Ein schönes Geschenk

Das Grundgesetz gratis von der Bundesregierung im Berliner Hauptbahnhof verteilt – Ein unvergessener Ausspruch von Hermann Höcherl – Lübecker Gymnasiasten würdigen das GG mit einem Flashmob – Aber der Jurist Menno Aden mag in die „Jubelhymnen“ nicht so recht mit einstimmen – Er sieht das Grundgesetz bereits heute weitgehend ausgehöhlt – Der Rechtswissenschaftler Schachtschneider: Verfassungstext und Verfassungspraxis decken sich nicht – Die Schwäche des Rechts gegenüber der politischen Macht  – Rechtswissenschaftler Dreier: Das Grundgesetz lässt sich zu leicht ändern

 

Wer am 23. Mai auf dem Berliner Hauptbahnhof herumlief, der bekam ein Buch in die Hand gedrückt. Es war das Grundgesetz. Auch ich hab’s mitgenommen. Ein schönes Geschenk, eine schöne Idee. Nicht sehr viele Deutsche werden dieses Gesetz zuhause haben. Wer das Exemplar annahm, lief nun mit dem Grundgesetz unter dem Arm weiter. Und schon kommt eine Erinnerung hoch. Denn unvergessen ist der Ausspruch des Bayern Hermann Höcherl im September 1963, damals Bundesinnenminister, als er das Bundesamt für Verfassungsschutz in Schutz nahm, weil es unter Verstoß gegen das Grundgesetz Telefonabhörmaßnahmen (hier) durch alliierte Dienststellen hatte vornehmen lassen: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“ (hier).  Heftige Kritik war die Folge. Als am selben 23. Mai Neuntklässler des Lübecker Gymnasiums Katharineum wie eine Art Flashmob auf die Königstraße vor ihrer Schule zogen, um in ihrer Weise auf das 70jährige Bestehen des Grundgesetzes aufmerksam zu machen, werden sie von Höcherls Ausspruch vermutlich noch nie gehört haben. Oder vielleicht doch? Von einem Lehrer im Unterricht, als das Grundgesetz dran war? Aber wie auch immer, das Dauer-Provisorium Grundgesetz hat es verdient, gewürdigt zu werden. Ein schönes Geschenk war es für die Deutschen damals auch vor siebzig Jahren und ist es noch immer. Aber ebenfalls zu berücksichtigen ist Kritisches.

Ebendies hat der Jurist Menno Aden*) auf seiner Web-Seite (hier) getan. Folgen muss man ihm nicht in allem. Es ist zur Diskussion gestellt. Mit seinem Einverständnis gebe ich im Folgenden seinen Text wieder. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt.

Man würde die Jubelhymnen ja gerne mit singen …

„In diesen Tagen sind alle demokratischen Kräfte zu einem Chor vereint. Jubelhymnen hört man schallen in der Saiten goldnes Spiel – 70 Jahre Grundgesetz. Man würde ja gerne mitsingen, wenn da nicht die die ersten beiden Zeilen der schillerschen Ballade Kassandra wären.

Freude war in Trojas Hallen,

eh die hohe Feste fiel….

Unzählige Male wurden in der Geschichte Siegeshymnen angestimmt und mitgesungen, und wenig später folgte der Fall. Die immer noch einigermaßen bürgerliche FAZ – nur diese sei aus der Fülle der Lobpreisungen zitiert – steigt in ihrem Leitartikel (Berthold Kohler) vom 23. Mai**) zu hymnischen Höhen. Das Grundgesetz sei

  • die Bibel der Deutschen,
  • die hellste Verfassung, die je auf deutschem Boden ersonnen wurde,
  • darin stehe, wer wir sind, woher wir kommen und woran wir glauben.

Ach du liebe Güte! Mehr geht dann wohl nicht. Daher der Reihe nach.“

Das Grundgesetz die Bibel der Deutschen?

