Nach gedanklicher Vorarbeit und gleichsam Gebrauchsanleitungen müssten sie nicht lange suchen – Einen zusätzlichen Leitfaden für liberale Wirtschaftspolitik hat gerade Michael von Prollius vorgelegt – Es ist ein Überblick und Einblick in die Denkschule pragmatisch liberaler Wirtschaftswissenschaft: klassisch-liberaler und „österreichischer“ Nationalökonomie
Schon zu lange wird die Wirtschaftspolitik und mit ihr das wirtschaftliche Geschehen in der westlichen Welt durch staatlichen Interventionismus bestimmt. Ein Zurück davon ist nicht erkennbar, noch nicht einmal ein Verharren auf dem erreichten Stand. Stattdessen steigert er sich immer weiter – ganz nach klassischer Lehre, die auf Erfahrung mit ihm beruht. Die Zeit wirtschaftsliberaler Politiker wie die eines Ludwig Erhard in Deutschland, einer „Maggie“ Thatcher in Großbritannien, eines Ronald Reagan in den USA liegt lange zurück. Ein wieder erster Lichtblick ist Argentinien, wo im Dezember 2023 ein sogar libertärer Ökonom und Politiker durch Mehrheit als Präsident an die Macht gekommen ist: Javier Gerardo Milei. Ob sich die Hoffnungen erfüllen, die sich bei seinen argentinischen Wählern und allen Liberalen in und außerhalb Argentiniens mit ihm verknüpfen, liegt noch im Ungewissen. Sozialistisch heimgesuchte und eingefleischte Gegner hat er viele, gerade auch außerhalb Argentiniens. Diese sehen, sollte er Erfolg haben und sich dieser verstetigen, ihre Felle davonschwimmen – kaum auf Dauer, doch hoffentlich nicht nur für zu kurze Zeit. Tot ist Sozialismus nie, er ist immer nur scheintot (siehe hier).
Wo Milei sein wissenschaftliches Rüstzeug gefunden hat
Nachhilfe oder gar Unterweisung für eine liberale Wirtschaftspolitik braucht Milei selbst wohl kaum noch. Das wissenschaftliche Rüstzeug dafür hat er in Erweckungserlebnissen aus Büchern liberaler Wirtschaftswissenschaftler vor allem der Wiener oder Österreichischen Schule der Nationalökonomie geradezu aufgesogen, darunter die Lehren von Carl Menger, Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek. So hat er es in seinem Werdegang geschildert, als ihn im Juni 2024 die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft mit ihrer Hayek-Medaille ehrte (siehe seine Dankesrede hier). Doch wo bleiben seine Nachahmer? Dringend nötig sind sie. Aber werden sie überhaupt gewollt und gesucht? Von den Mächtigen sicher nicht. Und von den Ohnmächtigen, also der Mehrheit der Menschen? Die meisten von ihnen werden noch nicht einmal wissen, wer ihnen fehlt und warum.
Gedankliche Vorlagen für Milei-Nachahmer gibt es viele
Immerhin müssen Nachahmer Mileis nach gedanklicher Vorarbeit und gleichsam Gebrauchsanleitungen nicht lange suchen. In Form vieler Bücher und Aufsätze liegen sie griffbereit vor, von einschlägig Bewanderten und Vereinigungen ganz abgesehen. Wollten sich weitere Mileis mit der klassisch-liberalen und der „österreichischen“ Denkweise vertraut machen, finden sie und sind gut aufgehoben bei Michael von Prollius. Dieser Wirtschaftshistoriker, Buchautor, Publizist und Unternehmensberater (Jahrgang 1969) hat ein neues Buch mit dem Titel Wirtschaftswissenschaften vorgelegt und es auf seiner Internet-Plattform Forum Freie Gesellschaft (bisher zunächst) online verfügbar gemacht.*)
Ein Leitfaden, ein Experiment, kein unumstößliches Endprodukt – mit erwünschter Mitwirkung der Leser
Sein Buch soll ein Leitfaden sein, eine Einführung in die Wirtschaftswissenschaften. Prollius nimmt sie vor aus klassisch-liberaler Sichtweise und der der Österreichischen Schule. Das bedeutet, dass subjektive Wertschätzung, individuelle Freiheit, freie Märkte und minimale staatliche Eingriffe für wachsenden Wohlstand und für eine gerechte Ordnung als Voraussetzung gelten. Seine Einführung sei, schreibt Prollius in seiner Vorbemerkung, ein kleines Experiment, nämlich so stark reduziert wie möglich umfasse das Buch je Kapitel nur wenige Kernsätze und sei im Ergebnis eine skizzenhafte, lexikalische Darstellung, „ein Leitfaden, den ich mit Unterstützung von GPT-4 erarbeitet habe“. Der Schwerpunkt liege inhaltlich auf der Volkswirtschaftslehre, die Betriebswirtschaftslehre werde berücksichtigt. Die Mitwirkung des Lesers sei gefragt – mit Fragen, Korrekturen, Anregungen, Kommentaren. Er freue sich über Denkanstöße und möglichst konkrete Verbesserungen (an: info@forum-freie-gesellschaft.de), er lade zur Weiterentwicklung ein. Er sieht in seiner Einführung „kein Handbuch, keine umfassende Abhandlung, keine Einführung in die VWL, keine ausgewogene Unterrichtsgrundlage“. Sie biete vielmehr einen raschen Einblick in die Wirtschaftswissenschaften in klassisch-liberaler, österreichischer Tradition. In diesem Sinn sei sie der Beginn eines Prozesses, kein unumstößliches Endprodukt.
