„Aus dem Jungen wird nie was“

Der Unternehmer und „Stadtmöblierer“ Hans Wall

Von Erfolgsgeschichten vernimmt man in den Medien weniger als von Unglücken, vom Scheitern und von Misserfolgen. Eher dagegen in Büchern. Das Buch von und über Hans Wall ist eines davon. Schon mal von der Wall AG gehört? Nein? Dabei steht doch das, was sie herstellt, überall dort, wo die Menschen auf Busse und Straßenbahnen warten, sichtbarlich herum. Es sind Unterstände an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, Wartehäuschen, Wartehallen. Und es ist Hans Wall, der dieser Aktiengesellschaft seinen Namen gibt und mit ihr ein großer erfolgreicher Unternehmer ist. Dabei hatte er sich als Kind von seinem unerbittlich strengen Vater anhören müssen „Aus dem Jungen wird nie was“. Ebenso lautet nun auch der Buchtitel. Er ist die Koketterie damit, dass aus dem jungen scheinbaren Taugenichts Hans Wall doch etwas geworden ist.

Als Halbstarker Tunichtgut statt Musterkind

Dass man vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, das weiß man ja, aber dass es auch als Schlosser und Mechaniker funktioniert, das verrät nun sein von ihm geschriebenes Buch, seine Autobiographie. Dass er als Kind und später als „Halbstarker“ in der Tat alles andere als ein Musterkind, nämlich ein Tunichtgut war, damit geht Hans Wall sehr offen um, mit selbstkritischen Reflexionen. Der Erfolgreiche, heute mit sich selbst zufrieden, hält Rückschau und bekennt: „Ich war als Kind weder begnadeter Bastler noch ausdauernder Experimentierer, auch nicht Chef einer Jugend-Gang. Ich war ein Träumer, der ein paar Milchflaschen aus der Molkerei stahl, um vom Pfand Schokolade zu kaufen.“

Ein vom Vater tyrannisierter Spätentwickler

Wall, Jahrgang 1942, beschreibt eine „Jugend zwischen Mopeds, Flausen und Arrest“, unter anderem wie er mit seinem Freund Bananen aus einem verplombten Waggon klaute und wie sie sich damit „vollgefressen hatten wie die Affen“, was ihm neben väterlicher Züchtigung drei Wochenenden Arrest im örtlichen Amtsgericht eintrug. Er schildert anschaulich und ausführlich seine Kindheit: sich selbst als Rumtreiber, als abenteuerlustig, als vom Vater tyrannisierten Spätentwickler, den Vater, strebsamer Molkereileiter in Aalen, als verschlossen, streng, schweigsam, kontaktarm, der ihn häufig verprügelte und bei seinen fünf Kindern Angst und Schrecken verbreitete, die Mutter als liebevoll, warmherzig, gütig und ausgleichend, die Großmutter, unter der die Mutter litt, als kalt, stets vorwurfsvoll und unzugänglich wie der Vater, der ihr Sohn war.

Vom Schlosser zum Projekttechniker

Nach der Schule absolviert Wall eine Schlosserlehre und bekennt: „Als Lehrling war ich keine auffallend fleißige Erscheinung.“ Als fertiger Schlosser bekommt er seine erste Stelle. Das genügt ihm nicht, er läßt sich an der staatlichen Technikerschule zum staatlich geprüften Maschinenbautechniker ausbilden. Der Abschluß dort verhilft ihm zur Anstellung in einem mittelständischen Unternehmen, das Trinkwasserpumpwerke baute. Er arbeitet sich hoch zum Projekttechniker.