„Bibel der Deutschen – Das Bild ist in mehrfacher Weise falsch. Die Bibel, als  Altes und Neues Testament, richtet sich nach christlicher Auffassung nicht an die Deutschen, nicht einmal an die US-Amerikaner, obwohl diese das glauben. Theologisch richtiger wäre dann schon der Satz: Das Grundgesetz ist die Thora der Deutschen, denn diese richtet sich an ein bestimmtes Volk, die Juden. Die Bibel bietet leider die Möglichkeit, so gut wie jede Aussage und auch deren Gegenteil zu begründen. D a s  kann man vom Grundgesetz gottlob nicht sagen. Kohler meint es aber wohl im übertragenen Sinne als das Gefäß der Wahrheit und des Heils. Damit wäre dieser Vergleich aber endgültig problematisch. Das Grundgesetz ist ein juristischer Text,  die  Bibel aber steht für das ganz Andere. Dass das deutsche Volk die religiösen Grundlagen seiner Existenz nicht mehr (aner-)kennt, ist eines unserer Probleme. Und das lässt sich durch das Grundgesetz nicht lösen, wäre  es auch noch so preiswürdig.“

Die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871

„Die hellste Verfassung, die es je auf deutschem Boden gab: Die hellste, im Sinne von freudig, Reichsverfassung war sicher die vom 16. April 1871. Diese erfüllte endlich die Hoffnung auf ein einiges Deutschland. Das ganze deutsche Volk von Memel bis Straßburg und von Tondern bis Ratibor war dabei. Die Bismarcksche  Reichsverfassung  war auch insofern die hellste, als sie im  berechtigten Selbstbewusstsein auf das in Deutschland seit jeher geltende Rechtsbewusstsein, es nicht für erforderlich hielt,  die Grundrechte, wie sie  die revolutionäre Mörderbande in Paris 1789 zusammengestellt, aber nicht beachtet hatte, eigens aufzuschreiben. Die Briten tun das bis heute nicht.“

Die Weimarer Reichsverfassung in mancher Hinsicht besser als das Grundgesetz.

„Hell, nun so verstanden, wie Kohler es vermutlich meint, nämlich als juristisch beste, tut der von Hugo Preuß (1860- 1925) entworfenen Weimarer Reichsverfassung (WRV) Unrecht. Als  juristisches Dokument  war die WRV so ziemlich das Beste, was man in Rechtsform gießen kann.  Sie war in mancher Hinsicht besser als das Grundgesetz. Es war nicht die Schuld der WRV, dass sie, die bekanntlich bis 1945 niemals aufgehoben wurde, im Zuge der nationalsozialistischen Revolution einfach missachtet wurde. Und damit sind wir ziemlich nahe an dem  heutigen Grundgesetz. Es ist hier nicht der Platz, die deutsche Verfassungswirklichkeit   vollständig  mit dem zu vergleichen, was in im Grundgesetz steht. Daher nur vier  Punkte.“

Auf dem Weg zu einem autoritären Staat trotz GG schon ziemlich weit gekommen

„Erstens – Entwertung des Parlaments: Kohler sagt: Das System der Gewaltenteilung… mag manchem zu stark ausgebaut vorkommen…  Das Grundgesetz setzt Gewaltenteilung offenbar zwar voraus, kennt sie aber nicht und zieht diese staatsrechtliche Theorie durchaus nicht so konsequent durch wie z. B. die WRV oder die US-Verfassung.  Das ist ein wirklicher Mangel. Und dieser wirkt sich immer deutlicher aus.  Die wichtigsten Entscheidungen der letzten Zeit (Atomausstieg, Auslieferung der deutschen Finanzhoheit an die EU, Energiewende, Abschaffung der Wehrpflicht usw.) wurden als einsame Entscheidungen des Regierungschefs getroffen, verkündet, umgesetzt und erst dann mit einem rechtstaatlichen Mantel umgeben, indem sie von halb oder gar nicht informierten Abgeordneten abgesegnet wurden. Auf dem Weg zu einem autoritären Staat sind wir also trotz Grundgesetz schon ziemlich weit gekommen!“

Mangelnde Meinungsbildung im Bundestag

„Man muss wohl Jurist sein, um über Meldungen zu stolpern, die ganz harmlos etwa wie folgt lauten: ‚Das Bundeskabinett hat das und das Gesetz beschlossen.’  Oder:  ‚Eine Gesetzesvorlage sei unzulässig, weil sie gegen den Koalitionsvertrag verstoße.’ Gesetze werden vom Bundestag gemacht! Formal geschieht das auch.  Aber praktisch findet in vielen, wahrscheinlich sogar den meisten, Fällen eine Meinungsbildung im Bundestag gar nicht mehr statt. Man muss sich nur einmal Gesetze anschauen, die noch kurz vor Jahresende durchgezogen werden –  da ist es schon wegen der Weihnachtstage geradezu denkunmöglich, dass die Abgeordneten die entsprechenden Vorlagen gelesen haben.“

