Die Welt muss neoliberaler werden

Was Neoliberalismus wirklich ist – Karen Horns Buch
über alles, was man über ihn wissen sollte

„Die Welt muss neoliberaler werden.“ Das ist der Appell am Schluss dieses jüngsten Buches von Karen Horn. Ist da etwa jemand, den das schockiert? Nein, das sollte niemand mehr sein, schreibt die Autorin am Ende des Buches, jedenfalls dann nicht, wenn er es bis dahin gelesen hat. Dann nämlich weiß er (und sollte es verinnerlicht haben), was Neoliberalismus wirklich ist. Dann weiß er auch, dass es nicht diejenige Abirrung gleichen Namens ist, die Sozialisten, politisch Linke und andere freiheitsbeschränkende Staatsgläubige als regellosen Laissez-faire-Kapitalismus kenntnisarm missverstehen oder absichtsvoll missverstehen wollen, zudem als verantwortungslosen „Marktradikalismus“ hinstellen und als eine Politik der „sozialen Kälte“ verunglimpfen.

Auf den Neoliberalismus fußt die Soziale Marktwirtschaft

Wohl gibt es so eine Laissez-faire-Haltung als gedankliche Spielart, aber die Zahl ihrer Vertreter ist gering und alles andere als repräsentativ für den historisch ursprünglichen, eigentlichen und korrekten Neoliberalismus-Begriff. Aber sie wird politisch benutzt als populistisches Zerrbild dessen, was Neoliberalismus wirklich war und noch ist. Das stellt die Autorin gleich in der Einleitung klar. Auf diesem Neoliberalismus fußt immerhin die Soziale Marktwirtschaft, wie sie Deutschland in der ersten Nachkriegszeit von 1948 an eingeführt und wie sie Ludwig Erhard vertreten hat. Der Erfolg hat ihr die Bezeichnung Wirtschaftswunder eingetragen, obwohl ökonomisch kein Wunder, sondern die natürliche Folge einer vernünftigen Wirtschaftsordnung und der konjunkturellen Schubkraft, die entsteht, wenn ein kriegszerstörtes Land wieder neu aufgebaut werden muss.

Inzwischen zu wenig Marktwirtschaft

Das Konzept dieser Sozialen Marktwirtschaft, so betont auch Karen Horn, ist ein neoliberales Konzept. Allerdings haben es nachfolgende Politikergenerationen verwässert, nicht nur etwas, sondern erheblich: zu viel „soziale“ Umverteilung, zu viel unnötige und kontraproduktive staatliche Intervention, nicht genug Freiheit, zu wenig Marktwirtschaft. So beklagt auch die Autorin, die Dehnbarkeit des Begriffs Soziale Marktwirtschaft lade einfach dazu ein, „dass man ihn opportunistisch zieht wie ein Gummiband, so weit es geht“. Diese Dehnbarkeit sei Stärke und Schwäche zugleich: Stärke für das politische Marketing, Schwäche für die konzeptionelle Überdehnung. Es gelte zu verhindern, dass das Gummiband irgendwann reiße.

Wie funktioniert, dass wir meist alles bekommen können?

Das Reißen zu verhindern – dazu soll, dazu kann das Buch beitragen. Zum Beispiel mit der Antwort auf so schlichte Fragen wie diese: „Wie kommt es eigentlich, dass die meisten Bedürfnisse der Menschen in Deutschland doch sehr ansehnlich befriedigt werden? Wie bringt eine Gesellschaft mit gut 80 Millionen Bürgern die unzähligen wirtschaftlichen Entscheidungen unter einen Hut? Wie kann es überhaupt sein, dass das, was der eine kaufen möchte, ein anderer tatsächlich herstellt, ohne dass dies jemand ‚von oben’ festlegt oder dass darüber vorher eine öffentliche Beschlussfassung stattfinden muss? Wie passt sich das riesige Getriebe der Wirtschaft daran an, dass die Verbraucher ständig ihre Vorstellungen und Wünsche ändern? Wieso ergibt das kein permanentes Chaos?“

Preise und freier Wettbewerb regeln es

Für Ökonomen ist das klar: Es sind die Preise, die das schaffen, die Preise, die sich im freien Wettbewerb bilden, die als Signale dafür wirken, Waren und Dienstleistungen anzubieten und nachzufragen und dabei zu einem tendenziellen Ausgleich führen. Im Buch liest man: „Es ist für jeden Staatsbürger und Stimmbürger wichtig zu verstehen, wie das funktioniert. Wer nicht versteht, wie die Koordination von Märkten durch den Preismechanismus abläuft, der kann auch nicht ahnen, was alles aufs Spiel gesetzt wird, wenn die Politik diesen Koordinationsmechanismus kurzerhand aushebelt, um ‚außerökonomische’ Ziele zu erreichen, zum Beispiel auf dem Gebiet des Umweltschutzes.“

