Die reine Nachricht und die weitergereichte Nachricht
Neutral zu informieren, will nicht nur gelernt, sondern auch gewollt sein. Dazu gehört, Nachricht und Kommentar auseinanderzuhalten. Dies zu tun, gilt eigentlich als journalistische Tugend. Oder galt? Sich dies zu fragen, gibt es immer wieder Anlass. In der Tat fällt es schwer, eine Nachricht neutral zu transportieren, wenn sie dem Transporteur inhaltlich gegen den Strich geht. Wie Redaktionen zum Beispiel von Zeitungen zu einem Gegenstand ihrer Nachrichtengebung eingestellt sind, macht sich auch darin bemerkbar, wie sie die Überschrift und den Inhalt einer Nachricht formulieren. Hier ein jüngstes, sehr einfaches Beispiel.
Die reine Nachricht: 147 neue Windkraftanlagen 2019
Die reine Nachricht lautet so: Die Zahl der neu errichteten Windkraftanlagen verringert sich. 2019 ist sie in den ersten neun Monaten auf 147 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum 2018 sind es 646 neue Anlagen gewesen und 2017 fast 1430, damals ein neuerlicher Rekordstand.*) Je nach persönlicher Einstellung zur Stromerzeugung mittels Windkraft kann man den Rückgang des Neuzugangs bedauern oder begrüßen. Wie wird eine solche statistische Feststellung nachrichtlich als Information an die Medienkundschaft weitergereicht?
Die weitergereichte Nachricht: Erst 147 neue Windkraftanlagen 2019
In der Regionalzeitung Lübecker Nachrichten**) geschah das so: Die bildhafte, journalistisch durchaus akzeptable Überschrift lautete „Flaute bei Windrädern an Land“. Aber schon in der Unterzeile machte sich die innere Einstellung der Redaktion zum Windkraftstrom mit dieser emotionalisierten Formulierung bemerkbar: „Dieses Jahr gingen erst 147 neue Anlagen ans Stromnetz.“ Mit dem einen kleinen Wort „erst“ signalisiert die Redaktion ihren Lesern, für wie bedauernswert sie das hält: nur 147. Und unterschwellig wird dem Leser beigebracht, dass auch er es bedauern sollte. Sich gegenüber dem Vorwurf verteidigen könnte die Redaktion so: „Die reine Nachricht ist für den Leser langweilig, daher journalistisch ‚aufzupeppen‘, farbiger zu präsentieren, aufregender zu formulieren, wo immer vertretbar zu dramatisieren.“
Die mögliche andere Weiterreichung: Immer noch 147 neue Windkraftanlagen 2019
Nehmen wir einmal an, die Redaktion hielte Windkraftstrom für das, was er ist, nämlich für ein Subventionsgrab, für technisch-physikalisch untauglich und für zu teuer, dann würde die Unterzeile womöglich nicht gelautet haben „erst 147 Anlagen“, sondern „immer noch 147 Anlagen“. Aber welche Redaktion in Deutschland steht denn den unsteten „erneuerbaren“ Energien überhaupt kritisch gegenüber? Und welche informiert ihre Kundschaft, wie es sich gehören würde, auch über die so schwerwiegenden Schattenseiten dieser Stromversorgung mittels Wind, Sonnenschein und Vergärungsgas? Gleich im ersten Satz des Berichts der Lübecker Nachrichten (LN) heißt es dann: „Der Ausbau der Windenergie an Land in Deutschland ist massiv eingebrochen.“ Gewiss, die Wortwahl „massiv“ ist im Vergleich zu den beiden viel höheren Vorjahreszahlen sachlich gerechtfertigt. Aber doch glaubt man, förmlich zu spüren, wie das den Berichterstatter persönlich entsetzt.
Die wirklich ausgewogene Nachricht
Würde die Berichterstattung (nicht nur die der Lübecker Nachrichten) bei diesem Thema wirklich ausgewogen sein, dann würde sie einen Hinweis darüber enthalten, dass es auch Menschen gibt, die über den Rückgang neuer Windkraftanlagen überaus erfreut sind, darunter vor allem jene, die solche Anlagen nicht in ihrer Wohnnähe haben wollen – sei es aus ästhetischen Gründen (Verschandeln des Landschaftsbildes), sei es aus Gründen teilweiser Enteignung (Wertverlust von Haus und Grundstück), sei es aus Gründen der Gesundheit (Infraschall). Eine solche Ausgewogenheit würde sich leicht herstellen lassen. Man brauchte nur zu formulieren: „Was die einen beklagen, ist für andere eine eher gute Nachricht: Der Neubau von Windkraftanlagen in Deutschland ist stark zurückgegangen.“ Aber wo haben Sie dergleichen bisher je gelesen?
Aber für ein mitschwingendes Bedauern ist Platz
Stattdessen räumt der LN-Bericht noch ein paar zusätzliche Zeilen dafür ein, dass die Windkraftbranche „an umständlichen, ausufernd bürokratischen Vorgaben in den Genehmigungsverfahren“ leidet und „es an genügend Flächen für neue Windkraftturbinen“ fehlt – als bedauere die Redaktion dieses mit.
