Das Ringen um die Freiheit

Ein Buch zu und über Hayeks „Verfassung der Freiheit“
mit Leitgedanken und als Wegweiser für Liberale und Politiker aller Parteien

Freiheit ist nicht selbstverständlich. Wo Freiheit herrscht, musste sie abgerungen, musste sie errungen werden. Wo sie noch nicht herrscht, findet das Abringen und Erringen immer noch statt. Gerungen werden muss um Freiheit stets – auch dort, wo sie besteht, denn bedroht und gefährdet ist Freiheit immer. Wenn man glaubt, Freiheit zu besitzen, verführt das zur Trägheit, das Bedrohende der Gefahr wahrzunehmen. Freiheit geht leicht und oft auf schleichende Weise dahin. So wähnen sich viele noch frei, und haben an Freiheit doch schon verloren. Zuviele erkennen den Wert der Freiheit erst dann, wenn sie abhanden gekommen ist. Dass es gilt, errungene Freiheit zu bewahren, will erkannt, will gelernt sein. Bücher helfen dabei. So auch das Buch mit dem Titel Das Ringen um die Freiheit.

Die Denkwelt Hayeks angewendet auf Gegenwärtiges

Dieser Band*) ist eine respekt- und ehrerbietungsvolle Verbeugung vor dem großen liberalen Nationalökonomen und Sozialphilosophen Friedrich A. von Hayek und dessen Standardwerk Die Verfassung der Freiheit. 2010 war es fünfzig Jahre her, dass es erschien. Das gab und gibt Anlass zu fragen „In welcher Verfassung sind wir und unsere Freiheit – heute?“ Der vorliegende Band enthält hierzu Beiträge von sechzehn Autoren. Sie alle ranken sich um diese Verfassung der Freiheit Hayeks, gehen von ihr aus, knüpfen an sie an, interpretieren sie, beleben sie, versuchen, sie anschaulich zu machen. Jeder Autor tut es auf seine individuelle Weise, mit seinem Wissen, seiner Belesenheit und aus seiner Erfahrung, wendet die Denkwelt Hayeks auf gegenwärtiges Geschehen an und belegt damit, wie hilfreich seine Denkwelt ist, wie unverwüstlich. Und wie notwendig.

Der „Belästigungsstaat“ greift immer weiter aus

Es ist schwer, alle Beiträge zu würdigen, allen gerecht zu werden, Schlaglichter müssen genügen. Gerhard Schwarz registriert, „wie wenig Staub“ Hayeks Standardwerk von 1960 angesetzt hat, aber auch, welche Themen in ihm zwangsläufig fehlen, weil damals nicht aktuell oder nicht vorhanden, darunter Klimawandel, Terrorismus, drastisch steigende Gesundheitskosten, Alterung der reichen Industriestaaten, die europäische Vereinheitlichung, aber „an oberster Stelle die freiheitsbeschränkende Wirkung der political correctness“, ebenso das paternalistische Eingreifen des Staates inzwischen in fast alle Lebensbereiche, wofür Schwarz den eher harmlosen und zu freundlichen Begriff „Belästigungsstaat“ wählt. Doch folgt dem auch gleich die Feststellung „Noch wird dies meist mit externen Effekten auf Dritte begründet, aber das Orwell’sche Schreckensszenario der totalen, angeblich gut gemeinten Kontrolle über das private Leben scheint immer näher zurücken.“