Koalitionsverträge? Im Grundgesetz absolut nicht vorgesehen

„Bedenklich wird es, wenn Regierung und Bundestag sich auf den Koalitionsvertrag berufen, um Gesetze zu machen oder zu verhindern.  Diese verfassungsrechtliche Innovation, sie  war  freilich schon im Weimarer Reichstag bekannt, hat unter dem Grundgesetz eine überragende Bedeutung gewonnen. Sie ist im Grundgesetz allerdings absolut nicht vorgesehen. Noch bedenklicher ist, dass der Koalitionsausschuss, welcher den Koalitionsvertrag aushandelt und später seine Durchsetzung überwacht, z. T. aus Personen besteht, denen die Befugnis zur Gesetzgebung fehlt, weil sie dem Bundestag nicht angehören.“

Die durch politische Korrektheit bereits beschränkte Meinungsfreiheit

„Zweitens – Verfall der Meinungsfreiheit: Es mag Zufall sein – aber in derselben Ausgabe der FAZ, welche auf Seite 1 das Grundgesetz als Bibel preist, berichtet R. Köcher vom Institut für Demoskopie auf Seite 12 unter dem Titel Grenzen der Freiheit von den immer engeren Grenzen der Meinungsfreiheit durch den Zwang zur politischen Korrektheit: ‚Zwei Drittel der Deutschen sind überzeugt, man müsse sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich äußert.’. Man  kann natürlich sagen, dass Artikel 5 Grundgesetz die Meinungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat meint, der  Staat bestimmte Meinungsäußerungen  also nicht bestrafe, Artikel 5 also nicht verletzt sei, wenn man von Privaten wegen einer Meinungsäußerung geschnitten wird. Das ist formal richtig.  Wenn Staat, staatsnahe Rundfunkanstalten und meinungsbildende  Medien bestimmte Meinungen aber unisono für rechts = Nazi erklären, dann ist die Meinungsfreiheit nicht mehr gegeben, auch wenn eine Äußerung nicht gleich strafbar ist. Wie leicht man aber tatsächlich auch gegen den Wortlaut von Artikel 5 GG und gegen den Wortlaut des Strafgesetzes für bestimmte Meinungsäußerungen bestraft  und zwar sehr schwer betraft werden kann, ist hier aus Gründen eben dieser politischen Korrektheit nicht zu vertiefen.“

Die schleichende Aushöhlung von Grundrechten

Drittens – Die schleichende Aushöhlung von Grundrechten ist eine der bedenklichen Erscheinungen unserer Verfassungswirklichkeit. Das Grundgesetz hat diese jedenfalls nicht verhindert. Man könnte, und eigentlich möchte man, das ganze Grundgesetz nach diesen schleichenden Aushöhlungen durchgehen. Artikel 6  GG (Schutz von Ehe und Familie) ist praktisch schon lange abgeschafft, auch wenn er noch im Grundgesetz steht. Aber zum Beispiel Artikel 38: ‚Die Volksvertretungen werden in …freienWahlen gewählt.’  Wenn ohne Rücksicht auf Finanzen und ohne Notwendigkeit kurz vor den Wahlen an bestimmte Wählergruppen, z.B. Rentner, Wahlgeschenke verteilt werden – Ist das denn etwas so ganz anderes als der Stimmenkauf, an welchem die römische Republik unterging?“

Eine Partei unter dem Trommelfeuer von Staat, Kirchen und Medien

„Wahl bedeutet, dass man von verschiedenen Möglichkeiten einer den Vorzug geben kann. Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland eine Partei, welche sich als Alternative zu dem eingefahrenen Parteiensystem anbietet.  Unter dem konzentrischen Trommelfeuer von Staat, Kirchen und Medien wird dem Bürger aber mit nicht immer sehr tragfähigen Gründen eingebläut, dass er diese Alternative nun schon mal gar nicht wählen dürfe.“

Das Grundgesetz ist ein juristischer Text, keine Heilsbotschaft

„Viertens- die Ideologische Überhöhung des Grundgesetzes: Kohler meint, das Grundgesetz sage uns Deutschen, wer wir sind, woher wir kommen und woran wir glauben. Das ist doch – mit Verlaub – nun wirklich dummes Zeug. Das Grundgesetz ist ein juristischer Text, keine Heilsbotschaft. Kohler denkt offenbar an die Präambel zum Grundgesetz, in der es heißt: ‚…in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands …’ Es muss wohl hingenommen werden, dass das Grundgesetz nur die derzeitigen Bundesländer aufführt, dass also von den Vertreibungsgebieten (immerhin ein Drittel unseres früheren Staatsgebietes) und den dort noch lebenden Deutschen nicht die Rede ist. Aber das zeigt bereits, dass es mit der freien Selbstbestimmung und der Freiheit Deutschlands vielleicht doch nicht so weit her ist. Wer zum Zwei plus Vier Vertrag von 1990 völkerrechtliche Reflexionen anstellt, der … aber das ist ein zu heißes Thema und ein weites Feld.“

