Was für eine Krise ist es denn nun?

Ursachenforschung, wovon sie abhängt und wer alles versagt hat / Schlaglichter von einer Tagung in Jena

Was für eine Krise ist es denn nun, die sichtbar und spürbar seit 2008/2009 über uns gekommen ist, aber schon die Jahre zuvor unbemerkt zu schwelen begonnen hat? Eine Finanzkrise? Eine Verschuldungskrise? Eine Kreditkrise? Eine Geldsystemkrise? Eine Krise der Wirtschaftsordnung? Eine Krise der Marktwirtschaft? Eine Wirtschaftskrise? Tatsächlich ist es alles zusammen, und daher trifft alles zu. Folglich lässt sich diese Krise, die sichtbar mit dem Platzen einer Immobilienblase in den Vereinigten Staaten begonnen hat, mit ihren Weiterungen und Folgen für das gesamte Wirtschaftsleben durchaus als Wirtschaftskrise bezeichnen. Doch nur wenige Fachkundige haben sie kommen sehen, ihre Ursachen erklärt und öffentlich gewarnt, nur sehr wenige auch aus der Wirtschaftswissenschaft. So kam bald das Wort von der Krise der Wirtschaftswissenschaft und vom Versagen der Ökonomenzunft auf.

Wovon das Erkennen der Kernursache abhängt

Ein Thema war dies auch beim 2. Jenaer Konvent zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft am 18. Februar im Hauptgebäude der Universität Jena. Fünf Ökonomen sprachen und diskutierten zur Frage „Wirtschaftskrise als Krise der Wirtschaftswissenschaft? Wer hat wirklich versagt: Politik, Wirtschaft oder Wirtschaftswissenschaft?“ Ökonomieprofessor Gerd Habermann lenkte gleich zu Beginn den Blick auf die „Kernfehler, die leider nicht im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen“. Und Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Barclays Capital Deutschland, griff das Stichwort auf und meinte, die Antwort auf die Frage, wer versagt habe, setze eine klare Diagnose der Krisenursache voraus. Doch hänge das Identifizieren der Kernursache entscheidend davon ab, welche ökonomische Theorie man dafür wähle.

Für die Wiener Schule ist die Ursache das staatliche Papiergeld

Theoretisches Fundament für Polleits Überlegungen ist die Österreichische (oder Wiener) Schule der Nationalökonomie. Aus dieser Sicht liege die Ursache für die Finanz- und Wirtschaftskrise im staatlichen Papiergeldsystem. In diesem System des staatlichen Geldangebotsmonopols werde Geld durch Kreditvergabe aus dem Nichts produziert und auf diese Weise die Geldmenge ausgeweitet, ohne dass entsprechende Ersparnisse zur Verfügung stünden. Dies führe notwendigerweise, wie Ludwig von Mises und nachfolgend auch Friedrich August von Hayek in ihrer monetären Konjunkturtheorie gezeigt hätten, zu Fehlallokationen, zu Zyklen von Konjunkturüberhitzung und Konjunktureinbrüchen sowie vor allem zur Überschuldung.

Eine falsche Theorie der Volkswirtschaftslehre

Demnach spielt für Polleit die entscheidende Rolle für das Entstehen der Krise eine falsche Theorie der Volkswirtschaftlehre. Mit ihr würden Politikmaßnahmen in der Regel wirtschaftswissenschaftlich scheinlegitimiert, in jüngster Zeit sogar verstärkt. Einen zusätzlichen Grund sieht er in der schwindenden Unabhängigkeit der Volkswirtschaftslehre. Nationalökonomen stünden vermehrt in wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Staat und der von ihm privilegierten Gruppen. Damit hätten sie starke wirtschaftliche Anreize, Ideen und eine Politik zu stützen, die als staatstragend hingestellt würden. Polleit lehrt auch als Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance and Management.

