Die einstigen Verführungssprüche zum Euro

Alle Warnungen haben nichts gefruchtet

Inzwischen flüchtet (nach Griechenland) auch Portugal unter den „Rettungsschirm“, den die Europäische Union für überschuldete und vor der Zahlungsunfähigkeit stehende Mitgliedstaaten aufgespannt hat. Ungefähr 80 Milliarden Euro Finanzhilfe benötigt das Land in den kommenden drei Jahren. So jedenfalls tat EU-Währungskommissar Olli Rehn am 8. April im ungarischen Gödöllö kund. Wann werden weitere EU-Länder folgen? Als „Wackelkandidaten“ gelten Belgien, Spanien, Italien. In der Euro-Währungsunion ist eingetreten, wovor viele unabhängige Fachleute dringend gewarnt hatten. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte sich entschieden (und vergebens) gegen diese Währungsunion ausgesprochen. Dieser Tage fiel mir beim Aufräumen und Ausmisten meines umfänglichen Archivs ein Leitartikel von mir aus dem Jahr 1997 in die Hände. Ich hatte ihn damals als FAZ-Redakteur im Wirtschaftsteil der Ausgabe vom 13. Juni geschrieben und längst vergessen. Unter der Überschrift „So wird der Euro nicht hart“ lautete der Text – die Zwischentitel habe ich neu eingefügt – so:

Verfehlte Punktlandungen schon zu Beginn

„Noch sind die Verführungssprüche nicht vergessen: ‚Der Euro wird so hart wie die D-Mark.’ Aber verweht sind sie bereits. Unverdrossen wiederholt Bundesfinanzminister Theo Waigel allenfalls dies: Drei heißt drei Komma Null. Er meint damit die staatliche Neuverschuldung, die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten soll, wenn sich ein Mitgliedstaat qualifizieren will, um gleich beim Start in die Währungsunion dabeizusein. Aber seit unübersehbar ist, dass wichtige EU-Länder diese Punktlandung nicht schaffen, klingt es immer beschwörender: Man solle den Drei-Prozent-Wert nicht überbewerten, entscheidender als die Punktlandung sei, ob sich ein Mitgliedsland in jüngerer Zeit stetig auf die Konvergenzkriterien zubewegt habe.

Beschäftigungspolitik contra Geldwertstabilität

Leicht haben es die Beschwörer insofern, als die drei Prozent (ebenso wie die 60 Prozent des Schuldenstand-Kriteriums) in der Tat mehr oder minder willkürlich gegriffen sind und nun als bloßer Fetisch hingestellt werden können. Aber sind die Vorkehrungen, mit denen Währungsstabilität sichergestellt werden soll, wirklich verlässlich genug? Nimmt nämlich die Europäische Zentralbank ihren geldpolitischen Auftrag ernst, was sie zweifellos zu tun bemüht sein wird, und steuert unbeirrbar einen allein auf die Geldwertstabilität ausgerichteten Kurs , lässt sich unschwer vorstellen, daß sich die politischen Kräfte dadurch in ihrer Wachstums- und Beschäftigungspolitik heftig gestört fühlen. Versuche, der Zentralbank Zügel anzulegen, werden dann wahrscheinlich nicht ausbleiben.

Frankreich wollte schon damals eine „Wirtschaftsregierung“

Das Verlangen Frankreichs nach einer ‚Wirtschaftsregierung’ als Gegengewicht zur Zentralbank zeigt bereits jetzt, dass diese Gefahr keine bloße Erfindung ist. Die ‚Macht’ der Zentralbank, also ihre im Maastricht-Vertrag (Artikel 107) vereinbarte geldpolitische Unabhängigkeit, soll durch eine starke europäische ‚Gegenregierung’ in Schach gehalten und, wenn politisch für nötig befunden, gebremst, also notfalls konterkariert werden. Käme es so, könnte die Bank nicht mehr oder nur begrenzt gegensteuern, wenn einzelne oder mehrere Mitgliedstaaten eine ausufernde Haushalts- und Finanzpolitik betrieben.