  • Wer wir sind? Wenn es praktisch unmöglich ist, sich als deutsche Patrioten zu zeigen (vgl.  a. Artikel von Renate Köcher), werden wir vom Grundgesetz keine  Auskunft darüber erwarten, wer wir Deutschen sind. In Artikel 23  steht nur,  dass  wir an der ‚Verwirklichung eines vereinten Europas’ (was immer damit eigentlich gemeint ist)  mitwirken.
  • Woher wir kommen: In einem politisch korrekten Klima, welches große Teile der deutschen Geschichte ausblendet und/oder unter mehr oder weniger wahrnehmbarem internationalem Druck in einer bestimmten Weise interpretiert, können wir im Grundgesetz gewiss keine Antwort auf diese Frage erwarten.
  • Woran wir glauben: In einer Zeit, in welcher wegen der vielen Muslime im Land öffentlich gefordert wird, den Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes zu streichen, werden wir aus dem Grundgesetz am allerwenigsten erfahren, an was wir glauben (können). Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860) könnte es uns sagen, nämlich in seinem Choral ‚Ich weiß woran ich glaube…. Es sind des Heilands Worte, die Worte fest und klar; an diesem Felsenhorte halt ich unwandelbar.’ Aber ausgerechnet der soll ja (vgl. den Greifswalder Namensstreit) im Pfuhl der politischen Unkorrektheit der damnatio memoriae – dem  Vergessen  überantwortet werden, weil er – horrible dictu – auch patriotische Lieder gedichtet hat.“

Das Grundgesetz bereits heute weitgehend ausgehöhlt

„SchlussDer Verfasser ist Jurist. Er ist weit davon entfernt, das Grundgesetz und die darauf gegründete Ordnung zu verachten. Er ist nur leider der Meinung, dass das Grundgesetz bereits heute weitgehend ausgehöhlt ist und dass der Prozess der schleichenden Aushöhlung sich weiter  verstärkt.  Hymnische Lobpreisungen, von denen die hier aufgenommenen der FAZ noch die erträglichsten sind,  streuen  uns nur Sand in die Augen, wo wir doch aufwachen sollten!  Die oben zitierte Ballade von Schiller endet ja mit den Worten:

Alle Götter fliehn davon,

und des Donners Wolken hangen

schwer herab auf Ilion.

„Unsere Verfassungswirklichkeit muss manchmal zu der Befürchtung führen, dass die guten  Götter, die bei der Geburt des Grundgesetzes gewaltet haben mögen,  sich langsam auf den Weg in schönere Gefilde begeben.“   Dr. iur.  M. Aden, 23.Mai 2019“

Schachtschneider: Verfassungstext und Verfassungspraxis decken sich nicht

Überaus kritisch hat sich auch der Rechtswissenschaftler Karl-Albrecht Schachtschneider zum siebzigjährigen GG-Bestehen geäußert: „ Die Verfassungspraxis ist dem Verfassungstext nie gerecht geworden. Sie hat nach 70 Jahren Grundgesetz nur noch wenig mit dem Text gemein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Leitbegriffe des Grundgesetzes nie verstanden, nicht die Freiheit, nicht die Republik, nicht das demokratische Prinzips, nicht das Sozialprinzip und damit nicht das politische System des Grundgesetzes, nicht die Religionsverfassung und folglich nicht das Recht. Es hat Entwicklungen der Verfassungswirklichkeit nicht nur zugelassen, sondern erzwungen, die weit vom Verfassungsgesetz entfernt sind. Das Gericht wird von den Parteien, die im Bundestag und im Bundesrat das Sagen haben, besetzt. Die Richter sind überwiegend Parteigänger. Das schafft nicht die Unparteilichkeit, die ein Verfassungsgericht benötigt, schon gar nicht in Zeiten, in denen Ideologien die Ethik dominieren, nicht das Recht.“

Die Schwäche des Rechts gegenüber der politischen Macht

„Die beste Verfassung nützt nichts, wenn die Menschen, die sie verwirklichen sollen, nicht die besten des Volkes sind, sittlich unantastbar, unparteiisch nur dem Recht verpflichtet. Die Verfassungswirklichkeit Deutschlands nach 70 Jahren Grundgesetz erweist die Schwäche des Rechts gegenüber der Macht. … Wieder sind die Deutschen Opfer ihrer Politiker. Das Grundgesetz konnte sie vor dem Niedergang nicht bewahren. Nach 70 Jahren gebietet uns das Grundgesetz die Befreiung zum Recht.“ Schachtschneiders ganzer Text hier.