„Alle Rettungsversuche werden nichts nützen“

Im Kern ist die Krise für Polleit letztlich die Folge eines Wirtschaftssystems, das sich in den letzten Jahrzehnten in nahezu allen entwickelten Volkswirtschaften immer stärker herausgebildet habe und das sich vermutlich treffend als „sozial-demokratischer Sozialismus“ charakterisieren lasse. Es sei ein Wirtschaftssystem, in dem das Privateigentum nicht sakrosankt sei und staatliche (Markt)Eingriffe, legitimiert durch die Mehrheitsmeinung, dafür sorgen wollten, Vermögen und Einkommen „gerecht“ umzuverteilen. Jede Regierung und ihre Politik hänge in letzter Konsequenz von der Zustimmung der Bevölkerung und ihrer Mehrheit ab. „Unkenntnis und/oder Ignoranz gegenüber den Konsequenzen von Politikmaßnahmen, die nicht im Einklang mit der Achtung der individuellen Eigentumsrechte stehen, führen zu Fehlentwicklungen – insbesondere im Zuge einer de facto verstaatlichten Geldproduktion. Das ist letztlich die eigentliche Botschaft der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise.“ Später in der Diskussion bekräftigt er: „Ich meine, alles zurückführen zu können auf die staatliche Geldordnung mit ihren Fehlanreizen. Das Papiergeldsystem ist hin, alle Rettungsversuche werden nichts nützen.“

„Versagt haben alle“

Der Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty meinte sarkastisch, die Volkswirtschaftslehre habe es geschafft, sich von der wirtschaftlichen Wirklichkeit zu emanzipieren. Die Krise passe nicht in ihre mathematischen Modelle hinein. Temperamentvoll ritt er eine heftige Attacke: Versagt hätten alle – die Aufsichtsorgane, die Prüfungsorgane, die Wissenschaftler, die Politiker. Auch er berief sich auf Hayek. Schon der habe beklagt, das Problem sei, dass zu wenig gespart werde. Alle Politiker und die meisten Ökonomen seien auf den Keynesianismus eingegangen, hätten sich der Nachfragepolitik hingegeben. Das entscheidende Element der Geldpolitik sei der von der Zentralbank festgesetzte Zinssatz. Werde er – wie seit Jahren geschehen – künstlich zu niedrig gehalten, habe er keine Selektionsfunktion mehr, dann entstünden Blasen, es komme zu massiven Fehlentwicklungen, Krisen seien die Folge. Der kämpferische Starbatty ist auch Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft.

„Nicht alle haben versagt, aber zu viele sich geirrt“

Differenzierter äußerte sich der Wirtschaftswissenschaftler Michael Wohlgemuth. Ihm fallen klare, einseitige Schuldzuweisungen und Vorwürfe von „Versagen“ schwer. Sie würden der komplexen, interdependenten Natur der Wirtschaftskrise nicht gerecht. Nicht „die Politik“, nicht „der Markt“ oder nicht „die Wirtschaftswissenschaft“ hätten „versagt“. Eher hätten sich zu viele Politiker, Marktteilnehmer und Ökonomen geirrt – auch in ihren herdenhaften Erwartungen über die Meinungen und das Verhalten der jeweils anderen. Was etwa oberflächlich nach „Marktversagen“ aussehe (wie die Sorglosigkeit der Hypothekenvergabe in den Vereinigten Staaten und der Verbriefungen weltweit) sei letztlich auf „Politikversagen“ zurückzuführen, zum Beispiel auf die Politik des billigen Geldes, auf die Immobiliensozialpolitik, auf das Herauspauken der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddy Mac sowie entsprechende Ratings. Und was scheinbar offensichtlich nur als „Staatsversagen“ daherkomme (wie die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum) habe auch damit zu tun, dass die Finanzmärkte die schleichende Überschuldung und fehlende Wettbewerbsfähigkeit einiger EU-Länder nicht schon sehr viel früher anhand erhöhter Risikoprämien signalisiert hätten.

Für die wenigen Warner nur Spott und Mitleid

Für Wohlgemuth haben die aktuellen Krisen einiges mit „Ordnungspolitikversagen“ (Starbatty) zu tun, also mit falschen Rahmenbedingungen, falschen Regulierungen, falschen Anreizen. Aber erst im Nachhinein seien die Wirtschaftswissenschaften in der Lage, all dies als „falsch“ zu erkennen und zu erklären. „Mehr noch: wir sind nun auch in der Lage, entsprechende Problemlösungen anzubieten. Im Nachhinein!“ Nur sehr wenige Außenseiter-Ökonomen hätten die Zusammenhänge der aktuellen Krise vor deren Ausbruch gesehen und davor gewarnt, hätten aber von ihren Kollegen dafür fast nur Schulterzucken, Mitleid oder Spott geerntet. Das spreche nicht gerade für einen großen Fortschritt „unseres Fachs“.

