Sparen, sparen – aber wo und wie?
Es scheint, als würden unsere Politiker jetzt ernsthafter über staatliches Sparen reden. Am 6. und 7 Juni will die Merkel-Regierung in Klausur gehen. Dort soll ein Sparpaket beschlossen werden, das bisher größte in der bundesdeutschen Geschichte. Wirklich?
Der Kanzlerin schwankende Entschiedenheit
Daran zweifeln muss man schon deswegen, wenn man sieht, wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch prompt niedergemacht wurde, nur weil er zu sagen gewagt hatte, beim Sparen stehe alles auf dem Prüfstand, selbst Bildung, Forschung, Kinderbetreuung, Tabus dürfe es keine geben. Geprügelt wird er vor allem aus den eigenen Reihen mit Angela Merkel an der Spitze, und die Tabus wurden sofort benannt: Bildung, Forschung, Kinderbetreuung. Als die Kanzlerin auf dem Kirchentag in München auch etwas zum Sparen sagte, bot sie ein schönes Beispiel für vorgetäuschte, schwankende Merkel’sche Entschiedenheit: „Da wird kein Bereich ausgenommen.“ Prompt aber nannte sie sogleich die Ausnahmen. Entnommen habe ich die Begebenheit einem FAZ-Bericht vom 18. Mai.
Berge, Berge, nichts als Berge
In der Tat ist es, wie Koch – gegen Merkel gerichtet, ohne sie namentlich zu nennen – bekräftigt hat, angesichts der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik „grober Unfug“, 90 Prozent des Bundes- und Landeshaushalt für sakrosankt zu erklären. Koch hat auch ausgesprochen, was jedermann zwar weiß oder wissen sollte, aber aus Politikermund bisher nicht so recht vernahm: „Wir leben in dramatischer Weise über unsere Verhältnisse.“ Tatkraft ist also geboten und dringlich, aber die richtige. Denn was sehen wir? Berge, Berge, nichts als Berge. Schuldenberge. Berge? Nein, Hochgebirgsmassive. In Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien … Auch in Deutschland. Und dazu Löcher, nichts als Löcher, Haushaltslöcher, ebenfalls weit und breit. Auch in Deutschland, schon lange und immer wieder. Gefüllt wurden sie mit neuen Schulden.
Deutschland verschonen sie noch
Aber „die Finanzmärkte“ mögen das nicht mehr, haben Angst, dass Staaten zahlungsunfähig werden und ihre Anleihen nicht mehr bedienen können. Die Marktakteure, die bösen Spekulanten, die Prügelknaben für Sünden der Politiker, legen die staatliche Verantwortungslosigkeit offen, indem sie mit ihren Transaktionen die Zahlungsfähigkeit testen, zuerst die der dafür anfälligsten Übeltäter-Staaten wie Griechenland. Deutschland verschonen sie noch. Aber von den Altschulden kommt auch Deutschland schon gar nicht mehr herunter; es würde dafür, so lautete eine Rechnung, 150 Jahre brauchen. Somit müssen die deutschen Politiker wenigstens gegen die Neuverschuldung vorgehen. Daher reden sie jetzt vom großen Sparen. Im Haushalt für 2011.
Pauschal überall kürzen ist Drückebergerei
Aber wie und wo sparen? Dies fragen bedeutet: Nun muss politisch gerungen, abgewogen und bestimmt werden, was Vorrang hat und was nicht, nun muss, o Graus, entschieden werden. Streichmöglichkeiten gibt es zuhauf. Sogar im „Bildungsbereich“ (Beispiel Betreuung von Kleinstkindern außerhalb der Familie, die merkwürdigerweise unter „Familienpolitik“ läuft), auch wenn Bildung zu den unbedingten Prioritäten gehört. Aber Ministerien kämpfen um ihre Etats, Lobbyisten um ihre Pfründe. Wer streicht, erntet stets Proteste. Aber sie sind durchzustehen, zu bedrohlich ist die Lage. Eine pauschale Kürzung überall nach der Methode Rasenmäher wäre unverantwortliche, feige Drückebergerei. Der Rasenmäher taugt für den Rasen, nicht für Blumenrabatte. Außerdem: Rasen gibt es viel, sogar überflüssigen. Jetzt muss politisch gestritten werden, ernsthaft und öffentlich. Vor allem sauber, ehrlich, ohne Tücke, gediegen, verantwortungsbewusst. Aber das wird ein frommer Wunsch bleiben, solange die deutschen Bürger nicht wirklich aufbegehren.