Individuelle Freiheit, begrenzte Regierungsgewalt, freie Märkte
Doch dieser Selbstbescheidenheit zum Trotz gibt der in der Materie sehr kundige Autor einen vortrefflichen, keineswegs unvollständig wirkenden Ein- und Überblick in die Denkschule pragmatisch liberaler Wirtschaftswissenschaft, die heutige Universitäten ihren Ökonomie-Studenten mit wenigen Ausnahmen vorenthalten. Es soll „sowohl Studenten auf der Suche nach Grundlagenwissen als auch Laien, die die Dynamik unserer Wirtschaftswelt verstehen wollen, eine rasche Orientierung geben“. Diese Sichtweise der österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre, die auf den Grundsätzen der individuellen Freiheit, der begrenzten Regierungsgewalt und der freien Märkte beruhe, so Prollius, fordere manchen Leser heraus, von verbreiteten konventionellen Vorstellungen abzuweichen, um die tiefgreifenden Auswirkungen von spontaner Ordnung, Unternehmertum und soliden wirtschaftlichen Grundsätzen zu erkunden. Aber die Herausforderung lohne sich.
Von „wirtschaftliche Freiheit“ bis zur „Rolle der Zinssätze“
Sie lohnt sich in der Tat. In neun Kapiteln breitet von Prollius die liberal-ökonomische Gedankenwelt und ihre Grundlagen aus. Aus ihnen herausgegriffen sei stichwortartig, was das Buch behandelt und was den Leseappetit anregen mag: wirtschaftliche Freiheit als Grundpfeiler der Freiheit, die Rolle der Eigentumsrechte, die Gefahr des Übermaßes staatlicher Eingriffe, Marktkräfte und Selbstregulierung, Kritik an der zentralen Planung, die unsichtbare Hand, schöpferische Zerstörung und Innovation, das Konzept der spontanen Ordnung, Marktpreise als Informationssignale, die Rolle von Institutionen und Eigentumsrechten, die Rolle des Wettbewerbs bei der Preisfindung, Gewinn als unternehmerischer Anreiz, die Rolle der Ungewissheit, Kritik an Preiskontrollen, unbeabsichtigte Folgen von Interventionen, Alternativen zum Interventionismus, gesundes Geld und die Rolle des Goldstandards, die Rolle der Kryptowährungen, Währungswettbewerb als Ordnung des Rechts und der Haftung, die Rolle der Zinssätze.
Von „die Rolle des Staates“ bis „Schlüsseltexte klassisch liberaler Denker“
Doch damit nicht genug: die Rolle des Staates in Wirtschaftskrisen, Alternativen zu staatlichen Eingriffen, Beispiele für den Erfolg des Freihandels in der Praxis, das Wesen der Dezentralisierung, das Plädoyer für individuelle Autonomie, der Schutz von Eigentumsrechten als ein ethisches Gebot, Marktkräfte und Selbstregulierung, die Bedeutung der Wahlfreiheit der Verbraucher, die Rolle von Gewinn und Verlust im Unternehmertum, Verständnis von Vetternwirtschaft in freien Märkten, Protektionismus und seine Kritik, Lieferketten und globale wirtschaftliche Verflechtung, Erfolgsgeschichten von Unternehmen in einer Marktwirtschaft, Marktgesteuertes Umweltmanagement (Beispiel Ikea), Misserfolge und gelernte Lektionen durch staatliche Interventionen in die Wirtschaft, Kritik an klassisch-liberaler Ökonomik und an der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, Schlüsseltexte klassischer liberaler und österreichischer Denker.