Wiener und Freiburger Schule der Nationalökonomie

Das Buch will „dem Leser die Angst vor dem Neoliberalismus nehmen“ – daher auch sein Untertitel. Im ersten Teil erfährt er, wo, wie und warum der Neoliberalismus entstanden ist und was er zum Inhalt hat. Dessen Entstehungszeit sind die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Keimzellen sind Wien (Wiener Schule der Nationalökonomie), auch London und Chikago. Die deutsche Ausprägung des Neoliberalismus fand als Ordoliberalismus an der Universität Freiburg statt (Freiburger Schule der Nationalökonomie). Für die Wiener Schule stehen Namen wie Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek, für die Freiburger Schule Walter Eucken, Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, der den Begriff Soziale Marktwirtschaft erfunden hat und Erhards Staatsekretär war. Beide Schulen decken und ergänzen sich.

Ordnungspolitik und die Notwendigkeit eines starken Staates

Eucken prägte den Begriff Ordnungspolitik, die dem Staat eigentlich nur die Rolle zuweist, für den Ablauf der Wirtschaft einen (liberalen) Ordnungsrahmen zu bestimmen und darauf zu achten, dass sich die Wirtschaftsakteure an dieses Regelwerk halten, und die dafür einen durchsetzungsfähigen starken Staat verlangt, der weder bevormundet noch sich von Lobby-Gruppen erpressen lässt, stark aber auch darin ist, „dass er weiß, wo er sich zurückhalten muss“. Das Gegenstück ist die staatliche Prozesspolitik, die in den Wirtschaftsablauf direkt eingreift und die Wirtschaftsergebnisse korrigierend lenken will, also auf Interventionismus hinausläuft.

Konstituierende und regulierende Grundsätze

Über Euckens Ordnungssystem und Wettbewerbsordnung (Kurzbezeichnung „Ordo“) informiert ausgiebig der zweite Teil. Erläutert werden seine sieben „konstituierenden Prinzipien“ der wirtschaftlichen Wettbewerbsordnung, ebenso seine “regulierenden Prinzipien“, die die konstituierenden ergänzen und stützen sollen. Oder mit Karen Horns Worten: „Wo die Politik nachhelfen muss“. Zum Beispiel Monopole verhindern (Wettbewerbspolitik), Einkommen umverteilen (Politik sozialen Ausgleichs), die Wirtschaftsrechnung verbessern, also Nebenwirkungen unternehmerischen Handelns in die Kostenrechnung einbeziehen (heute Internalisierung externer Effekte genannt), anomales Verhalten des Angebots korrigieren (sehr bedingt staatliche Mindestlöhne gegen Ausbeutung), aber auch öffentliche Güter bereitstellen (Beispiel: Straßenbeleuchtung) und natürliche Monopole regeln (Beispiel: Stromleitungen, Schienennetz). Die Autorin schreibt: „Diese Prinzipien der Wettbewerbsordnung sind zeitlos. Sie lassen sich auch heute noch als Messlatte anlegen an die Politik, auch und gerade in der Krise. Der ‚Freiburger Imperativ’ enthält den Kern des neoliberalen Projekts. Er ist die Basis der Sozialen Marktwirtschaft“.

Was Soziale Marktwirtschaft ausmacht

Ein dritter Teil des Buches befasst sich mit der Sozialen Marktwirtschaft etwas näher und damit, wie sich dieses Konzept in Deutschland nach 1948 herausgebildet hat, wie es die Freiheit auf dem Markt mit dem sozialen Ausgleich verbindet, was das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft ist, worin der Staat stark sein muss und wo er sich zurückzuhalten hat. Behandelt werden soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Chancengleichheit, Lohnfindung und Tarifautonomie sowie Erhards politischer Siegeszug, das Godesberger Programm der SPD, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, über die Stunde Null, die für das damals zerstörte Deutschland eine Gunst war.

