Bäuerliche Familienbetriebe gehen beim Verkauf der BVVG-Flächen leer aus
Private Großinvestoren sind scharf auf Agrarland in den ostdeutschen Bundesländern. Aber Landwirte sind sie nicht und ortsansässig auch nicht. Doch umso leichter schnappen sie den ortsansässigen Bauern das Land weg, die für ihre zu kleinen Betriebe auf zusätzliche Flächen angewiesen sind. Dieser „Ausverkauf“ von ostdeutschem Agrarland an auswärtige, finanzkräftige Geldanleger und Möchtegern-Großgrundbesitzer findet schon seit einem Jahrzehnt statt, wenn auch ohne öffentliches Aufsehen. Dies beschrieben und davor gewarnt hat der mecklenburgische Landwirt Jörg Gerke bereits 2008 in seinem Buch „Das ostdeutsche Agrarkartell“ siehe (siehe https://kpkrause.de/?p=622 ). Aber erst seit diesem Oktober ist der Agrarlandverkauf auch in etlichen Medien Gegenstand der Wahrnehmung und damit Thema öffentlicher Diskussion geworden. Wieso jetzt? Und was steckt dahinter?
Es geht um die Privatisierung von restlichen 400 000 Hektar
Das Kaufinteresse ortsfremder Großinvestoren konzentriert sich auf große, zusammenhängende (arrondierte) Flächen, nicht auf kleinräumige. Solche Flächen gab und gibt es in den fünf „neuen“ Bundesländern. Sie stehen in der Verfügungsgewalt der fünf Länder, ihrer Gemeinden oder der bundeseigenen Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH (BVVG) mit zusammen 50 bis 65 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche dort. Der Rest ist breit verteilt und meist im privaten Eigentum ortsansässiger Landwirte mit ihren bäuerlichen Betrieben. Von den BVVG-Flächen steht noch ein Rest von rund 400 000 Hektar zum Verkauf.
Verkäufe stark politisch beeinflusst
Darüber, ob, an wen und was von dem staatlichen und kommunalen Agrarland verkauft wird, entscheiden die fünf Bundesländer mit ihren Agrarministern und Ministerpräsidenten, aber nicht nur über die eigenen Flächen, sondern letztlich auch über jene, die für den Bund die BVVG verwaltet und die sie – für den Fiskus möglichst erlösreich – privatisieren soll. Jörg Gerke, der in Mecklenburg bei Güstrow einen Hof bewirtschaftet, sagt, Agrarpolitik sei in Ostdeutschland immer auch Sache der Ministerpräsidenten. Politiker wie Tillich (CDU) in Sachsen, Ringsdorf (SPD) in Mecklenburg und Platzek (SPD) in Brandenburg würden ohne weitgehende Zugeständnisse an das einstige und immer noch einflussreiche Personal der DDR-Agrarkader Ministerpräsidenten gar nicht geworden sein.
Zum Beispiel der Fielmann-Landkauf
Ein Beispiel für den Landerwerb durch finanzkräftige ortsfremde Unternehmer ist der Landkauf des Brillenfilialisten Fielmann. Im Mecklenburger Regionalteil der Lübecker Nachrichten wurde darüber im Herbst 2004 berichtet. Fielmann hatte auf den besten Ackerböden Mecklenburgs einen Ackerbaubetrieb erworben. Das aber war ihm erst dann gelungen, als sich der damalige Ministerpräsident Ringsdorf (SPD) bei der BVVG für Fielmann eingesetzt hatte. Dass Fielmann mittlerweile den Betrieb wieder abgegeben hat, ist zugleich ein Beispiel dafür, dass Investoren keine nachhaltige, auf Dauer angelegte Landwirtschaft betreiben.
Für die LPG-Nachfolger schon wieder das Vorkaufsrecht
Die zentrale Stellung und Maßgeblichkeit der Landesregierungen bei allen Entscheidungen über die BVVG-Flächen zeigt sich für Gerke auch bei der Bund-Länder-Einigung über die neuen Privatisierungsgrundsätze für die noch verbliebenen rund 400 000 Hektar BVVG-Flächen im Februar 2010. Hier hätten sich die ostdeutschen Bundesländer zugunsten der von den DDR-Agrarkadern geführten Großbetriebe (LPG-Nachfolgegesellschaften) zum wiederholten Mal durchgesetzt und diesen schon wieder das Vorkaufsrecht zugeschanzt – und zwar ungeachtet dessen, dass diese Kaderbetriebe bei der Landvergabe (Pacht und Kauf) auch schon bisher massiv bevorzugt worden sind (siehe meinen Beitrag „Das Sagen haben die neuen Junker“ unter https://kpkrause.de/?p=911 ).