PS. Übrigens, was ich selbst hier auf dieser Blog-Seite schreibe, ist durchaus keine strikte Trennung von Nachricht und Kommentar, sondern eine Mischung von Information und gleichzeitiger Kommentierung. Ich bin keine Zeitung, kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk- oder Fernsehsender, die eine allgemeine, umfassende und möglichst neutrale Informationspflicht haben. Meine Beiträge sind ein informierendes Kommentieren oder ein kommentierendes Informieren, ausgerichtet daran, wie die Dinge ich sehe und was ich selbst für wichtig halte, also eine willkürliche Auswahl, aber ansonsten nach sauberen journalistischen Maßstäben. Neutral bin ich folglich nicht. Wem’s zusagt, liest es. Wem nicht, lässt es bleiben. Oder schreibt einen kritischen Kommentar.
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*) Bekanntgegeben werden diese Zahlen von der Fachagentur Windenergie an Land (hier). Sie wertet jedes Quartal die Ausbauentwicklung der Windenergie in Deutschland auf Basis der veröffentlichten Daten im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur aus. Sie ist nach ihrer Darstellung „ein eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin. Mitglieder des Vereins sind Bund, Länder, die kommunalen Spitzenverbände, Wirtschafts- und Naturschutzverbände sowie Unternehmen. Gemeinsam arbeiten die Mitglieder für eine erfolgreiche Energiewende mit einer nachhaltigen und kosteneffizienten Entwicklung der Windenergie an Land. Bis zum Jahr 2050 soll aufgrund des Klimaschutzes ein Energiesystem realisiert werden, das möglichst zu 100 % auf erneuerbaren Energien und Energieeffizienz basiert. … Vor diesem Hintergrund setzt sich die FA Wind insbesondere durch eine Unterstützung aller Akteure zur Ausweisung ausreichender Flächen und der effektiven Durchführung von Genehmigungsverfahren ein. …“
**) Lübecker Nachrichten vom 13. Oktober 2019, Seite 9.
Was mir an den „Nachrichten“ immer sauer aufstößt, ist folgendes:
Man versucht, Personen oder Dinge, die der linkslastigen Mainstreampresse nicht in den Kram passen, durch ständige Wiederholung zu diskreditieren.
Getreu dem Spruch von Goebbels, man muss die Lüge nur oft genug wiederholen, dann wird sie geglaubt!
Beispiel: Es heißt niemals, der CO2-Ausstoß ist gestiegen, sondern der Ausstoß des „klimaschädlichen“ CO2 ist gestiegen.
Die AFD ist auch nicht einfach die AFD, sondern die „rechtspopulistische“ AFD.
Wenn man mal darauf achtet, fällt auf, wie oft das gemacht wird:
So fühlt man ABSICHT, und man ist verstimmt, schrieb Goethe!
So ist es!
Nachrichten ist ein schönes Wort, schön nostalgisch. So voll 20th-Century. Sie waren schon immer Müll because the Medium is the message. Warum im Zeitalter des Internets so etwas konsumieren? Es ist sinnlos.
Bei Google „Windkraft 2019“ tippen fördert in einer Sekunde das gleiche zu Tage, ohne eine einzige Zeile zu lesen.
Medien sind Geschäft. Der Leser ist die Ware. Früher™ wurden die an Inserenten vertickt, heute an den Staat. Den Anteil „öffentlicher“ Zuwendungen an diese „Heizer auf der E-Lok“ zu recherchieren wäre imo interessanter denn über „Wunder“ wie Medien die narrative haben.
Kein Einspruch, Herr Krause. Bei diesem Thema bin ich ganz bei Ihnen.
Allerdings: die geschilderte missliche Situation ist doch eigentlich nicht neu.
Wer dutzende Jahre Zeitungs- oder Medienberichte gelesen hat, weiß doch längst, dass Vieles propagandistisch überhöht oder verkürzt widergegeben wird – nicht nur, um reißerischer, interessanter zu wirken, sondern auch um Meinung zu kolportieren bzw. zu erzeugen. Dies dürfte spätestens seit 1933 in Dtl. eine ungebrochene Tradition haben. Nicht von ungefähr nennt der Volksmund schon seit Langem Zeitungs- oder Medienhaus- Mitarbeiter Meinungsmacher. Und ja, es stimmt natürlich, die Meinungsmache ist ganz und gar abhängig vom Zeitgeist, der politischen Ausrichtung der jeweiligen Redaktion und (freilich auch) von der grundsätzlichen gesellschaftlichen Ordnung des Landes, in dem das Medienprodukt veröffentlicht wird.
Wer heute noch an die neutrale, einzig wahre Berichterstattung glaubt [und damit alles hinnimmt was man ihm glauben machen will], ist entweder Schüler, der ohne Lebenserfahrung und mangels Selbstkritik leicht beeinflußbar ist / bzw. seinen Lehrer gefallen will, lebt seit >75 Jahren im Luftschutzkeller oder liest / hört keine Nachrichten. Sonst nämlich wäre schon längst aufgefallen, dass zwischen Theorie (Nachricht, länderübergreifend) und Praxis (Realität, vor Ort) erhebliche, teilweise konträre Unterschiede bestehen.
Insofern kann man öffentlich-rechtlich auch getrost in öffentlich-erzieherische Indoktrination umbenennen, wäre ehrlicher und zutreffender.
Andere, nicht öff.-rechtl. Medienerzeugnisse behaupten wenigstens nicht, unabhängig / neutral / unbefangen zu sein …
Insgesamt ist es heute sehr schwer geworden, sich seine eigene Meinung möglichst neutral zu bilden und diese auch (mit guten Argumenten) weiter zu entwickeln.
Mit besten Grüßen J.P.