Vor jetzt 60 Jahren: Im Windschatten des Volksaufstands der Ungarn gegen ihr kommunistisches Regime fand der Suez-Krieg Großbritanniens, Frankreichs und Israels gegen Ägypten statt – England wollte den Kanal wiederhaben, und die Franzosen Algerien behalten – Parallelen zum September 1939? – Der Plan der Alliierten
Die Erinnerung an den Volksaufstand der Ungarn 1956 gegen das kommunistische Regime in ihrem Land ist weiterhin lebendig, nicht nur in Ungarn allein. Am 4. November 1956 haben ihn sowjetische Truppen blutig niedergeschlagen; dreitausend Menschen verloren ihr Leben. Näheres dazu hier. Jetzt jährt sich dieses politische Ereignis zum 60. Mal. Die Ungarn begehen und würdigen es mit großem Aufwand. Aber die Feierlichkeiten haben zu Spannungen mit dem heutigen Russland geführt. Das russische Staatsfernsehen soll die damaligen Heldentaten respektlos dargestellt haben. Darauf reagiert hat die ungarische Regierung untern Viktor Orbán mit einem diplomatischen Protest: Am 25. Oktober bestellte sie den russischen Botschafter in ihr Außenministerium ein, damit er den Protest entgegennehme. Berichtet darüber hat die FAZ in ihrer Ausgabe vom 28. Oktober (hier). Doch nicht nur die einstige Sowjetunion hat 1956 mit Waffengewalt politische Interessen durchgesetzt. Im gleichen Jahr haben das auch drei andere Staaten getan: im sogenannten Suez-Krieg gegen Ägypten. Der promovierte Jurist Menno Aden nimmt das Niederschlagen des Aufstandes damals in Ungarn zum Anlass, auch an den israelisch-englisch-französischen Überfall auf Ägypten zu erinnern. Im Folgenden gebe ich seinen Beitrag mit seiner Genehmigung im Wortlaut wieder. Die Zwischenüberschriften sind (bis auf eine) von mir eingefügt.
„Nach dem 17. Juni 1953 in Deutschland war dieses der zweite Versuch, gegen die Herrschaft des Kommunismus in Osteuropa aufzustehen. Die Sowjetunion wurde zwar nicht in die Knie gezwungen, aber sie war vor der Welt entlarvt. Wie wir heute wissen, waren beide Vorgänge Schritte zum endgültigen Niedergang 1989/90 der Unrechtsregime UdSSR und DDR, welchem die SPD noch im Herbst 1989 unverwandt die Treue gehalten hat, und die europäische Linke bis heute. “
Im Windschatten des Ungarn-Aufstands
„Im Windschatten des Ungarnaufstandes stand der englisch-französische Überfall auf Ägypten im gleichen Monat Oktober 1956 (Suez-Krise). Eine Hilfe für Ungarn wurde auch dadurch verhindert, dass dieselben Mächte, welche im 2. Weltkriege Seite an Seite mit der Sowjetunion gegen Deutschland für Freiheit und Demokratie gekämpft hatten, gerade damit beschäftigt waren, im Vorderen Orient und Nordafrika ihre imperialen Träume weiter zu träumen. Wie der Ungarnaufstand für die Sowjetunion ein Zeichen des beginnenden Endes ihrer Macht war, so bezeichnete der Suez-Überfall den Abgang der Hauptdarsteller auf dem kolonialistischen Welttheater. Vor allem wurde der Welt gezeigt, mit welchen Methoden Großbritannien und Frankreich Politik zu machen pflegten.“
Die Verstaatlichung des Suez-Kanals durch Nasser
„Am 26. Juli 1956 hatte der ägyptische Präsident Nasser den Suezkanal verstaatlicht. Dagegen konnte völkerrechtlich nichts gesagt werden, zumal die Aktionäre (insbesondere der britische und französische Staat) entschädigt werden sollten. Großbritannien sah aber sein Prestige gegenüber seinem damals immer noch ganz imposanten Weltreich, aber auch die Verkehrswege dahin gefährdet. Frankreich suchte einen Anlass, Ägypten und die arabischen Staaten zu schwächen, weil sie die Algerier in dem damals heiß gewordenen Unabhängigkeitskrieg (1954 – 1962) unterstützten.“
Wie Israel ins Spiel kam
„England wollte den Kanal wiederhaben, und die Franzosen wollten Algerien behalten. Seit dem 30. Juli 1956 wurde daher in Paris und London über eine Militäraktion gegen Ägypten nachgedacht. Allerdings sollte, wie es gerade den Briten so oft erfolgreich gelungen war, das Ganze als eine Friedensaktion dargestellt werden.[1] So kam Israel ins Spiel. Israel befand sich damals wie heute in einer gefährlichen Situation. Seine arabischen Nachbarn hatten geschworen, es bei nächster Gelegenheit zu vernichten. Es fanden auch damals praktisch ununterbrochen Nahost-Friedensgespräche statt. Israel hielt davon wenig und suchte Gelegenheit zu einem Präventivkrieg gegen das unter Präsident Nasser besonders gefährliche Ägypten.“
Israel sollte den Überfall starten