Eine ungeahnte Renaissance für schon tote Ökonomen

Mit feiner Ironie merkte Wohlgemuth an: Um die akute Krise und ihre Ursachen für die politische und mediale Orientierung aufzubereiten und zu bewältigen, seien viele schon tote Ökonomen wiederbelebt worden, auch Walter Eucken habe man wieder ausgegraben. Sie hätten durch die Krise eine ungeahnte Renaissance erlebt. Somit gebe es durchaus Anlass, sich auch über eine „Krise der Wirtschaftswissenschaften“ Gedanken zu machen. Euckens Insistieren auf der polit-ökonomischen Vernunft der Selbstbindung an Prinzipien wie stabiles Geld, verlässliche Wirtschaftspolitik oder private Haftung und vor allem sein Blick auf die Einbettung von Wirtschaftsprozessen in rechtliche und moralische Kontexte seien aktuell wie immer.

Ordnungsökonomik von den Ökonomie-Fakultäten verdrängt

Für Wohlgemuth sind dies Themen einer neuen Ordnungs- oder Institutionenökonomik. Doch seien sie inzwischen, besonders in Deutschland, aus den Ökonomie-Fakultäten verdrängt worden. Dafür würden sie begierig von sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen aufgegriffen, aber „mit oft mangelhafter Disziplin an nüchtern ökonomischem Denken“. Die Diskussion über die „Zukunft des Kapitalismus“ finde in den Feuilletons statt unter den dort versammelten Philosophen, Soziologen, Politologen, Psychologen, Kabarettisten und Literaten. Wohlgemuth ist Privatdozent und Geschäftsführender Forschungsreferent am Walter-Eucken-Institut in Freiburg.

Organisierte Verantwortungslosigkeit als Krisenursache

Eine eindeutige Auffassung zu den Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben, wie Thomas Köster vortrug, die Unternehmer des Handwerks, ähnlich wie die meisten anderen mittelständischen Unternehmer auch. Köster ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf und promovierter Volkswirt. Die eigentliche Ursache der Krise liege in organisierter Verantwortungslosigkeit. Versagt habe vor allem die Politik, aber auch Marktakteure, Wissenschaftler sowie wichtige Repräsentanten der Eliten hätten an der Versagensbilanz ihren markanten Anteil.

Fehlende Haftung, falsche Anreize

Versagen der Politik diagnostiziert Köster in der von den Notenbanken betriebenen Politik des billigen Geldes. Sie begünstige verantwortungslosen Umgang mit Geld und besonders die verantwortungslose Aufnahme immer neuer Schulden. „Wenn die Marktakteure damit rechnen können, dass die Notenbank durch eine Zinspolitik des billigen Geldes sie aus allen finanziellen Kalamitäten heraushaut, ist mit verantwortlichen Verhaltensweisen nicht zu rechnen.“ Ferner: Das Gesellschaftsrecht ermögliche es, das Haftungsprinzip außer Kraft zu setzen. Besonders bei Publikumsaktiengesellschaften mit Streubesitz setze man für die Entscheidungsträger falsche Anreizsysteme in Kraft, die unverantwortliches Handeln begünstigten. Hierzu zählt Köster auch die Verbriefung von Kreditrisiken zu ermöglichen, ohne dass beim Emittenten eine Mindestrisikoquote verbleibe.