Eine willkürliche Auswahl, keine systematische
Ich muss mich der Verführung, mit der Aufzählung noch weiter fortzufahren, entziehen. Es ist eine willkürliche Auswahl, keine systematische. Der Leser ist aufgefordert, selbst herumzustöbern. So stößt er unter vielem anderen auf vermeintliches Marktversagen und erwiesenes Staatsversagen. Es versteht sich, dass sich der Staat in wirtschaftliche Angelegenheiten allenfalls begrenzt einmischen darf. Aktuelle Beispiele und Fallstudien machen die abstrakten Ausführungen anschaulich. Anmerkungen von Kritikern, die den Wirtschaftsliberalismus zumindest skeptisch sehen, bleiben nicht ausgespart, werden aber auch mit liberaler Gegenargumentation ergänzt.
Web-Seiten für wirtschaftsliberales Denken
Es gibt im Buch auch eine Einführung in die Online-Ressourcen. Dieser Abschnitt enthält eine Liste von Websites und Online-Communities, die sich mit dem klassisch-liberalen und österreichischen Wirtschaftsdenken befassen. Diese Institutionen, so von Prollius, können als Knotenpunkte dienen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, auf akademische Inhalte zuzugreifen und sich über aktuelle Diskussionen im Bereich der wirtschaftlichen Freiheit und der Ideologien der freien Marktwirtschaft auf dem Laufenden zu halten.
Ein Glossar der wirtschaftsliberalen Schlüsselbegriffe
Im neunten und letzten Kapitel hat von Prollius ein Glossar zusammengestellt, in dem er einige Schlüsselbegriffe im Kontext der klassisch-liberalen und österreichischen Wirtschaftstradition aufzählt und definiert. Es sind Begriffe, die von Denkern dieser Traditionen verwendet werden. Prollius erläutert sie, womit der Leser, wie er schreibt, ein besseres Verständnis für grundlegende Konzepte bekommt, die der freien Marktwirtschaft, der individuellen Freiheit und den behandelten Ideen zugrunde liegen. Damit verbunden sei, die Leser zu ermuntern, weiter zu forschen und sich in die reiche Vielfalt des klassischen liberalen und österreichischen Denkens zu vertiefen.
Einsichten, um das Leben besser zu verstehen
In der Nachbemerkung des Buches hält von Prollius dies fest: „Der klassische Liberalismus und die Österreichische Schule bieten Einsichten, um das Leben besser zu verstehen. Das gilt nicht nur für die hier skizzierten wirtschaftswissenschaftlichen Themen. Die liberale Vielfalt reicht darüber hinaus und bietet Anknüpfungspunkte für politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen, darüber hinaus auch für die persönliche Entwicklung und das menschliche Miteinander im Alltag.“ Doch merkt er vorsorglich warnend auch an: „In ökonomischer Hinsicht hat weder der klassische Liberalismus noch die Österreichische Schule das letzte Wort, geschweige denn können beide stets die beste Einsicht und Erklärung bieten. Ich kann empfehlen, möglichst unvoreingenommen und nach dem Erkenntniswert jeweilige Theorien, zudem Fallstudien, Modelle und Perspektiven zu nutzen und selbst zu suchen. Tyler Cowen**) kann als Beispiel eines solchen Ökonomen dienen.“
__________________________________________
*) Michael von Prollius: Wirtschaftswissenschaften. Ein Leitfaden aus klassisch-liberaler und österreichischer Perspektive, Edition Forum Freie Gesellschaft Band 7, Fürstenberg Juli 2024. Das Buch steht derzeit unentgeltlich als Download (pdf) zur Verfügung (hier und hier).
**) Tyler Cowen (Jahrgang 1962), promoviert an Harvard University, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der George Mason University in Fairfax (Virginia), auch Kolumnist und Blogger. Näheres über ihn hier.