind Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Wohngeldgesetz, Mieterschutzgesetz, BaföG. Der Leser sieht im Zeitraffer die Jahre unter Willi Brandt und Helmut Schmidt vorüberziehen, unter Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff, unter Gerhard Schröder, unter Angela Merkel. Er liest von der Wiedervereinigung mit den Fehlern und Rechtsverstößen der Regierenden und von den mit ihr verpaßten Chancen; sie habe der ordnungspolitischen Wende das endgültige Aus bereitet. Neoliberaler oder ordoliberaler Niedergang zeigen sich auch in den gesetzlichen Mindestlöhnen, der zu starken Steuer- und Abgabenlast, der Familienpolitik, den permanenten „Gesundheitsreformen“, der staatlichen Altersrentenpolitik, der Staatsverschuldung, der Unfinanzierbarkeit der staatlichen Sozialsysteme, den Zugriffen des Fiskus auf das Eigentum der Bürger.

Den Bürger entmündigt und dressiert

„Zu viel Regierung und Regulierung – zu wenig Markt und Wettbewerb“ konstatiert Prollius. Das Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft sieht er umgewandelt hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft. Die Prinzipien Solidarität und Subsidiarität seien über Bord geworfen, freiwillige Solidarität durch staatliche Zwangssolidarität und Subsidiarität durch staatliche Allzuständigkeit ersetzt worden. Der Staat habe den Bürger entmündigt, ihn gleichsam dressiert. An seine Stelle getreten sei der unmündige, für Täuschung und Irrtum anfällige Verbraucher.

Aufstieg und Fall einer ordnungspolitischen Idee

Die Geschichte der deutschen Wirtschaftspolitik ist für Prollius im Wesentlichen eine Geschichte großer Fehlentscheidungen, eine Geschichte der Degeneration des ursprünglichen Konzepts „Soziale Marktwirtschaft“, eine Geschichte vom Aufstieg und Fall einer ordnungspolitischen Idee. „Unsere Gründerväter dürften die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn sie nach einer Zeitreise von wenigen Jahrzehnten die politischen Verhältnisse der Berliner Republik betrachten müßten.“ Schon bei ihrer Einführung war die Soziale Marktwirtschaft heftig umstritten gewesen und sogar mittels Generalstreik bekämpft worden. Sie war also „beileibe kein Selbstläufer“ (Prollius). Daß sie trotzdem durchkam, verdankt sie dem „sturen Durchhaltewillen“ Ludwig Erhards. Ihre Erfolge waren (und sind) für ihre Überlegenheit gegenüber allen Ordnungsformen mit staatlichen Eingriffen in den Wirtschaftsablauf ein „unumstößlicher Beweis“.

Das Erbe der Gründerväter leichtfertig verspielt

Die Finanzkrise beschreibt Prollius als „das große Staatsversagen“, die Marktwirtschaft als „spontane Ordnung“, die Soziale Marktwirtschaft als „staatlich geordnete Wirtschaft“ – es sind jeweils eigene Kapitel in seinem Buch. Die Soziale Marktwirtschaft als Erbe ihrer Gründerväter sei leichtfertig verspielt worden, nun gelte, es sich auf ihre Erfolgsprinzipien zu besinnen. Vor allem gehe es dabei „um die abendländischen Prinzipien der Freiheit unter dem Recht, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und die freiwilligen Solidarität“. Diese Prinzipien seien ausgehöhlt und geschleift. Eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft setze eine Erneuerung der Marktwirtschaft voraus. Die Marktwirtschaft stecke in einer Legitimitationskrise. Diese Legitimitationskrise resultiere aus einer Legitimitationskrise der Politik. „Es ist die Politik, die schrittweise, teils bewußt, teils unbewußt eine Popularitätskrise der Marktwirtschaft hervorgerufen hat.

Ob einem Guttenberg gelingt, was einem Erhard gelang?

Prollius nennt den ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard zu Recht einen „Politiker mit einer glaubwürdigen und nachvollziehbaren moralischen Botschaft“. Sie habe gelautet: „Wohlstand und Freiheit gehören zusammen, Wohlstand wird erst durch Freiheit möglich.“ Erhard habe die Überzeugung verkörpert, Politik sei nicht die Kunst des Möglichen, also die des Kompromisses, sondern vielmehr die Fähigkeit, das sachlich Notwendige auch gegen Widerstände durchzusetzen. Der Bundeswirtschaftsminister von heute, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, vermittelt ebenfalls Glaubwürdigkeit und moralischen Anspruch. Man traut ihm zu, die Marktwirtschaft erneuern und damit zur Sozialen Marktwirtschaft Erhard zurückkehren zu wollen. Aber ob ihm gelingt, was einem Erhard gelang? Der Widerstandsgruppen sind heute weit mehr als damals, und zu stark schon haben sie sich in Politik und Gesellschaft eingenistet.

Michael von Prollius: Die Pervertierung der Marktwirtschaft. Der Weg in die Staatswirtschaft und zurück in die Marktwirtschaft. Olzog Verlag GmbH, München 2009. 221 Seiten. 22,90 Euro.

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