Basel-II-System, zu gutes Rating, Kontrollversagen

Ein weiteres Beispiel ist für ihn, dass für die Vergabe von Krediten durch Banken im Rahmen des Basel II-Systems niedrige Eigenkapital-Hinterlegungsquoten ermöglicht werden, und zwar in allen solchen Fällen, in denen der Kreditnehmer eine gute Rating-Note erhalte. Wie die Finanzkrise gezeigt habe, sei dieses System außerordentlich missbrauchsanfällig. Und der Umstand, dass Rating-Agenturen für ihre Rating-Urteile keinerlei Haftung zu übernehmen brauchten, stärke das System der organisierten Verantwortungslosigkeit ebenfalls. Hierfür trage die Politik die Verantwortung, da die Rating-Agenturen erst durch staatlichen Rechtsakt in ihre autoritative Stellung hineingebracht würden, in Deutschland durch Inkraftsetzen der Solvabilitätsverordnung. Nach geltender Rechtslage könne auch die staatliche Bankenaufsicht für ihr Kontrollversagen in der Finanzkrise in keiner Weise haftbar gemacht werden.

„Bestellte“ Regulierungen, haftungsscheue Manager

Den Marktakteuren weist Köster Versagen insofern zu, als sie oder ihre Verbände häufig bei der Politik Regulierungen „bestellten“ und durch intensives Lobbying dringlich machten. Als Beispiel nennt er den Bundesverband des deutschen Bankgewerbes beim Durchsetzen des Basel-II-Systems. Haftungsscheu wirft er den Managern von Unternehmen vor. Sie und ihre Vertreter wiesen ununterbrochen jede Kritik an der für die Wirtschaftsordnung sehr problematische Außerkraftsetzung des Haftungsprinzips nachhaltig zurück. „Vorstandsvorsitzende wollen alles, nur nicht selbst haften. Es ist mit unserer Wirtschaftsordnung unvereinbar, Gewinne zu privatisieren und Verluste tendenziell zu sozialisieren.“

Das Versagen der Ökonomen

Zum Versagen von Ökonomen liegen für Köster unter anderem folgende Fragen und Bewertungen nahe: „Wo blieb die Kritik der Ökonomen an der Prozyklik und Missbrauchsanfälligkeit des Basel-II- Systems? Wo blieb die Kritik der Ökonomen an der Umstellung der Bilanzbewertungsmethoden vom Niederstwertprinzip zum sogenannten Fair-value-Prinzip nach dem Internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS? Wie lange haben wir darauf gewartet, dass durch Ökonomen die Art der Bezahlung der Rating-Agenturen kritisiert wurde? Wo blieb die Kritik der Ökonomen an der Ausgestaltung von Bonus-Systemen für Bankmanager und an den Rekrutierungsmethoden von Vorstandsmitgliedern bei Publikumsaktiengesellschaften?“

„Die Werte-Ethik revitalisieren“

Für notleidend hält Köster die Artikulationsfähigkeit einer neuen Generation von mathematisch orientierten Ökonomen gegenüber Nicht-Ökonomen. Für immer mehr Stellen in Wirtschaftsorganisationen und öffentlicher Verwaltung, die früher mit Volkswirten besetzt worden seien, würden heute Juristen, Politologen oder Historiker ausgewählt. Bei ihnen würden ausreichende institutionelle Kenntnisse eher vorausgesetzt als bei heutigen Volkswirten. Die Volkswirtschaftslehre marginale sich selbst. Das lasse sich nur dadurch beenden, dass sie wieder stärker politik-relevante Themenstellungen untersuche, deren Interdependenz mit anderen Teilordnungen berücksichtige und sich um Verständlichkeit gegenüber Nicht-Ökonomen bemühe. Auch mahnt Köster an, die Werteethik zu revitalisieren, besonders bei den Eliten von Politik, Medien, Wissenschaft und Kirchen. „Ohne Vorbilder wird sich eine neue Kultur der Verantwortlichkeit schwerlich pflanzen lassen.“