Ein Angriff auf die deutsche Geschäftsgrundlage

Damit hätte die Zentralbank nicht mehr jenen Unabhängigkeitsstatus wie die Deutsche Bundesbank, mit dem diese inflationär wirkender staatlicher Ausgabenpolitik durch Geldmengensteuerung samt Zinspolitik begegnet ist, um die Härte der D-Mark zu sichern. Die Folge wäre kein harter, sondern ein weicher Euro. Mit der ‚Gegenregierung’ würde also die Geschäftsgrundlage für die deutsche Zustimmung entscheidend verändert, mit der die deutsche Bevölkerung in Sicherheit gewiegt werden sollte, der Euro werde so hart wie die D-Mark, denn die Zentralbank werde so unabhängig sein wie die Deutsche Bundesbank.

Der befürchtete Unterschied zwischen Bundesbank und EZB

Aber selbst dann, wenn es gelänge, den französischen Sozialisten die verlangte ‚Gegenregierung’ auszureden, ist fraglich, ob sich die Zentralbank, auf ihre vereinbarte Unabhängigkeit pochend, auf Dauer durchsetzen kann, wenn sie einen harten geldpolitischen Kurs fährt, um den inflationären Folgen exzessiver Haushaltspolitik von Mitgliedstaaten zu begegnen. Dem Drängen einzelner großer Mitgliedstaaten im Europäischen Rat und dem politischen Druck dürfte sie stärker Ausgesetzt sein als bisher die Bundesbank. Die Bundesbank hat nämlich ihre wichtigste Stütze in der deutschen Bevölkerung. Diese und die öffentliche Meinung verteidigen deren Unabhängigkeit wie ihren Augapfel. Eine deutsche Regierung, ein deutsches Parlament, die sich an dieser Unabhängigkeit vergriffen und einen öffentlichen Aufschrei dagegen mißachteten, könnten immerhin abgewählt werden. Theo Waigels Griff zum Goldschatz der Bundesbank hat gezeigt, wer in dem medialen Aufruhr zurückweichen mußte: nicht die Bundesbank. Eine solche Sanktion hätte der Europäische Rat, weil nicht unmittelbar gewählt und mit viel Selbstherrlichkeit ausgestattet, nicht zu fürchten, selbst wenn er die öffentliche Meinung gegen sich hätte. Die Europäische Zentralbank wird es daher wesentlich schwerer haben, politischem Druck nicht zu erliegen.

Die Schwäche des Stabilitätspaktes

Hinreichende Sicherheit bietet auch der bisher ausgehandelte Stabilitätspakt nicht, der die Mitgliedstaaten in der Ausgabenpolitik zügeln soll. Sein schwerwiegende Schwäche: Es ist der Rat der Finanzminister, der darüber befindet, ob ein Budgetdefizit als übermäßig zu bezeichnen ist und ob Geldbußen verhängt werden sollen. Dafür Mehrheit zu finden, wird schwer sein. So werden die Sanktionen zum Verhandlungsgegenstand und zu einer Frage der politischen Opportunität. Und daß nun auch die Bundesregierung das französische Begehren nach einem ‚Beschäftigungskapitel’ im Maastricht-Vertrag nicht mehr ablehnt, läßt ebenfalls eine Politik befürchten, die nicht auf einen starken, sondern auf einen weichen Euro hinausläuft.

Stabilitätskriterien kein Garant für dauerhafte Stabilität

Ohnehin besteht die Gefahr, daß die Konvergenzkriterien für den Beginn der Währungsunion benutzt, aber nicht als ständige Verpflichtung verstanden werden. Ein Garant für Stabilität auf Dauer sind sie nicht. Zudem sind sie interpretierbar und müssen, nach dem Vertrag, noch nicht einmal strikt erfüllt sein. Dazu kommen die Aufweichungsversuche der Kriterien Neuerschuldung und Gesamtverschuldung, die kreative Buchführung, das französische Verlangen nach einer ‚großen’ Währungsunion gleich zu Beginn.