Horst Dreier: Das Grundgesetz lässt sich zu leicht ändern

 

Der Rechtswissenschaftler Horst Drei­er bemängelt: „Das Grund­ge­setz lässt sich re­la­tiv leicht än­dern – zu leicht. Das Er­for­der­nis ei­ner Zwei­drit­tel­mehr­heit in Bun­des­tag und Bun­des­rat bil­det nur schein­bar ei­ne ho­he Hür­de.“ Ver­fas­sungs­än­de­rungen unterschieden sich in nichts vom nor­ma­len Ge­setz­ge­bungs­pro­zess. Es gebe kei­ne an­de­ren For­men oder Fris­ten, kei­ne an­de­ren Ver­fah­ren, kei­ne an­de­ren Ak­teu­re. Ver­fas­sungs­än­de­rung voll­ziehe sich im Ge­wand nor­ma­ler Ge­setz­ge­bung und ge­höre zur rechts­po­li­ti­schen Nor­ma­li­tät. Die Fol­ge, so Dreier: „Das Grund­ge­setz ist in den letz­ten 70 Jah­ren oft ge­än­dert wor­den – zu oft. Wir zäh­len über 60 ver­fas­sungs­än­dern­de Ge­set­ze, die fast im­mer meh­re­re, zu­wei­len ein hal­bes Dut­zend oder mehr GG-Nor­men auf­ho­ben, ein­füg­ten oder mo­di­fi­zier­ten. Das hat der Ver­fas­sung nicht gut­ge­tan. Nicht al­lein hat sich ihr Um­fang an­nä­hernd ver­dop­pelt. Viel­mehr wur­de die Text­ge­stalt viel­fäl­tig ent­stellt: durch un­ge­fü­ge Auf­blä­hung …, durch de­tail­ver­ses­se­ne Re­ge­lungs­wut, durch hand­werk­li­che Pat­zer und sprach­lich ver­un­glück­te Nor­men.“

Dreier fordert: Verfassungsänderungen zusätzlich einem Referendum unterwerfen

Das Pro­blem, so Dreier, sei nicht nur ei­n äs­the­ti­sches: Müh­sam aus­ge­han­del­te und ent­spre­chend klein­tei­li­ge ta­ges­po­li­ti­sche Kom­pro­mis­se, oft auch zwi­schen Bund und Län­dern, hätten in der Ver­fas­sung als ei­ner Rahme­n­ord­nung schlicht nichts zu su­chen. Aus alldem ergibt sich für Dreier die For­de­rung, Ver­fas­sungs­än­de­run­gen nicht län­ger al­lein den nor­ma­len Ge­setz­ge­bungs­in­stan­zen zu über­las­sen. Er plädiert dafür, Ver­fas­sungs­än­de­run­gen zu­sätz­lich ei­nem Re­fe­ren­dum un­ter­wor­fen wer­den, al­so der Zu­stim­mung des Volkes. Das habe be­reits der Her­ren­chiem­se­er Kon­vent 1948 so vor­ge­se­hen.***)

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*) Prof. Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942, Abitur 1962) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), wurde 1972 in Bonn promoviert, war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika, war beruflich tätig in der Energie- und Kreditwirtschaft und von 1994 bis 1996 Präsident des evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes in Schwerin, dann bis 2007 Professor an der FH für Ökonomie und Management in Essen. Verheiratet, fünf Kinder. Er hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen. Aus dem „Klappentext“ seines Buches: „Etliche berufliche Einsätze in aller Welt führten ihn immer wieder zu der Frage, wie es den Vereinigen Staaten von Amerika gelingen konnte, über viele Kriege hinweg zur imperialen Macht aufzusteigen, anderen Nationen – wie zum Beispiel Deutschland – aber den Ruf eines „Störenfrieds der Weltordnung“ anzuhängen.“ Weiteres über Aden siehe hier.  Seine Web-Seite hier:  http://www.dresaden.de/

**) Den FAZ-Leitartikel von Berthold Kohler finden Sie hier.

***) FAZ vom 23. Mai 2019, Seite 10: „Wünsche an das Grundgesetz“. Pro­fes­sor Dr. Horst Drei­er lehrt Rechts­phi­lo­so­phie, Staats- und Ver­wal­tungs­recht an der Uni­ver­si­tät Würz­burg.

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