„Es traute sich aber nicht, diesen alleine in Gang zu setzen. Zwischen Paris, London und Tel Aviv wurde daher folgendes verabredet: Israel überfällt Ägypten, und zwar am oder um den 5. November 1956. Darauf intervenieren England und Frankreich militärisch und besetzen den Suezkanalbereich, der etwa die Scheidelinie zwischen dem zu erwartenden Frontverlauf zwischen Israel und Ägypten darstellt, und geben vor, die Streithähne voneinander zu trennen. Im weiteren Verlauf würden die Briten und Franzosen die ägyptische Regierung stürzen und für den Suezkanal den status quo ante wieder herstellen. Das passte alles sehr gut. Die Russen waren vollauf in Ungarn engagiert, und am 6. November 1956 waren Präsidentschaftswahlen in den USA. Eisenhower würde also andere Dinge im Kopf haben als den Suezkanal. Der Rest der Welt zählte nicht. Der Zeitplan ging allerdings etwas durcheinander, weil Israel zu früh angriff, als Briten und Franzosen noch nicht ganz bereit waren.“
Israels Invasion begann am 29. Oktober
Am 29. Oktober 1956 begann Israel mit der Invasion. Am 30. Oktober wurde dem ägyptischen Botschafter in London ein auf zwölf Stunden befristeten britisch-französischen Ultimatum überreicht, welches verlangte, dass ägyptische Truppen sich zehn Meilen hinter den Suez-Kanal zurückzögen. Präsident Nasser wies die Forderung natürlich zurück. Am 31. Oktober begannen Großbritannien und Frankreich mit der Bombardierung ägyptischer Flughäfen. Am 5. November landeten ihre Fallschirmjäger in Ägypten. Port Said wurde zerstört. Der Kanal war wieder in den Händen der Kolonialmächte. Aber die Zeiten hatten sich gegenüber 1939 geändert. Die Weltöffentlichkeit war empört und hatte jetzt in Gestalt der UNO ein Forum, um sich Gehör zu schaffen. Eisenhower fühlte sich von den Briten hintergangen und von den Franzosen gelinkt. Die USA verbot die weitere Aktion. Und das war`s.
Spätestens seit diesem Zeitpunkt haben die USA die Führung in der Nahostpolitik übernommen. Großbritannien wurde endgültig zum Juniorpartner der USA. Frankreich verlor seither stetig an politischer Bedeutung und schließlich auch sein Selbstvertrauen.“
Parallelen zum September 1939?
„Die Initiierung der Suezkrise zeigt merkwürdige Ähnlichkeiten mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa. 1939 war die Situation wie folgt: Frankreich hatte 1936 hinnehmen müssen, dass das Deutsche Reich die krass völkerrechtswidrige seit 1923 bestehende französische Sonderrolle im Rheinland beendet hatte. Die französische Unterdrückungspolitik gegenüber Deutschland war damit offen gescheitert und das politische Ansehen Frankreichs beschädigt. Für England war damit wiederum das Gleichgewicht gestört. Nun war Deutschland wieder Vormacht in Europa. Solche Vormachtstellungen hatte Großbritannien seit 1700 dadurch bekämpft, dass es die jeweils schwächere Macht in Europa gegen die stärkere unterstützte, um auf diese Weise die Rolle des Zünglein an der Waage in europäischen Angelegenheiten zu spielen.“
Der Plan der Alliierten
„England und Frankreich hatten, wenn auch aus verschiedenen Gründen, ein Interesse daran, Deutschland militärisch in die Schranken zu weisen. 1956 hatten England und Frankreich, wenn auch aus verschiedenen Gründen, ein Interesse daran, Ägypten anzugreifen. In diesem Vergleich spielt Deutschland also die Rolle des „Bösen“, welche 1956 Ägypten zufiel. Auch 1939 sollte die Kriegserklärung der Alliierten gegen Deutschland als eine Art Friedensaktion erscheinen. Das war insbesondere wegen der auf Frieden gestimmten öffentlichen Meinung in den USA wichtig, welche den an sich kriegsbereiten Franklin Roosevelt noch zurückhielt. Ohne die USA war aber ein Krieg gegen Deutschland nicht zu gewinnen.“
Die britische Garantieerklärung für Polen
„Damit kommt Polen ins Spiel, welches in diesem Vergleich die Rolle Israels übernimmt. Polen hatte nach seinem siegreichen Krieg gegen die Sowjetunion (das Wunder von Warschau 1920) eine mächtig hohe Meinung von sich und seiner militärischen Bravour. Es war mit dem damals eroberten Ostpolen (welches 1939 an die UdSSR verloren ging) nicht zufrieden, sondern hatte im Grunde schon 1919 sein Auge auf Schlesien und Pommern bis einschließlich Rügen geworfen. Es ist zwar politisch nicht korrekt, daran zu erinnern, aber es wird schon stimmen, was Hoggan (Der Erzwungene Krieg, Tübingen 1961)[1] unter Quellenangabe sagt, dass nämlich Polen während der 1930er Jahre Versuche unternahm, Frankreich zu einem Präventivkrieg gegen Deutschland zu bewegen. Frankreich allein traute es sich trotz seiner militärischen Überlegenheit gegenüber Deutschland nicht recht. Die mit Frankreich offenbar abgestimmte britische Garantieerklärung für Polen vom 31. März 1939 war dann das stille Einverständnis der beiden Mächte, demnächst gemeinsam tätig werden zu wollen.“