Großbetriebe einstiger DDR-Agrarkader bevorzugt
Im Januar 2004 hatte der damalige Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) in einem Interview gesagt, die ostdeutschen Agrarflächen von Bund und der fünf Länder würden dafür benötigt, die ostdeutsche Landwirtschaft am Leben zu erhalten. Gemeint hatte er damit die großen Kaderbetriebe, denn diese staatlichen Flächen sind fast ausschließlich an das ehemalige Kaderpersonal mit ihren großen LPG-Nachfolgesellschaften und daneben an einige wenige westdeutsche Agrarindustrielle und Agrarfunktionäre vergeben worden
Das ostdeutsche Agrarkartell
Maßgeblich beteiligt an dieser Bevorzugung ist nach Gerkes Darstellung der Deutsche Bauernverband (DBV). Mit der Wiedervereinigung hatte er die DDR-Organisation Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) bei sich aufgenommen, also auch deren einstiges Kaderpersonal, und daraus seine fünf ostdeutschen Landesverbände gebildet. Die VdgB ist in der DDR das Instrument der SED für die Zwangskollektivierung von mehreren hunderttausend Bauern gewesen. Folglich bestimmt der DBV – im Zusammenwirken mit dem übriggebliebenen einstigen VdGB-Personal, den einstigen LPG-Leitern und ihren heutigen Nachfolgegesellschaften sowie den Mitarbeitern und Repräsentanten der früheren DDR-Agrarverwaltung – die Verteilung der Agrarflächen entscheidend mit. Auch wirkt diese Truppe mit ihm (und wirkt er mit dieser Truppe) wesentlich auf die ostdeutsche Politik und deren Agrarpolitik ein. Gerke nennt dieses Konglomerat „das ostdeutsche Agrarkartell“, das daher auch der Titel seines Buches ist.
Politischer Druck, um die BVVG-Preise zu drücken
Mit Hilfe dieses Kartells wurden und werden den großen Kaderbetrieben nicht nur die meisten BVVG-Flächen zugeschustert, sondern sie haben sie auch in großem Umfang zu einem Kaufpreis von nur 1500 bis 3500 Euro je Hektar extrem verbilligt erhalten. Dagegen sind die aktuellen Marktpreise für arrondierte Ackerflächen mit inzwischen über 20 000 Euro je Hektar deutlich höher. Doch von niedrigen Kaufpreisen wollen die großen Kaderbetriebe auch beim Erwerb der restlichen 400 000 Hektar BVVG-Flächen profitieren. Das unterstützt daher auch der DBV, denn Großbetriebe als DBV-Mitglieder sind gute Beitragszahler. Aber die Bereitschaft ortsfremder Großinvestoren, Agrarland selbst dann zu kaufen, wenn die Preise hoch sind, ist für den Fiskus in Gestalt der BVVG unwiderstehlich. Um diese Begehrlichkeit des Fiskus zu unterdrücken, wird nun mit Hilfe der Medien politischer Druck aufgebaut: Der „Ausverkauf von Agrarland“ an finanzstarke fremde Investoren sei zu unterbinden, das Land gehöre in die Hand von Landwirten, die aber könnten aus betriebswirtschaftlichen Gründen die so stark gestiegenen Preise nicht bezahlen. Folglich müsse die BVVG das Land weiterhin an sie verbilligt verkaufen. Der Großinvestor wird als Feindbild aufgebaut, das gefällt den Medien und, siehe da, der „Ausverkauf“ wird zum öffentlichen Thema.
