Die Neuverschuldung wird ausgebremst – aber ganz, ganz langsam
Bisher haben Bund und Länder beim Schuldenmachen immer nur aufs Gaspedal getreten. Doch künftig wollen sie mit ihrem Schuldenfuß endlich die Bremse bedienen. Allerdings nicht sofort. Auch ist es nur ein allmähliches Bremsen, keine Vollbremsung. Darauf hatte sich die Föderalismuskommission in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar nun doch noch verständigt. Von 2020 an soll mit der Neuverschuldung völlig Schluß sein, jedenfalls für Länder und Gemeinden. Dann dürfen sie keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Nur der Bund darf noch, allerdings von 2016 an begrenzt auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit auf (derzeit) knapp 9 Milliarden Euro im Jahr. Um die Neuverschuldung auf diese Begrenzung zurückzuführen, will er sich verpflichten, von 2011 an Jahr für Jahr neue Kreditaufnahmen zu verringern.
Auf Null mit neuen Schulden der Länder erst von 2011 bis 2020
Anders als der Bund müssen Länder und Gemeinden ihre Neuverschuldung bis 2020 schrittweise ganz auf Null zurückführen, dürfen sich dann also überhaupt kein Geld mehr borgen. Auf so ein absolutes Neuverschuldungsverbot bestanden haben die finanzstarken Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Sie nämlich sind im Länderfinanzausgleich die großen Zahler und wollen nicht ständig ihr Geld in ein Fass ohne Boden schütten. Dafür haben sie sich zusammen mit dem Bund bereit erklärt, den fünf ärmsten Ländern von 2011 bis einschließlich 2019 mit jährlich 800 Millionen Euro beizustehen, damit diese ihre Neuverschuldung auf Null zu verringern imstande sind.
Gesammelt wird die Überbrückungshilfe in einem Konsolidierungsfonds. Für die neun Jahre sind das zusammen 7,2 Milliarden Euro. Eine Hälfte davon zahlen die Länder, die andere der Bund. Bremen erhält jährlich 300 Millionen, das Saarland 260, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen. Verringert ein Land seine Neuverschuldung nicht wie vorgesehen, bekommt es diese Übergangshilfe nicht. Mit einem neuen Artikel 143d soll die Hilfe im Grundgesetz verankert werden. Kontrollieren wird das ein Stabilitätsrat, besetzt mit den Finanzministern aus Bund und Ländern. Er soll die Verschuldung auch nach 2020 überwachen und als Frühwarnsystem verhindern, daß Haushaltsnotlagen entstehen.
Peter Struck, Verhandlungsführer für die SPD in der Föderalismuskommission, nannte das Ergebnis eine „ Sternstunde des kooperativen Bundesstaates“. Günther Oettinger, Verhandlungsführer für die CDU/CSU, äußerte sich realitätsnäher: „Begeisterung sieht anders aus.“ Nein, eine Sternstunde ist das Ergebnis wirklich nicht.
Der Bund darf weiter Schuldengas geben, aber nicht mehr mit Bleifuß
Erstens: Die CDU/CSU hat es nicht geschafft, ein absolutes Verbot zur Neuverschuldung auch für den Bund durchzusetzen. Sie ist damit am Widerstand der SPD gescheitert. Dabei sitzt der Bund auf einem Schuldenberg von rund 1 Billion (= 1 100 Milliarden) Euro. Zusammen mit der Verschuldung der Länder haben sich die Staatsschulden sogar auf knapp 1,6 Billionen angehäuft. Rettungs- und Konjunkturpakete gegen Finanzkrise und Wirtschaftseinbruch geben der Verschuldung einen neuen Schub nach oben. Im laufenden Jahr 2009 wird die deutsche Schuldenstandsquote auf 68,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP, derzeit rund 2,5 Billionen Euro) steigen, bis 2012 auf etwa 72,5 Prozent. Das überschreitet die im EU-Vertrag von Maastricht zum Schutz des Euro festgesetzten 60 Prozent des BIP schon bei weitem.
