Kirchhof? Einfachsteuer-Modell? – Empfehlenswert!

Unsozial ist es nicht, sein Nutzen ist vielfältig – Das können seine Gegner nicht ertragen

Statt dass FDP, CDU und CSU  gegen den missmutigen Bundesfinanzminister  Steuersenkungen. versprechen, wäre es vernünftiger, sie befassten sich ernsthaft mit einer Steuerreform. Aber mit einer wirklichen. Eine solche Reform kann durchaus das sein, was Paul Kirchhof abermals vorschlägt. Der Rechtswissenschaftler, Fachmann im Steuerrecht und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht hat sich in der breiten Öffentlichkeit mit seinen Vorstellungen schon einmal deutlich bemerkbar gemacht. Das war im Sommer 2005 vor der damaligen Bundestagswahl. Kanzlerkandidatin Merkel hatte ihn zum Wahlkampf als „Schattenfinanzminister“ in ihr „Kompetenz-Team“ geholt. Später, als sie gewählt war und Kirchhof auch aus Merkels eigenen Reihen angegiftet wurde, hatte sie ihn – zwar in der Tat Kanzlerin geworden, aber in einer „großen Koalition“ mit der SPD – fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. In herabsetzender Weise verletzt zog sich der diskreditierte Kirchhof zurück in die Wissenschaft. Nun ist er aus der Wissenschaft wieder da und hat sein Konzept in einem dicken Buch als Entwurf für ein „Bundessteuergesetzbuch“ aufs Neue eindringlich vorgestellt.

Statt 33 000 nur noch 146 Paragraphen

Der in neunjähriger Arbeit entstandene Entwurf ist ein großes Werk, aber nicht sein Werk allein; Juristen, Ökonomen, Germanisten und Beamte aus sechs Bundesländern haben, wie Kirchhof betont, daran mitgearbeitet. Aber mit seinem Namen und als Antreiber steht allein er dafür ein. Das Werk vereinfacht das deutsche Steuerrecht radikal. Kirchhof will mit ihm den deutschen Steuerdschungel lichten. Es sieht anstelle der 32 Bundessteuern nur noch vier vor: auf das Einkommen, auf Erbschaft/Schenkung, auf den Umsatz, auf den Verbrauch. Aus rund 33 000 Paragraphen des gesamten Steuerrechts sind mit Kirchhof nur noch 146 geworden, und der Entwurf fasst diese Steuergesetze in einem einzigen Gesetz zusammen. Das Lichten ist dringlich, das Vereinfachen ebenfalls, ein Senken des Steuersatzes dann möglich.

Höchstens 25 Prozent Einkommensteuer, dafür alle Privilegien weg

Die Besteuerung der Einkommen ist nunmehr (anders als 2005) eingebettet in eine Gesamtsteuerreform. Ihr Kern: Alle Ausnahmen, Privilegien, Vergünstigungen, Absetzungsmöglichkeiten, die das tatsächlich zu versteuernde Einkommen derzeit vermindern, werden gestrichen. Sie sind meist eine Folge der bisher hohen Steuersätze, denn der Bürger soll und darf nur nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Stattdessen wird der Höchststeuersatz für alle und für jede Art von Einkommen auf 25 Prozent festgesetzt. Gelten soll er also einheitlich für Arbeitseinkommen, Unternehmensgewinne und Kapitalerträge. Schon besteuerte Gewinne, die ausgeschüttet werden (wie Dividenden an Aktionäre), werden nicht wie bisher noch einmal belastet, diese Doppelbesteuerung entfällt.

Andere Steuern teils vereinfacht, teils gestrichen

Für Erbschaften und Schenkungen schlägt Kirchhof einen einheitlichen Satz von 10 Prozent vor. Unter Ehegatten sind sie steuerfrei. Für Kinder ist ein Freibetrag von 400 000 Euro vorgesehen, für alle anderen einer von 50 000, für Hausrat zusätzlich von 20 000. Einen einheitlichen Satz von 19 Prozent ohne Ausnahme empfiehlt Kirchhof auch für die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer). Von der Steuer frei bleiben wie bisher sollen Mieten und Pachten sowie künftig alle Gesundheitsleistungen. Die speziellen Verbrauchersteuern sollen auf Energie (wie Strom, Gas, Heizöl und Benzin), sowie auf Tabak und Alkohol beschränkt, alle übrigen Verbrauchssteuern abgeschafft, die bisherigen Verkehrssteuern in die Umsatzsteuer integriert werden. Die Gewerbesteuer entfällt; die Kommunen dürfen als Ersatz für den Einnahmeausfall einen Zuschlag auf die Einkommensteuer erheben.