Die Diktatur der politischen Korrektheit

Andreas Unterberger nimmt sich des Übels der political correctness an. Wie einst der Kommunismus mit seiner Verstaatlichung der Produktionsmittel und Zentralverwaltungswirtschaft zu Unterdrückung, Unfreiheit und Massenmord geführt hat, das haben die Menschen schmerzensreich und bitter schon erlebt. Wie gegenwärtig der ausufernde Wohlfahrtsstaat der westlichen Welt mit seiner Umverteilung, Überschuldungskrise und immer weiter steigenden Steuerlast ebenfalls die Freiheit bedroht, das beginnen die Menschen inzwischen wenigstens zu ahnen. Wie ebenfalls derzeit „die sich ausbreitende Diktatur der politischen Korrektheit“ (Unterberger) mit ihren absurden Sprachreglungen, ihrer so grotesken wie bösartigen Gender-Ideologie und ihrer Verfolgung von Meinungsäußerungen mittels Ausgrenzen, Geldbußen und Haftstrafen die Freiheit massiv beschränkt, das erleben die Menschen längst hautnah und immer mehr. Sie sind auf einem neuen Weg in die Knechtschaft, wie Hayek wohl sagen würde. Sie ducken sich weg, halten den Mund. Elisabeth Noelle-Neumann hat das schon früh als „Schweigespirale“ beschrieben. Dazu kommt, wie Unterberger ebenfalls ausführt, der unheilvolle Hang der Staaten auf dem europäischen Kontinent, alles überzuregulieren.

Boykott durch ein Intrigennetz

Um die Freiheit einzuschränken, nimmt die politische Korrektheit, wie Unterberger schreibt, nicht mehr den Umweg über die von Hayek beobachteten Veränderungen der Produktions- oder Verteilungsbedingungen, sondern richtet sich gegen die Freiheit jedes Einzelnen vielmehr direkt, gegen die Meinungsfreiheit ebenso wie gegen die Vertrags- und Eigentumsfreiheit. Das Gefühl für den Wert der Meinungsfreiheit gehe in unseren Gesellschaften rapide verloren. Wissenschaftler zum Beispiel, die die Behauptung von der durch Menschen verursachten globalen Erwärmung bezweifelten oder widerlegten, würden boykottiert. Ein internationales Intrigennetz setze wissenschaftliche Zeitschriften unter Druck, um das Veröffentlichen unerwünschter Studien zu verhindern. Dahinter stecken, wie Unterberger zutreffend feststellt, große wirtschaftliche Interessen: „Seit sich die Staaten mit dem Klimathema befassen, fließt viel Geld …“ Ein Ende der Meinungsfreiheit bedeute zwangsläufig das Ende von Rechtsstaat und Demokratie.

Wo und wie Strebsamkeit verfällt

Forschung führt zu mehr Wissen, mehr Wissen zu mehr Teilung von Wissen, zu Fortschritt und zu weiterer Evolution. Karen Horn stellt die These auf, der evolutorische Prozess der Wissensteilung habe umso mehr Chancen, die Gesellschaft voranzubringen, je mehr eine bestimmte Disposition bei den Menschen kulturell eingeübt und selbstverständlich verbreitet sei, und diese besondere Disposition sei die Strebsamkeit. Sie meint damit das Streben nach Bildung und Aufstieg. Aber mit Sorge sieht sie es an einzelnen Stellen verblassen, vor allem bei den niedrigen Bevölkerungsschichten. Diese Benachteiligten strebten aus ihrem Zustand der Ungleichheit gegenüber den oberen Schichten gar nicht mehr heraus, hätten das Interesse an Bildung, gesellschaftlichem Aufstieg und wirtschaftlichen Fortkommen augenscheinlich verloren, seien in Passivität und Apathie verfallen. Diese Form von Ungleichheit sei längst kein Ansporn mehr, sondern sei Ursache von Apathie. Diese Menschen richteten sich in der Ungleichheit ein, würden in ihr verharren, ihr Dasein dort dauerhaft fristen. Das sei für die Gesellschaft gefährlich. Ein besonderes Problem mit erheblichem sozialem Sprengstoff ergebe sich daraus vor allem für die Integration von Einwanderern. Sorge bereiten müsse nicht der Grad der Ungleichheit, den unsere Gesellschaft heute erreicht habe, die sei früher schon größer gewesen, sondern vielmehr die Apathie, die heute die Ungleichheit begleite, und der Zerfall des sozialen Verbundes in Parallelgesellschaften. Ein Leben ohne Streben ist Frau Horns Beitrag überschrieben.