Aber das ist nur die ausgewiesene (explizite) Verschuldung. Dazu kommen die verschleierten (impliziten) Schulden von mindestens 6 Billionen, die aus staatlichen Zahlungsverpflichtungen vor allem für Beamtenpensionen und für die Ansprüche aus den gesetzlichen Sozialversicherungen bestehen. Unternehmen und Kaufleute, die solche Verpflichtungen nicht ausweisen, machen sich wegen Bilanzfälschung strafbar, der Staat dagegen darf bisher ungestraft fälschen und die Zahlungsverpflichtungen verschweigen.
Ausnahmen als Einfallstor für möglichen Missbrauch
Zweitens: Zwar wird dem Bund für die Neuverschuldung anders als bisher eine fest bezifferbare Grenze gesetzt (0,35 Prozent des BIP), und Länder wie Gemeinden müssen die Neuverschuldung verringern und schließlich ganz die Finger davon lassen. Aber sie alle können im Fall von Naturkatastrophen, anderen außergewöhnlichen Ereignissen und wirtschaftlichen Notlagen von den Regeln abweichen. Dann ist die Neuverschuldung noch nicht einmal begrenzt. Nur muss zusammen mit der Neuverschuldung zugleich ein Tilgungsplan vorgelegt werden. Man kann sich ausmalen, wie weit sich auslegen lässt, was außergewöhnlich und was Notlage ist, und was geschieht, wenn der Tilgungsplan nicht eingehalten wird. Für weitere Schulden wird das zu einem Einfallstor. Die Erfahrung zeigt: Gibt es so ein Tor, wird es auch missbraucht und aufgestoßen.
Drittens: Das Beschränken der Neuverschuldung soll für den Bund im Grundgesetz, für die Länder in den Länderverfassungen verankert werden. Im Grundgesetz ist das in den Artikeln 109 und 115 vorgesehen. Dies klingt nach hausväterlicher Strenge und soll den Bürger beeindrucken. Aber in Artikel 115 ist die Schuldenaufnahme auch schon bisher beschränkt, nämlich auf „die veranschlagten Ausgaben für Investitionen“ – es sei denn, es gilt, eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ abzuwehren. Aber die unverantwortlich hohe Verschuldung wurde damit nicht verhindert. Also müssen es Regierung und Parteien wundersam hinbekommen haben, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ständig gestört gewesen ist. Auch wenn ihnen das Schuldenmachen künftig etwas erschwert wird: ihre Kreativität, Erschwernisse zu umschiffen, sollten man nicht unterschätzen.
Lösung des Altschuldenproblems auf 2019 vertagt
Viertens: Es geht in der Vereinbarung der Föderalismuskommission nur um die Neuverschuldung, nicht um die Altschulden. Wie bloß will man von dieser horrenden alten Last herunterkommen? Die Frage bleibt unbeantwortet. Behandeln will man sie erst, wenn 2019 der Länderfinanzausgleich und der Solidarpakt II auslaufen und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu regeln sind. Aber lösbar ist dieses Problem praktisch schon gar nicht mehr, jedenfalls nicht mittels Zurückzahlung. Denn die Schulden sind derart hoch, daß sie der Staat nicht wird zurückzahlen können.
Fünftens: Eine Sternstunde ist das Ergebnis der Kommission auch deswegen nicht, weil mit der Föderalismusreform II weitaus mehr angestrebt war, als was jetzt herausgekommen ist, obwohl sie mit Oettinger und Struck im Vorsitz gut zwei Jahre verhandelt hat: keine Fortschritte bei einer Neugliederung des Bundesgebietes, keine Erleichterung von Länderfusionen, kein neues Fundament für die Finanzverfassung, keine Einigung für ein neues Abstimmungsverfahren im Bundesrat.
Auf was wir Bürger uns gefasst machen müssen
Das Ergebnis jetzt ist gewiß besser als nichts, aber – gemessen am Notwendigen – bei weitem nicht genug. Das wäre dann, wie Peter Struck sagte, die Aufgabe für eine Föderalismusreform III. Mitte März soll der Bundestag über die Vereinbarung in erster Lesung beraten, spätestens im Juli der Bundesrat über die Änderungen im Grundgesetz beschließen. Sollte es dann wirklich gelingen, die Neuverschuldung der Länder auf Null zu bringen und die des Bundes auf die 0,35 Prozent zu beschränken, müssen wir Bürger uns auf zweierlei gefasst machen: auf staatliche Ausgabenkürzungen oder noch höhere Steuern – oder auf beides zusammen.
Copyright: Klaus Peter Krause