Ein Beispielfall: Der Landverkauf an die GLS-Bank
Gerke macht darauf aufmerksam, dass sich fast alle Medienbeiträge als abschreckendes Beispiel auf einen BVVG-Verkauf an die GLS-Bank (Hauptsitz Bochum) beziehen. Es sind 2550 Hektar eines ökologischen Ackerbaugebietes in der Uckermark (Schorfheide-Chorin) für zusammen rund 13 Millionen Euro (Spiegel 43/2010). Die Bank verpachtet das Land für mindestens zwölf Jahre weiterhin an die zwölf Bio-Betriebe, die es schon bisher gepachtet und bewirtschaftet haben. Je Hektar hat die Bank im Durchschnitt rund 5100 Euro bezahlt. Aber der Marktpreis für arrondiertes Ackerland liegt auch in der Uckermark bei rund 20 000 Euro je Hektar oder sogar darüber. Damit hat also der Bundes-Fiskus in Gestalt der BVVG auf einen Erlös von rund 14 900 Euro je Hektar und zusammen 38 Millionen Euro verzichtet. Betrüge der Marktpreis nur 10 000 Euro, entspräche das einem Erlösverzicht von rund 4900 und von zusammen 12,5 Millionen Euro. Der Erlösverzicht ist also gegenüber der Bank eine ganz massive staatliche Subvention. Wenn die Bank die Subvention über die Pacht an die zwölf Betriebe weiterreicht, beträgt sie je Betrieb im Durchschnitt zwischen 1 und 3,2 Millionen Euro.
Bäuerliche Betriebe werden benachteiligt
Dazu kommt, dass jeder dieser Betriebe als langfristiger Pächter beim verbilligten Landkauf (bei einer Bodenqualität von 40 Bodenpunkten) schon 200 Hektar von der BVVG als Eigentum erwerben konnte. Auch dies ist eine Einzelsubvention in Millionenhöhe. Aber zur gleichen Zeit, so prangert Gerke an, gehen kleineren bäuerlichen Bio-Betrieben in Ostdeutschland ihre wenigen BVVG-Pachtverträge verloren. Oder sie müssen für die wenigen BVVG-Flächen, für die sie eine Kaufberechtigung haben, ein Mehrfaches von dem zahlen, was ihre großen Agrarkader-Nachbarbetrieben zahlen.
Anhand dieses Fallbeispiels stellt Gerke auch die Frage, ob alle Biobetriebe im Gebiet Schorfheide-Chorin ähnlich hohe Subventionen durch verbilligten BVVG-Kauf und -Pachtung erhalten haben. Oder lenkt der Kauf durch die GLS-Bank von einer Benachteiligung vieler anderer Bio-Betriebe ab? Jedenfalls hatten in Brandenburg schon im Jahr 2005 nach einer Aussage des damaligen Landwirtschaftministers Woidke weniger als 20 Prozent der Betriebe BVVG-Flächen gepachtet, mehr als 80 Prozent hatten keine pachten dürfen und auf die damit verbundenen Pachtsubventionen verzichten müssen.
Die privilegierte Gerbstedt-Agrar-GmbH
Der Kauf von Agrarland in der Uckermark durch die GLS-Bank war der Auftakt dafür, über vermeintlich ähnliche Probleme von landwirtschaftlichen juristischen Personen wie der Gerbsted-Agrar-GmbH in Sachsen-Anhalt zu berichten (Spiegel 43, 2010). Für diesen Betrieb ist nun offenbar die Pacht von 200 Hektar BVVG- Flächen nach 18 Jahren ausgelaufen. Da aber nach der Regelung von 2007 maximal 20 Prozent der BVVG Flächen zum Verkauf ausgeschrieben werden mussten, ein Betrieb aber für 80 Prozent der BVVG-Pachtflächen eine Verlängerung auf 27 Jahre erhält, muss die Gerbsted-Agrar-GmbH immer noch mindestens 800 Hektar BVVG-Flächen als Pachtland zur Verfügung haben und hat zudem bis Ende 2009 eine erhebliche BVVG-Fläche verbilligt kaufen können. Dieser Betrieb ist bezüglich seiner Ausstattung mit BVVG-Flächen selbst für ostdeutsche Großbetriebe außerordentlich privilegiert.