Reflexartige Ablehnung, aber auch Zustimmung

Aber wie damals vor sechs Jahren stößt Kirchhof mit seinem Konzept aus nahezu allen politischen Lagern auch jetzt auf starken Widerstand. Doch finden sich in der CDU immerhin auch Fürsprecher, darunter Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Zustimmung kommt vor allem aus der FDP. Kirchhof selbst sieht Gruppen in allen Parteien, die für seinen Vorschlag offen sind. Doch gibt es überall eben auch politisch starke Gruppen, aus denen ihm reflexartige Ablehnung, Verdrießlichkeit und Zweifel entgegenschlagen. Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß sagte abfällig zum Entwurf: „Das ist nichts Neues. Nur der zehnte Aufguss von Kirchhof.“ Als sei das Konzept schon deswegen zu verwerfen, weil es nicht neu ist.

Die Entlastungen für den unternehmerischen Mittelstand

Der unternehmerische Mittelstand dagegen kann den Reformvorschlag nur begrüßen und tut es auch. Wenn er keine Gewerbesteuer mehr zu zahlen braucht, wenn die Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen vermieden wird, das Besteuern rechtsformneutral geschieht, wenn man über Steuergestaltungsmanöver nicht mehr herumgrübeln muss, wenn die Kosten für Steuerberatung sinken, wenn Familienunternehmer für Gewinne, die sie an sich ausschütten, nicht mehr ihren individuellen Einkommensteuersatz von bis zu 45 Prozent zahlen müssen, sondern nur noch den Einheitssatz von 25 Prozent …, dann sind das alles Vorteile, die deutlich entlastend zu Buch schlagen, dann entfällt viel Bürokratie, dann hat der Unternehmer mit dem Zeitgewinn den Kopf wieder frei, um unbehinderter seiner eigentlichen unternehmerischer Arbeit nachgehen.

Keine kalte Progression, kein Mittelstandsbauch mehr

Hinzukommt, dass bei der Umsatzsteuer der Vorsteuerabzug bei Umsätzen zwischen Unternehmern entfällt und nur noch der Endkunde zahlen muss. Kirchhof hält diesen Abzug auf jeder Handelsstufe für zu kompliziert. Auch sollte die Umsatzsteuer nicht schon beim Verschicken der Rechnung fällig werden, sondern erst dann, wenn der Kunde wirklich gezahlt hat – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und bei der Erbschaftssteuer ist eine Steuerstreckung über zehn Jahre vorgesehen, falls der Betrieb durch eine plötzliche Zahlung in die Pleite geraten würde. Folglich hört man aus dem Mittelstand, das Reformkonzept sei einfach, gerecht, logisch, übersichtlich, genial, steuerzahlerfreundlich, kurzum ein großer Wurf und für Deutschland „die Riesenchance, das Steuerchaos ein für alle Mal zu überwinden“. (So Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. Ähnlich die Union Mittelständischer Unternehmer). Ohnehin würde für die breite Masse der Einkommensteuerzahler die „kalte Progression“ im Steuertarif fortfallen der gerade bei den unteren und mittleren Einkommen besonders steil ansteigt, und als „Mittelstandsbauch“ berüchtigt ist. Es ist gerade diese fleißige Mittelschicht, die den Staat hauptsächlich finanziert und von ihm geradezu ausgebeutet wird.

Der Nutzen ist vielfältig

Das Konzept ist nach Kirchhofs Rechnung für den Fiskus aufkommensneutral. Falls wider Erwarten nicht, ließe sich der Steuersatz von 25 auf 26 Prozent erhöhen. Vor allem erweitert das Konzept persönliche Freiheitsräume, stärkt Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft, gibt Anreize zum Investieren, stößt zusätzliches Wirtschaftswachstum an, sichert und erweitert die Beschäftigung, führt zu höheren Einkommen und damit auch zu höheren Steuereinnahmen für den Staat. Es wirft also vielfältigen Nutzen ab.