Besser ein weicher Euro als gar kein Euro?

So läuft denn bisher zuviel darauf hinaus, daß, wenn die gemeinsame Währung pünktlich kommt, eine weiche Währung kommt. Dahinter steht die teils fatalistische, teils euphorische Haltung: Besser ein weicher Euro als gar kein Euro. Andererseits: Ist wirklich ein stabiler Euro gewollt, ließe sich ebendas, solange selbst die wichtigsten Teilnehmerstaaten noch nicht hinreichend ‚konvergieren’, durch eine Terminverschiebung unter Beweis stellen. Die aber ist wegen durchaus möglicher Folgen und ernstzunehmender Bedenken politisch nicht gewollt. Damit bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen. So wird der Euro nicht hart und schon gar nicht so hart wie die D-Mark.“

Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten

Soweit die Kritik vor nun bald vierzehn Jahren. Auch die gemeinsame öffentliche Warnung von rund sechzig deutschen Universitätsprofessoren 1992 hat nichts ausgerichtet. Die schlimmsten Befürchtungen sind inzwischen eingetreten. Schlimmer noch, die Ereignisse mit und seit der staatlichen Finanzkrise Griechenlands gehen darüber weit hinaus. Versprechen wurden gebrochen und gesetzliche Festlegungen ebenfalls. Die EZB kauft statutenwidrig Staatsanleihen zahlungsunfähiger Staaten auf. Mit dem beschlossenen Dauer-„Rettungsschirm“ und einem Volumen von rund einer halben Billion Euro kommen für die Schulden insolvenzbedrohter EU-Staaten – anders als einst beschworen – die übrigen Mitgliedstaaten auf. Vor allem Deutschland muss dabei bluten. Dabei stellt Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU unmissverständlich fest, dass EU-Mitgliedstaaten nicht für die Schulden anderer Mitgliedsländer haften dürfen. Gegen den Rettungsschirm haben rund fünfzig Bürger Verfassungsklage erhoben, eine weitere wird im Hilfefall Portugal vorbereitet. Wirtschaftsprofessor und IfO-Präsident Hans-Werner Sinn nennt es unverantwortlich, „gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen“ und durch die fällig werdenden Haftungen und Umschuldungen Wohlstand und Renten der Deutschen zu gefährden. Für Deutschland „ein Versailles ohne Krieg“ – dieses Wort macht schon länger die Runde. Der „Rettungsschirm“ für den Euro ist eine „tickende Zeitbombe (Näheres hier: http://www.sueddeutsche.de/geld/2.220/rettungsschirm-fuer-den-euro-tickende-zeitbombe-1.1080370

Beruhigungspille für die Deutschen: die Konvergenzkriterien

Für die Kundigen war von Anfang an klar, dass eine gemeinsame Währung ein gewaltiges wirtschaftliches, soziales und damit politisches Konfliktpotential enthält, wenn die EU-Staaten nur eine gemeinsame Währung installieren, nicht aber zugleich auch die für einen Erfolg nötigen Voraussetzungen schaffen. Das haben sie stets als die große Gefahr gesehen und mahnend beschworen. Ebendarum hat Deutschland im Vertrag von Maastricht (1992) wenigstens die Konvergenzkriterien durchgesetzt. Sie sollten (vor allem als Beruhigungspille für die deutsche Öffentlichkeit) sicherstellen, dass die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten nicht zu stark auseinander treiben, und damit das Konfliktpotential jedenfalls anfangs begrenzen. So notwendig sie waren, hinreichend waren sie nicht, um die starken wirtschaftlichen Spannungen und die ihnen folgenden politischen Zerreißproben zu vermeiden. Sie waren – wie damals dargelegt – ökonomisch nicht begründet, sondern willkürlich, waren zu weich, interpretationsbedürftig, unvollständig und auf einen zu kurzen Zeitraum bezogen. Die Kriterien spielen längst keine wirkliche Rolle mehr, sind längst Makulatur.