Hayek – nicht rechts, nicht konservativ, nicht libertär

Kritiker und geistige Gegner Hayeks sehen diesen gern als Rechten, als Konservativen, als Libertären, um ihn bequemer abtun zu können. Aber seine Verfassung der Freiheit ist, wie Gerhard Schwarz schreibt, „alles andere als ein radikal-liberales Manifest, sondern sie ist der Versuch, realistische, auf die gewachsenen Strukturen Rücksicht nehmende Lösungen zu entwickeln, die Freiheit lebenswert machen…“ Freiheit bedeute für ihn nicht, ohne Regeln zu leben. Schwarz verweist auch auf Hayeks „fulminante Kritik am Konservatismus“. In einem Nachwort kommt Hayek selbst zu Wort, warum er kein Konservativer sei. Dass Hayek kein Libertärer, kein Verteidiger des absoluten, staatsfreien Laisser-faire ist, sondern dem Staat legitime Aufgaben zuweist, zeigt Emmanuel Garessus in seinem Beitrag über Ein sehr anspruchsvolles Laisser-faire. Er macht auch darauf aufmerksam, „wie umfangreich der Bereich der staatlichen Aufgaben sein kann, die im Prinzip mit einem freien System vereinbar sind“ und die Hayeks Billigung fänden.

Hayek – nicht Dogmatiker, sondern Sozialphilosoph mit Über- und Weitblick

Robert Nef beklagt, dass Hayeks ideologische Widersacher ihn als den politisch ultraliberalen (oder – ideengeschichtlich und terminologisch falsch als „neoliberalen“) Dogmatiker diffamieren. Auch stellt er bei Hayek-Kritikern „auffallend häufig“ einen “durchaus feindseligen Ton“ fest. Der typische Hayek-Kritiker sei also meist kein typischer Hayek-Leser, sondern ein Anhänger einer anderen, staats- und politikgläubigen ‚Schule’, deren Anhänger wüssten, was ‚richtig’ und was ‚falsch’ sei, und die deshalb nicht grundlos in Hayeks kritisches Visier geraten seien: „Hayek-Kritiker fühlen sich also häufig als Angeklagte und lesen das Werk widerwillig und aus der Position der persönlich Angegriffenen …“ Nef beschreibt Hayek als eine Sozialphilosophen „mit transdisziplinärem Überblick und säkularem Weitblick“.

Hayek – ein liberaler Paternalist?

Michael Wohlgemuth fragt sich, ob Hayek „auf paradoxe Art ein klassisch-liberaler Paternalist“ sei, also eine Art wohlmeinender Vormund, der mit seinem Wissen, seiner Erfahrung und Klugheit andere durch sanfte Autorität vor Schaden und „kollektiver Selbstschädigung“ bewahren will, sie also zu ihrem beabsichtigten Besten und damit in ihrem an sich eigenem Interesse Regelungen unterwirft, ohne dass sie dieses als das Beste erkennen mögen oder von sich aus zu erkennen vermögen. Paradoxe Art deswegen, weil sich diese anderen als bevormundet oder entmündigt fühlen könnten, obwohl Bevormunden und Entmündigen – zumal mit einem entschiedenen So-wird’s-gemacht, so-ist-es-richtig – dem liberalen Geist so gar nicht entspricht.