Wie der öffentliche beklagte Ausverkauf sogar beschleunigt wird
Mit beiden Fallbeispielen bekommt die vom DBV mit dem Agrarkartell medial initiierte Stoßrichtung eine absurde Wendung: Beschworen als große Gefahr für die Landwirte wird der Ausverkauf der Agrarflächen in Ostdeutschland an private Großinvestoren, aber er wird von den ostdeutschen Ländern und dem DBV gefördert und sogar gesucht. Was nämlich in keiner der Veröffentlichungen bisher auch nur angerissen wurde, ist die Tatsache, dass die landwirtschaftlichen Pächter, wenn sie BVVG-Flächen verbilligt gekauft hatten, ursprünglich zwanzig Jahre lang zu einer weiteren Bewirtschaftung verpflichtet waren. Aber durch eine Initiative des DBV mit dem Agrarkartell wurde diese Verpflichtung 2007 auf 15 Jahre verkürzt. Kein ostdeutscher Ministerpräsident, kein ostdeutscher Agrarminister und kein Vertreter einer im Bundestag vertretenen Partei hat sich gegen diese Verkürzung ausgesprochen. Aber gerade eine möglichst lange Bewirtschaftungsverpflichtung beim Kauf ist gegen einen „Ausverkauf von Agrarland“ an besagte Großinvestoren das beste Instrument. Mittlerweile fordert der DBV, die Verpflichtung sogar auf zehn Jahre zu verkürzen. Das würde den Ausverkauf nochmals beschleunigen. Auch dazu war bisher kein Widerspruch aus der ostdeutschen Politik zu vernehmen.
Zweierlei Maß bei der Klausel zur Ortsansässigkeit
Die aktive Rolle der ostdeutschen Politik und der BVVG beim Ausverkauf zeigt sich auch beim Umgang mit den BVVG-Pachtverträgen. Durch die Übernahme von LPG-Nachfolgesellschaften haben Aktiengesellschaften wie die KTG oder andere Investoren eine hohe Bewirtschaftungsfläche erreicht. Die dabei gültigen Pachtverträge mit der BVVG sind dabei automatisch auf die neuen Bewirtschafter übergegangen. Die BVVG-Pachtverträge enthielten jedoch regelmäßig Klauseln, die ermöglicht haben, die Pachtverträge zu kündigen, wenn der Pächter nicht ortsansässig war. In einigen Fällen hat die BVVG, wenn sie Pächter, teilweise auf Initiative der ostdeutschen Bundesländer, von den Flächen entfernen wollte, die Verträge unter Verweis auf diesen Passus gekündigt. Allerdings fanden solche Kündigungen seltsamerweise ausgerechnet nicht gegenüber Großinvestoren statt. Die BVVG-Pachtflächen hätten dann ausgeschrieben und an ortsansässige Landwirte verpachtet werden können.
Was hinter den Vorgängen wirklich steckt
Das Fazit: Die vermeintliche Furcht vor fremden Investoren ist geschürte Furcht und nur ein Instrument, den bisher Begünstigten beim Flächenkauf, also den einstigen DDR-Agrarkadern und einigen Agrarfunktionären aus dem Westen, auch die letzten 400 000 BVVG-Hektar zu einem möglichst hoch subventionierten Kaufpreis zukommen zu lassen. Da die BVVG politisch weisungsgebunden ist, dokumentieren diese Vorgänge, dass man in der Bundesregierung, in den Landesregierungen und quer durch alle Parteien politisch desinteressiert ist, den Ausverkauf der ostdeutschen Landwirtschaft an ortsfremde Großinvestoren und große Kaderbetriebe zu begrenzen.
Die bäuerlichen Familienbetriebe abermals die Verlierer
Dieses Desinteresse geht zu Lasten der bäuerlichen Familienbetriebe. Diese Familien sind schon in der DDR-Zeit Verlierer durch die Zwangskollektivierung gewesen, wurden mit ihrem Land gewaltsam in die „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPG) und „Volkseigenen Güter“ (VG) gepresst und zu Landarbeitern degradiert. Diejenigen dieser Familien, die nach 1990 ihre Betriebe wieder aufzubauen versuchten, wurden und werden seitdem abermals auf die Verliererseite geschoben, weil man sie vom zusätzlichen Erwerb von BVVG-Flächen weitgehend ausschließt. Mit zu wenig Ackerland konnten und können sie nur eine nebenberufliche Landwirtschaft betreiben.
Obwohl die Mehrheit, benachteiligt und aufs Neue unterdrückt
Daher muss man mit Gerke konstatieren: Die Mischung von Unkenntnis der Vorgänge und Verhältnisse in der ostdeutschen Landwirtschaft, von Gleichgültigkeit, sie wahrzunehmen, aber auch von politischer Absicht läuft darauf hinaus, dass diese Verlierer, obwohl sie die Mehrheit der ostdeutschen Landbevölkerung ausmachen, vernachlässigt, benachteiligt und auf diese Weise aufs Neue unterdrückt werden.