Gefährdungen durch politische Fehlgriffe und falsche Anreize

Im abschließenden vierten Kapitel geht es um Gefährdungen der Sozialen Marktwirtschaft, um Fehlgriffe, Fehlsteuerungen, Fehlanreize. Stichworte sind unter anderem Fallstricke auf dem Arbeitsmarkt (Mitbestimmung, Diskriminierung der Arbeitslosen), die Folgend er Tarifautonomie, Sündenfall Mindestlohn, der aufgeblähte Staat, das keynesianische Programm, Ökonomie im Blindflug, die Eigeninteressen der Politiker, im Geflecht der Interessengruppen, Trittbrettfahren mit System, Herausforderungen der Zukunft. Auch die „gemeinsamen Anstrengungen für das Klima“ kommen zur Sprache. Aber so kenntnisreich, klug, verlässlich und kritisch die Autorin sonst vorgeht, hat ihr Buch bedauerlicherweise doch auch einen Schönheitsfehler: Beim Stichwort Klimapolitik schwimmt es politisch korrekt im Mainstream von Politik und Wirtschaft mit. Leider also ein wunder Punkt im Buch und ärgerlich. Immerhin sind die dirigistischen Vorschriften, die Subventionen und Folgen dieser Politik alles andere als neoliberale Politik, für die die Autorin sonst so überzeugend eintritt.

Karen Ilse Horn: Die Soziale Marktwirtschaft. Alles, was Sie über den Neoliberalismus wissen sollten. F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen, Frankfurt am Main 2010. 196 Seiten. 24,90 Euro. ISBN: 978-3-89981-220-6

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Ein Kommentar zu „Die Welt muss neoliberaler werden“

  1. Schade haben all die genannten Schulen und Ökonomen zumindest einen blinden Fleck in ihrem Theoriegebäude, denn dann hätte womöglich viel unnötiges Leid vermieden werden können. Ein blinder Fleck ist die Funktionsweise des Geldes bzw. genauer: der administrierte (!) Mindestpreis von 0% für das Halten von Liquidität. Warum ist der Preis für das Horten von Liquidität auf 0% festgelegt? Der Zins soll als Gleichgewichtspreis funktionieren zwischen Geldangebot und Geldnachfrage. Es ist der wichtigste Gleichgewichtspreis in einer Marktwirtschaft. Besitzer von Liquidität können soviel Geld horten wie sie wollen, sie erhalten garantiert 0%. Dabei gilt: Horten von Liquidität = kaputtsparen einer Ökonomie. Eine deflationäre Abwärtsspirale ist die Folge. Die Folgen dieses fixen Mindestpreis haben es in sich. Die logische Konsequenz: Investitionen werden nur getätigt, wenn dabei ein Zinsertrag abfällt bzw. eine Vermögensvermehrung stattfindet. Diese Vermögensvermehrung orientiert sich am Zinseszinsprinzip, d.h. sie muss exponentiell sein. Es ist eine Ungeheuerlichkeit: wegen dieses administrierten Mindestpreis müssen die investierten Vermögen exponentiell wachsen können, damit genügend investiert wird, damit genügend Arbeitsplätze erhalten bleiben, damit eine Krise ausbleibt. Oder anders ausgedrückt: die Liquiditätsbesitzer erhalten für eine volkswirtschaftlich schädliche Handlung mindestens 0%. Damit sie dies unterlassen, müssen sie mit einem exponentiellen Vermögenswachstum belohnt werden! Die Folgen: die Wirtschaft muss exponentiell wachsen, denn nur so lassen sich die nötigen Vermögenserträge generieren. Und wenn die Wirtschaft nicht genügend wächst, muss sich der Staat verschulden, müssen die verlangten Vermögenserträge auf Pump finanziert werden. Und wenn das nicht mehr geht, muss letztlich die Notenpresse her. Und dann kommt der Währungszerfall. Kurz: Solange nur genügend investiert wird und Arbeitsplätze gesichert bleiben, wenn sich dabei die Vermögen im Schnitt exponentiell vermehren, haben wir eine auf Wachstum bis zum sozialen, ökologischen und ökonomischen Kollaps programmierte Wirtschaft! Der Kern des Problems: eine Zinsskala, welche bei null beginnt. D.h. der Zins als Gleichgewichtspreis funktioniert nur im positiven Bereich und versagt, wenn mehr gespart wird als zinsbringend investiert werden kann. Logischerweise müsste dann das Halten von zuviel Liquidität unmittelbar zu einem negativen Zins führen. Wenn zuviel eines Gutes produziert wird, muss es letztlich mit Verlust verkauft werden womit der Anreiz gesetzt wird, weniger davon zu produzieren. Aber beim Besitz von Liquidität wird dieser Marktmechanismus einfach ausgehebelt. Eigentlich unglaublich. Die Folgen sind von der Tragweite wie wir sie zur Zeit erleben: nach 70 bis max. 140 Jahren kollabiert die Ökonomie, welcher ein solches Geldsystem zu Grunde liegt. Schlicht und einfach, weil die exponentielle Vermögensvermehrung nicht mehr finanzierbar wird bzw. das dafür nötige Wirtschaftswachstum nicht mehr stattfinden kann. Ein Wachstum von 3% bedeutet eine Verdoppelung alle 23 Jahren, also ein Wachstum um das 8-Fache in 70 Jahren, um das 64-Fache nach 140 Jahren. Und nach weiteren 23 Jahren müssten dann Konsum und Produktion sich nochmals verdoppeln… Spätestens dann kommt es zum Kollaps. Schwer verständlich, dass soviele Ökonomen die zerstörerische Dynamik dieser Exponentialfunktion übersehen. Unglaublich, dass die Problematik dieser Mindestzinsgrenze von 0% bisher so wenig Beachtung fand. Die sich daraus zwingend ergebende Forderung: die Zinsskala muss im Minusbereich beginnen, d.h. z.B. bei -6% für das Halten von Liquidität. Nur dann ist ein nachhaltiges Funktionieren einer Marktwirtschaft über Jahrzehnte möglich. Nur dann werden sich die Kapitalertragsforderungen der Konjunktur anpassen können, so, dass immer genügend investiert wird, auch bei geringem oder gar kein Wirtschaftswachstum. Oder anders ausgedrückt: Investieren muss sich immer lohnen, ungeachtet der Konjunktur. Eine exponentielle Vermögensvermehrung darf dafür niemals Voraussetzung sein (sie darf und soll vorkommen können im einzelnen oder im Schnitt, z.B. wenn die Wirtschaft wächst). Deshalb darf der Mindestzins für Liquiditätshaltung niemals 0% sein! Denn logisch zwingend ist die Folge davon, dass Investitionen nur dann attraktiv sind, wenn sich dabei das Vermögen nach dem Zinseszinsprinzip vermehrt. Die daraus entstehenden Sachzwänge sind fatal.