Gratwanderer eines weichen, schonenden Paternalismus

Wohlgemuth erläutert die zwischen den Polen Liberalismus und Paternalismus bestehende Spannung in Hayeks Liberalismus und den „schmalen Grat“, auf dem sich ein Liberaler wie Hayek als Verfassungsökonom bewegt. Er kennzeichnet Hayek hier als „weichen Paternalisten“ und kommt zu dem Ergebnis, die Aufgabe des liberalen Verfassungsökonomen sei es, den schmalen Grat zu verbreitern und die beiden liberalen (von ihm zuvor beschriebenen) Grundeinstellungen in weitestmögliche Übereinstimmung zu bringen. Dies gelinge wohl am besten gemäß eines Metaprinzips des „schonendsten Paternalismus“, der es wage, substanzielle Freiheitsideale offensiv zu vertreten, diese aber nicht als „gegeben“ oder „gottgewollt“ unterstelle, „sondern solange dafür wirbt und darum ringt, bis zumindest die schlimmsten Folgen kollektiver Selbstschädigung allgemein erkannt und auf dem Wege weitgehend konsensfähiger kollektiver Selbstbindung verhindert werden können“.

Keine Willensfreiheit des Menschen?

Viktor J. Vanberg befasst sich kritisch mit der These von Hirnforschern, wonach die Erkenntnis der modernen Neurowissenschaft gängige Vorstellungen von menschlicher Willensfreiheit widerlegten und zu dem Schluss zwängen, das Verhalten des Menschen sei neuronal, also durch physiko-chemische Gehirnprozesse determiniert. Der Mensch sei nicht frei, keiner könne anders, als er sei.

Netzwerkgesellschaft – Chancen und Gefahren für die Freiheit

Mit der einleitenden Frage „Was hätte Hayek gesagt“ sucht Katja Gelinsky in seinem Standardwerk nach „Denkanstößen und Inspiration“, um neue Techniken des Wissens, der Information und des damit möglichen Überwachens rechtsstaatlich zu bewältigen. Denn der Siegeszug des Computers, das Entstehen der Netzwerkgesellschaft und das ungeheure Potential, nicht nur Kontakte, sondern auch Überwachungsmöglichkeiten zu erweitern, würfen neue Fragen zu Chancen und Gefahren für die Freiheit auf.

Überschuldung, Währung, Stabilität, Europa

Unter der Überschrift Die missbrauchte Macht der Mehrheit äußert sich Franz Schellhorn zu den drückenden Schuldenbergen und zur verstaatlichten Währungspolitik. Gerhard Wegner erklärt, warum ein demokratischer Sozialismus eine bloße Fiktion ist und bleiben wird. Für Stephan Balling geht Stabilität vor Wachstum. Wege zu einer stabilen Währung zeigt Peter Kuster auf. Philipp Plickert legt dar, welche Folgen die zweierlei Aufklärung und die zweierlei Auffassung von Freiheit, die französische und die britische, in ihrem Widerstreit auch für das heutige Europa, die Europäische Union, haben und wie sehr das bisherige Ergebnis Hayeks Vorstellungen zuwider läuft.

Die Fragen der Jungen zeitgemäß beantworten

Isabel Mühlfenzl schreibt über die schöpferische Zerstörung, die Freiheit des Marktes und dessen unsichtbare Hand, die Grenzen der Freiheit, Chancen und Risiken der Globalisierung, die Ungleichheit als den Preis für den Fortschritt, den Traum von der Gleichheit, die Angst vor der Freiheit sowie über den Markt und seine Moral. Der Liberalismus schwebe in Gefahr. Die Kinder der Wohlstandsgesellschaft hätten vergessen, dass man in der Marktwirtschaft auch Pflichten habe und Verantwortung tragen müsse. Gefahr drohe auch deshalb, weil die Jugend zu Gegenwart und Zukunft Fragen habe, die liberale Wissenschaftler häufig nicht zeitgemäß beantworteten: „Sie geben zu häufig alte Antworten auf neue Fragen – zitieren zu oft Beispiele aus der Vergangenheit in einer Sprache, die junge Generation nicht mehr versteht.“

*) Gerhard Schwarz, Michael Wohlgemuth (Hrsg.): Das Ringen um die Freiheit. „Die Verfassung der Freiheit“ nach 50 Jahren. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2011. 221 Seiten. 40 Euro / 48 Franken.

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