Die Bahn für Polen war (im Schutz der anglo-französischen Koalition) frei
„Wie Israel 1956 im Schutz der anglo-französischen ‚Friedensaktion’ den Krieg gegen Ägypten wagen konnte, so hatte Polen es 1939 im Schutz dieser Koalition auf einen Krieg mit Deutschland ankommen lassen. Es leistete sich gegenüber dem Deutschen Reich, die Deutschen in seinem Bereich, aber auch in Bezug auf Danzig viele Dinge, über die man heute nicht spricht. Wenn Polen im Herbst 1939 einen Präventivkrieg gegen Deutschland geplant haben sollte (die Dislozierung polnischer Truppen im Raum Posen spricht nach Ansicht von Militärexperten dafür, da sie für den Verteidigungsfall geradezu selbstmörderisch war) – die Bahn war frei. Der weitere Verlauf nach der britischen und französischen Kriegserklärung an Deutschland ist hier nicht zu behandeln. Er lag auch nicht mehr in den Händen der Europäer.“
Fazit: Nur wir Deutschen sind dem lieben Gott halt missraten
„Es ist namentlich für uns Deutsche, sofern wir das überhaupt noch sein wollen, nicht erhebend, etwas tiefer in die Geschichte hineinzuschauen. Briten, Franzosen, Polen und Amerikaner, eigentlich alle, sind und waren stets konstitutionell, sozusagen genetisch, friedlich; sie haben immer nur das Beste für die Welt gewollt und getan. Nur wir Deutschen sind dem lieben Gott halt missraten, genetisch und so – wir sind genau so, wie man uns in der von USA administrierten re-education gelehrt hat. Das zu glauben, ist ja auch besser für uns und insbesondere für Europa, welches so freizügig Wechsel zulasten des deutschen Schuldkontos ausstellt.“
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[1] Benoist- Mechin, Le Roi Saud ou L`orient à l`heure des relèves, Paris 1960, S. 399 ff
[2] Dieser Autor steht allerdings etwas quer zur anglo-amerikanischen (und daher auch deutschen) Geschichtsbetrachtung und gilt wohl als nicht mehr zitabel. Engl- Wikipedia: David Leslie Hoggan (March 23, 1923 – August 7, 1988) was an American professor of history, author of The Forced War: When Peaceful Revision Failed and other works in the German and English languages.Hoggan was born in Portland, Oregon, and received his education at Reed College and Harvard University. At Harvard, Hoggan was awarded a PhD in 1948 for a dissertation on relations between Germany and Poland in the years 1938–1939. His adviser described his dissertation as „no more than a solid, conscientious piece of work, critical of Polish and British policies, but not beyond what the evidence would tolerate“.[1] The American historian Peter Baldwin noted that Hoggan’s dissertation, The Breakdown of German-Polish Relations in 1939: The Conflict Between the German New Order and the Polish Idea of Central Eastern Europe, was easily the most reasonable and sane of all Hoggan’s writings.[2]
Dr. Aden hat den Beitrag zuerst auf seiner Web-Seite (hier) veröffentlicht (hier). Zu seiner Person: Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942, Abitur 1962) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), wurde 1972 in Bonn promoviert, war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika,warberuflich tätig in der Energie- und Kreditwirtschaft und von 1994 bis 1996 Präsident des evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes in Schwerin, dann bis 2007 Professor an der FH für Ökonomie und Management in Essen. Verheiratet, fünf Kinder. Er hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen.
Adens jüngstes Buch:Das Werden des Imperium Americanum und seine zwei hundertjährigen Kriege. (Ares Verlag GmbH, Graz 2016. 232 Seiten. Broschürt. 18 Euro. ISBN 978-3-902732-63-7). Aus dessen „Klappentext“: „Etliche berufliche Einsätze in aller Welt führten ihn immer wieder zu der Frage, wie es den Vereinigen Staaten von Amerika gelingen konnte, über viele Kriege hinweg zur imperialen Macht aufzusteigen, anderen Nationen – wie zum Beispiel Deutschland – aber den Ruf eines „Störenfrieds der Weltordnung“ anzuhängen.“ Weiteres über Aden siehe hier.