Wie Kirchhofs Einkommensteuer konkret aussieht

Der Hauptvorwurf der Konzeptgegner ist bisher gegen die neue Einkommensbesteuerung gerichtet und lautet, diese Reform sei unsozial. Aber die ersten 10 000 Euro Einkommen sind für jeden Erwachsenen steuerfrei (Grundfreibetrag), dann folgen zwei Stufen mit geringerem Freibetrag: Von den ersten 5000 Euro, die über dem Grundfreibetrag liegen, werden nur 3000 Euro (60 Prozent) besteuert, von den nächsten 5000 nur 4000 Euro (80 Prozent). Ein Alleinstehender mit einem Verdienst von jährlich 20 000 Euro müsste dann als Steuer nur 1750 Euro zahlen. Bezogen auf die 20 000 Euro Einkommen ist das ein Steuersatz von nur 8,75 Prozent. Wer das Hundertfache verdient, also 2 Millionen, muss dann 496 750 Euro berappen und hat einen Steuersatz von 24,99 Prozent. Also auch bei dem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent ergibt sich für die hohen Einkommen eine steuerliche Progression, begrenzt aber auf 25 Prozent. Oder umgekehrt formuliert: Für niedrige Einkommen ist es eine steuerliche Degression. Vorgesehen ist ferner eine Vereinfachungspauschale, und je Kind gibt es einen Freibetrag von 8000 Euro. Steuerfrei ist außerdem, was die Bürger für ihre Zukunftssicherung ausgeben, zum Beispiel für ihre Altersvorsorge.

Unsozial ist diese Einkommensteuer nicht

Der Vorwurf des Unsozialen wird gern mit dem Hinweis darauf verbunden, dass im Reformentwurf auch die Pendlerpauschale und die steuerfreien Zuschläge für Nachtarbeit entfallen. Aber diese Vergünstigungen sind letztlich eine Teilwiedergutmachung, weil für die unteren und mittleren Einkommen die hohen progressiven Steuersätze unsozial sind. Vor allem werden Arbeitseinkommen nicht mehr höher besteuert als Einkommen aus Kapital wie Zinserträge und Dividenden. Gegenwärtig sind Arbeitseinkünfte, progressiv steigend, mit Steuersätzen von 14 bis 45 Prozent belastet, Einkünfte aus privatem Kapitalvermögen pauschal mit 25 Prozent (Abgeltungssteuer) und Unternehmensgewinne mit 15 Prozent (Körperschaftssteuer). Diese Ungleichbehandlung zu Lasten der „Werktätigen“ findet im Kirchhof-Entwurf nicht statt. Insofern bestreitet Kirchhof den Hauptvorwurf zu Recht und bezeichnet sein Konzept als sozial ausgewogen. Er sagt sogar: „Das ist das sozialste Steuerrecht, das es je in Deutschland gegeben hat.“

Einige Verlierer, aber viele Gewinner

Nicht alle Bürger werden mit Kirchhofs Einfachsteuer auf der Gewinnerseite landen und weniger Einkommensteuer zahlen müssen als bisher. Zu ihnen gehören jene Vielverdiener und Reichen, die bisher mit dem Jonglieren von vielen Absetzungsmöglichkeiten den an sich höheren Steuerzahlungen auszuweichen verstehen. Gestärkt werden dagegen die traditionelle Familie, Kindersegen und mittlere Einkommen, die Mittelstandsunternehmen. Wer Kinder hat, auch als Alleinerziehender, steht sich steuerlich als Normalverdiener deutlich besser. Denn Kinderreichtum steuerlich nicht mehr zu benachteiligen, ist für Kirchhof ein wichtiges Ziel seiner Reform. Deren natürliche Gegner sind daher Sozialisten und Linke, die den herkömmlichen Familienverband weiter auflösen wollen, weil er gegen ihre Ziele zu immun ist.