Mit der These „Die Renten sind sicher“ endgültig aufgeräumt

Mit der Tagung „Jenaer Konvent“ verbunden ist auch die Verleihung des Walter-Eucken-Preises. Der Preis zeichnet junge Wissenschaftler aus, „deren Forschung theoretisch und empirisch hervorragend fundiert und wirtschaftspolitisch relevant ist“. Er ist diesmal dem Nachwuchswissenschaftler Christian Hagist von der Universität Freiburg verliehen worden. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Altersvorsorge und Gesundheitsökonomik. Der Jenaer Wirtschaftsprofessor Andreas Freytag sagte in seiner Laudatio unter anderem, Hagist sei in der Lage, seine Forschungsergebnisse in der Öffentlichkeit und in der Politik zu präsentieren, so in Tageszeitungen, Funk und Fernsehen sowie in Anhörungen im Deutschen Bundestag und auf Fachtagungen. Er schließe sich nicht im Elfenbeinturrn ein, sondern gehe in die Öffentlichkeit. „Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die Arbeiten der Generationenbilanzierer politisch durchaus unkorrekt sein können. Sie räumen nämlich endgültig auf mit der These, die Renten seien sicher. Sicher scheint nur zu sein, dass die Renten überaus unsicher sind. Es ist nicht zuletzt der Arbeit aus Freiburg zu verdanken, dass diese Erkenntnis sich langsam, aber mit Macht Bahn bricht und gegengesteuert wird.“

Eine Ministerpräsidentin beschwört Ludwig Erhard

Die Festrede hielt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, Sie griff die Fragen auf, die sich die Unterzeichner des Jenaer Aufrufes vor zwei Jahren gestellt hatten: „Was muss geschehen, damit die Soziale Marktwirtschaft wieder an Strahlkraft gewinnt? Welchen Beitrag können die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft leisten, um eine „gesunde Wirtschaft“ im Sinne ihrer Vordenker Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Ludwig Erhard und anderer zu schaffen?“ Für sie steht fest: „Eine funktionierende Marktwirtschaft ist die Grundlage für eine gute Sozialpolitik und nicht umgekehrt – das lehrt uns Ludwig Erhard. Sozial ist vor allem, was Beschäftigung schafft.“ Sie zitierte Ludwig Erhard: „Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch“. Und setzte hinzu: „Aber nur dann, wenn sich alle an die vereinbarten Regeln halten.“

Vertrauen der Bevölkerung erschüttert

Die Finanzkrise habe gezeigt: Das völlig freie Spiel der Märkte ohne jede Begrenzung sei zum Scheitern verurteilt. „So etwas dürfen wir nie wieder zulassen. Wir müssen uns international auf klare Spielregeln der Fairness, der Ethik und Moral einigen. Die Soziale Marktwirtschaft verbindet Freiheit mit Verantwortung.“ Von Wilhelm Röpke stamme die Erkenntnis, dass kein Kultursystem auf Dauer bestehen könne, „wenn es in seinen inneren Gesetzen, in seiner Struktur und in seinem Sinn nicht mehr von den Massen verstanden wird, die es tragen.“ Die Wirtschafts- und Finanzkrise habe das Vertrauen der Bevölkerung in die Soziale Marktwirtschaft erschüttert. Zur Finanzkrise sagte sie auch: „Es ist uns nicht offensichtlich nicht gelungen, die notwendigen politischen Entscheidungen ausreichend zu erklären. Im Gegenteil: Die Krise hat sich inzwischen auch zu einer veritablen Glaubwürdigkeitskrise der Europäischen Union ausgeweitet.“

„Normative Grundlagen leben und vermitteln“

Ferner sagte Frau Lieberknecht, sie habe den Eindruck, dass in jüngerer Zeit vielen Menschen – gerade in den sogenannten Leistungseliten – das Empfinden für Sinn und Würde ihres Berufes abhanden gekommen sei. Es wieder zu erwecken, sei eine der dringenden Aufgaben unserer Zeit – sowohl für Wirtschaftspädagogen als auch für Sozialphilosophen. Auch die nüchterne Welt des Geschäftslebens stehe auf moralischen Fundamenten: Achtung der Menschenwürde, Gemeinsinn, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Mitte und Maß sind die Steine, mit denen dieses Fundament gebaut werde. Fehle es an ihnen, so gerate die Marktwirtschaft ins Wanken. Kein volkswirtschaftliches Lehrbuch, keine betriebswirtschaftliche Erfolgsformel könne diese Werte ersetzen. Sie empfahl: „Wir sollten uns wieder stärker auf die normativen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft berufen, wir müssen diese Grundlagen auch leben und vermitteln.“ Denn Röpke habe recht: „Das Wirtschaftsleben spielt sich nicht in einem moralischen Vakuum ab.“

Print

Ein Kommentar zu „Was für eine Krise ist es denn nun?“

Schreibe einen Kommentar