Der Gedanke „Das kannst Du besser“

Man liest, wie ihn nach Schule, Technikerausbildung und Heirat der Ehrgeiz packte, wie sich der berufliche Erfolg einstellte, wie er Selbstwertgefühl bekam, wie er merkte, dass er leistungsfähig wie andere war und auch über diese hinaus: „Zum ersten Mal beschlich mich der Gedanke, den ich zuvor nicht mal gewagt hatte zu denken: Das kannst Du besser. Es war wie ein neues Leben. Ich hatte mich selbst gefunden. Großartig.“

„Ich wollte meinen Anteil am Wirtschaftswunder“

Aber Wall wollte mehr, nicht nur angestellter Techniker sein: „Vor allem wollte ich ein selbstbestimmtes Leben.“ Dazu gehörte für ihn, morgens ausschlafen zu dürfen, nicht früh aufstehen zu müssen („Genetisch gesehen bin ich ein Murmeltier“). Wahrscheinlich sei das die wahre Triebfeder gewesen für alles, was noch kommen sollte. Doch war es natürlich noch mehr: „Ich wollte meinen Anteil am Wirtschaftswunder.“ Er war, zusammen mit seiner Frau, „aufstiegshungrig“ und berief sich auf Ludwig Erhard, der „Wohlstand für alle“ verkündet hatte, fügt aber hinzu: „Was viele bis heute vergessen haben – es bedeutete auch: Rackern für alle.“

Die Geschäftsidee mit den Firmenschildern am Ortseingang

Wall studiert Kleinanzeigen, steigt ein in kleines Unternehmen, dessen „unglaubliche Geschäftsidee“ ihn fasziniert: den unübersichtlich dichten Wald von vielen unterschiedlichen Firmen-Reklameschildern an den Ortseingängen, die mit dem Wirtschaftsaufschwung aus dem Boden schossen, auf einem großen und einzigen Hinweisschild zu bündeln, sich von den Bürgermeistern das alleinige Recht zu besorgen, diese Orientierungstafeln zu errichten, und die Unternehmen diese Tafeln bezahlen zu lassen, wenn auch ihr Firmenname dort prangen sollte: „Die Bürgermeister waren begeistert, und die Firmen zahlten bereitwillig, weil sie ihr Logo auf dem schicken neuen Schild sehen wollten.“ Walls Geschäftspartner, ein Verkäufertyp, besorgte die Aufträge, und Wall selbst entwarf die Schilder. Wall schreibt: „Das Geld floß reichlich … Es war eine Goldgräberzeit damals.“

Dann kamen die Buswartehäuschen – ein Knüller

Doch dann hatte Wall selbst eine Idee. Er sah an einer Bushaltestelle ein Wartehäuschen mit der Werbung einer Sparkasse am Dachrand und dachte „Das kannst Du besser“. Er gründete sein eigenes Unternehmen, bot in Hunderten von Werbebriefen an Bürgermeister „Wartehallen nach Bausystem 2011“ an, ohne auch nur eine einzige schon fertigzuhaben, und versprach kostenlose Lieferung und Montage. Im Buch liest man: „Damit waren die Bürgermeister sofort zu begeistern.“ Und Wall fing an, Buswartehäuschen zu bauen, Fundamente zu gießen und Werbung zu verkaufen. „Die Idee erwies sich als Knüller. Es dauerte keine drei Jahre, da hatte ich 1300 solcher Häuschen aufgestellt … Wir waren nahezu im ganzen Bundesgebiet vertreten … Wir waren von einer kleinen schwäbischen Rumpelbude zu einem deutschlandweit operierenden Unternehmen geworden.“

Dann die Buswartehäuschen als Werbeträger

Das Konzept war: den Gemeinden unentgeltlichen Service bieten gegen das Vermarktungsrecht von Werbeflächen. Die Unterstände als Wetterschutz für wartende Busfahrgäste waren als Werbeträger interessant geworden. Wohl hatte es Werbung an Bussen und Wartehallen schon in den 1920er Jahren gegeben, „neu war jedoch, daß das nun nicht mehr zufällig geschah, sondern planmäßig“. Dabei ist nicht Walls Ziel gewesen, „jedes Bushäuschen mit möglichst viel Werbung vollzupflastern“, sondern er reduzierte sein auf eine einzige Fläche, und zwar auf die Schmalseite des Wartehäuschens. Und von Beginn an legte er sehr großen Wert auf gute Materialien und erstklassige Gestaltung. Damit ließ sich auch die Vandalismusquote entscheidenden senken. Ohnehin gab es für ihn nur eine Strategie: „maximale Qualität auf allen Ebenen. Der Kunde ist König. Fehler, die machen nicht wir, sondern die anderen.“