Doch gibt es auch andere Reformkonzepte

Es ist wohl nicht das bestmögliche Reformkonzept, aber immerhin weit besser ist als das Einkommensteuerrecht, das besteht. Es ist auch nicht der einzige fertige Reformentwurf. Zu den anderen Konzepten gehört der fertige Gesetzentwurf der Gruppe um den Kölner Finanzwissenschaftler Joachim Lang, der auch die „Kommission Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft geleitet hat, oder der des Wirtschaftswissenschaftlers Joachim Mitschke von der Universität Frankfurt am Main. Mitschkes Entwurf ist sogar weit radikaler als der von Kirchhof, weil er einen grundlegenden Systemwechsel bedeutet und nur jenen Einkommensteil der Steuer unterwirft, den Unternehmen ausschütten oder den die privaten Bürger für den Konsum verwenden (siehe https://kpkrause.de/?p=1454). Doch dieser radikale Systemwechsel wird in der Öffentlichkeit so gut wie nicht wahrgenommen, denn Mitschke ist Einzelkämpfer und hat nicht die Ausstrahlung und den Bekanntheitsgrad eines Paul Kirchhof.

Woran Kirchhofs Reformvorschlag wohl scheitern wird

2005 habe ich zu Kirchhofs damaligen Vorschlag geschrieben: „Scheitern wird Kirchhof nicht daran, dass sein Konzept zu einfach ist oder dass es technisch nicht machbar ist oder dass es wirklich ungerecht („unsozial“) ist, sondern allein an politisch anderen Vorstellungswelten, an starken Interessengruppen, an einseitigen Darstellungen seines Konzepts, an politischen Rattenfängern. Darin liegt für Kirchhofs Reformkonzept die Gefahr.“ Dies gilt nach wie vor. Daran wird es vermutlich scheitern. Es sei denn „das Volk“ selbst kämpft dafür, was aber zu den hervorstechenden Eigenschaften der Deutschen nicht gerade gehört.

In einer Umfrage 90 Prozent für Kirchhof

Immerhin, einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung online zufolge hat Kirchhof eine überwältigende Mehrheit auf seiner Seite. Die Frage lautet: „Soll Deutschland das Steuersystem radikal vereinfachen?“ 90 Prozent der 2540 abgegebenen Stimmen haben sich für „Ja, es ist völlig transparent“ entschieden. 8 Prozent votierten für „Nein, mir sind die vielen Schlupflöcher wichtiger“ und 3 (???) Prozent für „Ist mir egal“ (Stand 5. Juli, 9.35 Uhr).1)

Stimmen Sie doch einfach mit ab. Die Umfrage finden Sie hier:
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/konzept-zur-steuerreform-so-radikal-stutzt-der-professor-das-steuerrecht-1.1113185

Wohl ist diese Abstimmung, worauf die Zeitung hinweist, nicht repräsentativ, aber ein Stimmungsbild gibt sie durchaus wieder. Ich frage mich aber, warum die Zeitung mitten in der Umfrage ihre Frage umformuliert hat. Noch am 2. Juli (18.15 Uhr) lautete sie: „Sind die Ideen von Paul Kirchhof richtig?“ Votieren konnte man für zwei statt drei Möglichkeiten. Die erste: „Ja, solch ein Schritt wäre gut für den Steuerzahler.“ Die zweite: Nein, seine Ansichten sind viel zu radikal.“ 96 Prozent stimmt für Ja, 4 Prozent für Nein. Zu diesem Zeitpunkt hatten erst 582 Nutzer ihre Stimme abgegeben.

Aber einer starken Zustimmung der Bürger für Kirchhofs Reform wird es ebenso ergehen wie die Ablehnung gegenüber der Euro-Einführung anstelle der D-Mark und gegenüber den hochriskanten Rettungspaketen für Gläubiger von überschuldeten Euro-Staaten, die hingestellt werden als Euro-Rettung: Volkesmeinung – unbeachtlich. Die Hunde bellen, nein, sie murren nur, die EU-Einheitsstaat-Karawane zieht weiter.

1) Rechnen kann man bei der SZ aber offenbar nicht, denn 90 + 8 + 3 ergibt 101 und nur 100 sind nach Adam Riese möglich.

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