Die Währungsunion, die zum Sprengsatz wurde

Warnungen, geradezu Beschwörungen hatte es genug gegeben. Auch in der FAZ, auch von mir, zum Beispiel im Wirtschaftsleitartikel vom 8. November 1995: „Wenn die Mitgliedstaaten zwar eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Geldpolitik haben, sie aber nach wie vor ihre eigene, erfahrungsgemäß auseinandertreibende Haushalts- und Finanzpolitik betreiben und wenn Wechselkurse fehlen, um unterschiedliche Entwicklungen abzupuffern, dann kann die gemeinsame Währung in der Europäischen Union zum Sprengsatz werden.“ Dahin ist es nun in der Tat gekommen, und dafür, dass er (noch) nicht explodiert, geht vor allem Deutschland wahnsinnige Verpflichtungen zugunsten anderer EU-Staaten und zu Lasten seiner Bevölkerung ein – letztlich aber, um Banken vor dem Konkurs zu bewahren, die den insolvenzbedrohten Staaten Geld und Kredite gegeben haben, weil Staatsschulden vermeintlich sichere Schulden sind.

Zwei bittere Erfahrungen: 1967 und 1990

Und weiter schrieb ich damals: „Daß ein solches Verfahren ohne ausreichende Voraussetzungen nicht gut gehen kann, dafür sollten zwei bittere und teure Erfahrungen Warnung genug sein. Die eine ist die mit dem gemeinsamen EWG-Agrarmarkt von 1967. Weil eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Währungspolitik fehlte, zersplitterte der gemeinsame Agrarmarkt schon sehr früh wieder in nationale Teilmärkte. Für die Agrarmärkte wurden die überholten Wechselkurse konserviert, an den Grenzen wurde der innergemeinschaftliche Agrarhandel mit Ausgleichsbeträgen traktiert. Die andere Erfahrung ist die mit der deutsch-deutschen Währungsunion von 1990. Als keine Wechselkursschleuse das Gefälle zwischen der verrotteten DDR-Wirtschaft und der starken westdeutschen Wirtschaft mehr absicherte, wurde die DDR-Wirtschaft von der durch die offenen Schleusentore stürzenden Flutwelle fortgerissen, und gewaltigen Transferzahlungen waren und sind immer noch die Folge.“

Diese Währungsunion kann nicht funktionieren und wird zerbrechen

Auch damals haben sich die deutschen Politiker mit Bundeskanzler Helmut Kohl an der Spitze um die Warnungen nicht gekümmert, wenn auch unter den damaligen Umständen verständlicherweise. Aber die Transferzahlungen an die fünf neuen Bundesländer müssen noch immer geleistet werden. In der heutigen Euro-Währungsunion hat Deutschland nun die Transfers zu zahlen, die ihm über den „Rettungsschirm“ abgenötigt werden. Diese Währungsunion kann nicht funktionieren und wird an der Schuldenhaftung letztlich zerbrechen. Die Lunte ist gelegt, zu einer Zündung des Sprengsatzes wird es kommen.

Friedrich Romig, der in Wien, Graz und Aachen Politische Ökonomie gelehrt hat, schrieb jüngst:“ Wie war das doch? „Demokratie der Weg, Sozialismus das Ziel!“ Brüssel ist eine Etappe weiter auf dem Weg in die Neue Weltordnung des Internationalsozialismus. Trotz Stéphane Hessels Aufforderung wird sich kaum ein Bürger „empören“. Die meisten lassen sich widerstandslos in immer prekärere Verhältnisse zwingen oder die Steuergarotte um den Hals legen. (http://www.andreas-unterberger.at/2011/04/30-milliarden-verpulvert/). Hessel ist ein französischer ehemaliger Résistance-Kämpfer, Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, Diplomat und Lyriker. Er schrieb das Pamphlet „Empört euch“. Siehe
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc~E93C73FB0722246EABEA103C2EEF9FFF4~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Print

Schreibe einen Kommentar