… und fand sich plötzlich als Millionär wieder

Doch Wall war nicht der erste, der den Markt für diese Art der „Stadtmöblierung“ entdeckt hatte, sondern zehn Jahre vor ihm die Pariser Firma Decaux, die auf dem deutschen Markt immer weiter vordrang. Zum großen Wettbewerbskampf kam es zwischen ihm und Decaux um einen Großauftrag in Berlin 1984. Wie Wall diesen Kampf durch einen Regenguß gewann, ist eine besonders schöne Stelle in seinem Buch. Zugleich waren die dabei gewonnenen Erkenntnisse der Anstoß zu einem neuen Aufbruch mit seinem Unternehmen: weg aus der Provinz, hin zum Geschäft in Großstädten. Er verkaufte seine 1300 Wartehallen an eine von der Deutschen Städte-Reklame frisch gegründeten Gesellschaft für Stadtverkehrsanlagen – auch das eine köstliche Schilderung – und fand sich plötzlich Millionär wieder.

Als neuer Ernst Litfaß in Berlin

Berlin war der Einstieg ins große Geschäft. Auch begann mit Walls beleuchteten „City-Light-Plakaten“ eine neue Art der Vermarktung. Wall spricht von echter Pionierarbeit so wie einst die von Ernst Litfaß mit seinen Litfaß-Säulen. Aber der weitere Weg war zunächst mit vielen Schwierigkeiten, vor allem finanziellen Engpässen, gepflastert. Walls Angebot blieb bei den Wartehäuschen mit Werbung nicht stehen, es weitete sich aus auf städtische Information- und Leitsysteme, Stadtpläne, Toiletten, Mülleimer, Kioske, Ticketautomaten, Verkehrs- und Ampelanlagen. Wall schreibt über sich: „Ich war Deutschlands erster Stadtmöblierer, nicht nur mit eigener Planung und Produktion, sondern auch mit international renommiertem Design.“

Walls „Stadtmöbel“ prägen 60 Städte in 7 Ländern

Die Expansion über Deutschland hinaus begann 1988 mit den Niederlanden. Nach dem Fall der Mauer eroberte Wall mit seinen Wartehallen, Stadtinformationsanlagen und Plakatsäulen auch Moskau und St. Petersburg. 1994 zog er mit seiner „Wall-City-Toilette erfolgreich in New York ein. In Boston bekam er den Auftrag für eine komplette Stadtmöblierung. Präsent ist Wall in der Türkei, Ungarn, Slowenien, Rumänien und Bulgarien. Wall schreibt: „20 000 Stadtmöbel aus unserer Hand prägen fast 60 Städte in sieben Ländern auf drei Kontinenten.“ Sein Unternehmer-Credo lautet: „Wir wollen nicht die Billigsten sein, sondern die Besten. Nicht der Durchschnitt ist unser Maßstab, sondern Weltklasse, bei den Materialien, beim Design, bei der Verarbeitung, bei der Wartung.“

Lob an Deutschland: Es war offen für einen schrägen Vogel wie mich

Wall ist für den Erfolg dankbar. Was er denkt und fühlt, spricht er offen aus: „Meine Erfahrungen und Erfolge haben mich zu einem freiheitlichen Patrioten werden lassen. Patriot deswegen, weil ich dieses Land, mein Deutschland, von Herzen liebe. Hier wurde mir vertraut, hier konnte ich mich entfalten … Für mich war Deutschland immer ein Land der Chancen und freien Entwicklung. Ich wollte – und ich konnte. Man ließ mich. Dieses Land war offen für schräge Vögel wie mich … Insofern ist die Erfolgsgeschichte von Hans Wall auch eine Erfolgsgeschichte dieses Landes.“

Hans Wall: „Aus dem Jungen wird nie was …“. Vom Mechaniker zum Millionär. Warum in Deutschland jeder eine Chance braucht. Wilhelm Heyne Verlag, München 2009. 287 Seiten.19,95 Euro.

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