    Ein weiterer blinder Fleck im Theoriegebäude dieser Ökonomen ist der Boden. Der Boden als private Geldanlage ist ökonomischer Unsinn und in hohem Masse volkswirtschaftlich schädlich. Geld = Anspruch an das BSP. Sparen = Verschiebung dieser Ansprüche in die Zukunft. Wenn nun gespart wird, in dem Geld in den Boden investiert wird, wird kein Beitrag geleistet an das zukünftige BSP. Sparen ist real nur möglich, in dem dabei einen Beitrag geleistet wird an das zukünftige BSP. Sparen in dem in den Boden investiert wird ist rein inflationär. Es verteuert die Lebens- und Produktionsgrundlage ohne einen Beitrag an das zukünftige BSP zu leisten. Sparen in Form von Investitionen in den Boden ist reine Illusion – volkswirtschaftlich gesehen, nicht für den Einzelnen! Denn natürlich ist für den Einzelnen die Investition in den Boden attraktiv. Aber letztlich nur im Vergleich zu Anderen, welche weniger Boden besitzen. Investitionen in den Boden sichern das Vermögen im Vergleich zu den anderen: wer viel Boden besitzt, wird auch in Zukunft mehr Vermögen haben, als wer wenig Besitzt. Aber er hat zur Geldentwertung beigetragen in dem er beigetragen hat zur Verteuerung des Bodens und zur Schmälerung des zukünftige BSP wegen der ausgebliebenen Investitionen in eine produktive Tätigkeit. Den rein inflationären Charakter der Geldinvestition in den Boden wird bei den Blasenbildungen deutlich: es werden Werte gebildet, welche keine reale Grundlage haben sondern nur entstehen wegen der Knappheit des Bodens an einer bestimmten Lage. Wie viele Katastrophen wird es noch geben müssen, bis erkannt wird, dass Boden keine Geldanlage sein darf? Zur Erinnerung: Japan 1989, USA 2008: Letztlich war der Boden als Geldanlage eine wesentliche Ingredienz dieser geplatzten Blasen. Die Folgen waren schwerwiegend und belasten die weltweite Ökonomie noch heute. Im Falle der USA ist sogar ein direkter Zusammenhang zur stattfindenden bzw. zukünftigen Geldentwertung (wenn sich die Geldmengenausweitung der FED auswirken wird) herstellbar.

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