Schon reden sie wieder von Steuererhöhungen
So ist es denn auch keine Überraschung, dass schon wieder Steuererhöhungen ins Gespräch gebracht werden, anfangs zunächst in der Form, sie als nicht opportun von sich zu weisen und zu beteuern, man wolle sie nicht. Auch für Roland Koch kommen Steueranhebungen zur Krisenbewältigung nicht in Frage. Die allerdings seien nur dann zu vermeiden, wenn der Staat der im Grundgesetz vorgesehenen Schuldenbremse nicht entspreche und seine Ausgaben nicht radikal kürze (FAZ vom 18. Mai). Dass Regierung und Parlament dies durchsetzen, ist angesichts der Diskussion höchst zweifelhaft. Schon prescht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor und plädiert für ein Anheben der Mehrwertsteuer von 19 auf 25 (!) Prozent. Das brächte auf einen Schlag 50 Milliarden – Jahr für Jahr, mit steigender Tendenz, weil die Preise steigen. Schon ist auch wieder eine Autobahngebühr im Visier der politisch-fiskalischen Begehrlichkeit, ohne im Gegenzug die Kfz-Steuer entsprechend zu senken. Zum Beispiel jährlich 100 Euro für eine Vignette würden 4 bis 5 Milliarden Euro zusätzlich einbringen. Oder die Finanztransaktionssteuer, die letztlich nicht die Finanzinstitute tragen, sondern auf ihre Kundschaft überwälzen.
DGB-Chef Sommer fordert sogar Mehrausgaben
Oder DGB-Gewerkschaftschef Michael Sommer auf dem DGB-Bundeskongress am 17. Mai in Berlin: Er verlangt einen „vernünftigen Spitzensteuersatz“ – vernünftig heißt für ihn höher. Er will auch nicht sparen, die geplante Schuldenbremse ist für ihn „unsinnig“. Er will die Ausgaben sogar gesteigert sehen und verlangt „zusätzliche und massive öffentliche Investitionen in Beton und Köpfe“. Nur eins von vielen Beispielen für überaus kostspielige Investitionen in Beton und für den Ausgabenwahn auch aus Prestige-Sucht ist der Bau der Elbphilharmonie im Hamburger Hafen. Die Kosten dafür haben sich inzwischen auf 500 Millionen Euro verdoppelt, und zusätzlich werden jetzt noch Riesensummen für das Sanieren der fehlerhaft ausgeführten Betonkonstruktion fällig. Aber der Hamburger Kunsthalle werden 220 000 Euro gestrichen, und sie muss ihre „Galerie der Gegenwart“ für ein halbes Jahr schließen – vorgeblich wegen Reparaturarbeiten (FAZ vom 19. Mai).
Aber die Steuereinnahmen steigen ohnehin
Dabei wird in der politischen Diskussion der Eindruck gepflegt, das Gesamtsteueraufkommen gehe in den kommenden Jahren zurück. In Wirklichkeit steigt es weiter, nur weniger stark. Hinzukommen die überaus vielen Gebühren und öffentlichen Abgaben mit steigender Tendenz, die die staatlichen Kassen ebenfalls füllen. An der Steuerschraube noch weiter zu drehen, verbietet sich. Je höher die staatliche Abgabenlast, desto geringer die private Leistungsbereitschaft, die nationale Wirtschaftskraft und das doch so sehr herbeigesehnte wirtschaftliche Wachstum. Was dringlich zu beleben wäre, wird abgewürgt. Ebenso wie das wirklich verantwortungsvolle Denken und Handeln unserer Politiker.
Mögliche Zuflucht in Trickserei
Schon liest man auch, wie die Bundesregierung beim Ausgabenkürzen tricksen könnte. Nach der Schuldenregel („Schuldenbremse“) im Grundgesetz müsste sie die Lücke im Haushalt jedes Jahr um rund 10 Milliarden Euro bis 2016 zu verringern. Das könnte sie, zunächst für den Haushalt 2011, formal umgehen, wenn sie den Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit nicht als Zuschuss gäbe, sondern als (im Prinzip rückzahlbares) Darlehen. Dann würde dieser Betrag, weil an sich rückzahlbar, dem strukturellen Defizit, auf das sich die Schuldenregel bezieht, nicht zugerechnet. Aus Erfahrung wissen wir doch: Was Politiker können, das machen sie auch.
Alle Subvention schrittweise auslaufen lassen
Vergessen ist, was vor einigen Jahren Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) gemeinsam vorgeschlagen haben, nämlich innerhalb von zehn Jahren alle Subventionen schrittweise auslaufen zu lassen. Doch was geschah, waren neue Subventionen und noch höhere Steuern. Gerade der Koch-Steinbrück-Vorschlag gehört in das zu beschließende Sparpaket. Ohnehin sollte jedes Leistungsgesetz stets befristet sein.